INTERVIEW

Produzent Helmut Grasser über HENKER

 

So ein Film ist in Österreich noch nie gemacht worden. Und ich halte ihn für den Beweis dafür, dass es hier möglich ist, internationales Kino  zu produzieren. Deshalb werde ich ja eigentlich Produzent. Man ist nicht nur Abwickler, ein Produzent braucht eine Vision vom Kino. Helmut Grasser über die Dreharbeiten zu Henker

 

Wie sind Sie auf diesen historischen Stoff gestoßen, den Sie dann gemeinsam mit Drehbuchautorin Susanne Freund entwickelt haben?

HELMUT GRASSER: Die Arbeit an der ersten Fassung begann vor ca. vier Jahren. Die Geschichte spielt zu Beginn der Neuzeit, also in einer Umbruchszeit. Wir haben unglaubliche Parallelen zur heutigen Zeit gesehen, das fanden wir spannend. Es ist weniger ein historischer Film als vielmehr eine Reise in die Vergangenheit und auch ein Abenteuer. Es wird hoffentlich herauskommen, dass es mit Heute unglaublich viel zu tun hat.

 

Wenn man einen historischen Stoff in Angriff nimmt, bedeutet das von vornherein hohe Produktionskosten. Heißt es für einen Produzenten, sofort das Projekt als internationale Koproduktion anzudenken, weil es in Österreich allein nicht finanzierbar ist?

HELMUT GRASSER: Es war von Anfang an klar, dass das in Österreich allein nicht finanzierbar ist. Ein Projekt von dieser Größenordnung soll man aber auch aus anderen Gründen als Koproduktion planen: es geht darum, Vertriebskanäle zu öffnen, um den Film leichter auf anderen Märkten platzieren zu können. Eine der wesentlichsten Entscheidungen war es, den Film auf Englisch zu drehen.

 

Wie sind Sie an das Projekt herangegangen?

HELMUT GRASSER: Man kalkuliert das ganze zunächst einmal, das Budget ist plus minus mit fünf Millionen Euro berechnet. Dann sucht man sich Partner, mit denen man das gerne machen möchte und die daran interessiert sind. Die wesentliche Grundlage ist der Finanzierungsplan, der dann meistens so nicht funktioniert. Man muss sehr beweglich sein, Ersatzmöglichkeiten erfinden, andere Partner finden. Zunächst wollten wir eine Koproduktion zwischen Österreich, Deutschland und der Schweiz machen. Luxemburg, Großbritannien und Ungarn kamen erst nach und nach dazu. Ich wünschte mir einen starken englischsprachigen Partner, der zusätzlich zum Geld auch das Casting einbringt. Von Wien aus ein gutes britisches Casting zu machen, ist sehr schwierig, weil die britischen Agenten unglaublich unverlässlich sind. Sie schielen permanent über den großen Teich, wenn in Europa nicht außergewöhnliche Gagen gezahlt werden. Das bedeutet, man bekommt verbindende Zusagen nur wenige Wochen vor Drehstart, die Verträge gab es eine Woche vor Drehbeginn. Sie schauen darauf, immer mehrere Bälle in der Luft zu haben und im letzten Moment, das Optimum herauszuholen.

 

Wie kam dann Ungarn noch an Bord?

HELMUT GRASSER: Wir haben die Eurimages-Förderung nicht bekommen. Ich brauchte einen Ersatz und da in den ungarischen MA-Filmstudios in groben Zügen eine mittelalterliche Stadt stand, die zu adaptieren war, waren das ziemlich ideale Voraussetzungen. Außerdem gibt es in Ungarn seit kurzem ein Fördermodell, wonach man zwanzig Prozent der Ausgaben, die man in Ungarn tätigt, wieder zurückbekommt. Und es gibt in Ungarn aufgrund der dortigen Filmtradition sehr gutes Personal, das bringt also gute Synergien.

 

Wo wurde gedreht?

HELMUT GRASSER: Es wurde zwei Wochen lang in der Steiermark und sechs Wochen in Ungarn gedreht. Das Hauptmotiv, das Haus des Henkers, haben wir ins kleine Sölktal gebaut. Christoph Kanter hat es so originalgetreu gebaut, man sollte es eigentlich als Museum verwenden. Es ist atemberaubend schön und es bot sich dort eine gewaltige Kulisse. In Ungarn wurde am Studiogelände und die Außenaufnahmen auf dem Marktplatz gedreht.

