INTERVIEW

«Wenn Fehler, die ein Menschenleben gekostet haben, vertuscht werden, ...

 

 

... dann müssen Fragen gestellt werden.» Produzent Arash T. Riahi im Gespräch über den ersten Spielfilm der Golden Girls Fimproduktion Einer von uns von Stephan Richter.



Die Golden Girls Filmproduktion hat sich in den letzten Jahren mit engagierten Dokumentarfilmen profiliert. Was hat euch motiviert, euer Spektrum nun auch auf Spielfilm zu erweitern?

ARASH T. RIAHI: Mein Grundsatz war stets der, möglichst offen und undogmatisch zu arbeiten. Meine eigenen Arbeiten umfassen Spiel- und Dokumentarfilme und auch Experimentalfilme, wenn sich eine Idee aufdrängt. Ich sehe keinerlei Grund, uns auf Dokumentarfilm einzugrenzen, umso weniger, als wir eine Firmengröße erreicht haben, die es notwendig macht, dass wir auch größere Projekte übernehmen. Einen Spielfilm kann man nur machen, wenn auch die entsprechende Finanzierung da ist. Mit dem vorhandenen Geld kann man dann die Dimension des Projekts präzise abstecken. Wenn man seine Hausaufgaben macht und perfekt vorbereitet, dann ist der Dreh zum geplanten Zeitpunkt vorbei und man geht in den Schnitt. Bei einem Dokumentarfilm ist auch mit wenig oder keinem Geld etwas möglich, es endet allerdings in der Selbstausbeutung. Wenn im Dokumentarfilm das Geld ausgeht und der Cutter nicht mehr bezahlt werden kann, dann schneidet man selber, und das vielleicht monatelang. Als sich ein Projekt wie Everyday Rebellion  über drei, vier Jahre zog, auch deshalb weil die politischen Veränderungen längere Dreharbeiten bedingten, dann mussten wir irgendwann selber die Kamera übernehmen. Das ist beim Spielfilm nicht der Fall. Ich habe großen Respekt vor dem Spielfilm. Er hat sich aber durch diese Erfahrung mit Einer von uns im positiven Sinn etwas entzaubert.


EINER VON UNS  ist von einer wahren Begebenheit inspiriert, insofern bewegt er sich auch an einer Schnittstelle zwischen Realität und Fiktion.

ARASH T. RIAHI: Stephan Richter ist 2009 auf dieses Thema aufmerksam geworden. Er plante zunächst einen Kurzfilm, der sich im Laufe der Recherche zu einem größeren Projekt entwickelte. In einem ersten Schritt erhielt er dafür vom bm:ukk ein Start-Stipendium und ich wurde im Rahmen dieses Programms als dramaturgischer Betreuer und Begleiter vorgeschlagen. So begann unsere Zusammenarbeit. Stoffentwicklung mit SOURCES und der EKRAN-Workshop in Polen waren dann die weiteren Etappen. EKRAN ist ein Programm an der Andrzej Wajda-School in Warschau, an dem der Regisseur mit seinem Kameramann teilnehmen kann, um mit dortigen Schauspielern für bestimmte Szenen einen Probedreh zu absolvieren. Das Ziel ist, dass Regisseur und Kameramann gemeinsam den Stil des Films entwickeln. Und schließlich teilte Stephan mir mit dass wir seine erste Wahl als Produktionsfirma wären, weil er sich gut aufgehoben fühlte. Wir reichten das Buch zur Finanzierung ein, von ÖFI und ORF bekamen wir im ersten Anlauf eine Zusage, mit einer weiteren Überarbeitung hat es dann auch beim Filmfonds Wien geklappt. Interessantes Detail: Kaum war die Zusage vom ORF publiziert mit dem Hinweis, dass das Projekt den Einbruch im Supermarkt in Krems, bei dem ein Jugendlicher getötet wurde, thematisiert, gab es schon Stimmen von Seiten der Polizei, warum hier mit öffentlichen Geldern alte Wunden aufgerissen würden. Das Projekt wurde sehr schnell von der Polizei in eine negative Ecke gestellt.


