INTERVIEW

Michael Glawogger über DAS VATERSPIEL

 

«Es geht mir um eine Mischung aus ernsthafter Thematik, schwarzer Komödie und so etwas wie einer radikalen Poesie. Diese drei Aspekte tauchen immer wieder auf und ich habe im Roman viel davon gefunden. Es ist auf der einen Ebene ein Spielfilm und auf einer anderen Ebene schimmert ein anderer Film durch.»




Was war das Filmische an der Romanvorlage von Josef Haslinger?

MICHAEL GLAWOGGER:   Ich war anfangs sehr hin- und hergerissen, einerseits hatte der Text viel Filmisches, andererseits hatte das Buch 600 Seiten – ein Monster. Was Josef Haslinger sehr gut kann, ist, verdichtete Momente zu schreiben, wo man sofort einen Film ablaufen sieht. Es gibt da eine Fahrt durchs nächtliche Waldviertel, in der es stark zu schneien beginnt. Ich kenne das Gefühl sehr gut, von diesem Abend, an dem es zum ersten Mal schneit, das hat so etwas Losgelöstes an sich, man ist versöhnt mit der Welt oder auch das Gegenteil und es beginnen Gedanken abzulaufen. Das bildete einen roten Faden durch die Geschichte, wo ich mir sofort sehr schön einen Film vorstellen konnte. Manchmal waren es nur Kleinigkeiten – z. B. programmiert die Hauptperson Computerspiele und eines davon ist ein Fußballspiel, wo der Ball fehlt. So etwas ist mir sehr nahe. Etwas, das auf sehr seltsame Weise etwas aus der Welt heraus nimmt, was dann sehr vielsagend oder irritierend ist. Viele schöne, verwobene Details ziehen sich durchs ganze Buch. Es gibt im Roman auch eine lange Episode mit einer Pogromsituation in Litauen zur Zeit des Nationalsozialismus. Meine erste Reaktion war, das möchte ich eigentlich nicht machen. Ich denke, es gibt schon genug Filme, wo Leute in Naziuniformen gesteckt worden sind, das hat für mich keinen Sinn mehr. Meine Produzentin war aber dann mit meinem Vorschlag, diesen Aspekt des Romans mit einem radikal langen Monolog, den Ulrich Tukur hält, in den Film einzubauen, einverstanden. Von da an habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, den Film zu machen. Es scheint mir sehr interessant, in einen ganz schnellen, verwobenen Film mit vielen Ebenen plötzlich fünf Minuten einzufügen, wo jemand eine Geschichte erzählt. Radikale Erzählformen reizen mich immer.


War Josef Haslinger in den Drehbuchprozess eingebunden?

MICHAEL GLAWOGGER:  Er wollte zunächst nicht eingebunden sein, hat aber dann doch eine Fassung gelesen. Er war, glaube ich, sehr angetan, dass ich sehr nahe am Buch bleibe, obwohl ich viel weggelassen habe. Es hat sich über zwei Fassungen hindurch ein kleiner Dialog zwischen uns entwickelt, der sehr bereichernd war, weil er mich auf Punkte gestoßen hat, die ich weniger beachtet hatte und die dramaturgisch wichtig waren. Ab der zweiten Fassung habe ich dann allein weitergearbeitet.


Ein Computerspiel spielt eine besondere Rolle in der Geschichte?

MICHAEL GLAWOGGER: 
Ratz entwirft ein Computerspiel, mit dem er ununterbrochen seinen Vater morden kann. Das ist sehr spannend, denn hier geht es um eine Phase, die jeder junge Mann einmal durchlebt – zuerst, dass er mit seinem Vater fertig werden muss, um später draufzukommen, dass man etwas vom eigenen Vater hat, womit man erst lernen muss umzugehen. Jeder hat dafür eine andere Methode. Es erstrecken sich über drei Generationen drei verschiedene Vater-Geschichten. Das Reizvolle an der Umsetzung dieses Romans war, in meinem Stil Geschichten, Schauplätze, Orte, Stimmungen miteinander zu verweben.


