INTERVIEW

Peter Kern über DIE TOTEN KÖRPER DER LEBENDEN

 

«Ich bin ein sehr trauriger Optimist, denn Hoffnung ist das einzige, das das Leben trägt. Und dass ich immer enttäuscht werde, erzeugt immer neue Hoffnung, das ist der Motor.» Ein Gespräch mit Peter Kern



Die toten Körper der Lebenden ist eine Hommage an Jean Genet, inwiefern besteht der Bezug zu ihm?

PETER KERN: Die Inspiration kam von Jean Genets einzigen Film, Un chant d’amour, den er in den fünfziger Jahren gedreht hat, er spielt in einem Gefängnis mit zwei Gefangenen, die in abgründiger Liebe zueinander kommen wollen, ein Aufseher beobachtet das und nützt seine Macht aus und lässt sich sexuell befriedigen. Es geht um Unterdrückung, um ein Symbol der Freiheit, um das Recht nach Liebe. Der Film endet im Gefängnis. Mein Film Die toten Körper der Lebenden beginnt mit dem Ausbruch der beiden Liebenden aus einem Gefängnis im dritten Bezirk, sie fliehen über den Naschmarkt, irgendwohin an den letzten Ort der Welt in Wien. Die Stadt ist menschenleer und verkommen im Sumpf der Verlogenheit und sie landen in einem Cabaret - ich habe im Cabaret Renz, das ja auch am Sterben ist, gedreht. Es ist niemand mehr auf der Welt außer einer alten Dame, ein Altstar, der glaubt, dass die ganze Welt noch um ein Autogramm vor der Tür steht und ihrem ewig unterdrückten Mann, der Aufseher im Gefängnis ist. Die beiden Ausbrecher geraten in diese Welt, die Alte hält sie für zwei Schauspieler, die sie inszenieren kann und die beiden merken gar nicht, dass die Leidenschaft und der Müll der Alten sie beide umbringt.


Die düstere Weltsicht bezieht sich aber auch auf einen gesellschaftlichen Zustand?

PETER KERN:  Natürlich ist der Film auch ein Abbild der Gesellschaft, sehr stark sogar. Man versucht ja Geschichten zu erzählen, indem man einen Humus bildet – das ist Jean Genet. Aus diesem Humus wächst die Phantasie und der Film und damit möchte ich ein Zeitbild schreiben. Ich erzähle über Österreich, über das im Sumpf versunkene Wien, über diese undemokratische, kulturlose Stadt, die sich ewig mit Mozart und anderen Gestalten schmückt und wo all der Müll an Kunstgewerblichem dann als Kunst dargestellt wird. Der Film ist also eine Kritik an der Illusion, eine Kritik an uns selber, er wirft die Frage nach unseren Träumen auf, aber auch danach, warum Kriminalfilme so beliebt sind? Ist das Morden in Kriminalfilmen ein Ersatzmord für unsere Phantasie, für unser unglückliches Leben? Warum rennen die Leute in einen amerikanischen Actionfilm, wo mindestens 150 Leichen vorkommen und warum nimmt dieser Film 80% unseres Marktes ein? Darüber muss man sich Gedanken machen. Die Lust, das Perverse, das Abnorme zu sehen, steigert sich, weil wir immer etwas Neues fordern und Computerspiele und Internet diese Lust nähren.


Zentrales Thema scheint die Suche nach der Freiheit, genauer gesagt auch der verbotenen Freiheit zu sein?