Was waren, kurz zusammengefasst, die Fakten, die EINER VON UNS  zugrunde liegen?

ARASH T. RIAHI: Zwei 14-jährige Jugendliche haben nachts in einem Kremser Supermarkt einen Einbruch verübt, die Polizei ist gekommen und hat im Supermarkt Schüsse abgegeben, einer davon hat einen der Jugendlichen tödlich in den Rücken getroffen. Die Schüsse erfolgten nach Angaben der Polizei aus Notwehr, weil sie dachten, die Jugendlichen wären bewaffnet. Es geht uns dabei, weder darum alles 1:1 zu rekonstruieren, noch darum Schuldzuweisungen in Schwarz und Weiß zu formulieren.


Welche Fragestellung steht für Stephan Richter im Vordergrund?

ARASH T. RIAHI:  Ich finde, wenn alte Wunden, so leicht aufgerissen werden, wie das die spontane Reaktion der Polizei und Medien gezeigt hat, dann können sie nicht wirklich verheilt sein. Uns geht es darum, der in Österreich vorherrschenden Mentalität, Dramen und Traumata möglichst unter den Teppich zu kehren, eine Debatte entgegenzuhalten. Wir wollen Fragen aufwerfen wie - In welcher Welt wollen wir leben? Wie kann so etwas passieren? Wie gehen wir miteinander um? Wie gehen wir mit den Problemen in unserer Gesellschaft um? Wie sieht das Verhältnis zwischen Polizei und Jugendlichen aus? Wie sieht die Aufarbeitung von begangenen Fehlern aus? Wie kann es sein, dass die Polizei von zwei weglaufenden Jugendlichen in Panik versetzt wird und auf sie schießt?
Wir hatten für die Szenen mit der Polizei im Supermarkt einen Berater von der Polizei, damit alle Handlungen der Polizeidarstellerinnen authentisch ablaufen. Er war wiederum sehr begeistert vom Projekt.  Er hatte eine durchaus kritische Haltung, was den Umgang der Polizei mit diesem Vorfall betrifft und hofft auch, dass der Film eine Diskussionen in Gang setzt, wie mit dieser Art von Vorfällen besser umgegangen werden kann.  Stephan hat auch die Mutter des getöteten Jungen getroffen, die auch an einer Aufbereitung des Themas interessiert ist. Sie hat nicht nur mit dem Verlust ihres Kindes umgehen müssen, sie sah sich auch noch mit Vorwürfen konfrontiert, dass sie in ihrer Erziehung versagt hätte. Michael Jeannée schrieb in der Kronen Zeitung: „Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben.“ Jeder hat in seiner Teenager-Zeit Dummheiten begangen. Dass so etwas in einem großen Medium gesagt werden kann, das löst in mir die wahre Empörung aus.


Wie habt ihr die Darsteller für die Rollen der Jugendlichen ausgewählt?

ARASH T. RIAHI: Wir haben eine Mischung aus professionellen Schauspielern wie Andreas Lust, Christopher Schärf, Simon Morse oder Markus Schleinzer und authentischen Jugendlichen zwischen 14 und 18. Der Hauptdarsteller, Jakob Hofer, hat ein bisschen Theatererfahrung, ist aber in seiner ersten großen Rolle. Die Jugendlichen, mit denen er herumhängt, sind Jugendliche, die wir in Jugendzentren gecastet haben und die sich selbst spielen.


Wie arbeitet Stephan Richter mit ihnen?

ARASH T. RIAHI: Stephan hat sehr viel geprobt, da es unheimlich wichtig war, dass die Jugendlichen gut vorbereitet waren und genau wussten, worum es ging. Der Schauspielcoach Julian Sharp hat ihn sehr stark unterstützt. Es gab auch für beinahe alle Shots ein genaues Storyboard, damit alle eine Vorstellung von Stephans Vision des Films hatten. 


Wie schon angeklungen ist, wird mit diesem Thema ein in Österreich noch sensibles Thema aufgegriffen. Hat sich das auch auf die Rahmenbedingungen bei der Suche nach den Drehorten ausgewirkt?

