INTERVIEW

Ein Gespräch mit Franziska Weisz, Österreichs Shooting-Star bei der Berlinale 2005

Ihren Einstieg ins Kino verdankt sie ein bisschen dem Zufall. Schauspielausbildung hat sie keine, dafür ein abgeschlossenes Studium in Entwicklungspolitik und mit den Hauptrollen in Ulrich Seidls Hundstage und Jessica Hausners Hotel bereits zwei außerordentliche Darbietungen in der Tasche, mit denen sie in Cannes und Venedig auf sich aufmerksam machte. Franziska Weisz, ist Österreichs Shooting Star bei den Filmfestspielen in Berlin.

 

Ein erster Blick auf Ihren Lebenslauf lässt den Eindruck entstehen, dass die Schauspielerei nicht ein brennender Jugendtraum war, sondern auch der Zufall eine Rolle spielte.

FRANZISKA WEISZ: Der Wunsch war schon immer da, passiert ist es dann durch Zufall. Ich dachte nur, jedes Mädchen möchte Prinzessin, Sängerin oder Schauspielerin werden, ich hätte es nie gewagt, nach der Matura zu sagen, ich gehe jetzt auf die Schauspielschule. In meiner Familie haben alle einen Beruf mit Hand und Fuß. Ich hatte das Glück, Markus Schleinzer zu treffen, der mich für Hundstage gecastet hat.

 

So rein zufällig begegnet man Markus Schleinzer auch nicht gerade?

FRANZISKA WEISZ: Ich war bei einer Model-Agentur. Das war schon ein erster Schritt im Hintenherum-Denken - wenn man sich den direkten Weg nicht zu gehen traut. Wir kamen über die Agentur irrtümlich zu einem Casting für Kommissar Rex, Markus Schleinzer hörte uns an, am Ende sagte er zu mir "Bleib noch da, wir improvisieren jetzt etwas". Das war eigentlich das Casting für Hundstage. Von da an wurde ich öfter für Castings angerufen.

 

Sie haben sich neben der Schauspielerei auch ein zweites berufliches Standbein geschaffen.

FRANZISKA WEISZ: Ich bin gleich nach den Dreharbeiten zu Hundstage nach England gefahren, um dort vier Jahre zu studieren, hab nun meinen Abschluss in Entwicklungs- und Umweltpolitik, nach der Rückkehr aus England habe Hotel gedreht. Nach der Matura dauerte die Anmeldephase in England ein Jahr, in der Zwischenzeit inskribierte ich Wirtschaft.

 

Mit Ulrich Seidl seinen ersten Film zu drehen, ist nicht gerade ein einfacher Einstieg ins Metier?

FRANZISKA WEISZ: Ich dachte damals, das ist ganz normal so. Ich war ja davor noch nie auf einem Filmset. Es gab in der Vorbereitungsphase zunächst keine Proben. Mit Ulrich Seidl war es so, dass wir uns alle paar Wochen im Café Prückel getroffen haben und ich habe sehr viel von mir erzählt. Das hat ihm sehr geholfen, meinen Charakter zu kreieren. Der Charakter der Claudia, die ich gespielt habe, war ganz nahe an mir. Ich hab mich sehr sicher gefühlt, er und der Kameramann Wolfgang Thaler waren so ein angenehmes Gespann. Er hat mir schon einiges abverlangt, weil er mich einfach in eine Situation versetzt und abgewartet hat, was passiert. Ob das in einem Nervenzusammenbruch oder einem peinlichen Schweigen oder in einem Weinen endet, er bleibt einfach mit der Kamera drauf, was ja den besonderen Stil seiner Filme ausmacht. Es war so stark als Erfahrung, dass ich wusste, ich wollte das unbedingt wieder machen.

 

Haben Sie nach dem Dreh daran gedacht, eine Schauspielausbildung zu machen?

FRANZISKA WEISZ: Nicht wirklich. Ich bin nach England gegangen, ohne zu wissen, was aus Hundstage wird. Nach einem Jahr hat Ulrich Seidl angerufen, es gab einen Nachdreh. Nach diesem Nachdreh hat es mich nicht in Ruhe gelassen. Ich stand am Beginn eines Studiums, das ich mir vorgenommen hatte und gleichzeitig die Möglichkeit eines anderen Weges sah. Nach dem ersten Jahr war ich noch bereit, abzubrechen, ich fragte Markus Schleinzer, ob ich eine Schauspielschule machen soll und er meinte "auf keinen Fall". Zu ihm hatte ich Vertrauen, er hat mich zum Schauspielen gebracht, ihm verdanke ich alles. Rückblickend glaube ich, war es die richtige Entscheidung.

