INTERVIEW

Karl Markovics über ATMEN

 

«Der Realismus ist die absolute Basis, achtzig Prozent machen den Stoff aus, aber ich möchte keinen Realismus in seiner Ausschließlichkeit. Ich finde die einfachen Leute sind im österreichischen Kino dort unterrepräsentiert, wo es darum geht, sie in eine Kinonähe zu rücken: damit meine ich, ihnen zugestehen, dass sie in Großaufnahmen gut aussehen, sie in einer tollen Kadrage und mit einer etwas aufwändigeren Kamerabewegung ins Bild setzen. » Karl Markovics über sein Spielfilmdebüt Atmen.
 

Was hat Sie grundsätzlich veranlasst, vom interpretierenden Erzählen ins kreative, filmische Erzählen zu wechseln?

KARL MARKOVICS: Fast genauso lang wie ich in mir gespürt habe, Schauspieler werden zu wollen, wusste ich, dass ich mehr machen wollte als nur das Schauspielen. Das Schauspiel war eigentlich der Umweg.  Was hier nun mit Atmen vorliegt, ist das, was ich eigentlich machen wollte. Schauspielen ist insofern einfacher, als man zunächst nur auf sich selbst angewiesen ist und für sich in einem vorgegebenen Rahmen ein Parallelleben führen kann. Das war lange Zeit und ist immer noch sehr erfüllend und spannend, sodass weder die Zeit vorhanden noch der Leidensdruck groß genug waren, damit ich mir sage, das Entscheidende fehlt: das, was du immer machen wolltest  - das ursprünglich Kreative, etwas aus dem Nichts zu schöpfen. Mein erster Regieversuch geht auf die Volksschule zurück, ich hatte schon Schauspieler und ein Regiekonzept für Goethes Zauberlehrling, allerdings wollten meine Schauspieler nach drei Tagen nicht mehr weiterproben. Vielleicht war dieses frühe Scheitern ein Grund dafür, dass es so lange gedauert hat, weil ich wusste, wie genau es vorbereitet sein muss. Gescheitert bin ich die längste Zeit an meinem eigenen Perfektionismus. Bei allen Drehbuchideen, die sich zuhauf in unterschiedlichen Stadien der Fertigkeit bei mir angesammelt haben, war ich mir selbst nie genug. Es war schließlich meine Frau, die gesagt hat - Schreib doch mal eins fertig und hab den Mut, es herzuzeigen, anstatt es im Vorhinein immer schon abzutun.


Atmen ist ein vitales Grundbedürfnis und es ist auch Synonym für Freiheit. Der Gefängniswärter sagt zu Roman: "Du warst ein Heimkind, Du warst immer drinnen, nicht war?" War es ihnen ein Bedürfnis, die Geschichte eines jungen Menschen zu erzählen, dessen Einstieg ins Leben in einer extremen Beschränktheit begonnen hat.

KARL MARKOVICS: Um ehrlich zu sein - das wurde es dann. Ich wollte zunächst mit meiner Geschichte gar nicht so viel wie die Geschichte dann selbst konnte. Das klingt jetzt esoterisch, aber wenn es eine gute Geschichte ist, die man erzählen muss, dann spricht sie zu einem und erzählt sich selbst. Meine Anfangsidee war banal. Alle Drehbuchideen fangen bei mir mit einem Bild an und aus diesem ersten Bild, das ich für Atmen hatte, entwickelte sich die Neugier, einen Film über Bestatter zu machen. Ich wollte einen sehr beiläufigen, alltäglichen Film über Menschen machen, die als Dienstleister mit dem Tod umgehen müssen. Das allein war natürlich noch keine Geschichte und deshalb prädestiniert dazu, wie viele meiner Drehbuch-Ideen zu enden - am Papier, ohne dass etwas damit passiert. Aber es hat nach kurzer Zeit auch ein junger Mann an meine geistige Tür geklopft - das meine ich, wenn ich sage, wie stark eine Geschichte sein Recht einfordern kann. Es war wie ein Pirandello-Erlebnis, wie in Sechs Personen suchen einen Autor, dass eine Figur kommt und sagt - «Ich möchte da mitmachen». In der Folge übernimmt man für die Geschichte Verantwortung und ich muss mein Möglichstes tun, um dieser Geschichte gerecht zu werden.
 

Wie würden Sie diesen jungen Mann, der in die Geschichte drängte, charakterisieren?

