INTERVIEW

Johannes Hammel über FOLLOW ME

 

«Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, wie man zu der heilen Familien-Idylle, die auf Super-8 in den sechziger und siebziger Jahren eigentlich in jedem Haushalt existierte, eine Kehrseite zeigen kann. Ich habe das Material aus meiner Kindheit genommen und versucht, als Gegensatz dazu eine düstere, beklemmende Welt zu zeigen, die parallel existiert. Beide Erzählebenen beanspruchen für sich, die eigentliche Realität zu sein. Aber letztlich sind beide wiederum nur filmische Realitäten.»


Im Film sind Passagen von Super-8 Filmen, wo jemand, der Sie kennt, Sie und auch Ihre Mutter erkennen kann. Wie sehr hat Sie Ihre Kindheit zu diesem Film inspiriert?
Johannes Hammel: Zu Beginn der Drehbucharbeit hat mich die Frage beschäftigt, wie man zu der heilen Familien-Idylle, die auf Super-8 in den sechziger und siebziger Jahren eigentlich in jedem Haushalt existierte, eine Kehrseite zeigen kann. Da ich gerne mit eigenem Material arbeite, habe ich das Material aus meiner Kindheit genommen, das mein Vater und ich selbst gefilmt haben und versucht, als Gegensatz dazu eine düstere, beklemmende Welt zu zeigen, die parallel existiert. Ich zeige die Super-8 -Welt als Phantasievorstellung der Familie Blumenthal, als Projektion eines besseren Lebens, und die Schwarzweiß-Welt als vermeintliche Realität. Beide Erzählebenen beanspruchen für sich, die eigentliche Realität zu sein. Aber letztlich sind beide wiederum nur filmische Realitäten.

Wie sind Sie auf das Material gestoßen?
Johannes Hammel: Es ist Material, das ich bei mir gelagert habe und das ich als Kind zuletzt gesehen habe. Es sind Erinnerungen, die einem fast stärker im Kopf bleiben als die realen Erinnerungen, weil man sie schon auf Film gesehen hat. Ich habe auch bei meinen Kurzfilmen oft mit eigenem Material gearbeitet, da sind dann allerdings ganz andere Geschichten daraus entstanden, die sehr weit von dem Ursprungsmaterial wegführen. Sie beschäftigen sich mit dem Auflösen von Erinnerungen, mit der Vergänglichkeit. Die Welt, die ich in Folge mir zeige, hat sicherlich auch viel mit meiner Kindheit zu tun, in gewisser Weise zeige ich da ja meine Familie, obwohl ich im Gegensatz zu dem Film eine sehr glückliche Kindheit hatte. Die Schwarzweiß-Welt des Films ist etwas wie eine fiktive Autobiografie. Ich begann Szenen zu schreiben, die einen autobiografischen Ausgangspunkt hatten und die sich dann im Laufe des Schreibens zu etwas Eigenem verselbstständigt haben. Alle meine Arbeiten, auch die abstrakten, haben einen gewissen autobiografischen Hintergrund, auch wenn man es am Ende nicht mehr sieht.

Der Einstieg mit dem Maskenumzug führt in eine Welt der Phantasie, des Irrealen. Der Beginn ist ausgelassen und kippt plötzlich in etwas Gruseliges, Unheimliches. Sie halten den Zuschauer den ganzen Film hindurch in einem Schwebezustand zwischen Traumwelt und Filmrealität. War es eine Intention, sich entlang dieser Kippe zu bewegen.
Johannes Hammel: Ja, denn ich versuche ja eine Phobie dieser Protagonistin darzustellen. Ich wollte das aber nicht mit einem Blick von außen betrachten, indem ich sage, sie hat diese oder jene Symptome, die sich nun verschlimmern. Ich wollte nichts benennen, weil ich das Gefühl hatte, dass die Protagonistin selber nicht weiß, woran sie leidet und was da mit ihr passiert. Ich wollte auf ihrer Seite stehen und von da aus versuchen, etwas von ihrem Zustand nachempfindbar zu machen. Darum habe ich auch diese fragmentarische Erzählform gewählt, die nicht eine Geschichte von Anfang bis Ende in zeitlicher Chronologie zu erzählen versucht. Ich wollte, dass man sich als Zuschauer in ihre Ungewissheit und in ihren Zustand hineinversetzen kann, dass man in ihre Wahrnehmungswelt hineingerät. Ich versuche, etwas zwischen den Zeilen zu erzählen, etwas, dass man eher nachfühlen als wirklich sehen kann. Man wird als Zuschauer genauso schwer wie die Darstellerin unterscheiden können, was Traum oder Realität ist. Der Film hat sehr viel mit Wahrnehmung zu tun.

