INTERVIEW

Edgar Honetschläger im Gespräch über OMSCH

 

 

«Sie empfand die Zeitspanne von 80 bis 102 als ihre spannendsten und schönsten Jahre.» Edgar Honetschläger über seinen Dokumentarfilm OMSCH.



OMSCH ist ein sehr rätselhafter Titel, hinter dem sich eine Lautmalerei vermuten lässt. Was verbirgt sich dahinter?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Die Protagonistin meines Films hieß in Wirklichkeit Pauline Schürz und da sie so viel älter war als ich, war es gleich klar, dass sie für mich wie eine Art Großmutter war und dann sagte eines Tages eine Freundin von mir „Die ist aber nett, diese Omsch“, daraufhin nannte ich sie mal so und das gefiel ihr so gut, dass ich dabei blieb. „Omsch“ ist also eine Ableitung von Oma. Wissend, dass der Titel nicht gleich diese Assoziation herstellt und ohne dass ich irgendeinen weiteren tieferen Sinn dahinter verbergen wollte.


Begannen Sie mit dem Hintergedanken zu filmen, der 100. Geburtstag sei ein Anlass das 101. Lebensjahr Ihrer betagten Protagonistin zu dokumentieren? Oder sind die Bilder gleich einem Skizzenbuch im Laufe der Zeit entstanden, Videomaterial also, aus denen auch ein Kunstprojekt hätte entstehen können?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Im Film entsteht der Eindruck, dass es sich nur um ein Jahr dreht, ich habe aber insgesamt über neun Jahre hindurch immer wieder etwas gedreht. Man erkennt das am besten an meiner Person, denn Omsch altert ja kaum, ich schon. Ich fand diese Frau einfach unheimlich spannend. Ich hab bei ihr nie an ein Kunstprojekt gedacht, sondern an einen Film. Gerne hätte ich den Film ja noch zu ihren Lebzeiten fertiggestellt, aber das wollte sie nicht. Sie wollte schon mal gar nicht gefilmt werden. Besondern zu Beginn hat sie sich ganz stark dagegen gewehrt. Je mehr sie sich den 100 näherte, umso mehr übersah sie meine Kamera. Sie tat so, als würde sie es nicht bemerken, dass die Kamera läuft. Viele Leute wollen nicht gefilmt oder fotografiert werden. Wenn sie aber sehr alt sind, der Tod näher rückt, dann akzeptieren sie es doch, weil etwas von ihnen übrigbleibt. In dieser Hinsicht ist mir der Film auch besonders wichtig. Denn von Omsch ist nicht mal ein Grabstein übrig geblieben. Auf Geheiß ihres Sohnes wurde sie in einem Massengrab bestattet und sie wollte auch nicht, dass ich beim Begräbnis zugegen bin. Ich bin dann später einmal zum Friedhof und fand dort heraus, dass es nicht mal einen Namen gibt.


Wie kann man sich den Vorgang des Filmens vorstellen, wenn Sie sagen, sie hat getan, als würde sie die Kamera gar nicht sehen?
EDGAR HONETSCHLÄGER: : Ich habe ca. bis ein halbes Jahr, bevor sie gegangen ist, gedreht. Man muss sich vorstellen, dass ich ohne Crew und ohne Stativ gedreht habe, weil ich die Kamera immer verbergen musste. Ich konnte mich daher nie um den Ton kümmern und musste immer so tun, als würde ich sie nur besuchen kommen oder sie mich in meiner Wohnung, irgendwann drückte ich heimlich auf den „record“-Knopf der Kamera und dann lief es. Manches klappte, manches nicht, zum Schluss hatte ich an die 50 Stunden Material. Es gab leider Unmengen an Dingen, die ich nie aufgenommen habe.


Es dauerte also eine gewisse Zeit, bis Sie sich mit ihrem Tod abgefunden haben?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Ja. Ich glaube, das ist immer so. Wenn man sehr an jemandem hängt, dauert es ein, zwei Jahre, bis man das verwunden hat. Omsch ist mit Trennung und Verlust ganz anders umgegangen. Sie war sehr liebenswert und jemand, der gerne gibt, andererseits konnte sie zu sich selbst auch sehr hart sein. Sie erzählt auch im Film, wie sie mit dem Tod ihrer beiden Ehemänner umgegangen ist: Sie hat sich immer für eine Woche eingeschlossen, versucht, sich das Weinen zu verbieten und nach einer Woche war es vorbei. Sie kehrte zurück ins Leben und sagte sich: „Ich lebe ja noch.“ Die emotionale Stärke dieser Frau hat mich immer besonders fasziniert.


