INTERVIEW

Barbara Caspar über  WHO'S AFRAID OF KATHY ACKER

 

 

Wenn man so sehr die Grenzen überschreitet wie Kathy Acker, dann kommt zum Respekt auch etwas Suspektes dazu.Barbara Caspar über ihren Dokumentarfilm  Who's Afraid of Kathy Acker?

 

 

Der Film beginnt mit einer Frage - Who's Afraid of Kathy Acker? Gibt es bzw. hat es gute Gründe gegeben, sich vor Kathy Acker zu fürchten? Barbara Caspar: Eine starke Frau - was immer man auch darunter versteht - flößt, glaube ich, gesellschaftlich immer einen gewissen Respekt ein. Und wenn man so sehr die Grenzen überschreitet wie Kathy Acker, dann kommt zum Respekt auch etwas Suspektes dazu. Ich persönlich sehe das nicht so, aber ich kann die Reaktion nachvollziehen. Ich habe diese Frage in den Titel gestellt, weil ich in vielen Gesprächen diesen respect bzw. auch suspect gespürt habe, und ihr gegenüber auch so agiert wurde. Es gab viele Restriktionen, die von einer grundlegenden Furcht ausgegangen sind und natürlich gibt es das Wortspiel zu Who's Afraid of Virginia Woolf? Wenn Kathy Acker am Index für jugendgefährdende Schriften gestanden hat, dann heißt es, dass es ein gewisses Ressentiment nicht nur ihrer Person gegenüber, sondern auch dem gegenüber, was ihre Schriften loslösen können, gegeben hat.

Wie sind Sie auf Kathy Acker gestoßen und was hat Sie bewogen, sich intensiver mit ihr auseinanderzusetzen?
Barbara Caspar: Ich war 18, als ich ihre Bücher gelesen habe. Ich habe damals gerade in England gelebt und hab sie in einem Buchladen entdeckt. Ihre Sprache und ihre Explizitheit, das war sehr beeindruckend und hat mich auch erschrocken. Ich hatte zuvor nichts von ihr gehört gehabt und bin im Zuge der Lektüre auch draufgekommen, dass sie sehr schwer erhältlich ist, weil sie am Index der jugendgefährdenden Schriften war. Das war mein erster Zugang zu ihr. Als ich dann mein Studium abgeschlossen hatte, wollte ich gerne einen Film machen. Ich  dachte, dass viel Footage von den Auftritten von Kathy Acker verfügbar sein müsste und dass das spannend wäre. Parallel dazu habe ich zufällig den Agenten von Kathy Acker kennen gelernt und im Gespräch mit ihm von der Filmidee gesprochen. Er hat das dann sofort unterstützt, die „Acker-Communitiy", u.a. auch der Nachlassverwalter waren begeistert von der Idee und sie haben mich in der Recherche sehr unterstützt.

Wie würden Sie Kathy Acker als Künstlerin und  auch als Figur ihrer Zeit einschätzen?
Barbara Caspar: Sie war in vielen Belangen eine Vorreiterin, nicht nur in der Literatur auch im Leben. Die siebziger Jahre - das war zwar die Zeit des Punk - aber Frauen, die tätowiert waren, die bewusst gegen ein klassisches Schönheitsideal verstoßen, das hat eine ganz andere Wirkung gehabt als jetzt, wo so etwas eine Modeerscheinung ist. Man muss sich ja vor Augen halten, dass sie in den fünfziger Jahren ein Kind war und aus einem sehr bürgerlichen Milieu gekommen ist.

Was lässt sich grundsätzlich zu Kathy Ackers Sprache sagen?
B
arbara Caspar: Das ist eine sehr vielschichtige Frage. Grundsätzlich ist es der Versuch einer weiblichen Sprache, einer Benennung von Zuständen, von Begebenheiten aus weiblicher Sicht. Ihre Erkenntnis, dass es keine weibliche Sprache gibt, dass die Literaturgeschichte von Männern beherrscht ist, hat sie dadurch durchbrochen, dass sie versucht hat, die Literaturgeschichte ein Stück weit umzuschreiben. Bei ihr ist z.B. Don Quijote eine Frau, oder sie hat klassische Texte von Shakespeare bis Wedekind verwendet, die in ihren Dialogen zu erkennen sind - ein klassisches Beispiel ist Hamlet - wo sie aber den Protagonisten andere Inhalte in den Mund legt. Diesen Versuch, etwas umzukehren, finde ich sehr schön. 