Was hat Sie veranlasst, das Zitat von Paul Auster Solange man träumt, gibt es immer einen Ausweg. an den Eingang des Films zu stellen?
Johannes Hammel: Ich habe an die zwei Jahre an dem Film geschnitten, weil ich am Ende sehr viel Material zur Verfügung hatte und sehr lange überlegte, welche Bilder ich letztendlich auswähle, um diese Welt entstehen zu lassen. In dieser Zeit habe ich nebenher viel von Paul Auster gelesen und mir ohne Hintergedanken diesen Satz markiert, weil er mir gefiel und ich klebte irgendwann einen Notizzettel mit diesem Zitat an den Schnittcomputer. Der Satz war also ursprünglich eher für mich gedacht, doch ich hatte auch das Gefühl, dass er viel mit dem Film zu tun hatte und als der Schnitt fertig war, schien es mir auch richtig, das Zitat dem Film voranzustellen. Zum einen, weil es mich bei der Arbeit begleitet hatte und zum anderen weil es von Beginn an den Traumaspekt des Films unterstreicht. Die Frau gibt nicht auf, wenn sie auch nur im Traum versucht, eine Lösung zu finden. Folge mir ist kein pessimistischer Film, es ist vielleicht ein trauriger Film, eine Hoffnung ist aber immer spürbar, und diesen Aspekt unterstreicht das Zitat nochmal.

Sie lassen Ihre Hauptfigur, Frau Blumenthal, von zwei Darstellerinnen verkörpern. Warum?
Johannes Hammel: Dass ich die Figur mit zwei Darstellerinnen besetzt habe, hat mehrere Gründe. Eine Erklärung ist vielleicht, dass der Film in verschiedenen Zeiten spielt. Wir sehen Frau Blumenthal zu einem späteren Zeitpunkt, wo sie schon älter ist, möglicherweise alleine lebt und wo im Grunde doch alles gleich für sie geblieben ist. Ich wollte diese zweite Zeitebene in den Film einbauen, um zu zeigen, dass diese Frau irgendwann den Überblick verloren hat und auch zu einem späteren Zeitpunkt ihre Probleme nicht lösen konnte. Sie lebt jetzt von ihren Erinnerungen und Träumen. Eine andere Erklärung ist für mich, dass diese Figur eher ein Bild ist, das Frau Blumenthal in gewissen Momenten von sich selber hat. Sie ist Ausdruck davon, wie sich die Figur in manchen Momenten fühlt, und zeigt, wie fremd sie sich selber ist. Ich habe beim Drehen versucht, so vorzugehen, dass beide Erklärungsmöglichkeiten funktionieren können. Ich habe sämtliche Szenen mit der anderen Frau Blumenthal isoliert von ihrer Film-Familie gedreht. Einen Bezug zu den anderen Protagonisten habe ich ausschließlich über Blicke hergestellt und erst im Schnitt habe ich die Protagonisten miteinander in Beziehung gestellt. Ich wollte auch auf keinen Fall mit Hilfe von Schminke oder Maske das Vergehen von Zeit herstellen. Ich wollte genau diese Irritation erreichen, dass der Zuschauer auch merkt, hier ist jemand anderer. Beim Schreiben habe ich vielleicht oft Ansätze, die einander widersprechen. Angefangen hat es damit, dass ich mich beim Schreiben nicht entscheiden konnte, welches Alter die Protagonistin haben soll. Zuerst habe ich Szenen geschrieben, wo sie jünger war, dann welche, wo sie älter war und schließlich sagte ich mir, dann mache ich eben beides und so entwickelte sich das dann Stück für Stück. Bei mir entsteht vieles aus Unentschlossenheit.

Ich erlebte diese Frau auch als jemanden, die in ihren emanzipierten Unternehmungen immer wieder zurückgeworfen wird.
Johannes Hammel: Die Emanzipationsversuche, die sowohl ihrer Krankheit als auch ihrem Umfeld gegenüber stattfinden, haben viel mit der Zeit zu tun, in der der Film spielt. Würde der Film in der Jetztzeit spielen, würde ich es sicherlich ganz anders machen, dann würde ich wohl nicht diese Form von Emanzipation zeigen. Der Film spielt zwar nicht explizit in den siebziger Jahren, er ist aber so angelegt, dass sie sehr spürbar sein sollten und die Super-8-Bilder sind zeitlich ja klar einzuordnen. Der Aspekt Krankheit/Gesellschaft geht natürlich Hand in Hand. Es ist auch so, dass der Film irgendwo dort aufhört, wo man sieht, dass sie es nicht geschafft hat, sich zu befreien, dass sie bis an ihr Lebensende weiter versuchen wird, rauszukommen. So gesehen ist der Hafen ein Sinnbild für einen Ort, wo sie rauskommen will und diese Hoffnung bleibt ja bis zum Schluss.