Wie hat sich die Freundschaft zwischen Ihnen und ihr angebahnt?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Ich zog als Student in eine Wohnung im dritten Bezirk und habe mich ganz formal bei meiner Nachbarin vorgestellt. Das muss im Jahr 1989 gewesen sein, da war sie schon eine alte Dame. Ich fühlte mich von Kindheit an sehr stark zu älteren Menschen hingezogen. Sie war sympathisch und liebenswert und machte mir gleich Tee, weil mir so kalt war. Ich habe dann als Student die ganze Wohnung selbst hergerichtet und da wir wirklich Tür an Tür wohnten, hat sich sehr schnell eine enge Freundschaft entwickelt, die auch alles in sich trug, was eine Freundschaft mit sich bringt. Wir haben auch oft gestritten, sie konnte auch krankhaft eifersüchtig sein. Es gibt auch Filmmaterial, das ich lieber ausgespart habe, weil ich weder emotional exzessive Momente von ihr noch zuviel von ihrer Familiengeschichte preisgeben wollte. Man darf nicht vergessen, dass für die alten Leute viele Menschen, die sie kannten und liebten, nicht mehr da sind. Damit muss man umgehen können. Ich glaube, es kommt sehr gut heraus, dass sie es schaffte, diese Einsamkeit gut zu ertragen. Sie war wochenlang alleine und ist nicht daran verzweifelt. Dazu gehört eine unheimliche Stärke und das hat sie souverän gemacht. Zum Teil war ihr Wunsch nach Alleinsein auch gewollt, im Haus wollte sie keinen Kontakt mit anderen Leuten und hat auch mir den Kontakt zu den anderen Bewohnern quasi verboten. Sie wollte da eine Exklusivgeschichte. Die Emotionalität ist ja etwas, das im Alter nicht nachlässt, eigentlich wird die Haut dünner. Ich will in diesem Film auch zeigen, wie stark die Emotionalität bleibt, trotz Weisheit und vermeintlicher Distanz zu den Dingen. Das ist es wahrscheinlich auch, was das Leben ausmacht, dass es einen, egal in welchem Alter, emotional herumwirft.


Sie lebten Tür an Tür mit dieser Frau, die 56 Jahre älter war. Sie steht auf ihre Weise auch für eine fremde Welt wie jene fernen Welten, die Sie Ihr Leben lang bereist haben und entdecken wollten. Omsch selbst ist nicht gereist. War sie für Sie etwas wie ein Gegenpol und gleichzeitig eine Seelenverwandte?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Eine Seelenverwandte auf jeden Fall. Ich bezeichne diesen Film gerne als „Kammerlstück“. Sie hat ja fast 70 Jahre ihres Lebens in diesem Haus im 3. Bezirk gelebt und den Großteil der Zeit in ihrem ungefähr 6m2 großen Kammerl verbracht, in dem sie so gerne gesessen ist. Es ist nicht so, dass sie gar nicht gereist wäre, sie war in Dänemark, in Frankreich, aber in ein Flugzeug ist sie ihr Leben nie gestiegen. Sie war eine Wienerin durch und durch, sie liebte diese Stadt und es war für sie unvorstellbar, dass man sich für etwas anderes interessieren konnte. Dass ich nach Amerika und dann nach Japan gezogen bin, war ihr sehr suspekt. Sie hat es nie verurteilt, aber verstand in keiner Weise, wozu das gut sein sollte.


Das Wort „Kammerlstück“ ist zuvor gefallen. Hatten Sie nach so viel Leben, Arbeiten, Drehen in der Ferne auch einmal das Bedürfnis, einen Film in nächster Nähe zu drehen?