PETER KERN: Natürlich weil unsere Entwicklung permanent durch Maßnahmen geregelt wird. Der Politiker fragt nicht, wie kann ich dem Menschen mehr Freiheiten einräumen und dafür Gesetze schaffen. Nein, er macht Gesetze für Einzelfälle, um mehr Unfreiheit zu schaffen und nimmt den einzelnen Vorfall als Argument. Ein Terrorist und acht Millionen Österreicher und das ist es, was die gesamte Entwicklung bestimmt. Es wird nie vom Menschen, nie vom wahrhaftigen Leben gesprochen, sondern von Ordnungsprinzipien. Es geht auch um die Freiheit in der Sexualität. Aber das ist für mich kein Thema mehr. Vor dreißig Jahren galt ich als der perverse Homosexuelle in Deutschland. Das ist vorbei. Für mich sind Leute so, wie sie sind und ich kümmere mich nicht mehr darum. Ein Künstler muss doch vorausdenken, er muss der Visionär der Gesellschaft sein. Er muss der einzige sein, der Utopien denkt, zeigt und (vor-)lebt. Wo ist denn heute die sozialdemokratische Partei – meine Partei – angelangt? In der Mitte. Die Mitte ist das gefährlichste in unserem Leben, weil die Mitte weder eine Meinung noch eine Haltung bedeutet. Sie ist genau eine Haltung von beidem, also etwas, das den Menschen nicht weiterbringt. „In Gefahr und in höchster Not ist der Mittelweg der Tod“, hat schon Alexander Kluge erklärt.
 

Die Protagonisten im Film sind soziale Randfiguren – Obdachlose, Mörder, Prostituierte.

PETER KERN: Gemeint sind Menschen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen. Versager, Unterdrückte, Ausgebeutete, Kleinkriminelle, die es geworden sind, aufgrund ihrer Lebenssituation, in der man sie nicht ernst genommen hat. Sie interessieren mich einfach mehr als ein Immobilienhändler, der nur darauf schaut, mehr und mehr in seinen Rachen zu kriegen. Ich habe selbst mein Leben reduziert, ich stelle in meinen Filmen nicht nur eine Behauptung auf, ich lebe auch so. Ich wohne im 6. Stock in der Großfeldsiedlung – mittendrin in einem Brennpunkt des Überlebens. Oft ist es so, dass ich in der Einsamkeit ersticke. Wenn die Sonne an meinem Fenster klirrt, da sticht es in meinem Kopf so sehr und ich spüre einen unendlichen Sog in die Tiefe, so unglücklich bin ich da. Ich habe überall gewohnt - in Rom, in Deutschland, in Amerika, aber dieses Land hier ist wohl das undemokratischeste. Was ich hier täglich an Beleidigung und Verlogenheit im Umgang der Menschen miteinander erlebe, besonders auch was das Filmemachen, was die Förderungen anbelangt, das ist sehr beängstigend. Dass die Politik uns im Kunstverständnis weiterbringt, davon sind wir weit entfernt. Es ist das Museale, was ein Kulturbeamter am liebsten fördert, eine tote Kunst, mit der man sich nicht auseinandersetzen muss. Alle Parteien haben Angst vor lebenden Künstlern ? seien es Filmemacher, Theaterleute, Schauspieler, sie halten sich gerne in ihrer Nähe, um etwas von ihrem Glamour abzukriegen, den es in diesem Land aber leider nicht wirklich gibt.


In Die toten Körper der Lebenden heißt es “Each man kills the thing he loves“ - Sind Sie ein Pessimist?

PETER KERN:  Nein, ich bin ein sehr trauriger Optimist, denn Hoffnung ist das einzige, das das Leben trägt. Und dass ich immer enttäuscht werde, erzeugt immer neue Hoffnung, das ist der Motor. Die Frage ist nur, wie lange habe ich noch die Kraft, das alles durchzudrücken. Es ist schon wahnsinnig anstrengend, immer betteln zu müssen. Das muss sich aufhören. Bis jetzt hat es immer durch Überzeugung geklappt. Die Leute wollen bei mir spielen und sind bereit, für wenig Gage für mich zu arbeiten.


Wer sind die Schauspieler in Die toten Körper der Lebenden?

