INTERVIEW

Peter Kern über  BLUTSFREUNDSCHAFT

 

In diesem Land herrscht eine Tradition der Weinberge. Die Früchte pressen wir, lagern den Saft, und eines Tages, nachdem wir ihn lange haben gären lassen, die Hausmeister bereits aus den Gemeindebauten vertrieben wurden, trinken wir ihn, um zu vergessen. Wir saufen uns die Vergangenheit schön und merken gar nicht, dass sie schon längst wieder mit neuem Gewand vor der Haustüre steht. Peter Kern im Gespräch über Blutsfreundschaft, der im Berliner Panorama 2010 seine internationale Premiere feiert.
 

War es einfach für Sie, dieses Projekt zu realisieren?
Blutsfreundschaft ist eine rein österreichische Produktion. Vorgeschlagen hat mir das Projekt, charmant und schleimig die Firma Tradewind Pictures aus Köln. Das Drehbuch war nicht verfilmbar und musste bearbeitet werden. Ich bemühte mich um eine Koproduktion in Wien. Cult-Film war begeistert, wollte aber nicht das Wort "Arsch" aus dem Mund der Nazis hören. Die österreichische Filmförderung verlangte einen nationalen Filmbrancheneffekt mit österreichischer Sprache, österreichischem Drehort, österreichischer Besetzung. Als dann meine acht Drehbuchbearbeitungen zu dialektlastig österreichisch daher kamen, stiegen die Deutschen aus, nicht ohne sich ihre Nichtleistung von den Österreichern bezahlen zu lassen. Franz Novotny hat mir dann die Chance gegeben, den Film zu realisieren. Novotny ist leidenschaftlich, filmbesessen und schafft für unterschiedlichste Filmformen Freiräume. Natürlich musste ich Abstriche machen wie z.B. in nur 24 Tagen zu drehen. Andererseits liebe ich die Filme mit kleinem Budget, weil sie aktueller, frecher, politischer sein können und einem nicht dutzende Juroren die Geschichte zerreißen und in verschiedene Richtungen treiben, bis endlich das Mittelmaß gefunden wurde. Dabei hat uns schon Alexander Kluge vor 30 Jahren erzählt ?in Gefahr und größter Not ist der Mittelweg der Tod.? Jetzt feiere ich mein vierzigjähriges Film- und Bühnenjubiläum und bin noch immer kein Freischwimmer in der Filmkunst.

Heißt das, dass Blutsfreundschaft ein ganz anderer  Film geworden ist als ursprünglich geplant?
Peter Kern: Auf alle Fälle. Die Form der Förderung, wie sie hier stattfindet, ist schon fast oscargerecht. Wir sind hollywoodfähig geworden, willkommen in der Glamourshow. Film entsteht am Reißbrett und ist ein Wirtschaftsfaktor. Solange es Film gibt, solange gibt es schon den Kampf zwischen dem Kunstanspruch und der Kommerzialität eines Filmes. Bei Blutsfreundschaft begann das mit der Besetzung: ich wollte in der Hauptrolle Mario Adorf, dann meinte eine Förderstelle, er könne das nicht spielen und ich bekam schließlich die Auflage, nur mit Österreichern zu besetzen. Der Jahrhundertautor Jean Genet hat die Leidenschaft gelebt, gegen die ich immer noch ankämpfe. Meine Filme müssen noch radikaler mit meiner mir eigenen Filmsprache Geschichten vom Leben und Sterben erzählen, ohne das ständig Menschen in meinem Hirn herumwühlen und mir versuchen, das Herz herauszureißen. Doch am ersten Drehtag verändert sich die Welt. Alle Gremien und Juroren sind in ihre Verstecke zurückgekehrt, während ich frei, nur meinem Gewissen und meiner Suche nach der Wahrheit gemäß, Einstellung für Einstellung den erdachten Figuren in meinem Drehbuch, den  Menschen vor der Kamera Leben einhauche. Und plötzlich ist sie wieder da die Symbiose zwischen Bild, denkenden Schauspielern, poetischer Ausstattung und nacktem Entsetzen angesichts der Geschichte und des Vorgangs von 25 laufenden Bildern in der Sekunde. Jetzt ergänzen sich die Gedanken und was Einzigartiges entsteht. Die Radikalität des Augenblicks ohne Scham mit vollem Risiko, das ist ein sinnlicher, großer Augenblick, wie die Annahme eines Verbrechens. Jean Genet hat den Mord seines Freundes im Gefängnis auf sich genommen, aus Liebe. Erst Jean-Paul Sartre und Jean Cocteau mussten mit dem Ministerpräsidenten reden, um Genet aus dem Gefängnis zu kriegen. Jean Genet ist auch Thema des nächsten Films, auf den ich mich in nächster Zeit konzentrieren möchte, der von der Jugendzeit Jean Genets inspiriert sein wird. Ich werde mit Josef Winkler zusammenarbeiten, der nach seinem Buch Das Zöglingsheft des Jean Genet das Drehbuch für einen Spielfilm schreiben wird.