EDGAR HONETSCHLÄGER:  Bevor noch die Idee zum Film entstand, fand ich diese Person einfach so spannend. Ich hatte es mit jemandem zu tun, der 56 Jahre älter war, geistig voll mithalten konnte und total hungrig danach war, mit jüngeren Menschen Zeit zu verbringen. Es ist auch ein großer Irrtum anzunehmen, dass Menschen sich immer mit Menschen derselben Generation abgeben wollen. Sie war genau das Gegenteil dessen, was man sich gemeinhin unter einer älteren Wiener Dame vorstellt. Sie war nie grantig, sondern der Inbegriff des Positiven, viel positiver als ich. Ich wollte mit diesem Porträt auch ein Beispiel zeigen, wie man sein Schicksal akzeptieren kann, ohne ständig mit dem Verfall zu hadern. Sie hat schon dann und wann gesagt „Ich spüre, wie es schlechter wird“, aber sie ist darüber nicht trübsinnig geworden. Genau das Gegenteil dessen, was unsere Zeit an Zwang zum Jungsein von uns einfordert. Sie hat Ihr Älterwerden akzeptiert. Wenn sie schlecht gehört hat, dann war das so. Sie forderte aber von ihrem Umfeld ein, dass man darauf Rücksicht nimmt. Ihr natürliches Umgehen mit dem Alterungsprozess hatte sicherlich auch damit etwas zu tun, dass sie so alt wurde. Das war ein wesentlicher Grund, weshalb ich diesen Film machen wollte.


Haben Sie in Ihren Gesprächen mit ihr auch Alter und Tod diskutiert?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Gewiss. Es gab kein Thema, das wir bewusst nicht angesprochen hätten, sie war sehr offen. Sie war mir auch lange in vielen Dingen eine gute Ratgeberin und ich vermisse ihren Rat bis heute. Auf eine bestimmte Art war sie für mich etwas wie Familie – und zwar selbstgewählte Familie. Der Tod war immer wieder ein Thema. Ich hab in ihren letzten Lebensjahren sehr darum gekämpft, dass sie nicht ins Altersheim kommt, ich wusste, dass sie das nicht ertragen hätte. Ich wollte, dass sie so lange wie möglich bei sich zu Hause bleiben kann. Und sie betonte immer wieder, dass der Grund, weshalb sie weiterleben wollte, ihr Nachbar war. Auch wenn sie immer wieder lange warten musste, weil ich ja so viel im Ausland war, war es dennoch ein Lebensinhalt für sie zu wissen, dass sich jemand um sie kümmert und sich freut, dass sie da ist.  Der Film hatte lange Zeit einen Untertitel, den ich letztlich gestrichen habe:  Plädoyer für das hohe Alter. Ich bin davon überzeugt, dass die Auseinandersetzung zwischen Alt und Jung für beide Seiten extrem bereichernd ist, auch wenn das jetzt wie eine Platitüde klingt. Mit dem Alter entsteht für einen Menschen auch viel Freiheit, da man niemandem mehr etwas beweisen muss. Sie hat so unglaublich viel Freiheit repräsentiert und es war schön für mich, das zu beobachten und zum Teil auch anzunehmen. Für sie war unsere Freundschaft auch sehr unterhaltsam, weil ich ihr die weite Welt ins kleine Kammerl brachte. Ich kam zurück von meinen Reisen, übersprudelnd mit Geschichten aus allen Ecken der Welt und erzählte, was passiert war. Wir haben uns auch viele Briefe geschrieben, die zum Teil auch zitiert sind. Sie sprach und schrieb vor allem ein Deutsch, das wir alle nicht mehr beherrschen. Ich war immer sehr glücklich über ihre Briefe.


Was hat Sie diese Freundschaft über das Altsein gelehrt?

EDGAR HONETSCHLÄGER:  Ich habe den Film nicht für mich allein, sondern für ein Publikum gemacht, das animiert werden soll, sich generationsübergreifend miteinander zu beschäftigen. Es ist ja nur ein kleiner Film, keine Symphonie, sondern wie gesagt ein „Kammerlstück“. Gleichzeitig geht es mir um ein Statement im aktuellen filmischen Diskurs, wo das Thema des Alterns gerade sehr präsent ist und es in der Regel ums Sterben geht. In meinem Film geht es ganz stark ums Leben und die Lust am Leben. Sie sagte „Hätte ich nicht im Ministerium gearbeitet, dann wäre ich eine Komödiantin geworden“. Das war für eine Frau, die 1907 geboren wurde, eine schwierige Sache, aber ich versuchte, im Film ihren Witz hervorzukehren, sodass spürbar wird, dass man sich an diesem hohen Alter auch ergötzen kann. Sie sagte ganz explizit „Für mich war die schönste Zeit im Leben das hohe Alter“. Das widerspricht auch einem gängigen Diskurs. Alle haben Angst vorm Altwerden, sehnen sich nach der Jugend zurück, und sehen nur, dass jedes verstrichene Jahr den Tod näher bringt. Omsch hat nie so gedacht, sie empfand die Zeitspanne von 80 bis 102 als ihre spannendsten und schönsten Jahre. Dazu muss man sagen, dass sie das Glück hatte, körperlich wie geistig in einem bemerkenswerten Zustand zu sein.


