INTERVIEW

Johanna Wokalek über WEISSE LILIEN

 


«Als ich das Buch von Weiße Lilien gelesen habe, konnte ich es nicht weglegen, es war wie ein Albtraum. Man weiß nicht, ob man jetzt wach ist oder schläft, wann man im Film aufwacht oder wann man wieder im Traum ist, weil alles so fließend ineinander übergeht. Ich habe das Buch gelesen und sofort entstanden Bilder vor meinem inneren Auge. » Johanna Wokalek über ihre Rolle der Anna in Christian Froschs Thriller Weiße Lilien.


Wie kann man ihre Figur, Anna, in der Konstellation der Geschichte einordnen?

JOHANNA WOKALEK: Ich finde die Idee von Christian Frosch sehr spannend, dass er sagt, Anna und Hannah sind praktisch eine Figur. Sie sind beide am selben Tag geboren im Fische-Sternzeichen, Sie kannten einander noch nicht von früher, aber sie entdecken einander; als sie sich kennen lernen, sind sie einander so vertraut, als würden sie einander schon lange kennen und gegenseitig etwas in sich erkennen.


Wie sieht Annas Vorgeschichte aus?

JOHANNA WOKALEK:In der Vergangenheit ging es Anna sehr schlecht und über diese eigenartige Mischung aus Selbstverteidigungs- und Angstbewältigungskurs, den sie bei Frau Danneberg (Erni Mangold) absolviert, lernt sie, mit dieser Angst umzugehen und sich davon zu befreien. Es ist sehr schwierig, das Buch von Yoon zu beschreiben. Als ich es gelesen habe, konnte ich es nicht weglegen, es war wie ein Albtraum. Man weiß nicht, ob man jetzt wach ist oder schläft oder wann man im Film aufwacht und wann man wieder im Traum ist, weil es so fließend ineinander übergeht. Dieses Psychothriller-Artige erweckt auch starke Bilder. Ich habe das Buch gelesen und sofort entstanden Bilder vor meinem inneren Auge, deswegen bin ich sehr gespannt, wie Christian Frosch und der Kameramann Busso von Müller das lösen werden. Ich fand es sehr interessant, so ein bildkräftiges Buch zu lesen.


Was hat sie letztlich dazu veranlasst, diese Rolle anzunehmen?

JOHANNA WOKALEK: Ich hatte Lust, Teil eines solchen Albtraums zu sein und es hat mich auch interessiert, Christian Frosch kennen zu lernen - jemanden, der so eine Phantasie hat, so etwas aufschreibt und über Jahre verfolgt, das finde ich spannend.


Beim Set-Besuch konnte man feststellen, dass sehr minutiös von der Licht- und Kameraseite her eingerichtet wird, dann ging es aber beim Dreh selbst sehr schnell: zwei, maximal drei Takes. Hat es zuvor Proben gegeben?

JOHANNA WOKALEK: Nein, gab es nicht. Christian hatte ein sehr gutes Gefühl, wen er besetzt. Brigitte und ich, wir kannten uns flüchtig vom Theater und ich hatte sofort, als wir uns trafen, ein gutes Gefühl, dass wir gut miteinander arbeiten können. Das lange Einrichten hat damit zu tun, dass es ganz klare, präzise Bilder gibt. Ich hab jedenfalls das Gefühl, dass Christian und der Kameramann Busso von Müller sehr genau wissen, was sie wollen und auch eine große Lust, das in Bilder umzusetzen. Unsere Aufgabe als Schauspielerinnen besteht darin, in dieser vorgegeben Form unsere Freiheit zu finden. Die haben wir bei Christian. Er ist sehr angenehm, er lässt uns Zeit im Spiel, schaut sehr genau und kann ganz kurz sagen, was ihm noch gefehlt hat. Außerdem hat er Humor und eben diese Phantasie.


Wie kann man das Verhältnis zwischen Anna und Hannah beschreiben?

JOHANNA WOKALEK: Ich denke, dass Anna um die Hannah weiß, sie weiß auch, dass Hannah sie braucht, damit sie sich befreien kann. Ich habe das Gefühl, sie tut ihr eher gut, aber es ist auch das Schöne an der Konstellation Anna/Hannah, dass man es nicht immer so genau weiß. Es wird überhaupt nichts erklärt, es steht dieses Unbenannte, ein Geheimnis zwischen den beiden und das macht eine große Faszination von den Figuren und Charakteren aus.