Wenn wir nun auf Blutsfreundschaft zurückkommen: Kann man sagen, dass das Leben mit einer großen Schuld, der Verrat an einer sehr nahe stehenden Person die Themen waren, um die sich die Geschichte konstruiert hat?
Peter Kern: Ich wollte, dass zwei Schuldige aufeinander treffen, die beide mit ihrer Schuld nicht zurechtkommen. Dem einen bringt seine Vergangenheit in die Gegenwart, dem anderen treibt der Sog des Rattenfängertums in eine Neonazi- Gruppe. Es gibt ja kein Land auf der Welt, das drei rechte Parteien hat. Wir erzählen eine Geschichte, die von Schuld erzählt und auch von den Auswüchsen, die aus dieser Schuld entstehen. Dass der Junge in seiner Hilflosigkeit, auf der Straße zu landen, in diese Neonazi-Clique gerät und diese Clique in ihrer Anarchie, d.h. in ihrer Kriminalität und Selbstzerstörung etwas Faszinierendes für ihn darstellt, weil es verboten, kriminell und menschenverachtend ist, bringt die Geschichte fern jedes Klischees. Der Film wurde erst ab 18 Jahre freigegeben, was ich für unfassbar halte. Man möchte in diesem Land nur Oberlehrerfilme sehen, Filme, die gleich auch ihre Analyse mitliefern: so ist der Mensch, so ist die Realität, so sind die Nazis, aber so darfst du nicht sein, weil es nicht gut ist. Natürlich ist es nicht gut, aber dazu müssen wir Bewusstsein schaffen. Einfach zu sagen, Strache ist nicht gut, schafft keine Meinungsbildung. Erst der Konflikt, also die Meinung der anderen, die Polarisierung von Gedanken schafft politische Erkenntnis. 

Es gibt in der Erzählung zwei Ebenen - die historische und die aktuelle, in denen zwei parallele Geschichten ablaufen: zwei junge Männer tragen Schuld am Tod von jemandem und damals wie heute unterdrückt ein System von Macht die Menschlichkeit und die Liebe.
Peter Kern: Ohne die Vergangenheit gäbe es keine Gegenwart. Ohne die schwarz-blaue Regierung der Jahre 2000 bis 2006 gäbe es keinen Herrn Strache und keine Innenministerin Fekter, die gerne seine Wähler hätte. Homosexualität in der NS-Zeit führte ins KZ oder gleich zur Vergasung. Hunderttausende wurden von den Nazis ermordet. Unsere Hauptfigur Gustl konnte sich nur durch einen Verrat, der Denunziation seines Geliebten vor seiner Ermordung retten. Axel, der junge 16-jährige, vom Vater geprügelt, findet nur mehr Wärme in der Gruppe der Neonazis heute. Für ihn ist es nicht klar, ob das jetzt Kommunisten oder Faschisten sind. Die Gruppe ist Auffangbecken für gemeinsames Handeln. In der Gruppe kann ich so stark werden, um mich eines Tages an meinem Vater zu rächen. Doch auch Axel nimmt Schuld auf sich, als er durch ein Unglück einen Sozialarbeiter absticht. Die Vergangenheit von Gustl trifft auf die Gegenwart von Axel. Die Zuneigung und Liebe steht über dem Hass.  Mich interessiert nicht die Verurteilung fehlerhaften Verhaltens. Ich suche nach der ganz persönlichen Kraft und das Erkennen falscher Empfindungen in alltäglichen kleinen Geschichten des Lebens.