Das Porträt dieser Frau bleibt sehr stark im Moment. Außer vom Tod ihrer Ehemänner und der Tatsache, dass sie im Ministerium gearbeitet hatte, erfahren wir nichts aus ihrer Vergangenheit.

EDGAR HONETSCHLÄGER:  Das wäre ein anderer Film geworden und ich hatte nicht das Gefühl, das Recht zu haben, da einzudringen. Ich wollte zunächst einen Film ausschließlich über sie und mit ihr machen, da ich zwar gerne hinter, aber nur äußerst ungern selbst vor der Kamera stehe. Im Entstehungsprozess haben aber mehrere Leute auf mich eingewirkt und gesagt, es brauche unbedingt einen Widerpart. Deshalb komme ich immer so ein bisschen am Rande vor. Nach ihrem Tod kamen dann noch ein paar Sequenzen dazu, um eine gewisse Dramatik zu bauen. Darin komme ich alleine vor, aber es gibt Zitate ihr, wenn sie auch im Voiceover von mir gelesen.
 

Es gibt sehr viele Bilder aus der Neulinggasse, die den sehr lokalen Aspekt des Films betonen, dem stellen Sie älteres Material aus New York und Tokyo gegenüber?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Es gibt einige Super 8-Filme, die ich 1989/90 in New York gemacht habe und noch nie verwendet hatte. Weiters Aufnahmen, die mir von einem österreichischen Amateurfilmer zugespielt worden waren, der 1936/38 in Japan gefilmt hat. Das gesamte Paket habe ich dem Filmmuseum überlassen, wo es digitalisiert wurde. Ausschnitte aus diesem Material konnte ich wiederum für diesen Film verwenden. Die Fahrt durch Tokyo auf der Autobahn hatte ich schon für Aun gefilmt und dann nicht verwendet, das fügte sich sehr gut. Ich wollte nicht, dass sich der Film nur in der Neulinggasse und zwischen unseren beiden Wohnungen abspielt. Als irgendwann der Zwang bestand, mein Leben in den Film einzubeziehen, musste ich Aufnahmen finden, die sich mit der Welt da draußen beschäftigen. Zu Beginn habe ich auch die Trafikantin gegenüber interviewt und Bewohner im Haus, bis ich feststellte, dass es wenig brachte, da niemand sie so gut kannte, um etwas Aussagekräftiges beizutragen.
Omsch selbst war so einnehmend, dass alles neben ihr verblasste. Ich wollte zunächst nur die Topografie etwas ausweiten, weil ich wollte, dass man sich das nähere Umfeld vorstellen konnte, wo diese Dame so lange gelebt hat. Sie erzählt im Film ja auch, dass sie nicht in die Trafik gehen kann, die genau gegenüber liegt, weil sie es nicht mehr wagt, alleine die Straße zu überqueren. Prinzipiell ist der Bewegungsraum für jeden Menschen auch in großen Städten relativ klein, bei älteren Menschen wird dieser Raum immer kleiner. Omsch bewegt sich irgendwann nur noch auf der Straßenseite des Wohnhauses und geht zu den Geschäften, die auf dieser Seite sind. Ich will mit diesem Film auch Sympathie und Verständnis für alte Leute erzeugen. Wir sind angehalten, auf sie Rücksicht zu nehmen. Omsch sagt selbst im Film, dass sie, sobald jemand erfährt, dass sie über 100 ist, nicht mehr ernst genommen wird. Alle gehen davon aus, dass sie ohnehin bald tot sein würde. Sie hat mir mal erzählt, leider habe ich es nie gefilmt, wie sie als kleines Mädchen aus gutem Hause im 13. Bezirk mit ihrer Mutter zum Kolonialwarenhändler ging und wie sie im Vergleich dazu als alte Frau den Einkauf im Supermarkt erlebt. Das war ungemein witzig. Es genügt, bei sich selber zu beobachten, dass man es an der Supermarktkasse kaum schafft zu zahlen und einzuräumen, ehe der Nächste drankommt. Jetzt stelle man sich vor, wie es jemandem geht, der 100 ist. Die Leute drängeln nach und keiner nimmt Rücksicht. Ich will mit Omsch auch für mehr Rücksicht auf das Alter plädieren. Wir wollen ja alle ein hohes Alter erreichen, dann sollten wir uns auch wünschen, dass die Umwelt auf diesen Zustand eingeht, damit wir auch ein halbwegs gutes Leben führen können.


