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Martin Gschlacht – im Porträt

 

Für manche Filme gestaltet er die Bilder selbst, für andere schafft er den Rahmen, der sie entstehen lässt. Martin Gschlacht ist Kameramann und Produzent. Als letzterer feierte er vor kurzem das zehnjährige Bestehen der coop99 filmproduktion, als Kameramann war er mit zwei Filmen im Wettbewerb von Venedig vertreten, Shirin Neshats Women Without Men gewann dabei einen Silbernen Löwen. Ein Portrait.



Lourdes, kürzlich in Venedig uraufgeführt, war Martin Gschlachts vierte Zusammenarbeit mit Jessica Hausner. Der Film gewann dort u.a. den Fipresci-Preis. Revanche, seine dritte Kameraarbeit für Götz Spielmann, wurde 2009 für einen Auslandsoscar nominiert. Shirin Neshats Women Without Men lief ebenfalls in Venedig und wurde mit dem Silbernen Löwen für die Beste Regie ausgezeichnet. Zwischen der konkreten Kameraarbeit für einen Film und der krönenden Preisverleihung mag oft beträchtliche Zeit verstreichen, 2009 hat sich jedenfalls als ein Jahr mit einer besonderen Dichte an erfolgreichen Filmen erwiesen, für die Martin Gschlacht das Bild kreiert hat.
Manchmal ist seine Arbeit mit gewissen Regisseuren durch jahrelange Kontinuität bestimmt, manchmal ergibt sie sich aus einem Zusammenspiel von Zufällen: so wie sein gemeinsames Projekt mit Shirin Neshat, das mit dem Dreh für eine Videoinstallation begann und in der Verfilmung von Shahrnush Parsipurs Roman Women Without Men seine Fortsetzung fand. Beide Produktionen gehen auf die literarische Vorlage zurück, die im Iran der frühen fünfziger Jahre spielt und mehrere Geschichten von Frauen erzählt, die in einer rigiden, von Männern reglementierten Gesellschaft daran scheitern, ihre Vorstellungen vom Leben, ihre Ideen von der Liebe zu verwirklichen: Munis, die sich weigert, sich von ihrem Bruder verheiraten zu lassen, Zarin, die Prostituierte, die fürchtet, den Verstand zu verlieren, als die Gesichter ihrer Klienten vor ihren Augen zu verschwimmen beginnen, Farrokhlaga, die Frau des Ministers, die sich ihrer verlorenen Zeit bewusst wird, als sie ihrer Jugendliebe begegnet, Faezeh, die zusehen muss, wie der von ihr heimlich Verehrte, eine andere zur Frau nimmt. Alle vier entziehen sich auf ihre Weise der Welt und dem Leben und finden sich in einem abgeschiedenen Haus am Land, umgeben von einem paradiesischen Garten wieder, wo Realität und Vergangenheit, übersinnliches Geschehen und Traumsequenzen ineinander greifen. „Für mich“, so Martin Gschlacht, „war es besonders interessant, mit Shirin Neshat zu arbeiten, sie ist eine bildende Künstlerin, die in ihrer Erzählweise nicht in erster Linie in Dialogen und Dramaturgie denkt, sondern eher in Bildern und Atmosphären. Es war in Tempo, Rhythmik und Epik eine ganz neue Herausforderung.“ Das Ergebnis sind klare, poetisch reduzierte Bilder, die sich stets an der Trennlinie zwischen einer abstrakt-symbolischen und einer realistischen, zwischen einer historisch klar definierten und einer zeitlosen Welt bewegen und damit quer durch die vergangenen Jahrzehnte iranischer Geschichte ihre Gültigkeit bewahren.