Sie überlassen das Stellung-Beziehen Ihrem Zuschauer und machen es ihm auch gar nicht leicht. Beide Figuren – Gustav wie Axel –  sind sehr ambivalent: Gustav war immer ein Außenseiter unter den Nazis wie heute, er ist einsam, aber auch nicht umwerfend sympathisch.
Peter Kern: Er war auch unfähig, leidenschaftlich zu sein und das zu leben, was er ist. Er hat sich immer hinter den schmutzigen Kleidern seiner Putzereikunden versteckt. Es gab niemanden in Wien, der so gut bügelte und so gut wusch wie der Gustav, dafür ist er bekannt. Dass nun plötzlich im Alter von 75/80 Jahren jemand dreckig und blutverschmiert in sein Leben tritt und in diesem ständigen Putzvorgang das Leben durcheinander bringt und plötzlich in seiner Erinnerung, im Dachboden seiner Vergangenheit herumkramt und diese hervorholt, das motiviert Gustavs Leben neu. Er beginnt wieder etwas zu empfinden, was er nur in seiner Jugend empfunden hat – ein bisschen Liebe. Da diese Liebe dann scheinbar enttäuscht wird, endet es für ihn tragisch.

Und Axel ist eine Figur, dem man den Neonazi nicht so ganz abnimmt, dazu sieht er zu sensibel aus. Seine familiären Umstände lösen Verständnis aus, dass er für das halbstarke Gehabe der Neonazis empfänglich ist, lässt schnell wieder Distanz aufkommen.
Peter Kern: Es gibt einen entscheidenden Dialog: Gustav sagt zu Axel: "Wie kann man denn schon leben mit jemandem, der so ist wie du ? ein Nazi?" Darauf sagt Axel zu ihm: "Wollte dein Vater einen warmen Bruder?" Es ist auch ein Angriff auf unsere Gesellschaft, dass wir das alles noch nicht bereinigt haben. Die Schwulenfrage ist noch immer ein Diskussionsthema Es wird sich in den Köpfen in Österreich nie etwas ändern.  Solange eine Innenministerin die Leute einsperrt wie Tiere und davon nicht abgeht, ist das Humus für meinen Axel und für die so genannten Nazis. Sie sind das Resultat dieser Politik. Für mich ist die ÖVP auch eine rechte Partei und darin liegt die ganze Tragik. Je mehr rechte Parteien entstehen, desto mehr Auswüchse wird es geben. Zunächst aus einer Protesthaltung heraus, die letztendlich ernst wird: zunächst schieben die Arbeitslosen alles auf die Ausländer und dann wird es immer radikalisierter, weil die Leute wissen, dass so viele Politiker hinter ihnen stehen.