PETER KERN: Ich hatte das Glück mit meinen Hauptdarstellern - Andreas Bieber, der den Lucien spielt, ist ein Musicaldarsteller, der mal einen Film machen wollte. Oliver Rosskopf als Java eine Entdeckung aus Graz. Dann hatte ich die Gelegenheit, eine österreichische Schauspielerin zu engagieren - Traute Furthner - sie ist 75, sie hat viel in Deutschland, auch an der Josefstadt gespielt, aber nie große Hauptrollen. Gerade deshalb fand ich sie so interessant, weil sie eine Sehnsucht zum Ausdruck bringt, die in Bezug zur Rolle steht. Es geht ja um eine Frau, die mit der Illusion lebt, ihr Publikum steht noch vor der Tür. Das stellt sie wunderbar dar. Sie ist außerdem für die geplante Hauptdarstellerin eingesprungen, die 24 Stunden vor Drehbeginn erkrankt ist. Sie hatte eine sehr harte Zeit mit mir, weil es ihr so wahnsinnig schwer fiel, den Text zu behalten und ich habe sie sehr gedriezt. Dann war da noch ein junger Schauspieler Günther Bubbnik als Beppo und Heinrich Herki, ein gestandener Schauspieler, der viel an der Josefstadt spielt.


Die Musik ist ein sehr wesentliches Element ihrer Filme. Welche Rolle kommt ihr zu?

PETER KERN: Das ist natürlich elementar. Im Gegensatz zur Entwicklung des deutschen Films, der das Motto „Zurück in die Kälte“ verfolgt, Distanz und nur keine großen Gefühle aufkommen lässt, und ja der Musik keinen Raum gibt, verfolge ich einen anderen Weg. Tatsache ist, dass bei mir Musik als zweite Erzählweise eingesetzt wird. Kino ist für mich Bild, dann Musik und in dritter Linie erst Sprache. Das macht den großen Unterschied bei mir.
Die fünf Lieder, die Andreas Bieber singt, hat mir Ingrid Caven geschenkt, ich habe sie bearbeiten lassen. Zwei Lieder im Film sind extra geschrieben worden, eines davon heißt Scheiß mich zu, ein besonders schönes Lied, finde ich.
 

Wie gering sind die Budgets Ihrer Filme?

PETER KERN: Die Filme kosten schon etwas. Es ist unrealistisch, einen Film unter € 40.000,- zu machen. Außer einem, der hat wirklich nur 5.000,- gekostet. Der hieß Ein fetter Film, den habe ich mit einer Kamera gedreht und ich war alles in einer Personalunion – Geschichtenerzähler, Hauptdarsteller, Kameramann. Ein Film wie Die toten Körper der Lebenden kostet in etwa € 40.000,- , da ist eine Förderung vom BKA dabei oder Mittel aus der Industrie oder Eigenmittel durch Schauspielerei oder andere Tätigkeiten. Die Produktionsfirma Viewfinders, mit der ich zusammengearbeitet habe, macht viel mit News für deutsche Fernsehstationen mit Beiträgen darüber, was in Österreich passiert. Die Firma war ein Fan von Donauleichen, sie veranstaltet auch das Ohne Kohle-Festival und ist sehr engagiert, Filmideen zu ermöglichen, die sonst nicht entstehen können, v.a. wenn sie in den Raster „unangepasst“ fallen.


In einem Artikel im Filmmagazin Film Comment werden Sie als “last enfant terrible“ bezeichnet, können Sie damit etwas anfangen?