Welche Rolle kommt den Kindern zu?
Johannes Hammel: Der Film ist ja zum Teil aus dem Blickwinkel der Kinder, speziell von Pius. Er begegnet sowohl in der Familie als auch in der Schule einer merkwürdigen surrealen Welt, mit der er nichts anfangen kann, vor der er sich durch eine Art Gleichgültigkeit schützen muss.
Teilweise reflektieren für mich die Passagen, die von den Kindern handeln, wie etwa der Religionsunterricht, auch stellvertretend etwas von Frau Blumenthals Kindheit (die ich nicht zeigen wollte), so wie eine Art Weitergabe. Es gibt in dem Film zwar viele Andeutungen, was die Ursache für die Phobie von Frau Blumenthal sein könnte, etwa der Unfall von ihrem anderen Sohn Roman oder der lieblose Umgang mit ihrem Ehemann, letztlich schwebt für mich aber im Raum, gerade durch die Szenen mit den Kindern, dass die Ursachen für ihre Krankheit vielleicht eher in ihrer Kindheit zu finden wären. Bei Pius, ihrem Sohn, gewinnt man hingegen den Eindruck, dass das alles an ihm vorbeigeht, er scheint alles ohne Probleme wegzustecken. Der Film endet auch mit ihm und nicht mit Frau Blumenthal. Die Idee war, dass der offene Blick, den er zum Schluss in Richtung Hafen richtet, vielleicht die Frage aufwirft, ob nicht doch irgendwann noch alles auf ihn zurückfallen würde. Es ist möglich, dass er sich die Frage stellt, wie er einmal damit umgehen wird. Ich wollte andeuten, dass er vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt auch einmal durchleben wird, worunter Frau Blumenthal im Film leidet.

Warum haben Sie Religion oder die Vermittlung von Religion dazu als Thema ausgewählt?
Johannes Hammel: Das ist für mich im nachhinein gar nicht mehr so einfach zu beantworten, da ich mir nicht bestimmte Themen für meinen Film ausgesucht habe, sondern mich schon beim Drehbuchschreiben eher intuitiv von einem Punkt zum nächsten bewegt habe, um letztlich ein Gesamtbild zu erhalten. Mir ging es um die Diskrepanz zwischen einer Erwachsenen- und einer Kinderwelt, die sich anhand der Vermittlung von Religion sehr gut darstellen ließ. Ich zeige Religion als eine ziemlich traurige Angelegenheit; eine Religion, die bei den Erwachsenen nicht funktioniert und die die Kinder zu ihrem Glück nötigen will. Ich zeige ratlose Kinder und einen sadistischen Religionslehrer, der den Kindern eine absurde Logik fürs Leben weitergeben will. Das ist sicherlich ein sehr autobiografischer Teil des Filmes. Pius rebelliert auf seine Art gegen diesen Missbrauch. Wenn er seinen Religionsunterrichts-Ordner mit allen Heiligenbildern am Picknick-Grill verbrennt, sieht man die Freude in seinen Augen, hingegen wenn Herr Blumenthal später den geschmückten Weihnachtsbaum zerlegt, ist da eher unterdrückte Wut, aber auch Resignation zu spüren. Im Grunde geht es in dem Film aber nicht um Religion, es geht eher um einen Umgang damit. 

Der Film spielt prinzipiell in den siebziger Jahren, diesen Eindruck durchsetzen Sie aber durch einige Anachronismen aus der Jetztzeit, um das Zeitgefüge zu stören.
Johannes Hammel: Es gibt da verschiedene Wege, mit so etwas umzugehen. Der Film hat sehr viel mit den siebziger Jahren und mit meiner Kindheit zu tun, andererseits wollte ich auf keinen Fall einen Film machen, wo die Ausstattung in den Vordergrund tritt und alles bis ins Detail explizit in einer bestimmten Zeit spielt. Mir ging es darum, dass man zwar spürt, wo der Film angesiedelt ist, dass daneben aber auf der Straße Autos von heute fahren können oder dass man auch mal sehen kann, dass da Leute aus der jetzigen Zeit im Bild sind. Manche Dinge durchbreche ich da ganz bewusst, und im Endeffekt sollte es eher so sein, dass man darüber gar nicht nachdenken muss. Es läuft letztendlich ein bisschen auf eine Zeitlosigkeit hinaus, die ich angestrebt habe, ebenso wie es in dem Film keinen konkret erkennbaren Ort gibt.