Es gibt im Film einerseits die Welt um die Bar, wo sich Homosexuelle und andere lebensfrohe Menschen aufhalten, andererseits die Neonazis. Haben diese Mikrokosmen etwas mit den Parallelwelten in der Gesellschaft zu tun, die einander Feindbild sind, weil sie nichts voneinander wissen?
Peter Kern: Ich finde nicht, dass es um Entfremdung geht. Ich erzähle auch von jemandem, der Lust am Leben hat und auch an der Veränderung. Nehmen wir die Figur, die Melanie Kretschmer spielt: Jakob ist transsexuell und entscheidet sich, endlich eine Frau zu werden. Er lebt ja auch in einem geschlossenen Raum in diesem Land, wo er mit dem, was er ist, nicht glücklich werden kann und eine klare Rolle übernehmen muss, nämlich die Rolle der Frau. Deshalb macht er sich nach Casablanca auf, um sich dort umoperieren zu lassen. Auch da lebt jemand mit einer ständigen Schuld, die ihm die Gesellschaft auferlegt. Jeder im Film hat so sein Scherflein Unglück am Buckel, das er, ganz egal, wohin er geht, immer mit sich herschleppen muss. Es gibt kein Fliehen, es gibt nur eine echte Veränderung und die macht der Jakob durch. Er fährt nach Casablanca und kommt als Diva mit dem Flugzeug zurück. Wie heißt es bei Shakespeare "So lange ich fliehen kann noch, da schütze ich mich."

Diese Szene der Rückkehr bringt auch ein utopisches/märchenhaftes Moment in den Film hinein.
Peter Kern: Das war für mich eine der wichtigsten Szenen - von der zwar alle Produzenten, die das Buch in der Hand hatten, fanden, dass sie zu teuer ist - der Drehtag am Flughafen Wien hat auch  30/40.000,- Euro  gekostet. Aber ich wollte, dass Jakob, der als Junge wegfliegt und als Frau bzw. Christine Türmer  zurückkommt, die Treppen des Flugzeugs hinunter schreitet, und wir das Gefühl bekommen - hier passiert die Geburt einer Frau. Als Augenzwinkern auf alle Filme, in denen Frauen uns glücklich gemacht haben, ich denke an Ava Gardner, Marilyn Monroe,  Liz Taylor - ich wollte, dass die Personifizierung von Frau die Treppe herunterkommt und Melanie Kretschmer hat das sehr gut gemacht. Ich finde es schön, wenn sich Träume mit der Realität verbinden. Eines haben alle meine Filme - den Hoffnungsaspekt. Ich ziehe die Leute nicht aus Angst in einen Zynismus hinunter, sondern versuche, den Menschen in meinen Filmen zu heben. Entscheiden muss jeder für sich allein.

Es gibt auch eine zweite Frau, die Stellung bezieht: jene junge Frau, die bei der Konfrontation die Seite wechselt.
Peter Kern: Sie ist eine, die stumm durch den Film geht. Sie darf nie etwas sagen, weil sie die Nazibraut ist und nur da ist, um zu erfüllen. Sie wird unterdrückt und missbraucht. Diese Frau trifft am Ende des Films eine Entscheidung die ihr Leben verändern wird. Ich finde, es funktioniert, jeder hat eine Chance, den Film für sich fertig zu denken. Ohne Hoffnung gibt es keinen Weg.

Es ist unter Ihren letzten Arbeiten sicherlich der Film, der am stärksten ins Emotionale geht.
Peter Kern: Das ist schön. Ich gehe gerne ins Kino, weil ich emotional reagieren will. Ich habe mich nie mit einem deutschen Kino das Distanz einfordert, das behauptet, dass erst durch Kühle und Sachlichkeit ein Gedanke entsteht, identifiziert. Diese Filme, davon viele österreichische, berühren mich nicht. Mir ist es ganz wichtig, dem Publikum zu überlassen, mit den Figuren zu leben und das Publikum nicht zu manipulieren. Es ist eine Bewusstseinsentscheidung, ich kann eine Figur auslachen oder über sie weinen. Damit habe ich einen Standpunkt gefunden, auch in meinem Leben, denn die Reaktion, die von mir kommt, ist eine Kritik oder ein positives Gefühl, durch das mir gerade etwas klar geworden ist.

