INTERVIEW

Brigitte Weich & Karin Macher über HANA, DUL, SED... -

 

«Und ich begegnete einer Gesellschaft, wo ich ständig hin- und her gerissen war.» Brigitte Weich und Karin Macher im Gespräch über ihren Dokumentarfilm Hana, dul, sed ...


Der erste Frage drängt sich einfach auf – Wie kann man de facto einen Film in Nordkorea drehen, wie kam es zu diesem außergewöhnlichen Thema?
Brigitte Weich: Die erste ist vielleicht die leichtere Frage, die mir tatsächlich oft gestellt wird. Es ist eigentlich ganz einfach. Jedenfalls war das nicht die größte Hürde, die wir zu überwinden hatten. Die wahren Hürden lagen in der Finanzierung des Projekts und den Rechten am Archivmaterial. In Nordkorea kann man grundsätzlich nicht sehr viel auf eigene Faust machen. Sobald man den Fuß auf nordkoreanischen Boden setzt, kann man sich nicht mehr frei bewegen, und man käme auch nicht sehr weit: denn man darf kein dortiges Geld besitzen, Taxis gibt es nicht, öffentliche Verkehrsmittel darf man nicht benützen und man könnte sich ohne Koreanisch nicht verständlich machen. Wenn man dort drehen will, dann braucht man eben eine Bewilligung mehr als nur das Einreisevisum. Diese Bewilligung würde man natürlich nicht bekommen, wenn man die geheimen Atomtests filmen will.

Es galt also ein geeignetes Thema zu finden?
Brigitte Weich: Das ist die schwierigere Antwort. Auslöser war mit Sicherheit mein Besuch beim Filmfestival von Pjöngjang 2002. Damals liefen dort zwei Fußballfilme: der eine war Frankreich wir kommen! von Michael Glawogger, der andere war The Game of Their Lives, ein britischer Film über das nordkoreanische Fußball-Wunderteam aus dem Jahr 1966, das jedem Fußballkenner ein Begriff ist. Es war sehr viel von Fußball die Rede, was mich nicht wirklich interessierte, bis jemand erwähnte, dass der koreanische Frauenfußball so gut sei. Ich hab dann zwei Wochen vergeblich versucht, ein Frauenfußballspiel sehen zu können. Es brauchte letztlich bis 2007, also fünf Jahre, bis es so weit war und wir erstmals im Kim Il Sung-Stadion standen. Bei meinem ersten Besuch, hatte ich noch keine Vorstellung davon, was für ein undenkbares Ansinnen es in Nordkorea war, spontan ein Fußballstadion zu besuchen.
In gewisser Weise war das die Geburtsstunde des Films. Es gibt mit Korfilm eine staatliche Filmagentur, die den britischen Film gemacht hat und quasi darauf spezialisiert war, ausländischen Teams beim Drehen zu helfen. Dort ist Ryom Mi Hwa, eine sehr dynamische, und engagierte Frau am Werk, die über die starren bürokratischen Strukturen hinweg viele Dinge ermöglicht. Mit ihr habe ich mich beim Festival unterhalten, dass ich einen Film über das Frauenteam interessant fände und als ich wieder in Wien war, kam ein Fax von Korfilm, was denn nun mit dem Projekt über die Frauenfußballerinnen sei? Das war wirklich der Anfang. Es war ein Film, den ich hätte sehen wollen, ohne allerdings daran zu denken, es selber zu machen.

Wie sahen dann die ersten Schritte aus?
Brigitte Weich: Mit dem Fax hatte ich einen entscheidenden "Fuß in der Tür", denn es bewies das koreanische Interesse am Thema. Die asiatischen Meisterschaften im April 2003 standen bevor, eine gute Chance mehr herauszufinden. Bangkok war eine relativ einfache und billige Destination, und so fuhr ich hin. Die Nordkoreanerinnen gewannen das Turnier und waren damit auch für die WM qualifiziert. Von dem Moment an, als ich das Team kennen gelernt hatte, war ich vom Fieber angesteckt. Ein zweites Universum hatte sich mir offenbart: nach der Nordkorea-Reise, nun der Frauenfußball. Bei einer Reise nach Pjöngjang hat man ständig das Gefühl hat, vor Attrappen zu stehen und nicht ans wirkliche Leben der Menschen heranzukommen. Die Fußballerinnen hingegen waren "echte Menschen", die eben zufällig aus diesem unzugänglichen Land kommen. Wir haben sie zwei Jahre mit der Kamera auf Turnierreisen begleitet, bis es zum ersten Dreh in Pjöngjang kam. Da sie alle nur Koreanisch sprechen, war unser Kontakt bei den internationalen Turnieren schwierig, aber es waren coole Mädchen und ich konnte mir nur schwer vorstellen, wie sie in diesem totalitären System funktionieren würden. Das ist ein Thema, das ich im Film auflösen wollte – die Frage, wie funktioniert Alltag in einem Umfeld, das für mich so kulissenartig und fremd wirkt - kulturell wie politisch.