Warum haben Sie sich bei der Haupterzählung für Schwarzweiß entschieden?
Johannes Hammel: Es war von Beginn weg klar, dass es schwarzweiß sein muss. Das hatte viel mit der fröhlichen Buntheit der Super-8 Bilder zu tun, zu denen ich ja eine Kehrseite erzählen wollte. Es ist auch eine Art Inversion in sich, denn normalerweise würde man das Super-8-Material eher als Rückblick verwenden, aber bei meinem Film funktionieren diese Bilder ja als Phantasie- oder Wunschvorstellung von Frau Blumenthal, die sich sagt, so eine Familie hätte ich gerne. Ich wollte nicht, dass das eine für «zuvor» und das andere für «danach» steht, sondern es sollte alles gleichzeitig sein, sodass man nicht mehr weiß, was der Ausgangspunkt ist, die Super-8-Bilder oder die schwarzweiße Welt, die ich darum gebaut habe. Ich wollte diesen Gegensatz und so bot sich Schwarzweiß an, weil die Welt, die ich zeige, düsterer und farblos gegenüber den Bildern aus der «Idyll» sein sollte.

Der Hafen, den Sie filmen hat nichts mit einem Ort des Aufbruchs zu tun, es ist ein unwirtlicher Ort, der an der Peripherie zu sein scheint, wo es kein urbanes, soziales Leben gibt. Was hat Sie den Hafen wählen lassen?
Johannes Hammel: Meine Großeltern haben an so einem alten Kohleschiff-Hafen gelebt und wir waren als Kinder oft dort. Als meine Großmutter später ins Altersheim gezogen ist, haben wir ihr bei der Übersiedlung geholfen und plötzlich war die Wohnung, in der wir oft an den Wochenenden waren, völlig leer geräumt, es gab keine Vorhänge mehr und es hat sich ein sehr surreales Bild ergeben, mit leeren Fenstern rundherum, durch die man direkt auf riesige Kohleberge, Schiffe und Kräne blickte. Diese Erinnerung spielt da hinein. Sie ist mir erst später wieder eingefallen und ich habe dann längere Zeit einen Hafen gesucht, der diesem Bild entsprochen hat, denn die Häfen in der Schweiz, wo sie gelebt haben, sind jetzt alle modern, es ist nichts mehr davon vorhanden. Im Laufe der Dreharbeiten kamen dann natürlich wieder Gedanken zu der Bedeutung des Hafens, in dem die Familie eingeschlossen lebt und ich reagierte darauf, indem ich einen ungeplanten Nachdreh an der Ostsee organisierte, um diese Traumsequenz der anderen Frau Blumenthal zu drehen, wo sie am tiefsten in ihre Traumwelt hineingerät. In dieser Sequenz, wenn sie am Meer ist, öffnet sich sozusagen der Hafen und sie fühlt sich zumindest in ihrer Traumwelt frei. Das Meer tut eine gewisse Freiheit auf und da ist der Punkt erreicht, wo der Film am tiefsten geht. Da ist eine Metapher entstanden, die sich aus einer anderen Metapher, dem Hafen, ergeben hat.

Sie haben im Avantgarde-Film gearbeitet und auch sehr abstrakte Dinge gemacht. Wie war es für Sie, einen langen Film mit Schauspielern zu machen?
Johannes Hammel: Den Wunsch, einen langen Spielfilm zu machen, verspüre ich schon seit ich am letzten Teil meiner Trilogie gearbeitet habe. Ich hatte erstmals das Bedürfnis, ähnliche Dinge, die ich bislang abstrakt bearbeitet habe, realer zu zeigen. Es war gar kein so großer Bruch für mich, weil es mir um ähnliche Dinge geht, nur die Ausdrucksmittel sind andere. Ich bin ja nicht in erster Linie Avantgardefilmer, sondern auch Kameramann, der viel im Dokumentarfilm arbeitet. Mir geht es weniger um diese Kategorien, als vielmehr darum, Stimmungen zu übertragen – das kann ich mit Schauspielern, mit realistischen oder mit abstrakten Mitteln. Wenn man nun zum ersten Mal einen Spielfilm macht, ist es aber ausgesprochen schwierig, diese Länge zu überblicken. Wir hatten relativ wenig Geld für den Film, im Gegenzug dazu aber viel Zeit und auch Unabhängigkeit. Wir haben lange geprobt und ich habe sehr viel gedreht. Am Schluss stand ich vor einem riesigen Berg an Material, wo ich erst gar keinen Überblick mehr hatte. Ich habe den Film schließlich wie einen Dokumentarfilm oder einen Found Footage-Film geschnitten, aus der großen Menge Material Dinge ausgesucht, und versucht, daraus wieder eine Welt zusammenzustellen.