Sie sagten, mit Mario Adorf war es nicht möglich zu drehen, war Helmut Berger ihre nächste Wahl?
Peter Kern:  Nein, dann haben wir noch gesucht. Ich hab mich sehr geärgert über die Forderung, nur mit Österreichern zu besetzen, denn gute Filmschauspieler sind hier eine Mangelware. Ich hätte eine Mischung aus österreichischen und deutschen Schauspielern vorgeschlagen, das ging nicht. Kurz dachte ich daran, die Rolle mit Otto Schenk zu besetzen, was ich für eine gute Idee gehalten hätte. Er ist ein Schauspieler, der mich ein Leben lang im Fernsehen begleitet hat. Ich bin mit ihm gewachsen, hab ihn beobachtet und auch mit ihm gespielt, er hat mich viel zum Lachen gebracht. Es ist dann allerdings an der Gagenforderung gescheitert und wir mussten in verschiedene Richtungen nachdenken und schließlich hatte ich nachts eine Eingebung. Momente, wo mir das Kino besonders tief unter die Haut gegangen ist, waren Filme wie Ludwig oder Die Verdammten - rare, magische Momente und Helmut Berger war ein Teil davon. Die Reaktionen auf meinen Vorschlag waren sehr positiv, allerdings verdankt dieser Name der Presse auch ein unheimliches Image. Ich organisierte ein Treffen in Salzburg mit ihm, das im Sheraton Hotel stattfand. Ich saß mit dem Rücken zu ihm da und wurde wie zur Salzsäule, als ich seine Stimme vernahm. Ich traute mich kaum mich umzudrehen und genau in dieser Drehung und in dem Moment, wo unsere Augen einander begegneten, spielten sich alle Filme, die ich mit ihm gesehen hatte, ab. Ich umarmte ihn und sagte "Ich liebe Sie" und sogleich aber auch "Sie haben ein furchtbares Image, aber das interessiert mich nicht, ich will meine eigene Erfahrung machen. Was immer Sie denken, tun und fühlen, bringen Sie das bitte in die Rolle mit ein, dann haben wir die Momente, die der Film braucht - einen wahrhaftigen Helmut Berger". Ich glaube, er war noch nie so gut. Alle Kritiken sprechen vom großen Comeback des Helmut Berger.

Und war es schwierig, mit ihm zu drehen?
Peter Kern: Er hat alles gemacht, was ich gesagt habe, aber er hat nur auf mich gehört, auf die anderen überhaupt nicht. Er hat mich mit Tinto Brass verglichen und sich zurückgezogen, wenn ich laut wurde. Es ist oft der Fall, wenn ich ungeduldig bin oder jemand nicht professionell ist, dass ich herumschreie. Das ist aber auch gleich wieder vorbei. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich gleich wieder über mich selber lachen kann. Ich schreie nicht in den Wind hinein, um jemandem weh zu tun oder um lauter zu sein als der andere. Es hat immer einen Grund, ich entschuldige mich auch nicht, das ist ein Teil meiner Persönlichkeit.
Helmut Berger war eine wunderbare Erfahrung und absolute Bereicherung auch als Freund. Er lebt natürlich in der Bergerischen Welt, trägt Dinge von vornehmen Firmen an seinem Körper, die ich alle nicht kenne, was ihn immer sehr erstaunt. Mich interessiert das nicht. Ich trage eine Unterhose, die passt, die Größe gibt's eh nur einmal. Was mich sehr interessiert, ist sein Verhältnis zu Frauen. Wir haben uns auch ein Projekt zu diesem Thema vorgenommen. Wir haben vier Frauen, die in seinem Leben wichtig waren, ausgewählt, eine von ihnen ist Liz Taylor, der ich sehr gerne noch begegnen würde.

