INTERVIEW

«Der Humor kommt beim Schreiben unweigerlich dazu.»

 

... kommt beim Schreiben unweigerlich Humor dazu. David Ruehm im Gespräch über DER VAMPIR AUF DER COUCH, dessen Uraufführung beim Zürcher Filmfestival 2014 stattfindet.



DER VAMPIR AUF DER COUCH ist eine Vampirkomödie. Das Gruseln und das Lachen sind zwei elementare Charakteristika des Unterhaltungskinos. War Ihnen von Beginn an daran gelegen, beiden Komponenten gerecht zu werden?
David Ruehm: Es hat ein bisschen etwas von beiden. Es ist weder ein aggressiver Vampirfilm noch eine schenkelklopfende Komödie, sondern eine sehr feine, zarte Komödie. Die Grundidee reicht in die neunziger Jahre zurück. Ich sagte mir, Vampire müssen wohl ein Identitätsproblem haben, weil sie sich nicht sehen können. Jacques Lacan hat in den dreißiger Jahren die Spiegeltheorie aufgestellt, wonach der Mensch sich erst als Persönlichkeit wahrnimmt, wenn er sich im Spiegel erkennt. Damit spiele ich auf humorvolle Art. Das Grundthema darunter ist das der Projektionen. Wer projiziert was in wen hinein? Was projiziert man in den Partner? Wie wünscht man sich den Partner? Wie sieht sich jemand, der sich nicht sehen kann?

Protagonisten, die durch die Luft flattern, Horroreffekte u.ä.  ziehen auch die Frage nach der Machbarkeit mit sich. Wie sehr begleitet einen diese Frage durch den Schreibprozess?
David Ruehm: Natürlich schwingt immer die finanzielle Frage mit. Wir waren mit drei Mio Euro ganz gut ausgestattet, ein etwas höheres Budget hätte uns klarerweise einen größeren Rahmen geboten. Die Drehzeit war für so einen aufwändigen Film relativ knapp bemessen. Das Budget ist bei Effekten immer im Hinterkopf, aber natürlich will man auf sie nicht verzichten. In meinem Film spritzt das Blut ja nicht in großen Mengen, sondern er hat eher feine Effekte.

War die Produktionsfirma dadurch bereits in der Drehbuchphase involviert?
David Ruehm: Die Novotny Film war sehr früh im Spiel und Alex Glehr und Johanna Scherz haben eine wesentliche Rolle gespielt. Sie haben mir Robert Buchschwenter als dramaturgischen Berater zur Seite gestellt, mit dem ich sehr gut zusammengearbeitet habe. Wir haben alle das Buch immer wieder besprochen, umgekehrt war auch ich in die produktionstechnischen Fragen eingebunden.

Auch wenn es kein brutaler Vampirfilm werden sollte, so spielte das Kreieren von Effekten gewiss eine Rolle: wie sucht man nach ihnen? Wie baut man sie ein? Welche Grenze zieht man?
David Ruehm: Ich haben einen sehr eigenen Stil, was es mir in Österreich auch immer wieder schwierig gemacht hat, Filme zu realisieren. Sie sind genremäßig nicht einzuordnen. Ich denke, da kommt meine polnische Ader durch  – ich bin ja als Kind in Polen aufgewachsen. Das ist in DER VAMPIR AUF DER COUCH so und auch in meinen anderen Spielfilmen, wie etwa in Die Flucht. Meine Gags sollen nicht nur Lacher erzeugen, sondern haben immer auch inhaltlich einen Sinn. Dem Helden passiert dadurch etwas Dramatisches und es verändert ihn. Dass der Humor sehr subtil bleibt, ist mir ein großes Anliegen ebenso wie ein eigenes Universum zu kreieren, in das der Zuschauer schön langsam hineingezogen wird. Ich habe eine künstliche Welt geschaffen und ganz bewusst die Statisten ausgespart. Auch wenn in den Straßen Wiens der dreißiger Jahre nachts nicht sehr viel los war, habe ich an einer bewussten Reduktion gearbeitet, die eine eigene Welt entstehen lässt, in der hauptsächlich die Protagonisten agieren.

Mit welchen Quellen galt es sich auseinanderzusetzen, um in die Epoche der dreißiger Jahre einzutauchen?
David Ruehm: Ich mag den Look der dreißiger Jahre sehr, wenn man das Politische ausklammert, war es eine sehr schicke und schöne Zeit. Durch die Figur des Sigmund Freud konnte man das Geschehen auch nicht später ansiedeln. Wir haben in Ausstattung und Kostüm sehr realistisch gearbeitet. Nur bei den Kostümen der Vampire habe ich mit der Kostümbildnerin Monika Buttinger beschlossen, dass wir uns eher eine Interpretation der dreißiger Jahre einfallen lassen und etwas Verrückteres machen. Der Film ist im Studio gedreht und es war mir wichtig, dass es als Studioatmosphäre erkennbar ist und der künstliche Aspekt dieser Welt sichtbar bleibt. Filme aus den dreißiger Jahren haben uns dabei sehr stark beeinflusst.