 

Was war zwischen Hotel und Hundstage?

FRANZISKA WEISZ:  In meiner Zeit in England wurde ich immer wieder für kleinere Projekte von Markus Schleinzer angerufen, manchmal nur Eintages-Drehs für Klavierspielerin und c(r)ook. Es gab da ein paar sehr schöne Projekte. Das eine war In Liebe vereint, das war die Verfilmung von Romeo und Julia aus dem Dorfe von Gottfried Keller. Da spiele ich die Julia, auch eine Hauptrolle.

 

Wie kam es zur Rolle in Hotel?

FRANZISKA WEISZ:  Ich bin zur Österreich-Premiere von Hundstage nach Österreich gekommen. Am Abend der Premiere kam Jessica Hausner auf mich zu und fragte, ob sie ein Polaroid von mir machen könnte. Sie hat mit dem Foto von mir das Drehbuch geschrieben. Das war ein Geschenk. Im letzten Moment war's dann noch einmal heikel. Der Dreh war für Spätherbst 2003 angesetzt, wir haben uns im Sommer 2003 kurz gesehen, ich hatte von Hundstage an durch Studium und das viele Sitzen ziemlich viel zugenommen. Zwei Monate vor Drehbeginn sagte Jessica zu mir "Der Charakter, den ich beim Schreiben vor mir hatte, schaut anders aus". Wir einigten uns, dass ich bis Drehbeginn zehn Kilo abnehmen würde. Das war eine heftige Zeit, weil ich Diplomarbeit schrieb, in der Früh trainieren ging, mich an den Computer setzte, nachmittags wieder trainieren ging und dazu Spargel aß und das zwei Monate lang. Ich hab es wirklich verflucht. Bei Drehbeginn war ich dann sehr dankbar, dass ich das gemacht hatte. Ich hätte es ewig bereut, wenn ich abgesagt hätte.

 

Hotel war wiederum ein sehr außergewöhnlicher Dreh, wo sie täglich in Aktion waren?

FRANZISKA WEISZ: Ich glaube, es gab drei Bilder, wo ich nicht dabei war. Es gab Wochen, da war ich als einzige Schauspielerin am Set. Das war schräg. Ich war eher Teammitglied als Schauspielerin, was ich sehr genossen habe, auch wenn's manchmal anstrengend war.

 

Von der Persönlichkeit als Regisseur sind Jessica Hausner und Ulrich Seidl völlig konträr. Wie erlebt man das als Schauspieler?

FRANZISKA WEISZ:  Das ergibt sich einfach in der Vorbereitungszeit. Mit Ulrich Seidl haben wir darüber geredet, ich bekam einen Drehbuchauszug, kein Drehbuch mit Dialog, alles war ganz vage und ich habe mich darauf eingelassen. Bei Jessica Hausner war auch in der Vorbereitung schon klar, dass jedes winzige Detail einfach stimmen muss. Wenn ich mir jetzt den Film ansehe, verstehe ich, dass es nötig war, eine einzelne Haarsträhne so perfekt wie möglich hinzulegen.
 

Was liegt Ihnen persönlich eher? Das genaue oder eher das offene Arbeiten?

FRANZISKA WEISZ: Schwierig zu sagen. Der richtig improvisierte Film war Hundstage, aber damals wusste ich ja nicht einmal, dass das eher außergewöhnlich ist, ich wusste ja nicht, was ein Drehplan ist. Je länger ich dabei bin, desto lieber hab ich es, genaue Anweisungen zu bekommen. Manchmal geht es mir bei einem Casting, wo improvisiert wird, ganz schlecht, manchmal genial. Im Grunde ist es mir am wichtigsten, sehr eng mit dem Regisseur zu arbeiten.
 

Kürzlich haben Sie mit Elisabeth Scharang für Mein Mörder gedreht?