Sie sagten, es gibt wenige Filmschauspieler in Österreich, Blutsfreundschaft war aber auch die Gelegenheit, einige der jungen Darsteller, die immer häufiger im Kino zu sehen sind, zu casten ? Michael Steinocher, Manuel Rubey
Peter Kern: Das ist die Crème de la Crème, das sind wirklich Begabungen, die dann überall zu sehen sind. Harry Lampl, der den Axel spielt, ist eine Entdeckung. Ich hab so sehr viele Jungs gecastet, dabei sehe ich, wenn die Türe aufgeht, ob jemand der Richtige ist. Er kam rein und ich schlug ihm vor, essen zu gehen. Das war alles. Charme und Glamour hat jemand oder nicht. Ich kenne viele Schauspieler, die tolle Bühnendarsteller sind, aber im Film nie das Gleiche erreichen. Film hat eigene Gesetze: das hat viel mit Ausstrahlung, mit einem Scheinen in den Augen oder mit der Haltung zu tun. Manche Schauspieler schaffen es, dass sich etwas über die Leinwand in die Köpfe der Leute überträgt. Ich nenne diese sinnliche Ausstrahlung ? einfach geil.

Visuell haben Sie sich für eine klare Unterscheidung der historischen Ebene entschieden, die in koloriertem Schwarzweiß gefilmt ist und der farbigen Gegenwart. Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen.
Peter Kern: Homosexualität im Dritten Reich in bunten schönen Farben zu zeigen, wäre der Traurigkeit des Umgangs mit den Homosexuellen nicht gerecht geworden. Selbst heute tut sich Kulturstadtrat Mailath Pokorny noch schwer, ein Denkmal für die Schwulen NS-Opfer mit rosa Untergrund am Morzinplatz aufstellen zu lassen, weil angeblich die Farbe nicht hält. Nach fünfjähriger Entwicklungszeit wurde das Denkmal abgeschafft. Eine Schande für Österreich und eine Unerträglichkeit für mich und meinem ermordeten Großvater. Ich finde es auch sehr bedenklich, dass Blutsfreundschaft von der Kommission für Altersfreigabe mit Jugendverbot 18 Jahre belegt worden ist. Und in jedem Bundesland in Österreich gibt es eine andere Alterfreigabe. Absurd in der heutigen Zeit. Der Film ist für Jugendliche gemacht. Wenn sich Beamte und Priester in die Filmkunst einmischen ist es kein Wunder, wenn wir bald nur mehr rechte Parteien haben. Wie soll denn freie Meinungsbildung möglich sein, wenn schon wieder etwas verboten wird. Wir wissen doch aus unserem eigenen Leben, dass das, was in der Kindheit und Jugend verboten war, erst interessant ist. Die eigene Erfahrung, die eigene Meinungsbildung ist so wichtig, um ein Leben zu meistern und um mit den Geschwüren, die daherkommen wie z.B. diese rechten Parteien, umgehen zu können.

Sie haben mit King Kongs Tränen inzwischen schon wieder einen Film fertig gestellt. Ist die Sorge vor dem aufkommenden Rechtsradikalismus eine besondere kreative Triebkraft für Sie?
Peter Kern: King Kongs Tränen erzählt über einen großen Mangel in Österreich. Die Kritik. Jeder lebt seinen persönlichen Hass aus und vernichtet, was nicht in sein Konzept passt. Eine undemokratische Haltung, die versucht, Kunst als Vorbereitung von Leben nicht zuzulassen. So vernichtet man gerne und schämt sich dafür. Und da viele Kunstgewerbe von Kunst nicht unterscheiden können, verletzen sich die Kritiker meistens selber. Denn die Kunst überlebt alle. Und nur in der Enge der Wahlkabine werden die Hausmeister wieder ihrer Erziehung treu und wählen die rechten Saubermacher. Jeder der in der gegenwärtigen Situation schweigt, der akzeptiert und unterstützt eine neue Tendenz zu rechten Ideen.
In diesem Land herrscht eine Tradition der Weinberge. Die Früchte pressen wir, lagern den Saft, und eines Tages, nachdem wir ihn lange haben gären lassen, die Hausmeister bereits aus den Gemeindebauten vertrieben wurden, trinken wir ihn, um zu vergessen. Wir saufen uns die Vergangenheit schön und merken gar nicht, dass sie schon längst wieder mit neuem Gewand vor der Haustüre steht. 

Interview: Karin Schiefer
Jänner 2010