Wie schnell war klar, dass Sie den Film selber machen würden?
Brigitte Weich: Es kam der Punkt, wo ich das Thema als Geschichtenerzählerin nicht mehr hergeben wollte. Es waren "meine Mädchen", meine Geschichte, mein Interesse. Ab einem gewissen Punkt kann man etwas weder delegieren noch darauf warten, dass es jemand anderer für einen macht. Ich hatte ursprünglich auch nicht vor, selbst zu produzieren, obwohl ich mich den Management- und Finanzierungsaufgaben total gewachsen fühlte. Es hat sich dann so ergeben, dass die Lotus-Film mich als Mentor unterstützt hat. Sie haben mir eine Kamera auf die erste Reise mitgegeben. Ein wichtiger erster Impuls und ein wichtiges Backing, für die Jahre, die dann gefolgt sind. Das eigentlich Beängstigende war die kreative Arbeit, denn das hatte ich in der Größenordnung davor noch nie gemacht. Und ein Engagement für 24-Stunden sieben Tage die Woche und das sieben Jahre lang einzugehen, ist ein starkes Investment. Die Faszination am Inhalt hat mich angetrieben, die Frage des Aufgebens hat sich für mich nie gestellt.

Karin Macher: Brigitte konnte auf den ersten Reisen, die nur zu zweit oder zu dritt mit Kamera und Ton erfolgten, nicht noch jemanden mitnehmen. Das persönliche Verhältnis, das sie in dieser Zeit zu den Spielerinnen aufgebaut hat, hätte sie aber nicht an eine Regisseurin weitergeben können.

Brigitte Weich: Dieses nicht tradierbare persönliche Verhältnis ist schon in Bangkok durch das gemeinsame Erleben dieser tollen Meisterschaft entstanden. In Bangkok haben die Kamerafrau Judith Benedikt und ich einen dieser berühmten "magic moments" erlebt. Da ich eine Kamera zur Verfügung hatte, entschied ich mich kurzerhand, jemanden mitzunehmen, die damit umzugehen weiß. Was nicht einfach war: Wer sagt schon kurzfristig beim einem Projekt zu, das nicht finanziert ist, mit jemandem, die a priori weder Filmregisseurin ist noch Dreherfahrung hat. Ich habe Judith Benedikt erst in Bangkok in der Lobby des Youth-Hostels zum ersten Mal getroffen. In dieser zusammengewürfelten Situation mit einem nordkoreanischen Team und zwei Österreicherinnen, die einander zuvor noch nie gesehen hatten, ging es los. Wir kamen total begeistert zurück und ab da war's wohl für uns beide klar: dieses Projekt geben wir nicht mehr her. 2003 bin ich dann auch Karin Macher begegnet, die selbst an einem Doku-Projekt gearbeitet hat, und mit der ich mich immer wieder ausgetauscht habe. Zwei Jahre lang hieß es ständig am Ball bleiben, Finanzierung und Drehgenehmigungen aufstellen und gleichzeitig die persönliche Beziehung mit den Leuten aufrechterhalten.

Karin Macher: Man konnte diese Spielerinnen ja nicht kontaktieren. Wenn sie zurück in Nordkorea waren, waren sie auch wieder weg. Ein Follow-up ist nicht möglich, außer man fährt hin.

Brigitte Weich: Und selbst wenn man hinfährt, geht das nicht so einfach. Nordkoreaner brauchen eine behördliche Bewilligung, um mit Ausländern in Kontakt zu treten.

