Regisseur Harald Friedl erzählt in Aus der Zeit vom Sterben des kleinen Handels, er hat dabei vier Wiener Einzelhändler in ihrem Widerstandskampf gegen die Zeit porträtiert

Herr Jentsch führt gemeinsam mit seiner Frau ein vor Generationen 1874 gegründetes Lederwarengeschäft in Wien. Kundenbesuch ist eher eine Seltenheit, meist kommen die Leute, um sich ein geliebtes Stück aus Leder flicken zu lassen, neue Ware kauft kaum jemand, doch der müde Umsatz scheint keine Rolle zu spielen. Längst ist das Geschäft mit der vollgeräumten Werkstatt im Hinterzimmer die Lebenswelt der beiden betagten Herrschaften geworden. „Hier herinnen habe ich das Gefühl, es hat nie begonnen und es hört nie auf“, sagt Herr Jentsch, „Hier herinnen nimmt einen die Zeit an der Hand und gibt den Kurs an“, sagt seine Frau. Wo er mit Herz und Seele und in Verbundenheit seiner Vorfahren dabei ist, da hat sie das Gefühl täglich ihren Dienst zu versehen, wie ein Soldat, der nicht abgelöst wird. Würden sie loslassen, das wissen beide, wäre verloren, was Tag für Tag ihr Dasein zusammenhält.

Josef Kienbacher hat in den dreißiger Jahren als Lehrbub in der Drogerie begonnen, und sperrt sie auch heute noch, 85-jährig, tagtäglich auf, um ein paar Euros in seiner schönen Registrierkassa klingeln zu lassen. Erika Frimmel hat ein Kleinod aus der Innenstadt am Hals – der schmucke Knopfkönig am Petersplatz hat viel zu ihrem Unglück beigetragen, und das nicht erst, als der Knopf als gefragte Ware mit der Haute Couture unterging. Von ihr fällt eine Riesenlast, als sich eine internationale Schokoladekette in ihren vereinsamten Laden einquartiert. Das Ehepaar Fritz hat die Zeichen der Zeit erkannt, sie lassen, gerade mal 60, lieber für immer die Rollläden ihres Fleischerladens herunter, um es gemeinsam im Garten gut zu haben.

Regisseur Harald Friedl erzählt in Aus der Zeit vom Sterben des kleinen Handels, er hat dabei vier Wiener Einzelhändler in ihrem Widerstandskampf gegen die Zeit porträtiert und hinter den verwaisten Ladentischen die untrennbaren mit den Geschäften verbundenen Lebensgeschichten aufgespürt. Anfang März lief Aus der Zeit in den internationalen Wettbewerb von Cinéma du Réel, wo er mit dem Prix des Jeunes ausgezeichnet wurde. (ks)