Steckte dabei aber nicht mehr politisches als literarisches Anliegen dahinter?
Barbara Caspar: Bei ihr ist das wirklich beides. Hinter dem erwähnten Beispiel steckt natürlich ein starker politischer Hintergrund. Dass es dann auch noch experimentell ist, und sie versucht hat, an die Grenzen der Sprache zu gehen, halte ich für ein universales Anliegen, das sich als literarisches Anliegen festmachen lässt. Es ist bei ihr immer zweischneidig, immer beides. Was an Kathy Acker so besonders ist, und sie im Vergleich zu vielen europäischen Schriftstellern, mit Ausnahme der französischen Schriftstellerinnen der letzten Jahre auszeichnet, ist die Tatsache, dass Sexualität bei ihr positiv besetzt ist. Es geht darum, Begehren nicht nur auszuloten und zu definieren, sondern es auch auszuleben und einzufordern.
In unserer Literatur ist Sexualität sehr oft schuldbehaftet oder darf nicht gelebt werden. Kathy Acker hat das umgedreht und fast mit der Faust eingefordert, was sie will. Das hat sie in ihrem Leben auch exemplarisch gelebt. Als Künstlerin, als Schriftstellerin ist es auch möglich, Grenzen zu überschreiten, die man sonst nicht überschreiten kann.

 

Kathy Acker hat viele Grenzen überschritten. Sie hat sexuelle Tabus gebrochen, aber auch Gesetze des Literaturbetriebs. Indem sie sich bestehender Texte bedient hat, hat man sie der Piraterie bezichtigt, was sie als Literatin in Gefahr gebracht hat.
Barbara Caspar: Eine Technik, der sie sich bedient hat, war, dass sie bekannte Texte, die in die Kultur-und Literaturgeschichte eingeschrieben sind, verwendet und umgeschrieben hat. Das ist eine Form von Plagiarismus oder Piraterie. Einige Leute haben das witzig und gut gefunden, solange sie sich auf klassische Autoren wie Shakespeare beschränkt hat. Wo es aber wirklich problematisch geworden ist, war dort, wo sie lebende Schriftsteller wie Harold Robbins nennen wir es „in ihren eigenen Kontext gesetzt hat." Der hat sich mit einer Klage zur Wehr gesetzt und sie wurde von den literarischen Zirkeln beinahe exkommuniziert. Sie musste unterschreiben, dass sie das nie wieder machen würde, was sehr erniedrigend war. Jetzt ist Sampling in allen Sparten total in, es hat sie das Schicksal jener ereilt, die ihrer Zeit voraus sind.


Menschlich gesehen gewinnt man durch die Interviews den Eindruck, dass sie jemand war, den die Menschen, die ihr nahe waren, sehr mochten. Gleichzeitig hat sie das Bild einer sehr kämpferischen, harten Frau nach außen projiziert, das auf die Dauer aufrecht zu erhalten, sicherlich sehr schwierig war.
Barbara Caspar: Ich glaube nicht, dass sie eine einfache Persönlichkeit war, das kam in den zahlreichen Gesprächen auch durch. Sie war sehr egozentrisch in dem Sinn, als sie sich den Raum geschaffen hat, um diese Persona zu kreieren. Es war sicher so, dass die private Kathy Acker eine andere war als die öffentliche. So wie eben viele Leute nach außen etwas anderes verkörpern.
Jeder Mann, der diese sexuell offene, harte Frau auf dem Motorrad erlebt, erwartet auch im Privaten eine „starke" Frau und gleichzeitig halten die Männer das gar nicht aus. Jeder Mensch braucht einen Rückzugsort, wo er einfach sein, oder schwach sein darf. Ich glaube nicht, dass Kathy Acker diesen Raum gehabt hat. Sie hat für sich selbst Dinge nur schwer zugelassen, gleichzeitig war sie aber sehr bedürftig nach Zuwendung und Anerkennung. Wenn man nach außen hin eine Person kreiert und in die immer wieder hineinfällt, dann läuft man Gefahr, dass man sich selbst verlieren kann und ich glaube, sie hat sich selbst stückweise verloren. Es war sehr bezeichnend wie sie am Ende ihres Lebens ihre Krankheit verleugnet hat. Sie hat einfach weitergelebt. Als sie nicht mehr konnte, hat sie sich einer doppelten Brustamputation unterzogen, wiederum keine Nachfolgetherapie gemacht, sondern die Krankheit weggeschoben. Als es schließlich gar nicht mehr ging, begann sie dann mit Rebirthing u.ä. was für eine intellektuelle Frau, wie sie es war, schon wieder fast absurd klingt. Bei ihr ist sehr viel sehr ambivalent. Sie hatte eine massive Selbstzerstörungskraft in sich, ihr Leben war eine permanente Grenzüberschreitung, was auch anstrengend ist.