Am Anfang des Films stehen zwei Zitate: das eine von Kim Il Sung («Great ideolgies create great times»), das zweite von Simone de Beauvoir («Man wird nicht als Frau geboren, man wird es»). Kann man diesen Film als einen Versuch betrachten, der einerseits ein System beleuchtet, das die Menschen in seinen Dienst stellt und andererseits im System der Gleichheit, vor Augen führt, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern dennoch ein Thema ist?
Brigitte Weich: Ich finde, es ist richtig analysiert. Aber wahrscheinlich ist die Henne/Ei-Thematik umgekehrt. Ich interessiere mich als Frau primär für Frauengeschichten. Es hat mit einem Bauchgefühl begonnen und ist erst langsam zu einer Struktur geworden. Da waren Fragen wie: Was sind Über- oder Unterprivilegierungen? Wer ist was in welchem System? Wie entsteht so etwas? Wer sind die Sklaven des Systems? Es gab und gibt ja verschiedenste – sexistische, rassistische, klassenmäßige – Bruchlinien und Querverläufe im Lauf der Menschheitsgeschichte. Der Kommunismus etwa ist ein System, das die Beseitigung traditioneller Unterprivilegierungen postuliert, aber Frauen sind darin trotzdem ungleicher. Das ist eine ganz einfache Wahrheit. Der Gleichheitsanspruch ist nie in einer Form von realem Kommunismus realisiert worden, trotzdem hat es diese Idee gegeben. In Nordkorea ist noch ein letzter Rest davon vorhanden, auch wenn der Kommunismus weltweit ausgespielt hat. Im Gegensatz zum Klassenkampf bewegt sich der Geschlechterkampf in einem ständigen grenzenlosen Spannungsfeld. Der Film bot die Gelegenheit, das in einem kleinen Nukleus anzuschauen, weil die Fußballerinnen extrem privilegierte Frauen sind. Ginge man quer durch alle Kulturen, Religionen, Gesellschaftssysteme oder Klassen, gab und gibt es verschiedene Formen der Privilegiertheit oder Unterprivilegiertheit, die Frau ist zunächst mal immer auf der Seite der Unterprivilegiertheit. Mit unseren Fußballfrauen passiert das Gegenteil. Nicht weil Kim Jong Il, der größte Feminist aller Zeiten ist, sondern weil er mit der Förderung dieser konkreten Frauen, in dieser konkreten Sache "Staat machen" kann.

Karin Macher: Die Spielerinnen, die wir im Film zeigen, sind in Nordkorea Superstars und werden auf der Straße angesprochen. Die deutschen Fußballerinnen, die Weltmeister sind, machen Werbung für Damenbinden. Es besteht eine unheimliche Diskrepanz. In Nordkorea sieht man Plakate mit den Stars des Frauenfußballteams, die für ausverkaufte Stadien sorgen und denen zugejubelt wird.

Brigitte Weich: Wenn dieser Wille zur Förderung besteht, dann gibt es plötzlich neue Regeln, die alle anderen Regeln außer Kraft setzen. Im Film wird klar, dass in Nordkorea ein sehr konservatives Gesellschaftsbild herrscht, das mich an die sechziger Jahre hierzulande erinnert: Heiraten ist ein Muss, es gibt keinen vor- oder außerehelichen Sex, Ehe heißt Kinderkriegen, Homosexualität existiert nicht, es gibt keine(n) unverheirateten Nordkoreaner(in), keine Scheidung, keine Patchworkfamilien ... . "Die Frau muss eine Blume sein, die Frau muss hübsch sein, die Frau muss lange Haare haben, die Frau darf keine Hosen tragen" - es herrscht ein völlig klischeehaftes Frauenideal. Plötzlich, wenn sie auf dem Spielfeld stehen, werden die Haare kurz geschnitten, wird gespuckt und getreten, und die Lieblichkeit der Blumen ist nicht mehr so wichtig. Wahrscheinlich lässt sich das nur in so einem System so radikal durchziehen. Dort gibt es einen Führer, der sagt, das wird jetzt gemacht. Ein autoritär implementiertes Förderungssystem kann plötzlich kulturelle Regeln außer Kraft setzen und wiederum reale Auswirkungen auf diese Kultur nach sich ziehen.
 