Es gab zuletzt lange Nachtdrehs, gehören die Dreharbeiten insgesamt eher zu den anstrengenden Drehs?

JOHANNA WOKALEK: Es ist sicherlich ein anstrengender Dreh, weil wir sehr lange Drehtage haben. Da ich aber immer wieder Pause habe und nicht wie Brigitte jeden Tag da sein muss, ist es für mich nicht wirklich anstrengend. Ich habe zwar lange Drehs und bin am nächsten Tag müde, aber wenn ich mir ansehe, was die anderen Tag für Tag an Pensum leisten, da ist es für mich eher leichter. Die Arbeitsatmosphäre ist sehr dicht, ich finde die Stimmung sehr gut und es ist ein tolles junges Team.


Man kennt Sie in erster Linie als Theaterschauspielerin, wie oft und wie gerne machen Sie einen "Ausflug" in den Film?

JOHANNA WOKALEK: Wenn es schöne Bücher und interessante Rollen sind für mich, sehr gerne. Ich hatte im Sommer Theaterpause, ich habe noch nie wirklich parallel zwei Rollen erarbeitet, das stelle ich mir sehr schwierig vor. Wenn ich etwas spiele, dann lasse ich mich voll darauf ein und bin sehr froh, dass die Proben fürs Akademietheater erst jetzt beginnen, wo ich praktisch schon fertig bin mit dem Dreh. Das Schöne ist, dadurch dass ich Theater spiele und nicht nur aufs Drehen angewiesen bin, dass ich es mir ein bisschen aussuchen kann. Es ist sehr reizvoll, in beide Richtungen zu arbeiten.


Was ist das Reizvolle am Film?

JOHANNA WOKALEK: Diese Konzentration auf den Moment hin. Bei der Arbeit mit der Kamera entsteht eine faszinierende Anziehung zwischen mir als Schauspielerin und der Kamera. Es gibt diesen großen technischen Aufwand und dann diese Konzentration im Moment. Und die Tatsache, dass die Kamera alles sieht. Ich kann mich auch darauf verlassen, dass sie alles sieht, ohne dass ich mich anstrengen muss, ich muss nichts zeigen. Ich spüre den Atem und die Gedanken und die Emotionen, dieser Filter, diese Membran, die das alles aufnimmt und übersetzt, das finde ich faszinierend.


Wie kann man Neustadt beschreiben?

JOHANNA WOKALEK: Es hat etwas Futuristisches und die Lebensweise der Menschen dort dadurch etwas Beklemmendes. Die Welt, die sich Christian da ausgedacht hat, ist ein abgeschlossener Kosmos, den man gar nicht verlassen muss, den viele auch gar nicht mehr verlassen. Anna ist noch am ehesten jemand, die Hannah mal dazu bewegt, diese Wohnstadt zu verlassen oder darüber hinaus zu denken. Dass man da auch fliehen kann von diesem engen, abgeschlossenen Raum, dieser Blase, in der die sich bewegen. Wenn man mal ein paar Tage in Alterlaa gedreht hat, kann man nachvollziehen, warum Christian Frosch diesen Ort für sein Drehbuch gewählt hat. Die Architektur ist für mich eher befremdlich. Es gibt z. B. Innenspielplätze oder in niedrigen Stockwerken plötzlich ein blau gekachelter Swimmingpool, wo man morgens um sechs vorbeigeht und da schwimmt jemand drinnen. Oder dass es einen Computer an den Eingängen gibt, wo man die Bewohner sucht, weil man sich sonst gar nicht zurechtfindet. Und das wird auch wieder überwacht. Als Lebensform ist das für mich schon eigenartig.
Ich glaube, Christian möchte in Yoon auch zeigen, dass der Mensch wie in einer Maschinerie lebt, sich in einer Wohnmaschine aufhält und in der Folge erzählen, was mit dem Menschen passiert, wenn er so lebt.


Interview: Karin Schiefer
September 2006