ARASH T. RIAHI: Die Tatsache, dass niemand sich damit beschäftigen will, hat zu dem Problem geführt, dass keine der großen Supermarktketten in Österreich bereit war, uns eine Drehgenehmigung zu erteilen. Wir haben alles versucht und immer wieder betont, dass es in keiner Weise darum ging, ihre Kette schlecht dastehen zu lassen.  Wir hätten ja auch alle Logos entfernt. Wir waren sehr glücklich, als wir herausfanden, dass es drei Supermärkte in Österreich gibt, die einer Privatperson gehören. Einer davon ist in Wels, dort haben wir schließlich auch gedreht. Das war ein Glücksfall, weil es auch ein sehr schöner, gut designter Supermarkt ist, der, da kein Konzern dahinter ist, nicht überall voller Schilder ist. Es ist beinahe wie ein utopischer Supermarkt, der Parkplatz davor eignete sich wunderbar für den Dreh. Einzig das ganze Team musste für 28 Tage nach Wels ziehen, was natürlich Kosten bei der Unterkunft usw. verursacht hat. 


Wann wird der Film fertig gestellt sein, wenn nun Mitte August der Dreh abgeschlossen ist?

ARASH T. RIAHI: Andreas Wondraschke, der u.a. Die fetten Jahre sind vorbei geschnitten hat, schneidet bereits parallel zum Dreh. Kurz nach Drehschluss wird dann auch Stephan Richter dazustoßen und wir planen, im Herbst einen Rohschnitt zur Verfügung zu haben.


Thematisch hat das Projekt durch die Eskalation zwischen Hausbesetzern und Polizei in Wien vor wenigen Wochen ja gerade neue Brisanz erlangt.

ARASH T. RIAHI:  Absolut. Die Härte, die sie an den Tag legten, ist heute nicht mehr vertretbar. Die Polizei soll ja nicht daran gehindert werden, ihre Arbeit zu machen, aber grundsätzlich sollte sie im Sinne der Gesellschaft agieren. Es geht um einen respektvollen Umgang miteinander, ganz egal, ob man eine Polizeiuniform trägt oder nicht. Und um einen grundlegenden Respekt vor einem Menschenleben. Es muss einen Unterschied geben zwischen einer Polizei in einem demokratischen Land und der Polizei in einer Diktatur. Wenn das nicht so ist, dann läuft etwas falsch. Wenn Fehler, die ein Menschenleben gekostet haben, vertuscht werden, dann müssen Fragen gestellt werden.


Kann man davon ausgehen, dass die Spielfilme wie seit Jahren die Dokumentarfilme der Golden Girls Filmproduktion sich thematisch mit aktuellen, gesellschaftspolitisch relevanten und brisanten Themen beschäftigen werden?

ARASH T. RIAHI:  Wir wollen mit unseren Filmen Diskussionen anregen und ein Umdenken bewirken. Das wird gewiss Priorität haben, wir wollen uns aber keinesfalls thematisch nur auf Gesellschaftspolitisches festlegen. Unsere zukünftigen Ideen, die ich gemeinsam mit meiner Produzentenkollegin Karin C. Berger produzieren werde, reichen von Arthouse bis Science Fiction. Es wird also sicherlich auch kommerziellere Projekte geben. Unser nächstes Spielfilmprojekt ist mit Markus Heltschl geplant, der seit langem wieder einen Spielfilm drehen wird. In seinem Film Rot geht es um die Folgen eines Schulattentats in Südtirol. Dafür werden wir im Herbst um Herstellungsförderung einreichen. Was uns daran besonders freut, ist, dass wir Agnès Godard als Kamerafrau für das Projekt begeistern konnten. Mein Bruder Arman T. Riahi entwickelt gerade eine Komödie - Die Migrantigen, die in der Projektentwicklungsphase ist. Und wir arbeiten parallel auch schon an einer Idee für den ersten Riahi-Brothers-Spielfilm, eine absurde Farce.


Interview: Karin Schiefer
August 2014