KARL MARKOVICS:  Es ging um einen Menschen, dem es im Grunde nicht besonders schlecht geht und der gelernt hat, sich mit dem, was wir erst gegen Ende hin erfahren (Kindheit im Heim, Jugendgefängnis) zu arrangieren. Es ist ihm dort nicht schlecht gegangen. Er ist ein Einzelgänger, aber man lässt ihn in Ruhe, er hat alles, was er braucht, weil er alles hat, was er kennt. Trotzdem entwickelt er, auch wenn er keinen besonderen Leidensdruck hat, ein Gefühl, dass es da noch etwas geben muss. Es gehört großer Mut dazu, da hineinzuspringen, aber Romans Reaktion ist zunächst einmal von Trotz bestimmt. Der Schritt zur Bestattung zu gehen, löst etwas aus, das eine Perspektive bietet, auch wenn sie ziemlich trist ist.
 

Roman hat ein Leben lang mit Absenz umgehen müssen: Absenz der Eltern, an Zuwendung, an Freundschaft, an Wärme, an vielen Dingen und Erfahrungen, die für viele Kinder eine Selbstverständlichkeit darstellen. War es dieser Grundton des Abwesenden, der dafür bestimmend war, dass die Nähe zu den Toten diesen Entwicklungs- und Findungsprozess in ihm in Gang setzt?

KARL MARKOVICS: Es entstand sicherlich auch aus einer Einstellung heraus, dass er sagt: Vielleicht will ich gar nicht alt werden? Was hat das Leben für mich schon? Das Bewusstsein –  das Leben ist das Leben und solange ich atme, kann ich etwas tun, danach nicht mehr - das entwickelt er auf eine ganz direkte, aber auch unaufgeregte Art und wir mit ihm.


... in der Konfrontation mit dem Ende der Existenz.

KARL MARKOVICS: Ja, zwangsläufig. Plötzlich geht sich etwas, das ihn vorher nicht gestört hat, nicht mehr aus. Das Gefängnis ist nicht mehr vertraut, plötzlich fällt er auf. Plötzlich macht er die Augen auf und starrt in der Schnellbahn nicht mehr nur zu Boden, sondern schaut sich die Leute an, die im Zug sitzen und erkennt, dass diese Menschen irgendwie leben, auch wenn es nicht sehr spannend ist, was sie tun und darüber hinaus sind sie frei. Bei ihm selbst hingegen herrscht Stillstand.
 

Roman ist durch eine Serie von Umständen in seinem Leben, auf der Seite derer, wo es schief gelaufen ist. Er bewegt sich auf dem schmalen Grat, wo es jederzeit in die eine oder andere Seite kippen kann. Rudi wirkt wie sein Antagonist, der möglicherweise nur durch ein Quäntchen Glück auf der Seite der Legalität geblieben ist. Betrachten Sie die beiden auch als die zwei Seiten einer sehr dünnen Medaille?

KARL MARKOVICS:  Ich bin sehr froh, dass der Film dieses Gefühl vermittelt, da ich in alten Fassungen, einen Hinweis darauf hatte, dass Rudi auch im Gefängnis gewesen ist. Jetzt ist die Szene aus dem Film draußen, dennoch ist es offensichtlich spürbar. Die scheinbar heile Welt gibt es auch im Draußen nicht, auch der Bewährungshelfer entpuppt sich als jemand, dessen Ehe gescheitert ist. Dennoch ist es eine Welt, die erstrebenswert ist, denn das Gegenteil ist das Nichts. Selbst das Risiko im Leben zu scheitern – und im Grunde ist es ja diese Angst, die Roman beherrscht – ist es wert, diesen Schritt zu setzen. Denn was wäre die Alternative?


Sie zeigen in ATMEN sehr reale Lebenswelten – das Gefängnisleben, Arbeitswelten, Arbeitsabläufe gepaart mit Machtverhältnissen, zwei Welten, die von der gesellschaftlichen Wahrnehmung weitgehend ausgeschlossen sind. War es Ihnen ein Anliegen, eben diese Welten aufgrund ihrer gesellschaftlichen Tabuisierung zu zeigen?

KARL MARKOVICS: Ja, mir ging es um diese beiden Spannungsfelder und das Motiv Bewegung dazwischen. Roman ist Freigänger, er muss einen Weg überwinden und am Abend wieder im Gefängnis sein. Er bewegt sich von einem gesellschaftlichen Tabubereich in den anderen. Das war ein Spannungsfeld, in dem ich ein sehr starkes Potenzial für die Geschichte spürte, wo mir bald klar war, dass ich ohne spezielle Recherchen nicht auskommen würde. Manchmal werden die Recherchen überschätzt, hier war es sehr notwendig, vor allem aus der eigenen Erfahrung, dass ich selbst noch nie einen toten Menschen gesehen habe. Das war eines der einschneidendsten Erlebnisse insgesamt und auch für die Geschichte. Denn ich wusste, was ich meiner Hauptfigur zumute, muss ich auch mir zumuten. Das hat sehr viel ausgelöst.
 