Wie schätzen Sie Kathy Ackers Rolle für den Feminismus ein?
Barbara Caspar: Was spannend ist - die erste Generation der Feministinnen hat Kathy Acker abgelehnt. Die hatten ja eine so radikale Position eingenommen, dass sie jede Form von Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung betrachtet haben. Da ist Kathy Acker als jemand, der die Sexualität bejaht hat, nicht gut angekommen. Vielleicht hat es aber diese extreme Anti-Haltung auch gebraucht. Ich glaube nicht, dass sie sich selbst als Feministin bezeichnet hätte. Ich glaube, dass ihr weibliche Anliegen, Sprache, Begehren und Stellung der Frau - der ganze politische Aspekt von Frau in der Gesellschaft ein großes Anliegen waren, ob sie deshalb eine Feministin war, würde ich so nicht behaupten. Sie hat einfach nirgendwo hineingepasst.

Wie haben Sie Ihre Interviewpartner für den Film ausgesucht?
Barbara Caspar: Ich habe sehr viele Interviews geführt. Es hatte ja keine Biografie über Kathy Acker, nichts Publiziertes gegeben und die ersten Leute, die ich getroffen habe, haben mir so widersprüchliche Dinge über sie erzählt, dass es schwer war, sich ein Bild zu machen. Ich habe deshalb auch ohne große Recherche gleich zu drehen begonnen, weil ich mir sagte, damit entsteht auch Material zu Kathy Acker. Das war auch der Grund, weshalb ich so viele Leute getroffen habe, von ihrer Schwester bis zu ihrem Professor, Ex-Liebhaber, von denen einige nicht im Film sein wollten, was ich auch verstehe, weil es ihnen zu intim war. Was mich aber befremdet hat, war, dass diese Männer einerseits sagten, wie toll sie es fanden, dass Kathy so ein freizügiges Leben geführt und in starken Büchern Dinge auf den Punkt gebracht hat, dass es ihnen aber lieber wäre, wenn ihre Töchter diese Schriften jetzt nicht lesen. Ganz schön arg.

Ich habe Interviews in New York, Los Angeles, San Francisco, San Diego geführt. Zunächst mit Ira Silverberg, Kathys Agenten in New York, dann Matias Viegener, dem literarischen Nachlassverwalter in Los Angeles und sie habe ich natürlich gefragt, wer die wichtigsten Menschen in Kathy Ackers Leben waren. So haben sich immer wieder Kreise geschlossen.
Bei den jungen Mädchen war es anderes. Ich habe in der Konzeption des Films versucht, einen Weg zu finden, die Literatur in den Film einfließen zu lassen, um eine plastischere Ebene zu erzeugen. Wir haben in New York nach einem jungen Mädchen gesucht, das die Janey spielen könnte. Es haben sich über 200 beworben und nach zwei, drei Gesprächen hat sich herausgestellt, wie toll die sind. Die hatten einen so unbekümmerten Zugang, ich fand sie als Persönlichkeiten so interessant, aber auch das, was sie zu Kathy Acker zu sagen hatten. So begann ich die Castings zu filmen. Diese Mädchen sind die Generation nach mir, sie sind z.T. nicht älter als 15, 16, 17, wenn man sie reden hört, ist das sehr reflektiert.