 

Wie ist Österreich im Stab vertreten?

HELMUT GRASSER: Von den Headdepartments ist außer Regie so ziemlich alles aus Österreich: Drehbuch, Ausstattung, Kostüm, Schnitt. Die Postproduktion findet hier statt, das Kopierwerk ist hier und ein Teil der Dreharbeiten hat hier stattgefunden.

 

Mit welchem Anteil ist die Allegro Film vertreten?

HELMUT GRASSER: Mit sechzig Prozent. Wir sind federführend und haben die alleinige Verantwortung dafür, wie das Projekt finanziell und künstlerisch ausgeht. Die Briten haben durch ihre Schauspieler viel Input gebracht, ich habe sehr gute, verlässliche und seriöse Koproduzenten. Was das Ganze erschwert hat, war die Verpflichtung zum Completion Bond. Das heißt, bei Projekten dieser Größenordnung muss man in Österreich - und da ist Österreich einzigartig - eine Fertigstellungsversicherung abschließen. Das kostet Geld und bringt nicht wirklich mehr Sicherheit.

 

Warum fiel die Wahl auf einen Schweizer Regisseur?

HELMUT GRASSER:  Film ist ein internationales Geschäft und da frage ich nicht nach dem Reisepass. Ich habe den meiner Meinung nach richtigen Regisseur für diesen Stoff gefunden. Ich habe Simons Aeby Film Three Below Zero gesehen, für den er den Max Ophüls-Preis gewonnen hat. Er hat eine Bildsprache, die einfach großes Kino zum Ausdruck bringt. Wir haben mit Vladimir Smuty, einen großartigen Kameramann aus Tschechien. Seine Arbeit kommt aus einer lange gepflegten Kinotradition. Warum soll man nicht in einem EU-Nachbarland nach guten Leuten suchen, es gibt ja auch bei uns gute Leute, die in internationalen Produktionen zum Einsatz kommen. Da muss es viel mehr Austausch geben. Ich halte Simon Aeby für diesen Film für den besten. Simon hat sehr lange in Amerika gelebt und gearbeitet, er spricht perfekt Englisch, er kann die Schauspieler wie in einer zweiten Muttersprache führen.

 

Wie wurde Henker in Österreich gefördert?

HELMUT GRASSER:  Ich habe zunächst alle Referenzmittel, die ich noch hatte, zusammengekratzt. Das war über eine Million Euro alleine vom ÖFI. Der ORF ist sehr stark dabei und vom Filmfonds Wien kam die höchste, je vergebene Förderung. Die Österreicher haben sich unglaublich engagiert, vor allem ÖFI und FFW haben uns in kritischen Momenten die Stange gehalten. In solchen Projekten gibt es immer wieder kritische Phasen, selbst dann, wenn es schon ausfinanziert ist. Wenn ein Partner Bedingungen erhebt, die alle anderen nicht erfüllen können oder wollen, sodass das ganze Projekt plötzlich auf der Kippe steht, auch noch wenige Wochen vor Drehbeginn.

 

Bedeutet dieses Projekt für Sie und die Firma hinsichtlich Arbeitsweise eine große Umstellung?

HELMUT GRASSER: Es beginnt damit, dass man die Raten nur ausbezahlt bekommt, wenn man in allen Verträgen eine Fertigstellungsversicherung nachweisen kann. Da es aber auf der ganzen Welt nur ganz wenige Versicherungen gibt, die das machen, ist man ihnen völlig ausgeliefert. D.h. man kann alle Zusagen haben, und unter Umständen kann der Dreh noch platzen, auch wenn alle Gelder vorhanden wären. Das ist das untere Ende vom wirklichen Filmgeschäft. Ich habe schon fast dreißig Filme produziert, aber internationales Filmgeschäft ist einfach ganz anders. Es hat mit dem, was ich bisher gemacht habe, nur am Rande zu tun.

 

Bedeutet es auch firmenintern strukturelle Änderungen?