Die künstlerische Begegnung mit Shirin Neshat hätte nicht stattgefunden, hätte nicht Martin Gschlacht ein anderes Projekt zuvor aus Terminproblemen absagen müssen, hätte der ursprünglich engagierte iranische Kameramann, wie geplant ausreisen können. Fügungen, ob manchmal ungewollt, manchmal glücklich begleiten seit Beginn die beruflichen Wege des Kameramanns. Am Fotografieren und 8 mm-Filmen hatte er schon sehr früh Vergnügen gefunden, nach der Matura dennoch die seriöse Option des Wirtschaftsstudiums gewählt, das allerdings keine überzeugenden Perspektiven zur Entfaltung eröffnen wollte. Studentenjobs als Kabelträger beim Fernsehen brachten ihn mit Kameraleuten in Kontakt und diese ihn auf die Idee, es mit der Filmakademie zu versuchen, wo er im ersten Anlauf aufgenommen wurde. „Ich bin für die Ausbildung,“ so Martin Gschlacht, „sehr dankbar und zwar nicht, weil man lernt, was eine Achse ist und wie ein Belichtungsmesser funktioniert. Zwei Dinge sind wichtig: Man bekommt die Möglichkeit zu drehen und darf dabei katastrophale Fehler machen und man lernt Leute kennen, mit denen man durch einen kreativen Austauschprozess geht, der im Idealfall wie bei uns auch heute noch besteht.“
Die mit Barbara Albert, Jessica Hausner und Antonin Svoboda gegründete Produktionsfirma coop99 feierte erst kürzlich ihr zehnjähriges Bestehen und in diesen zehn Jahren eine ganze Reihe an Premierenpartys in Venedig, Cannes oder Berlin, wo zahlreiche coop99-Produktionen uraufgeführt wurden. Der heikle Übergang von den geschützten Studios der Filmakademie in die Realität der Selbstverantwortung verlief beinahe nahtlos. „Es hat sich kaum etwas geändert,“ so Martin Gschlacht, „ nur unsere Projekte sind abendfüllend geworden.“ Für ihn selbst bedeutet es ein oftmaliges Wechseln zwischen der kreativen Position als Kameramann, dies auch für zahlreiche andere Produktionsfirmen,  und der wirtschaftlichen als Produzent - „keineswegs eine Einschränkung,“ so versichert er, „vielmehr eine Befreiung und Erweiterung in den Möglichkeiten, denn der wesentliche Punkt am Set ist Kompromissbereitschaft. Der Alltag des Kameramanns besteht darin abzuwägen, wohin man Zeit und Geld investieren soll - lieber in die Tüftelei mit dem Licht oder ins Proben mit den Schauspielern?“


Viel Flexibilität haben auch die technischen Umwälzungen der letzten Jahre bei den Kameraleuten eingefordert. Martin Gschlacht hatte geradezu den idealen Zeitpunkt erwischt, in der Ausbildung die Exaktheit des analogen Filmens sogar noch auf Umkehrfilm zu lernen, um in der Folge den Übergangsprozess auf digitale Medien komplett mitzuerleben. Kostet ihn ein Dreh auf Film heute einen Tag, um wieder mit dem neuesten Filmmaterial vertraut zu sein, so nimmt ein digitaler Dreh mindestens eine Woche Recherche in Anspruch, um den aktuellen Stand zu erfassen. „Ich habe mich“ so Martin Gschlacht, „damit abgefunden, dass sich von Film zu Film die Frage aufs Neue stellt worauf man drehen soll und was für den jeweiligen Film das Richtige ist.“ Kalkuliert man gute fünf Monate für Vorbereitung und Dreh eines Kinofilms und die in der Produktionsfirma betreuten Projekte dazu, dann ergibt sich ein realistisches Arbeitspensum von zwei Kinofilmen pro Jahr für den Kameramann. Hier die richtige Wahl zu treffen, fällt eher in die Sphären des Glücksspiels als in jene der strategischen Planung, denn die Unwägbarkeiten des Metiers und die immer kurzfristiger erfolgenden Förderzusagen bringen Verschiebungen mit sich und können zu Terminkollisionen und Absagen führen, die nicht nur kreative, sondern auch finanzielle Verluste mit sich bringen. „Ich muss Projekte zusagen,“ so Martin Gschlacht, „von denen niemand weiß, wann und ob sie je gedreht werden. Wie soll man da planen? Nicht zu wissen, was in einem halben Jahr sein wird, ist für einen Unternehmer wie für einen Kreativen eine ziemlich unhaltbare Situation.“ Auch wenn, oder gerade weil man beide Seiten mehr als gut kennt.

 

Karin Schiefer
September 2009