Wie haben Ihre Recherchen ausgesehen?

KARL MARKOVICS: Ich begann bei Neustart, einem Verein für Bewährungshilfe, dann ging es weiter in der Jugendstrafanstalt in Gerasdorf, wo ich viel Unterstützung erfuhr und schließlich bei der Bestattung, wo ich mit einem Abholdienst dreimal eine Runde zu den Spitälern und Friedhöfen mitgemacht habe. Abgesehen von Arbeitsabläufen und Befindlichkeiten (auch der Kollegen untereinander) ging es hauptsächlich darum, die Örtlichkeit zusammen mit einer Tätigkeit zu erfahren. Es ging sehr viel um das Lernen der Gesten, wir hatten auch ständig jemanden dabei, der die Handgriffe mit den Schauspielern trainiert und uns beraten hat, der uns die gesamten Abläufe erzählte, auch wenn nur Details vorgekommen sind. So konnten wir auch im Sinne der Geschichte bewusst etwas aussparen oder verändern.

 

ATMEN handelt viel von Sprachlosigkeit, von wortkargen Menschen, entschieden Sie sich gerade deshalb für diese Erzähltechnik in klaren Bildern.

KARL MARKOVICS: Das war die große Herausforderung von Anfang an. Da es um etwas ging, wo die Sprache an ihre Grenzen gerät, wollte ich von Beginn an in der Kommunikation eine sehr karge Umgebung schaffen. Es war mir wichtig, dass stets ein Eindruck der Beiläufigkeit gegeben ist und z.B. lange Passagen der Stille nicht als zu bedeutungsschwanger wahrgenommen werden, weil auch vorher nicht so viel gesprochen wird. Was dann allerdings gesagt wird, hat immer eine Bedeutung.
 

Es handelt sich dann aber oft um Passagen, die Sie bildlich in den Hintergrund stellen und ein Alltagsobjekt im Vordergrund dominieren lassen.

KARL MARKOVICS:  Auch das mit der Absicht, um unsere angestrebte Beiläufigkeit nicht zu verlieren. Auch wenn wir nahezu in jedem Bild mit großen Metaphern arbeiten und das bis zu den Details wie z.B. mit einer Sanduhr auf dem Tisch der toten alten Frau ist. Ich bin sehr methaphernverliebt und es war mir bewusst, dass sie nur funktionieren können, wenn man sie so en passant einfließen lässt, dass man sie auch versäumen könnte und das auch darf. Man soll sie jedenfalls nie wirklich als Metapher erleben.
 

Zu den besonders schönen Metaphern gehören die Aufnahmen im Schwimmbad, die eine wiederkehrende Rolle spielen – in Form vom Untergehen, Hochkommen, Schwimmen an der Oberfläche, Richtig-Atmen... Wie sehen Sie diese Wasserbilder, warum waren sie so wichtig?

KARL MARKOVICS: Ursprünglich hatte ich ans Laufen gedacht, weil ich das Atem-Thema schon im Gefängnis etablieren wollte. Ich fragte mich, was man als jugendlicher Strafgefangener macht, wenn man nicht in der Zelle oder der Werkstatt ist. Ich hätte mich nicht getraut, das Schwimmen zu erfinden, durch die Recherche in Gerasdorf, entdeckte ich, dass es dort ein Anstaltsschwimmbecken gab und damit war es klar, dass es ein Schwimmbad sein musste, auch wenn ich Bedenken hatte, dass die Gefängnisbilder wie Bilder aus dem Erholungsheim wirken könnten. Durch das Wasser kommt ein anderes Element ins Spiel, wo das Atmen in einer ganz anderen Art an Bedeutung gewinnt. Es ist nötig, möglichst viel Luft zu haben, wenn man unter Wasser verweilen will, man muss sich die Luft einteilen, man muss für sich allein sein können, obwohl alle anderen herum sind. Es war wichtig, gerade in der Gruppe das Einzelgängermotiv zu etablieren. Im Schwimmbad kann ich zeigen, wie Roman sein Ding macht, ohne dass eine große Wechselwirkung zu den anderen besteht.
 