Sie sprachen zuvor von einem „Plädoyer für das hohe Alter“. Der Film ist aber auch ein Plädoyer für die Endlichkeit, ein Lob der Vergänglichkeit.

EDGAR HONETSCHLÄGER: Mir geht es um Akzeptanz. Was bringt es, gegen die Vergänglichkeit anzurennen. Sie ist eine Gegebenheit. Es ist klug, sich in dieses Schicksal zu fügen, wie es ist. Das ist etwas sehr Japanisches, aber nicht nur. Omsch wusste nichts von Japan und hat genauso gedacht. Der Voiceover-Text ist traurig, aber auch sehr tröstlich. Was mich auch sehr mit dieser Frau verbunden hat, war der Optimismus. Was bringt es, darüber Trübsal zu blasen, dass es irgendwann zu Ende geht.


Im Voiceover sind auch Passagen aus Texten von Fernando Pessoa zu hören. Welche Verbindung besteht zu ihm?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Fernando Pessoa spielt schon sehr lange eine wichtig Rolle in meinem Leben. Er veranlasste mich, mehrmals nach Lissabon zu reisen. Seine Lebensgeschichte fasziniert mich. Er lebte das zurückgezogene Leben eines Bürokraten und schrieb ohne Unterlass, davon überzeugt, das Richtige zu tun, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Und er ist von einer Wortgewalt, einer Sensibilität und Poesie, die ihresgleichen sucht. Ich kenne seine Texte, die er nicht nur in Portugiesisch, sondern auch in Englisch geschrieben hat, sehr gut und sie begleiten mich immer wieder und finden immer wieder Einzug in meine Arbeiten.


Die Musik ist sehr sparsam, dann aber intensiv vorhanden. Wie kam es zu dieser Musikwahl?
EDGAR HONETSCHLÄGER:  Für mich war von Anfang an klar, dass ich Morton Feldman verwenden wollte. Seine Musik hat mich von Kindheit an begleitet.


Wie kommt man als Kind in Berührung mit der Musik von Morton Feldman?

EDGAR HONETSCHLÄGER:  Ich entdeckte nicht nur ihn im Speziellen, sondern die moderne Klassik. Meine viel ältere Schwester hatte dazu einen starken Bezug, daher war ich dieser Musik sehr früh ausgesetzt. Wenn ich im Atelier arbeite, höre ich sehr gerne elektronische Musik, aber am allerliebsten diese Musik. Ich erinnere mich ans Vorjahr, wo ich eine Zeit in Italien verbracht habe. Unter mir wohnten ein zeitgenössischer Komponist und seine Frau, eine Konzertpianistin. Wenn sie Beethoven spielte, irritierte mich das sehr schnell, wenn sie Stockhausen spielte und auch wenn es den ganzen Tag lang der gleiche Stockhausen war, dann war mir das sehr angenehm. Das ist jetzt keine negative Wertung von Beethoven oder Schubert, mich langweilt nur die klassische Form schneller als Musik des 20. Jhs. Feldman habe ich vor ca. 20 Jahren entdeckt und war von ihm fasziniert. Er ist immer im Schatten von John Cage gestanden, war aber eine Figur, die sehr stark in die New Yorker Kunstszene involviert war. Bei einem befreundeten Komponisten entdeckte ich ein Buch über Morton Feldman – eines der wenigen, in denen man Aussagen von ihm über sich selbst und seine Arbeit finden kann, das mich sehr beeindruckt hat.  Was mir an ihm abgesehen von seiner Musik so gefiel, war die tiefe Überzeugung, dass das, was er tut, richtig ist, egal, ob es angenommen wurde oder nicht. Es klang wie ein ganz tiefes Wissen und er hat Recht behalten. Die in Omsch verwendete Musik ist als  „music for film“ entstanden, dieser Film war aber nie gemacht worden. Ich habe Feldmans Witwe bezüglich der Rechte kontaktiert und ihr ein paar Ausschnitte geschickt. Sie hat gottseidank ihre Einwilligung gegeben. Ich finde, es fügt sich sehr gut. Es gibt in der Tat Passagen, wo die Musik den Ton angibt und sie die Sprache ersetzt. An manchen Stellen im Film kann die Musik stärker als die Sprache zum Ausdruck bringen, was zwischen uns beiden abläuft. 


