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FALLEN von Barbara Albert

 

Sieben Jahre nach Nordrand war Barbara Albert erneut Gast am Lido von Venedig, wo ihr dritter Spielfilm Fallen im Wettbewerb um den Goldenen Löwen lief. Fallen ist eine Momentaufnahme von fünf Schulkolleginnen, die in dreizehn Jahren nicht nur einander, sondern auch ihre Ideale aus den Augen verloren haben. Barbara Albert inszeniert ihre neue Arbeit als Kollision von Träumen und Wirklichkeit, von Trauer und Lebenslust als heftigen Rausch mit unvermeidlicher Ernüchterung. Nach dem Wettbewerb in Venedig setzte Fallen seinen Festival-Parcours beim New York Film Festival fort. Ende November 06 standen im Rahmen einer Österreichischen Filmwoche ihre Arbeiten erneut im Mittelpunkt im New Yorker Lincoln Center.


Nina bekommt einen Lachkrampf mitten in der Totenmesse. Ihr passiert das immer in den unmöglichsten Momenten. Sie verzieht sich an die frische Luft und Alex, grinsend, ihr gleich hinten nach. Es bedarf nicht viel, um das alte Gefühl vom Verbündet-Sein wieder aufzuwecken. Dreizehn Jahre haben sie sich nicht gesehen – Carmen, Nina, Alex, Brigitte und Nicole – das Begräbnis ihres ehemaligen Physiklehrers ist nun Anlass, um am Ort ihrer Schulzeit an den Aufbruch ins Leben zurückzudenken und sich die verstrichene Zeit vor Augen zu halten. Alte Geheimnisse tauchen an die Oberfläche, alte Vertrautheit, alte Schmerzen werden spürbar als wären die Jahre vergangen und doch etwas von der Zeit stehen geblieben.

Aufhebung der Zeit

Fallen war für die 35-jährige Filmemacherin der Versuch, von der Aufhebung der Zeit und ihrer Vergänglichkeit, von Kontinuität und großen Löchern zu erzählen. Weg vom komplexen Mosaik in Nordrand oder Böse Zellen konzentriert sich Barbara Albert in ihrer neuen Arbeit auf ein punktuelles Ereignis, das die Lebensbilanz und die Lebensperspektiven ihrer Protagonistinnen zu 36 Stunden gemeinsamer Gegenwart verdichtet. Besonders traurig beginnt die Trauer um den großen Unbekannten, der sie alle geprägt, manche verführt und eine geliebt hat, nicht. Als die fünf Damen in schwarz dann noch von der Begräbnisfeier mitten in die Hochzeitsparty eines ehemaligen Schulfreundes geraten, entgleitet das Stimmungsgemisch aus Reminiszenz und Reue, aus Eifersucht und Zuneigung, aus Wiedersehensfreude und Wunsch nach Abrechnung in einen hemmungslosen Rausch, einen zeitlosen Moment, der alle Schranken aufhebt und sie schließlich in die Leere der Ernüchterung katapultiert. Dann ist endlich Zeit für Stille, für Trauer, endlich ein Moment, um einen neuen Blick aufs Leben zu werfen.
Die Rollen für ihre fünf Darstellerinnen Nina Proll, Birgit Minichmayr, Ursula Strauss, Kathrin Resetarits, Gabriela Hegedüs hat Barbara Albert teils nach Maß und teils gegen den Strich geschrieben und ungewohntere Facetten ihres Spiels zu Tage gebracht. Die gelungene Balance aus fünf gleich starken Hauptfiguren durchkreuzt die Filmemacherin mit Fotosequenzen, die der Geschichte vorausgreifen und das Zeitgefüge brechen. Der fragmentartige Blick voraus ins unmittelbare Später konterkariert den weiten Blick zurück in die ferne Schulzeit, beschleunigt den Rhythmus und richtet die Kraft nach vorne, die nach dieser intensiven Zusammenschau für jede der Protagonistinnen ihre Sicht auf das bestimmt, wie es weitergehen könnte – Fallenlassen ins Dasein, ohne in dieselben Fallen zu tappen. (ks)