Wie haben Sie gemeinsam mit Martin Gschlacht die Bildsprache von ATMEN entwickelt haben?

KARL MARKOVICS:  Da könnte ich endlos darüber sprechen. Martin hat den Film erst so richtig mit mir gemacht. Ich hatte gewisse Vorstellungen von Bildlichkeit, aber bei weitem nicht so konkret. Die Zeit, wo ich mit Martin Gschlacht an der Auflösung gearbeitet habe, war für mich eine der erfüllendsten Zeiten im Entstehungsprozess. Das Drehbuchschreiben ist eine anstrengende, mit viel Zweifel verbundene Zeit, Recherchen sind spannend, aber oft auch zeitaufreibend. Bei der Arbeit an der Auflösung hingegen, hatte ich zumindest einmal täglich ein Erkenntniserlebnis zu meiner eigenen Geschichte, weil ich erst selbst erfuhr, welches Potenzial sie hat und wie wenig es oft bedurfte, um etwas genau zu erzählen. Ich war viel stärker in meinen Reflexen aus den Sehgewohnheiten verhaftet und Martin hat mir oft die Augen geöffnet, wie anders, einfacher und genauer man das erzählen kann, weil es der Sprache der Geschichte in ihrer Beiläufigkeit und ihrem Spannung-Erzeugen in einer relativen Ereignislosigkeit sehr entgegen kommt, ohne unbeteiligt zu wirken. Das Kamerakonzept geht auf, ohne dass es je vordergründig subjektiv ist. Es gibt keine einzige Einstellung, wo man sagen kann, wir sehen etwas mit den Augen des Hauptdarstellers. Wir sind knapp neben ihm, aber es ist immer unsere Sicht, wir gehen mit ihm mit. Ich habe das Medium Film nicht deshalb gewählt, weil ich meinen ersten Film unbedingt im Kino sehen wollte, sondern weil er durch seine starken Kinobilder die Leinwand und Cinemascope braucht.


Wie sind Sie an Prozesse wie Casting und Schauspielarbeit vom Standpunkt der Regie aus betrachtet herangegangen. Wie verlief die Suche nach/Vorbereitung mit dem Protagonisten?

KARL MARKOVICS: Ich konnte keinen Schauspieler casten, bevor ich nicht den Hauptdarsteller hatte. Er bedingte die Zusammenstellung aller weiteren Darsteller. Nicole Schmied begann zunächst an verschiedensten Schulen, in U-Bahn-Zeitungen u.ä. zu inserieren. Aus rund 300 Kandidaten beim ersten Termin haben wir in zwei weiteren Durchgängen Thomas Schubert ausgewählt. Ich suchte einen nicht-professionellen Schauspieler, weil ich keinen 22-jährigen Abgänger einer Schauspielschule wollte, der einen 18-Jährigen spielt, ich wollte wirklich einen 18-Jährigen, der in manchen Momenten noch das Kind ist. Ein 18-Jähriger ist ein Zwitterwesen, das eindeutig noch nicht erwachsen ist. Der Entscheidungsprozess hat sich in den drei Runden auf Thomas Schubert verdichtet. Jetzt im Nachhinein, wo alles aufgegangen, lässt sich das leicht davon sprechen, im Moment der Entscheidung waren natürlich Zweifel da, ob er die Anforderungen der Rolle würde halten können? Er wusste im Gegensatz zu uns nicht, was auf ihn zukommen würde - nämlich 30 Drehtage, wo er jeden Tag am Set sein musste. Es gibt keine einzige Szene und nur wenige Einstellungen ohne ihn. Umso glücklicher bin ich, dass es so gut aufgegangen ist. In der Vorbereitung gab es sehr viele Gespräche, wir haben Thomas bei der Motivbegehung zu vielen Motiven mitgenommen. Für die Schlüsselszenen gab es Proben.
 


Ihre Erzählweise ist eine sehr stark dem Realismus verpflichtete Erzählweise. Wenn man jetzt weniger von der Kameratechnik ausgeht als viel mehr von der Ökonomie des Erzählens, erinnert mich Atmen an die Brüder Dardenne, würden Sie dieser Assoziation zustimmen und welche anderen filmischen Erzähler haben Sie beeinflusst?