Totalitären Systemen wirft man vor, dass sie den Sport instrumentalisieren, um die Überlegenheit des Systems nach außen sichtbar zu machen. Offensichtlich ist der Sport hier nach innen mit gesellschaftspolitischer Wirkung einsetzbar.
Brigitte Weich: Die Leute gingen anfangs ins Stadion, um dem Führer zu gefallen. Man wollte dort "gesehen werden", wirklich interessiert hat der Frauenfußball zunächst niemanden. Als sich die Qualität des Spiels verbesserte, die Erfolge sich einstellten, die wiederum den Nationalstolz nährten, haben die Leute auch Vergnügen daran gefunden. Eine künstliche Inszenierung hat echte emotionale, menschliche Konsequenzen nach sich gezogen. Die Frauen hatten immer Spaß an diesem Sport, sie sind nicht künstlich "programmiert" oder gar gezwungen worden. Für manche von ihnen ist Fußball ihr Leben. Sie waren ja in der nordkoreanischen Gesellschaft die ersten, die eine systematische Ausbildung genossen haben. Sie waren die Pionierinnen, und es war damals durchaus nicht so, dass die Eltern begeistert waren, wenn ihre Tochter Fußballerin werden wollte. Sie haben sich ihren Sport  z.T. hart erkämpfen müssen.

Karin Macher: Ich gehöre zur klassischen Generation, wo der Bruder Fußball gespielt hat und ich nicht durfte, obwohl ich es mir sehr lustig vorgestellt hätte. Erste Frauenmannschaften gab es erst, als ich am Gymnasium war. Es war auch etwas wie ein Neid-Thema, wenn man dort die Mädchen mit ihren Gymnastikschuhen losbolzen sieht. Es ist ja ein Sport, der sehr viel Energie freisetzt und der dich körperlich stark und dynamisch werden lässt.

Brigitte Weich: Dazu kommt, dass es ernst genommen wird. Chefsache Frauenfußball sozusagen. Sie bekamen die besten Trainer und erstklassige Trainingsbedingungen. Und es war plötzlich nicht mehr so, dass sie sich mit ihrem Wunsch, Fußball zu spielen, lächerlich machten oder sie gegen Wände anliefen. Die Kunstfertigkeit, die Liebe, die Hingabe und die Selbstverständlichkeit, mit der sie diesen Sport ausüben - das bildete für mich eine Metapher dafür, mich zu fragen: woher kommt das, dass wir sind, was wir sind? Warum spielen Frauen bei uns nicht Fußball? Ich hatte nicht grundsätzlich einen starken Bezug zu Fußball. Ganz im Gegenteil, Männerfußball schau ich mir überhaupt nicht an, aber diesen Frauen zuzuschauen, ist ein wahres Vergnügen.

Karin Macher: Es hat mich auch sehr fasziniert, den Frauen bei etwas zuzuschauen, das ihnen Spaß macht, wo sie miteinander sind, in einer Gruppe agieren, wo sie Expertinnen sind und eine starke Position haben und zu sehen, wie das in deren Leben Wirkung zeigt. Es ist interessant im Film zu sehen, wie sie später damit kämpfen, wieder "hinunterzugehen" ins "Blume-Sein."

Der Film verfolgt zwei Aspekte – den der aktiven Karriere und jenen, der sie in ihrer Rückkehr ins "normale Leben" begleitet. Hat sich diese zweite Thematik im Zuge der Dreharbeiten ergeben, da sie durch den Misserfolg bei der Olympiaqualifikation zurücktreten mussten?
Brigitte Weich: In dieser ersten Regieerfahrung war ich natürlich mit der Frage konfrontiert, wie viel/wie wenig kann man im Dokumentarfilm planen, weil man ja versucht, die Wirklichkeit einzufangen? Inzwischen glaube ich, es ist ständig beides der Fall: man muss einen Plan haben, um ihn umwerfen zu können. Das ist etwas, was mir Karin Macher beigebracht hat. Für die Drehs in Nordkorea haben wir ganz genaue Drehpläne entworfen, auch wenn die zum Großteil reine Spekulation waren. Wir mussten ja nicht nur die Ungewissheit spontaner Situationen bewältigen, wir mussten ja auch Schauplätze und familiäre Konstellationen phantasieren. Lustig war, dass vieles gestimmt hat, obwohl ich nur ein paar Geschichten kannte. Den großen Bruch, nämlich dass die Spielerinnen ihre Karriere beenden mussten, habe ich zunächst als Katastrophe empfunden. Verlieren bedeutete für die Spielerinnen die Vernichtung, weil es für sie hieß, dass sie die Erwartungen ihres Volkes und ihres Führers enttäuscht haben. Wir befürchteten zunächst sogar, den Film nicht beenden zu können, weil sie keine "Versagerinnen" im Film wollen würden. Das war aber nicht der Fall. Und mit der Zeit ist uns bewusst geworden, dass es für den Film eigentlich eine glückliche Fügung war, weil wir uns auch der Frage widmen konnten, wie sie wieder in die Gesellschaft zurückgehen?

