INTERVIEW

«Es geht um die Generation, die eigentlich alles hat...


... Ihre Sorgen generieren sich aus dem Umstand, dass man keine Nöte hat. Man könnte das als „Wohlstandsverwahrlosung“ bezeichnen. » Produzent Alexander Glehr über die Dreharbeiten zu Marie Kreuzters neuem Spielfilm Was hat uns bloß so ruiniert.

 
Wir sitzen hier im dritten Stock einer Altbauwohnung mit Balkon über den Naschmarkt, alte Patina vermischt sich mit Zeitgeist, Holzspielzeug mit neuem Design – vieles deutet auf ein gediegenes Bobo-Dasein hin. Worum geht es in Was hat uns bloß so ruiniert?

ALEXANDER GLEHR:  Es geht um drei befreundete Paare Mitte 30, die zur gleichen Zeit beschließen, Kinder zu bekommen und denen das auch gelingt. Der Film wirft einen ironischen Blick aufs Elternwerden, das heißt eigentlich aufs Erwachsen-Werden durch Kinderkriegen. In der Wohnung, in der wir hier drehen, finden vor allem Szenen rund um eine traditionelle Essensrunde statt, zu der sich alle sechs immer wieder treffen. Diese Essen sind Kernszenen, die immer wieder Zäsuren zwischen den einzelnen Handlungssträngen setzen, wobei hier gewisse Entwicklungen kulminieren und auch wieder Luft abgelassen wird. Es sind drei Paare, die in einer Gesellschaft ohne existenzielle Nöte aufgewachsen sind und sich in Wien, in der Urbanität, ein relativ sorgloses Leben geschaffen haben – umso mehr Probleme bereitet es ihnen.  

 
Originaldrehbuch, Ensemblefilm rund um die Generation 35+  – hier tauchen einige Komponenten auf, die eine Klammer zur ersten Zusammenarbeit der Novotny & Novotny Filmproduktion mit Marie Kreutzer, Die Vaterlosen,  herstellen. Findet hier etwas seine Weiterführung?

ALEXANDER GLEHR: Marie Kreutzer macht sehr persönliche Filme. Damit ein Film die nötige Relevanz entwickelt, halte ich es für unheimlich wichtig, dass die persönliche Komponente ins Spiel kommt, die klar macht, dass man weiß, wovon man erzählt. Und wie die bisherigen Filme von Marie zeigen, fühlen sich viele – auch ich – von den Lebenswelten, die sie sich zum Thema wählt, angesprochen. Uns als Produzenten liegt sehr viel an der Zusammenarbeit mit Marie Kreutzer, ich halte sie für eine der interessantesten österreichischen Filmemacherinnen, die es mit nur zwei Spielfilmen geschafft hat, eine eigene Filmsprache zu entwickeln. Sie macht ein sehr modernes Kino und trifft dabei eine sehr wesentliche Zielgruppe, die sich in der Sicht auf die Dinge, die Marie in ihren Erzählungen entwirft, wiederfindet. Wir freuen uns, dass wir wieder einen Film miteinander machen und sich der Weg, den wir mit Die Vaterlosen begonnen haben, fortsetzt. Unser Ziel ist es, diesen Weg weiterzugehen.

 
Hier scheint auch ein Team zusammenzuwachsen?

ALEXANDER GLEHR: Marie hat eine eigene Technik, wie sie ihr Set organisiert und wie sie die Schauspieler in dieses „Monstrum“ Filmcrew bettet. Sie hat Leute gefunden, die fähig sind, diese Anforderung in ihrem Sinne zu erfüllen. Wenn man von Filmsets und -crews spricht, fällt immer wieder der Begriff „Familie“. Bei den Produktionen mit Marie erfüllt sich dieses familiäre Gefühl. Es kennen sich alle seit langem und gehen die Dinge in einem sehr frühen Stadium schon gemeinsam an. Es ist eine sehr produktive, konstruktive Arbeit, weil man das Gefühl hat, dass alle mehr als einen bezahlten Job darin sehen.