Der Film hat einen Epilog, wo Sie mit einem Mercedes-Oldtimer auf den Friedhof fahren und Sie ihrer gedenken?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Das Auto, ein blauer Mercedes aus dem Jahr 1959, ist mein Auto, das sie sehr gerne hatte und damit fahre ich zum Urnenfriedhof am Wiener Zentralfriedhof, der schön wie ein Park ausschaut, dort ist irgendwo ihre Asche ausgestreut worden.


Zum Gedenken an Pauline Schürz bleibt also wirklich nur dieser Film?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Ja, immerhin. Nicht, weil er so toll ist, aber er soll ein kleines Denkmal für sie sein, ohne sie als besonders außergewöhnliche Erscheinung in den Vordergrund zu spielen. Ganz im Sinne von dem, was wir oben besprochen haben. Im Grunde ist das alles.


Was wiederum stimmig mit ihrer eigenen Lebenshaltung ist?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Das stimmt. Dennoch war es ein Schock für mich, als ich draufkam, dass es gar nichts gab. Ich kam auf den Zentralfriedhof und fragte nach Pauline Schürz und die Antwort war: „Die hamma net.“ Als ich dann nicht locker ließ, hat jemand herausgefunden, dass sie am Urnenfriedhof registriert war. Ich suchte dann am Urnenfriedhof und konnte keinen Hinweis auf sie finden. In der Verwaltung erklärte man mir dann, dass sie nur als Name im Computer vorhanden sei, ansonsten gebe es nichts mehr. Es ist verstörend herauszufinden, dass es am Friedhof nichts gibt, was an eine Person erinnert. Es hat aber auch etwas Gutes. Im Prinzip dient das ja nur den Hinterbliebenen. Vielleicht schaut sie ja vom Himmel runter, sie hat jedenfalls fest daran geglaubt und mir versprochen, von oben auf mich aufzupassen.


War die Montage bei diesem Film eine besondere Herausforderung?

EDGAR HONETSCHLÄGER: Es hat dann aber nach ihrem Tod zwei Jahre gedauert, bis ich mir dieses Material anschauen konnte, weil ich sehr an ihr gehangen war. Nach zwei Jahren spielte ich es in den Computer und konnte auch wieder lachen und spürte, die Zeit war reif, um einen Film zu machen. Das Schnittkonzept habe ich zusammen mit Stefan Fauland entwickelt und dann mit ihm geschnitten. Er ist ein junger Cutter, der schon sehr viel Erfahrung gesammelt und bisher viel Schnittassistenz gemacht hat. Die Zusammenarbeit lief sehr gut. Die Arbeit an der Montage war ein sehr intuitiver Prozess. Wir haben das Material mehrmals gesichtet und irgendwann sind wir in die Sache hineingegangen. Wir probierten verschiedenste Ansätze und irgendwann hat sich eine Richtung herauskristallisiert, in die es gehen musste, damit alles in Fluss kommt. Der Film war ursprünglich kürzer konzipiert und es hat uns auch überrascht, dass der Film schließlich doch 80 Minuten gehalten hat. Emotional war es so, dass es immer noch ein paar Stellen gibt, die mir sehr nahe gehen. Es hat auch eine geografische Distanz gebraucht und so haben wir den Film in Italien geschnitten. In Wien in meiner Wohnung oder meinem Atelier wäre es mir zu nahe an dem Ort gewesen, wo ich zwanzig Jahre so engen Kontakt mit ihr gepflogen hatte. Wenn ich jemandem den Trailer zeige und ihre Stimme höre, dann habe ich immer noch ein Gefühl, als wäre sie noch da.


Interview: Karin Schiefer
April 2013