Abgesehen vom optischen Stil der dreißiger Jahre spielten aber auch Dinge hinein, wie der Emanzipationsprozess bei den Frauen.
David Ruehm: Ja, absolut. In meinen Filmen sind die Frauenfiguren immer die stärkeren Charaktere. Die Männer haben entweder Angst oder Phantasien, die nichts mit der Realität zu tun haben. Die Gräfin ist eine sehr starke Person, ihre Stärke macht sie aber auch sehr einsam. Lucy ist am Beginn des Films die gesündeste von allen, sie ist mit sich und ihrem Aussehen zufrieden, endet allerdings am Schluss (dank der Männer) mit einer Macke. Viktor ist in Ansätzen noch ein wenig pubertär und portraitiert seine Freundin nach seinen Vorstellungen, so, wie er sie gerne hätte. Der Graf und Vampir ist ein älterer Herr, der krampfhaft versucht, seine Jugendliebe wiederzubeleben, was natürlich schief geht und ihm am Ende den Verlust seiner Zähne und somit seiner Potenz beschert.

Wenn man einer Person alles verziehen hat, dann ist man mit ihr fertig“, steht als Motto am Eingang des Films. Der Vampir auf der Couch tarnt sich als Genrefilm und erzählt letztlich von der Liebe oder besser gesagt von der Schwierigkeit, zueinander zu finden oder über die Jahre den Zauber zu erhalten.
David Ruehm: Ganz genau. Dieses Zitat, das eingangs am Grabstein steht, ist ein Originalzitat von Sigmund Freud. Es sind sehr viele Dinge im Film sehr versteckt, die bewusst im Hintergrund gehalten sind. Niemand muss Freud oder Lacan gelesen haben, um sich unterhalten zu können. Wenn jemand will, kann er viele Zitate und versteckte Hinweise entdecken. Zum Beispiel, die Schlaftabletten, die Freud nimmt, heißen Träumwohl und sind 1900 abgelaufen. In diesem Jahr hat Freud seine Traumdeutung geschrieben. Mir hat vor allem das Spiel mit den Projektionen Spaß gemacht. Wer sieht wen wie und wie verändert sich jemand, wenn etwas in ihn hineinprojiziert wird? Es gefällt mir, dass die Gräfin ernsthaft glaubt, Lucys Bildnis sei eigentlich ihr Portrait.

Ein zweites Thema ist das Sehen. Was ist sichtbar? Für einen selbst? Für den anderen? Wie wird das Wesen des anderen sichtbar? Die Fähigkeit der Kunst, Dinge sichtbar zu machen, die sich der normalen Wahrnehmung entziehen.
David Ruehm: Was für mich im Vordergrund stand, war die Freude, mit den Figuren zu spielen, sie durcheinander zu mischen und zu schauen, was dabei herauskommt. In all meinen Filmen ist diese Kreisbewegung festzustellen – die Geschichte endet ähnlich wie sie angefangen hat. Die Figuren haben zum Teil etwas dazu gelernt, zum Teil aber auch gar nichts. In DER VAMPIR AUF DER COUCH ist es so, dass am Schluss alle eine Macke haben, aber so weitertun wie bisher.

Der Maler im Film macht Dinge sichtbar, die andere nicht sehen können, er kann Phantasien eine konkrete Gestalt verleihen.
David Ruehm: Es handelt sich aber auch immer um seine Interpretation der Dinge.  Ich mag den Moment sehr gerne, wenn er trotz seiner Begabung unfähig ist, die Gräfin zu malen und stattdessen Lucy malt. Da werden so viele Ebenen sichtbar. Es zeigt, dass er doch für sie Gefühle hat, auch wenn er erneut sein Idealbild von ihr auf die Leinwand bringt. Die Gräfin, die sich nicht erkennen kann, hat etwas Unheimliches. Der Maler lernt auch etwas dazu, in dem Moment, wo sich am Ende die anfänglichen Dialoge zwischen ihm und Lucy umkehren und er Sätze zu ihr sagt, die sie am Anfang zu ihm gesagt hat. Es ist ein Zeichen, dass er sie nun so akzeptieren kann, wie sie ist und erscheinen will.  Aber zu diesem Zeitpunkt hat sie ja leider schon ihre Macke, er ist also etwas spät dran.