HELMUT GRASSER: Es bedeutet, dass man eine Mindestinfrastruktur von Personal mit großem Know-how benötigt. Man braucht eine gute Herstellungsleitung, Sekretariat, Buchhaltung, Assistenz, Filmgeschäftsführung, das ist das Mindestmaß. Man versteht, nachdem man so etwas gemacht hat, warum die Produzenten im internationalen Filmgeschäft bezahlt werden, der Film aber nicht ihnen, sondern den Investoren gehört. Sie bekommen im Erfolgsfall eine prozentuelle Beteiligung und erhalten eine ordentliche Gage wie der Regisseur, sind aber eigentlich Angestellte des Projekts, für das sie selbst das Geld aufgestellt haben. Man kann nicht mehr als alle zwei Jahre so einen Film machen und darf eigentlich, wenn man es ernst nimmt, nichts anderes machen. Ich würde am liebsten natürlich nur alle zwei Jahre einen Film machen und den dann richtig, mich nur darauf konzentrieren.

 

Was ist so anders am internationalen Geschäft?

HELMUT GRASSER: Man fragt sich immer wieder, warum scheitern Filme, die enorme Vorbereitungskosten haben, eine Woche vor Drehbeginn. Ich weiß es jetzt. Privatinvestoren können auch eine Woche vor Drehbeginn noch sagen, wir haben da eine Braut, die uns mehr interessiert. Das ist das Risiko. Staatliche Förderungen sind da viel verlässlicher, haben aber den Nachteil - man muss zwar sagen, dass die Österreicher nicht sehr bürokratisch sind - , dass sie ein bürokratisches System nach sich ziehen. Die Marktferne ist schon im System angelegt.

 

Es gab mit Dallas von Robert A. Pejo bereits eine Zusammenarbeit mit einem osteuropäischen Land. Ist das eine Strategie, die Ihrer Firma langfristig neue Perspektiven öffnet?

HELMUT GRASSER: Nein, das halte ich für einen Zufall. Ich nehme die Nachbarländer natürlich wahr. Ich finde, dass es Synergien gibt, die man nutzen sollte, wie unsere Entscheidung, Vladimir Smutny als Kameramann zu engagieren. Grundsätzlich bin ich daran interessiert, Qualität für ein möglichst großes Publikum, also marktorientiert zu produzieren. Der Osten ist zwar vom kreativen und inhaltlichen Potenzial für uns sehr interessant, ob er einen großen Markt darstellt, wage ich mittelfristig zu bezweifeln.

 

Wie sieht der Zeitplan bis zur Fertigstellung aus?

HELMUT GRASSER:  Anfang Dezember ist Drehschluss, geschnitten wird bereits parallel zum Dreh. D.h. eine Rohschnittfassung wird es zwei bis drei Wochen nach Drehschluss geben. Der Film wird Ende März fertig gestellt sein, dazu haben wir uns verpflichtet. Schnitt und Postproduktion werden in Österreich stattfinden.

 

Gibt es bereits Verkäufe?

HELMUT GRASSER:  Es gibt Interesse, aber jetzt verkaufe ich gar nichts. Ich weiß, dass ich einen guten Film produziere und ich weiß, dass er mit jedem Tag mehr wert ist. Für einen europäischen Film bekommt man kaum eine nennenswerte Minimumgarantie. Daher ist es wahrscheinlich vernünftiger, den Film marktgerecht zu machen und darauf zu schauen, dass der Film einfach gut wird. Dann wird er sich schon durchsetzen und er ist nachher natürlich einiges mehr wert. Wir fangen jetzt an, mehr und mehr den Markt zu betreten. Den Film begleitet jedenfalls ein positives Image, dafür sorgen die Schauspieler, die immer wieder erzählen, wie toll das wird. Das ist die beste PR, die man haben kann.

 

Wie ist Ihre aktuelle Einschätzung während der laufenden Dreharbeiten?

HELMUT GRASSER: Der Film hat einen sehr tollen Look. Er erinnert an großes Kino oder an das, was ich darunter verstehe. Die Schauspieler sind atemberaubend gut, es ist ein großer epischer Stoff. So ein Film ist in Österreich noch nie gemacht worden. Und ich halte ihn für den Beweis dafür - ganz egal jetzt, wie der Film geht, dass es möglich ist, so einen Film hier in Österreich zu machen. Den Versuch zu unternehmen, internationales Kino hier zu produzieren. Deshalb werde ich ja eigentlich Produzent. Man ist nicht nur Abwickler, ein Produzent braucht eine Vision vom Kino.

 

Interview: Karin Schiefer (2004)