Karin Macher: Wir sind an Orte gekommen, wo sonst niemand hinkommt und haben uns so an die Geschichten herangetastet. Wir haben immer detaillierte Drehpläne mit Personen und Fragen vorgelegt. Es waren lange Stunden in eiskalten Marmorräumen mit künstlichem Blumenschmuck und unzähligen Übersetzern und Funktionären. Ich habe als "Assistentin" alles mitgeschrieben und Brigitte hat jede der gestellten Fragen beantwortet, und zwar exakt in der Länge wie die Leute dort, oder ein bisschen länger. Es war ein Pingpong. Jede einzelne Szene wurde durchdiskutiert. Alles war genau geplant und ist vorort oft wieder komplett verworfen worden.

Brigitte Weich: In diesen Situationen hat Ryom Mi Hwa eine wichtige Rolle gespielt. Sie war immer dabei. Ich hatte befürchtet, dass sie uns drängen würden, einen Propagandafilm über ihr tolles Frauenfußballteam zu drehen und etwas anderes nicht akzeptieren würden. Im Gegenteil war es so, dass sie uns die aktiven Spielerinnen ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr drehen ließen, sondern nur noch ehemalige Spielerinnen in privaten Situationen.
Eine meiner Guides vertraute mir einmal ganz verschwörerisch an "Unser Führer weiß von deinem Projekt", aber selbst wenn das stimmen sollte, hieß es noch lange nicht, dass uns dadurch alle Wege geebnet waren. Es genügt eine Person, die sich querlegt, und man kommt nicht weiter. Da verließ ich mich sehr auf Ryom Mi Hwa, sie hat uns auf ihre eigene stille, sture, subversive Art geholfen, so gut es ging, das umzusetzen, was wir wollten.

Eine wichtige Rolle spielt auch der Aspekt der Erziehung. Nicht nur das Training, sondern z.B. im Musikunterricht, der eine Idee vom totalitären Erziehungssystem vermittelt. Die Kindergartenszenen zeigen die Indoktrinierung seit früher Kindheit und dann gibt es aber auch die sanften Momente der Wärme und Zärtlichkeit im Schlafraum. Wie habt ihr diesen Erziehungsaspekt im Zuge der Dreharbeiten wahrgenommen?
Brigitte Weich: Das Schöne war, dass es keine einfachen Antworten gab. Es ist ständig alles ambivalent. Vielleicht war die Ambivalenz schon im Thema Fußball angelegt. Die ersten Reaktionen, auf mein Projekt lauteten einhellig - "exotischer geht es wohl nicht mehr!" Ich fand hingegen, dass ich sehr schnell an sehr vertraute Themen kam. Wie ist es, als Frau, an den "Dos" and "Don'ts" der Gesellschaft anzuecken? Aus dieser vertrauten Perspektive wollte ich die nordkoreanische Gesellschaft betrachten, um mir nicht ständig vom allzu offensichtlichen "bösen Führerstaat" den präzisen Blick verstellen zu lassen. Und ich begegnete einer Gesellschaft, wo ich ständig hin- und her gerissen war zwischen dem blanken Entsetzen vor der totalitären Diktatur und wo ich dann wieder Situationen erlebte, die etwas wie diese Zärtlichkeit im Kindergarten sichtbar machen. Im Kindergarten lösen sich zwei Dinge schön auf. Ich wollte von meiner ersten Nordkoreareise an wissen, wie diese Menschen gemacht werden? Kinder sind doch zunächst einmal anarchisch und wild. Wann und wie werden sie diesem absoluten Gehorsam unterworfen? Zum zweiten dachte ich, Bürger in Nordkorea sein, wäre für uns wahrscheinlich eine schreckliche Vorstellung und die Menschen dort, auch die Privilegierten, haben nichts von dem, was bei uns ganz selbstverständlich zum mittelmäßigen Lebensstandard gehört. Und ich dachte: warum bekommen sie Kinder, wenn sie eine so harte Lebenssituation erwartet? Wenn man sich aber auf das Leben der Leute einlässt, wird einem klar, dass das einfach deren Leben ist, das einzige, das sie haben, und das sie unter den vorhandenen Bedingungen so gut und erfüllt wie möglich zu leben versuchen. Mit Sicherheit wird es Kinder gegeben haben, die in der großen Hungersnot den Kindergarten nicht überlebt haben. Mein Film zeigt einen kleinen Ausschnitt, es besteht kein Zweifel, dass es auch andere Aspekte gibt, die in meinem Film nicht behandelt sind.