 
Der Titel verweist auf etwas, das kaputt gegangen ist. Geht es in Was hat uns bloß so ruiniert um verlorene Ideale?

ALEXANDER GLEHR:  Es geht jedenfalls um die Generation, die eigentlich alles hat. Ihre Sorgen generieren sich aus dem Umstand, dass man keine Nöte hat. Die Figuren scheitern nicht an existentiellen Dingen. Man könnte das als „Wohlstandsverwahrlosung“ bezeichnen. Die Bedürfnisse sind alle sehr gut bedient, es wird zum Problem, wie man die Befindlichkeiten befriedigen kann. Scheitern tut man am „Wie“, nicht am „Ob“.

 
Wird der Erzählton eher zum Schmunzeln einladen?

ALEXANDER GLEHR: Es ist ein typischer Marie-Kreutzer-Ton. Ich denke, es gibt sehr viele Dinge, die einen zum Schmunzeln bringen, viele Momente, die einem unter die Haut fahren, aber auch sehr viel Gelegenheit, wo man sehr befreit lachen kann.

 
Von wem werden diese drei Paare gespielt?

ALEXANDER GLEHR: Pia Hierzegger und Manuel Rubey spielen ein Paar, ein weiteres Marcel Mohab und Vicky Krieps, und das dritte Paar bilden Andreas Kiendl und Pheline Roggan. Es war ein langer Prozess diese Konstellation zu finden, da es vor allem auch darum ging, wie die Gruppe zueinander passt und im Sinne des Drehbuchs miteinander funktioniert. Diese Konstellation hat sich im Laufe eines halben Jahres herauskristallisiert. Marie hat einen großartigen Blick und ein intensives Gespür, wie man einen Schauspieler und das, was er mitbringt, bestmöglich in einer Gruppe zum Wirken bringen kann.

 
Wann ist die Fertigstellung geplant?

ALEXANDER GLEHR: Ulrike Kofler hat bereits mit dem Schneiden begonnen. Unser Ziel ist Frühling 2016.

 
Die Dreharbeiten zu Was hat uns bloß so ruiniert sind nicht die einzigen, die die Novotny & Novotny Filmproduktion zur Zeit abwickelt. Was ist noch am Entstehen?

ALEXANDER GLEHR: Wir drehen gerade mit Dieter Berner Egon Schiele, der in Österreich bald abgedreht und dann in Luxemburg weiter gedreht wird. Dafür hatten wir im Februar bereits einen Winterdreh, die Hauptdreharbeiten finden jetzt in Wien statt. Der Film basiert auf dem Roman Tod und Mädchen: Egon Schiele und die Frauen von Hilde Berger und ist die Liebesgeschichte zwischen Egon Schiele und Wally Neuzil, erzählt aus der Perspektive von Egon Schieles Modellen. Es ist ein historischer Film und eine 4,8 Mio Euro-Produktion – somit auch ein ganz anderes Paradigma, was die Herangehensweise betrifft. Umso spannender ist es für mich als Produzent in diese zwei unterschiedlichen Welten einzutauchen. In der Inszenierung sind das zwei völlig unterschiedliche Zugänge an die Frage „Was will ich erzählen? Wie spanne ich als Geschichtenerzähler die Bögen?“ Beides ist unheimlich interessant für mich. Beide Filme decken die Spannbreite ab, die das europäische Kino zu bieten hat. Generell, auch mit Deckname: Holec von Franz Novotny und Ugly von Jury Rechinski, die sich in Postproduktion befinden, haben wir gerade mit vier grundverschiedenen Filmen zu tun. Für jedes einzelne Projekt muss ich als Produzent auch in der Kommunikation mit den kreativen Handlungsträgern jedes Mal eine eigene Sprache finden und mich in das jeweilige System neu hineindenken, um meinen Job bestmöglich erfüllen zu können. Das ist eine große Herausforderung und gleichzeitig macht es auf schöne Art und Weise klar, warum man Filme produziert.


Interview: Karin Schiefer
August 2015