Der Roman enthält einerseits diesen starken psychologischen Aspekt mit dem virtuellen Vatermord andererseits mehrere politische Themen im Verlauf des 20. Jhs. Was wird in der Filmfassung stärker herauskommen?

MICHAEL GLAWOGGER:   Das weiß ich nicht, bei mir kommt hoffentlich ein komödiantisches Element dazu. Es geht mir um eine Mischung aus ernsthafter Thematik, schwarzer Komödie und so etwas wie einer radikalen Poesie. Diese drei Aspekte tauchen immer wieder auf und ich habe im Roman viel davon gefunden. Ich werde auch viel Fremdmaterial verwenden - Archivmaterial, selbst gedrehtes oder von Fremden verwendetes Super-8-Material. Es kommen Ringschwanzseekühe ebenso vor wie Videospiele oder Aufnahmen aus dem Tschetschenienkrieg ? es ist ein Spielfilm auf der einen Ebene und auf einer anderen Ebene schimmert ein anderer Film durch.
 


Wie lässt sich die Figur des Ratz beschreiben?

MICHAEL GLAWOGGER:   Ratz ist ein Computertäter, sonst eine fast passive Hauptfigur. Ein Mensch, der sich die Welt anschaut und alles in sich aufsaugt. Er steht auch für eine Generation, die nie gefordert war, große moralische Entscheidungen zu treffen, die nie in den Krieg ziehen oder den eigenen Freund verraten musste. Er gehört einer Generation an, die eher mit dem Finger auf die Leute zeigt, die das tun mussten.


Wie fiel die Wahl auf Helmut Köpping als Hauptdarsteller?

MICHAEL GLAWOGGER:  Ich habe überhaupt bei der Besetzung immer das Bedürfnis, verschiedene Welten von Schauspielern zusammenzubringen und bei diesem Film hat sich das besonders angeboten. Bei Ratz habe ich ziemlich schnell an Helmut Köpping gedacht, der ein großartiger Schauspieler ist, meist aber viel mehr als Regisseur arbeitet. Und ich habe die unterschiedlichsten Schauspieler dabei: Christian Tramitz (Der Schuh des Manitu), der aus einer ganz anderen Welt des Schauspiels kommt, Ulrich Tukur, Sabine Timoteo. In „normalen“, kohärenteren Besetzungen würden diese Leute nie zusammenkommen und es ist mir eine Freude zu sehen, wie sie miteinander spielen und aufeinander reagieren. Ich bin im Moment sehr glücklich, dieses Zusammenspiel der Schauspieler funktioniert zur Zeit wirklich gut.


Wo finden die Dreharbeiten statt?

MICHAEL GLAWOGGER:  Wir haben in New York zu drehen begonnen, drehen jetzt in Wien, dann noch im Waldviertel und zum Schluss in Köln im Studio. Der Dreh ist jetzt einmal am 15. Mai abgeschlossen, es wird aber noch ein sechstägiger Winterdreh folgen. Die Fertigstellung ist für Frühjahr 2008 geplant. In New York haben wir den Schluss gedreht, wo Ratz von einer Jugendliebe nach New York geholt wird, ohne zu wissen, was ihn dort eigentlich erwartet. Er muss dort einen Keller renovieren, in dem sich ein Kriegsverbrecher seit dreißig Jahren versteckt hält, er freundet sich mit diesem Mann an, ohne dass er genau weiß, um wen es sich handelt. Die Erkenntnis, dass man jemanden mögen kann, der eine solche Schuld auf dem Gewissen hat, macht so etwas wie einen Knopf in seinem Kopf. Dass ist vielleicht auch genau der Knopf im Kopf, den ich mit dem Film erzeugen möchte.
 

Interview: Karin Schiefer
2007