KARL MARKOVICS:  Beeindruckt ist das zutreffendere Wort. Da gehören die Dardenne-Brüder sicherlich dazu. Ich kann mit dem Vergleich bedingt etwas anfangen. Grundsätzlich ist meine Art zu erzählen, auch wenn es nur Nuancen betrifft, eine komplett andere. Mein Film ist in der Erzählweise - durch seine Strenge, Cinemascope, die Farbigkeit, dem Einsatz der Musik  - weit überhöhter, auch wenn es nur ganz leicht spürbar ist. Ich wollte von Anfang an einen Film machen, wo man als Zuschauer entscheiden muss, ob man rein will oder draußen bleibt. Und einen Rahmen geben, der immer daran erinnert, dass es eine Geschichte ist, auch wenn sie nahe an der Realität dran bleibt. Eine Geschichte, die im wirklichen Leben ganz anders hätte ausgehen können. Roman hat sehr viel Glück, es passieren einige Zufälle, die in dieser Häufung in Wirklichkeit wahrscheinlich nicht auftreten würden. Das Referenzbild ist für mich die Schlusseinstellung, wo man ganz aus der Geschichte aussteigt und die Kamera schwerelos aufsteigen lässt. Das würden die Brüder Dardenne nie so machen. Ich habe lange mit Martin Gschlacht diskutiert, ob man das machen darf und kann. Einen Moment zu schaffen, wo nichts mehr wirklich ist, weil es irgendwo im Himmel endet. Es ging mir darum, mit den beiden Elementen ? der erfundenen Erzählung und der Wirklichkeit, in der die Handlung geschieht - zu spielen. Ich wollte meine Geschichte nicht komplett zur Wirklichkeit werden lassen.
 


Sie haben eingangs von weiteren Drehbüchern und Ideen erzählt, die möglicherweise ihre filmische Umsetzung erfahren werden. Verstehe ich es richtig, dass sich der Realismus nicht unbedingt als Tenor ihres filmischen Erzählen herauskristallisiert.

KARL MARKOVICS:  Der Realismus ist die absolute Basis, achtzig Prozent machen den Stoff aus, aber ich möchte keinen Realismus in seiner Ausschließlichkeit. Ich musste mich zurückhalten, in der letzten Drehwoche nicht schon an einer neuen Geschichte zu schreiben zu beginnen. Interessanterweise ist es eine neue geworden, keine aus der Schublade. Geschichten von einfachen Menschen, das ist es, woraus ich schöpfe. Es ist das Milieu, wo ich herkomme, wo ich mich wohlfühle und ich finde, dass es in gewisser Weise unterrepräsentiert ist. Das mag absurd klingen, weil sich das österreichische Kino sehr viel in sozialen Randgruppen bewegt. Ich finde die einfachen Leute allerdings dort unterrepräsentiert, wo es darum geht, sie in eine Kinonähe zu rücken: damit meine ich, ihnen zugestehen, dass sie in Großaufnahmen gut aussehen, sich nicht vor einem fein ausgewogenen Licht scheuen, sie vor einen schönen Hintergrund stellen, sie in einer tollen Kadrage und mit einer etwas aufwändigeren Kamerabewegung ins Bild setzen. Nicht durchgehend konsequent, sondern in bestimmten Momenten, die ich für besonders halte. Diese Begegnung in der Möglichkeit Film halte ich für weiterhin spannend.
 


Ohne sie jetzt auf Vorbilder festnageln zu wollen, sondern aus Interesse, das die Filmsprache in ATMEN hervorruft, gibt es Filmemacher, die Sie besonders interessieren?

KARL MARKOVICS: Terry Gilliam z.B. ist einer. Er repräsentiert wahrscheinlich das andere Extrem zu den Dardenne-Brüdern. Somit haben wir auch schon den Spannungsbogen. Weniger beeinflusst als vielmehr beeindruckt fühle ich mich von den Brüdern Coen und auch dem koreanischen Kino. Filme aus Südkorea gibt es unzählige, die ich sehr interessant finde, das ist ein Kino, das von der Perzeption her für uns bereits leichter zu akzeptieren ist, weil diese Welt eine fremdere ist und man ihr deshalb auch eine andere Optik zugesteht. Mir gefällt, wie liebevoll im koreanischen Kino dieser Welt ihre eigene Optik geben wird und immer eine wirkliche Welt erzählt wird, die glaubhaft ist. Vielleicht bewege ich mich eher in diese Richtung, vielleicht noch etwas gewagter als bei diesem Film. Nicht dass ich die Filmsprache von Atmen für zuwenig mutig halte, ich finde, sie sehr adäquat, aber mit Sicherheit sind auch Geschichten reizvoll, wo man beginnt, diese beiden scheinbaren Widersprüche noch näher zusammenzuführen und sie fast gleichwertig zu zeichnen.

 

Interview: Karin Schiefer
März 2011