Viele Proben bedeutet auch, dass Sie intensiv mit den Schauspielern gearbeitet haben?
Johannes Hammel: Das war komplett neu für mich. Mir war natürlich bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, wie man mit Schauspielern arbeitet. Es war auch den ganzen Dreh über spürbar, dass ich auf sehr komplizierte Weise versuchte, mich gegenüber den Schauspielern auszudrücken. Es war mir klar, dass ich das nicht innerhalb eines Films lernen kann, allerdings hatte ich sehr klare Vorstellungen von dem Film und wir haben dann immer wieder Wege gefunden, sie umzusetzen. Ich habe erst im Laufe der Dreharbeiten meinen Arbeitsstil entwickelt. Mir ist bewusst geworden, dass ich den Schauspielern, wenn sie einmal in der Rolle drinnen sind, gerne Freiheiten lasse, um über Improvisation weiterzukommen. Ich habe dann auch ab einem gewissen Punkt des Drehs am Vorabend oder erst in der Früh am Drehtag noch neue Szenen geschrieben, die dann letztlich auch sehr oft im Film drin geblieben sind, weil sie auf dem aufbauten, was wir bislang erarbeitet hatten. Vor dem Film hätte ich mir das auch gar nicht zugetraut, so flexibel zu arbeiten. Das war für mich eigentlich das Spannendste und das ist sicher etwas, auf das ich beim nächsten Spielfilm von vornherein Wert legen werde. Dass ich auch die Kamera bei FOLGE MIR  gemacht habe, war ein Aspekt, den ich beim Dreh immer möglichst weit von mir weggeschoben habe. Ich habe den Schauspielern möglichst wenig Vorgaben gegeben, wo sie gehen oder stehen müssen um ihnen mehr Freiheit zu lassen. Erst im letzten Moment habe ich dann die Kamera in die Hand genommen und eigentlich sehr dokumentarisch gedreht.

Sie sind ein gut beschäftigter Kameramann. Worin liegt für Sie der Reiz bei einem Film, nur die Bilder zu machen und andererseits, auch Regie zu führen?
Johannes Hammel: Der Reiz, als Kameramann zu arbeiten, verschiebt sich bei mir immer ein bisschen. In der letzten Zeit habe ich vor allem für Dokumentarfilme gearbeitet. Ich hatte irgendwann keine Geduld mehr, Bilder umzusetzen und zu rekonstruieren, die man sich vorher schon überlegt hat, wie etwa beim Spielfilm. Beim Dokumentarfilm geht alles schneller, wenn etwas Spannendes passiert, kann man als Kameramann darauf reagieren und muss einfach im richtigen Moment sein Bild finden, da ist alles viel improvisierter und intuitiver, das liegt mir momentan sehr viel näher. Nach regelmäßigen Zeiträumen entstand in mir dann immer wieder das Bedürfnis, als Ausgleich zur Kameraarbeit auch etwas Eigenes zu machen, weil es mir an einem bestimmten Punkt zuviel wird, als Kameramann auch immer gleichzeitig durch die Augen des Regisseurs oder der Regisseurin zu sehen. Ich habe dann immer wieder Kurzfilme gemacht, um mich zu befreien und die eigenen Vorstellungen, die sich angestaut haben, umzusetzen. In den letzten Jahren wurde das Bedürfnis stärker. Jetzt, wo ich Folge mir beendet habe, schreibe ich an zwei Drehbüchern für längere Filme und ich räume mir nun auch mehr Zeit dafür ein. Früher hab ich mich da immer nach den Kameraaufträgen gerichtet und die eigenen Projekte hinten angestellt. Jetzt ist es so, dass ich auch mal Projekte absage, um meine eigenen Filme drehen zu können.

Interview: Karin Schiefer
Dezember 2010