 

Das Konzept des Films ist sehr vielschichtig, insofern als es auch die Wahrnehmung des Zuschauers auf verschiedenen Ebenen anspricht? Ein vielschichtiger Zugang zu einer vielschichtigen Person?
Barbara Caspar: Kathy Ackers Art zu schreiben war unheimlich komplex. Sie als Person erscheint in den Interviews in so vielen Facetten. Ein Portrait von jemandem zu machen, der ein kohärentes Leben von A nach B nach Z geführt hat, würde gar nicht nach dieser Vielschichtigkeit verlangen. Man hätte sowohl Kathy Acker als auch die Themen, die sie anspricht, banalisiert, wenn ich versucht hätte, das linear zu bauen.

Welche Rolle spielt das Archivmaterial. Wie ist es in der Montage eingebaut worden?
Barbara Caspar: Ich habe diese alten Filmaufnahmen eingebaut, weil ich einen Kontrast setzen wollte. Ich wollte aufzeigen, wie bahnbrechend sie war, wenn man auch noch ihren bürgerlichen Hintergrund berücksichtigt. Diese Herkunft wollte ich im Film haben, um zur Geltung zu bringen, wie anders und revolutionär sie war.

Warum gibt es auch Animationssequenzen im Film?
Barbara Caspar: Erstens finde ich, dass sie zu ihrer Literatur gut passen und zweitens war mir wichtig, dass es Passagen im Film gibt, die entpersönlicht sind. Janey ist ein Alter Ego von ihr, das in den Büchern immer wieder vorkommt. Wenn Kathy ein Stück weiter in ihrem Leben geht und eigentlich schon woanders steht, nimmt sie ihr Alter Ego noch einmal her, um in der Literatur Dinge in Frage zu stellen. Eine Darstellerin für diese Janey zu finden, war unheimlich schwierig. Irgendwann bin ich zu dem Schluss gekommen, die gibt es so nicht, die müsste viel fiktiver sein.
Die Literatur sollte sich vom Film als etwas Unreales noch einmal abheben.
Ich fand auch, dass der Film eine Art Trash-Ästhetik braucht. Sie selbst hat keine Comics gemacht, in ihren Büchern kommen immer wieder Zeichnungen vor. Ich glaube, Kathy Acker hätte das gut gefunden.

Abschließend zu Ihrem eigenen künstlerischen Hintergrund, der nicht direkt im Film liegt?
Barbara Caspar: Das war mein erster Film und ich hatte auch keine Kurzfilme davor gemacht. Für meine Ausstellungsprojekte haben ich auch mit 35 mm-Material gearbeitet, das war aber nichts Narratives oder nur kurz, im Loop funktionierende Sequenzen. Meine bisherigen Arbeiten sind Installationen, die immer mit Medien in Verbindung stehen, aber Film „pur" habe ich noch nie gemacht. Who's Afraid of Kathy Acker ist jetzt ein „purer" Film, aber durch die Animationen eigentlich auch etwas anderes. Ich denke, dass meine Arbeiten schon sehr politisch und gesellschaftskritisch sind und ein Stück weit auch geschichts- und geschichtsschreibungskritisch, was gut zu Kathy Acker passt, denn Kathy Acker könnte eigentlich sehr viel bekannter sein. Es gibt viele Frauen, nicht nur Kathy Acker, die bahnbrechende Dinge gemacht haben, viel geleistet haben und für viele andere Frauen wichtig waren, die aber nie den Stellenwert oder den Bekanntheitsgrad haben, den sie haben könnten. Die Role-Models für Frauen sind heute extrem reduziert. Für Männer gibt es verschiedene Kriterien, die erstrebenswert sind und auch so dargestellt werden. Bei Frauen hat das immer einen Beigeschmack.

Gibt es neue Filmprojekte?
Barbara Caspar: Ich werde sicher wieder einen Film machen. Es ist ein gutes Medium, um ein Thema abzuhandeln, man kann im Film mehr und anders ausdrücken, kritischer. Im Gegensatz zur bildenden Kunst ist der Film ein sehr anstrengendes Medium. Es ist sehr langwierig, es gibt viele Phasen, wo man steht, weil man warten muss. Die Bildende Kunst ist viel autonomer und das möchte ich mir behalten.

Interview: Karin Schiefer
(c) 2008 Austrian Film Commission