PETER KERN: Nein, das kümmert mich auch nicht. Ich werde doch nicht gleichzeitig die Betrachtung meiner Arbeit mitliefern. Ich bin permanent mit Geschichten beschäftigt, die so penetrant in meinem Kopf sind, dass sie raus müssen. Darum kann ich manchmal nicht die Förderungen abwarten, ich muss sie machen, weil sie wesentlich sind oder sie kommen nicht zustande. Ich gehe bei jedem Film ein neues Risiko mit mir selbst und meinem Leben ein, aber die Rezeption ist mir ehrlich gesagt wurscht. Ich möchte nur nicht ignoriert werden. Man kann gerne sagen, was macht der Kern für schmutzige Filme, ist mir alles recht, ich würde nie reagieren. Aber Ignoranz ist mir untragbar. Wenn die Rezeption positiv ausfällt, freue ich mich natürlich schon. Das soll anderen, die noch weniger Geld haben, Mut machen, sich darüber hinwegzusetzen. Ein Film lebt von der Stärke, der Phantasie, von der Emotion. Wenn sich jemand so weit fühlt, dann soll er ganz einfach den Film machen. Ich bin nicht bekannt für diplomatisches Verhalten, was sicher weiser wäre. Ich muss immer sagen, was ich sehe. Ich find’s aber wiederum gar nicht so schlecht, wenn hier im Land einer brüllt und manchmal verunsichert. Mein wirkliches Lebenselixier ist der Humor. Was glauben Sie, wie viele Festivals ich schon verboten habe, weil sie meine Filme nicht angenommen haben und ich bekomme nie eine lustige Antwort. Es ist ja absurd, dass Peter Kern ein Festival verbietet, aber die sind dann immer ganz böse. Das sind die wahren Opfer – Leute, die nicht auf meinen Humor einsteigen, ich verfeinere das immer mehr und es ist ein Spiel, über das ich mich sehr freue. Was mir in der Filmbranche leid tut, ist, dass es hier so viele Einzelkämpfer gibt, dass es mir bis jetzt nicht gelungen ist, wirklich Freundschaften aufzubauen. Vielleicht nicht nur Freunde zu gewinnen, sondern auch einen richtigen Diskurs zu schaffen, übers Machen, über Erfahrungen zu reden, um speziell in diesem Land etwas zu verwirklichen, das wirklich reich an Phantasie, reich an Gedanken ist. Man muss die Phantasie dieser unglaublich begabten Menschen hier im Lande freilegen. Dazu braucht es aber einen klugen Kopf in der Kulturpolitik und das vermisse ich so sehr.


Worum geht es in Ihrem nächsten Projekt?

PETER KERN:  Ich plane gerade ein Projekt, Die blaue Gitarre. Das wird eine majoritär österreichische Produktion mit einem Budget von zwei Mio mit der Cult-Film in Wien und einer Kölner Produktionsfirma. Es wird ein Film mit Mario Adorf in der Hauptrolle und einer beachtlichen Besetzung in Österreich. Ich möchte versuchen, jetzt bei der Viennale Jane Fonda dafür zu gewinnen. Der Film wird mit Sicherheit im Frühjahr gedreht, die Finanzierung ist voll im Gange, ich schreibe gerade das Drehbuch um, um die Handlung nach Österreich zu verlegen. Zuvor hat es in einem Ort in Europa gespielt, jetzt wollen die Anstalten, dass es mehr Österreichbezug hat, das erfülle ich gerne, weil ich es politisch gesehen für einen wichtigen Aspekt halte, über die Nazi-Szene zu erzählen, die hier permanent und nicht nur im Untergrund vorhanden ist.


Sie haben gerade zwei Filme fertig gestellt, die beide auf Festivals laufen, der eine heißt Nur kein Mitleid und wird auf der Viennale gezeigt, der andere Die toten Körper der Lebenden läuft jetzt in Hof, was ist dazu kurz zu sagen?

PETER KERN:  Zu Nur kein Mitleid will ich nichts vorwegnehmen, es ist eine Dokumentation, die spannend ist, die von einem Protagonisten und vielen Überraschungen lebt. Es ist ein Film über ein Land. Ich habe den Film Stefan Bachmann, dem ehemaligen Schauspieldirektor von Basel gezeigt, der sagte „Das ist der erste wahrhaftige Film über die Schweiz. Die toten Körper der Lebenden hat in São Paolo Premiere, dann am 25. Oktober im Hof. Ich habe den Eindruck, dass Hof für den deutschen Film fast wichtiger ist als die Berlinale. Ich selber fahre ungefähr zum 15. Mal dort hin. Die Regisseure gehen dort anders miteinander um als in Österreich. Dort lernt man Solidarität, Austausch von Phantasie, von Filmemachen, Formen. Man säuft zusammen, man schaut zusammen Film, man spielt zusammen Fußball und das alles im engsten Umkreis vom Publikum. Sollte ich Chef der Diagonale werden, für die ich mich beworben habe, dann würde ich das als Vorbild nehmen und dennoch in Österreich etwas Eigenes machen.


Interview: Karin Schiefer
2007