FRANZISKA WEISZ: Ich spiele die große Schwester des Hauptdarstellers. Es ist keine tragende Rolle, aber eine Rolle, die den Lauf der Zeit verdeutlicht. Der Film erzählt in drei Etappen 1945, 1955 und 1970. Ich schätze es sehr, dass hier eine zu Tode geschwiegene Geschichte erzählt wird. Es spielten also einerseits inhaltliche Gründe mit, warum ich bei diesem Film mitmachen wollte und er gab mir auch Gelegenheit, eine 20-, dann 30- und dann 45-Jährige zu spielen, das war spannend.

 

Sie haben lange in England gelebt, sind also sprachlich gesehen problemlos in englischsprachigen Produktionen einsetzbar. Denken Sie daran, international zu arbeiten?

FRANZISKA WEISZ:  Absolut. Ich möchte unbedingt international arbeiten. Ich habe vier Jahre zuerst in Leicester, dann in London gelebt. Nach meiner Rückkehr nach Wien habe ich mit einem Sprachcoach gearbeitet. Akzentfrei ist man nie, aber so gut man als Österreicher sprechen kann, so gut ist es jetzt. Wenn ich mit Engländern spreche, halten sie mich für jemanden, der englischsprachig aufgewachsen ist, wissen aber nicht, wo.

 

Vom Typ her sind Sie ja nicht wirklich festgelegt?

FRANZISKA WEISZ:  Nein, überhaupt nicht, das ist mein großer Bonus. Ich habe alles Mögliche mal probieren dürfen und bin nicht abgestempelt. Für mich sind Vorbereitungen auf einen Dreh und Dreharbeiten selbst Momente, wo ich ganz offen bin, da habe ich eine ganz scharfe Wahrnehmung und erlebe mich ganz bewusst. Ich spiele Menschen und schöpfe deshalb alles aus meinen eigenen Emotionen. Da ist zunächst ein Appell an meine eigene Phantasie, aber natürlich frage ich mich, wie würde ich selbst jetzt in dieser Situation reagieren. Ich bin privat kein Mensch, der herumschreit, es hat aber seinen Reiz, das ausleben zu dürfen, anders sein zu können als privat.

 

Denken Sie auch daran, Theater zu spielen?

FRANZISKA WEISZ:  Mich zieht es sehr zum Theater, erstens wegen des Publikums und auch wegen der Ganzheit des Schauspiels, da gehören einfach Film und Theater und Fernsehen dazu. Gespielt habe ich noch gar nicht. Auch weil ich davon ausgegangen bin, dass man in Österreich nur Theater spielen darf, wenn man am Seminar war oder eine Prüfung in der Hand hat. Ein Irrtum, ich bin gefragt worden, ob ich kommenden Sommer in Perchtoldsdorf die Marianne in Molières Tartuffe spielen möchte. Ich freue mich schon sehr darauf.

 

Wie ist es, zwischen Fernsehen und Kino hin- und herzuwechseln?

FRANZISKA WEISZ:  Jetzt finde ich es total spannend, alles auszutesten. Ich hab zuletzt Vier Frauen und ein Todesfall gedreht. Das war das erste Mal, dass ich so eine beinhart schnelle Sache gedreht habe. Pro Einstellung gab es maximal zwei Takes, was nach Hotel eine besonders drastische Erfahrung ist, weil es zuvor genau das Gegenteil war. Beim anderen war ich nach einem One-Take oft total verzweifelt, weil ich mir dachte, der hat doch noch gar nicht alles sehen können.
 

Was macht den Reiz aus, vor der Kamera zu arbeiten?

FRANZISKA WEISZ: Es fasziniert mich – und das gilt für Hotel ebenso wie für Hundstage, dass man sehr minimalistisch an etwas herangehen kann und ohne große Worte eine Botschaft ans Publikum rüberbringt. Es fasziniert mich, ganz ehrlich ich selbst sein zu dürfen. Ich hab ja das Handwerk nicht gelernt, bei mir war es immer so, dass es ein tiefes In-mich-selbst-Hineinhören ist. Es sind die glücklichsten und ausgeglichensten Zeiten für mich, wenn ich drehen kann. Dieses intensive Hineinhören in sich selbst und dass man alles Mögliche sein darf, fasziniert wahrscheinlich jeden am Schauspielberuf. Ich hab vor kurzem in einem Buch gelesen, es sei eine schmerzhafte Erfahrung, festzustellen, dass Eignung nicht gleich Neigung sein muss. Nach meinen bisherigen Erfahrungen scheine ich das Glück zu haben, dass beides bei mir zusammenfällt.

 

Interview: Karin Schiefer (2004)