Karin Macher: Ich finde es gut, einen Fußballfilm zu haben, wo es um exzellente Athletinnen geht und wo auch Kindergärten vorkommen. Das finde ich gut.

Visuell haben für mich drei Themen eine Rolle gespielt: der Sport und die Bewegung, z.T. live im Match, die Architektur der Macht und letztendlich auch noch der Kitsch.
Brigitte Weich: Das sind tatsächlich drei faszinierende Bilderwelten, die einen großen Schauwert besitzen. Die Kamerafrau hat die Bilder sehr autark gemacht, eben weil ich weder ausgeprägten optischen Gestaltungswillen noch Regieerfahrung hatte. D.h. sie war einerseits sehr frei in ihrer Arbeit, aber es war sicher auch sehr schwer, weitgehend alleine Bilder finden zu müssen und auch die alleinige Verantwortung dafür zu tragen. Sie hat das sehr toll gemacht.

Karin Macher: Die Architektur reflektiert sehr stark die Situation, in der sich die Menschengeschichten bewegen. Der Kitsch ist das, was sie sich in allen Winkeln und Ecken aufbauen, so wie sich auch die Fußballerinnen im Sport ihre Freiheit herausholen. Diese Körperlichkeit hat das Gefühl vermittelt, dass alles, was da an Politik und eingeschränktem Leben vorhanden ist, in dem Moment, wo sie aufs Fußballfeld strömen, vergessen ist. Das war wie ein kitschiger Blumenstrauß in diesen immensen Straßenfluchten.

Brigitte Weich: Mit diesen drei starken visuellen Elementen waren wir dann auch am Schneidetisch konfrontiert, weniger vielleicht mit dem Kitsch, aber mit der Frage ist das Thema nun der Führerstaat oder der Fußball? Wir mussten uns schließlich nicht für eines entscheiden, denn es ist beides. Es geht um Fußball und über den Fußball kann vieles mehr transportiert werden. Es war auch mit der Geburtsstunde des Films vergleichbar. Zunächst hat mich dieses Nordkorea fasziniert, dann wurde der Fußball so stark. Ich wusste selber nicht mehr, was mich mehr interessierte. Beides war mir bis dahin totales Fremdland gewesen. Bei beidem wollte ich auf keinen Fall am Kuriosen, Exotischen hängen bleiben, sondern ich wollte durch die Fremdheit hindurch, wollte es knacken, zu etwas ganz Vertrautem kommen, in ein echtes Gefühl, in ein echtes Verstehen. Lange dachte ich, ich müsste mich entscheiden, ich hätte mich übernommen, es wäre nicht möglich. Das hat irgendwann zur Zweiteilung geführt, die dem Film nun seine Struktur gibt und andererseits beeinflussen beide Aspekte einander ständig. Und der Kitsch zieht sich durch, und verbindet und schlägt sich permanent mit den beiden anderen Elementen.

Im zweiten Teil wird Freundschaft ein starkes Thema. Es gibt eine Schlusseinstellung, wo sie alle im traditionellen Kleid im leeren Stadion am Fußballfeld stehen. Wie lässt sich dieses Bild erklären?
Brigitte Weich: Zunächst einmal glaube ich, dass es als Bild ursprünglich auf einen Idee von Andrea Wagner zurückgeht, die in den frühen Phasen erste Video-Treatments geschnitten und später das Projekt dramaturgisch begleitet hat. Und diese Idee ist mir wohl irgendwie im Kopf geblieben. Das Bild ist für mich einmal mehr der Ausdruck der in Nordkorea allgegenwärtigen Koexistenz von Gegensätzen. Dort tragen sie entweder ihre eintönigen, meist grau-grünen Sachen oder sie haben die Tsogoris, diese schmetterlingsbunte traditionelle Tracht, an, die je nach Farbe zu bestimmten Anlässen oder Lebensphasen getragen wird.
Ich konnte mir nach der ersten Recherchephase meine Fußballerinnen nicht nur nicht im Alltag in Pjönjang vorstellen, sondern auch nicht in einem Tsogori. So, wie ich nie glauben konnte, dass diese Mädchen, die ich vom Bolzen am Fußballfeld kannte, in jedem zweiten Satz das Wort "Führer" erwähnen würden, konnte ich nicht glauben, dass sie solche Schmetterlingskleider tragen. Wie sollten diese Gegensätze zusammen passen? Es ist für mich ein Bild der Widersprüche auf so vielen Ebenen. Es war zunächst meine Lust auf dieses Bild an sich, dann zeigt dieses Kleid auch: wir tragen keine Stoppelschuhe und keine Shorts mehr. Ich bin heute noch gerührt, wenn ich daran denke, wie sie sich völlig automatisch wie für ein klassisches Fußballfoto zusammengestellt haben. Es war möglich, mit dieser selbstverständlichen Geste aus der Fußballkarriere das gegenüberzustellen, was jetzt ihr Leben ist, wenn auch nur symbolisch. Es hat etwas Wehmütiges und dennoch ist dieser Moment nicht wirklich traurig. Sie haben nicht diese Sentimentalität, die ich so sehr verspürt habe. Das Bild hat etwas Optimistisches. Sie sind weg, aber das Leben im Stadion und auch die Erfolge gehen weiter ohne sie, man braucht sie nicht mehr am Fußballfeld, aber sie haben in ihrem Leben auch wieder einen Platz gefunden.

Neben den gefilmten Bildern gibt es auch Archivmaterial. Warum?
Brigitte Weich: Das war eine rein pragmatische Entscheidung, weil wir während der gesamten WM nicht drehen durften, die Sportrechte waren viel zu teuer. Die FIFA ist wahrscheinlich eine der größten Geldmaschinen im Profisport. Bei unserer ersten Dreherfahrung, den Asienmeisterschaften, war man sehr entgegenkommend und wir daher verwöhnt. Die WM danach war genau das Gegenteil. Wirklich ausverhandelt waren die Rechte Ende 2008, gedreht haben wir 2003. Es war damals klar, dass wir in keinster Weise in der Lage waren, die Lizenzen für eine Drehbewilligung zu erwerben. Daher waren wir bezüglich der WM komplett auf das gekaufte Material angewiesen. Dazu kommt, dass es unglaublich schwierig ist, ein Fußballspiel mit nur einer kleinen Kamera zu drehen. Es ist schwierig, das ganze Spielfeld zu erfassen und dann wieder bei einer Spielerin und ihren Aktionen zu sein. Teilweise haben wir daher das eigene und das gekaufte Material gemischt. Nur das Spiel gegen Japan konnten wir komplett aus unserem Material montieren. Da hatten wir dann wohl irgendwie den Bogen raus: das letzte Spiel, das wir gedreht haben, das letzte Spiel, das "unsere" Mädchen gespielt haben, ihr letztes Spiel im Film nur mit unserem Material erzählt - das hat eine ganz eigene Qualität, das mag ich total gern. Wir fürchteten zunächst, dass der Materialmix störend wirken könnte, besonders weil manches nur in wirklich übler Qualität aufzutreiben war. Es bildet aber einen interessanten optischen Gegensatz zu den brillanten Bildern aus dem Zivilleben in Pjönjang: das Wilde und Trashige der Sportübertragung spiegelt sich im Material wider und fügt sich in einen inhaltlichen Zusammenhang. Es gefällt mir, dass die Ästhetik gebrochen ist. So wie im Sport, wo geschwitzt und gespuckt und getreten wird, da ist auch das Material irgendwie wilder.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2009