Sigmund Freud ist ein „Mythos“, seine Interpretation muss auch dem Blick der der Fachwelt standhalten. Mit Ihrer Figur des Sigmund Freud versuchen Sie Klischeevorstellungen zu brechen und werfen einen sehr ironisierten Blick auf die Eminenz der Psychoanalyse. Wie haben Sie Ihre Figur Sigmund Freud geschaffen?
David Ruehm: Ich habe zu Sigmund Freud sehr viel recherchiert und gelesen und mich auch mit einem Trick gerettet. Von dem Zeitpunkt an, wo er die abgelaufenen Tabletten nimmt und er selber glaubt, dass er nun Visionen hat, hatte ich die Freiheit, mit der Figur zu machen, was ich will. Es hat mir großen Spaß gemacht, dass er von der „nicht ganz ausgereiften Vampirin“ gebissen wird und so zum Schluss teilweise sein Spiegelbild und damit seine Identität verliert, sich als Analytiker sein Spiegelbild nun immer wieder aufs Neue holen muss.

Fürs Casting brauchten sie zwei Paare, die zueinander passen. Wie fanden Sie ihre vier Hauptdarsteller?
David Ruehm: Wir haben sehr lange gecastet. Die einzige, die sofort feststand, war Cornelia Ivancan für die Rolle der Lucy, auch wenn es ihre erste Hauptrolle in einem Spielfilm war. Nicht so leicht war es, die Gräfin zu besetzen. Jeanette Hein war bald meine Favoritin und ich finde, ihr gelingt es wunderbar, die Gefährlichkeit, die Einsamkeit und die Tragik ihrer Figur zu verkörpern. Hinter ihren Blicken tut sich ein ganzes Universum auf.
Wir haben vor Drehbeginn viel geprobt und auch gemeinsam Filme angeschaut. Wir hatten ein Storyboard für jede Einstellung. Unsere „millimetergenaue Arbeit“ wie es Tobias Moretti nannte, hat uns viel Vergnügen bereitet. Er ist mit einem Humor und einer Tragik in der Rolle des Grafen zu sehen, die man an ihm so noch nie auf der Leinwand gesehen hat. Es geht ja auch darum, dass er am Ende total seine Würde verliert. Der Graf mit seiner jahrhundertealten Geschichte ist am Ende nur noch ein armes Würstchen, das sich an diese alte Liebe klammert und schließlich zusammenbricht.

Besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt scheinen auch den Nebenfiguren zu gelten: der Nachbarin, dem Koch, dem Diener.
David Ruehm: Eine Kette ist bekanntlich nur so stark, wie ihr schwächstes Glied. Mir fällt auf, dass Filme oft nur im oberen Bereich stark besetzt sind und dann fällt die Qualität in den kleinen Rollen schnell sehr stark ab und man wird aus der Intensität des Films geworfen. Da wir einen relativ kleinen Cast hatten, wollte ich auch die kleineren Rollen hochkarätig besetzen – mit Lars Rudolph, Erni Mangold...

Die Dreharbeiten sind insofern historisch, als es die letzten waren, die in den Studios am Wiener Rosenhügel stattgefunden haben. Was wurde in den Studios gedreht?
David Ruehm: Traurig, dass es in Wien nun keine Filmstudios mehr gibt. Es hat großen Spaß gemacht, da eine Welt zu kreieren. Wir haben mit sehr viel Akribie das Atelier des Malers sowohl innen als auch von außen aufgebaut. Darüber hinaus drehten wir dort noch die Innenräume bei Freud, den Brunnen, die Innenaufnahmen im Auto und wir machten alle Bluescreen-Shots für die Flugaufnahmen.

Wo wurde das alte Haus gefunden?
David Ruehm: Im Zuge der Vorbereitungen bin ich wohl zum Schlossexperten geworden... Wir haben lange gesucht und schließlich dieses besondere Schloss in Wolfsthal bei Hainburg gefunden. Den Speisesaal haben wir in einen komplett leeren Raum im Schloss hineingebaut. Die aufwändige Vorbereitung hat sich als extrem wichtig erwiesen, weil wir es sonst nicht geschafft hätten, innerhalb von 32 Tagen den gesamten Dreh abzuwickeln. Wir haben dort nur in der Nacht gedreht. Wenn wir nach dem Dreh ins Hotel kamen und die Gäste dort sich zum Frühstück setzten, haben wir unser Drehschluss-Bier getrunken. Im Anschluss haben wir mit einem Tag Pause auf Tag-Dreh gewechselt. In den letzten Drehtagen hatten wir entsprechend Jet-Lag.

Ein wesentliches Element für die Darstellung der dreißiger Jahre ist die Musik. Wie entstand die Musik- und Soundebene des Films?
David Ruehm: Die Musik ist besonders wichtig. Es gibt sehr viel Musik im Film, ohne dass es überladen klingt. Sie begleitet auf eine sehr dezente, manchmal beinahe lakonische Art durch den Film. Dazu gibt es auch Schlager aus den dreißiger Jahren, die inhaltlich zur Geschichte passen, wie bei den Schlusstiteln.

Bei DER VAMPIR AUF DER COUCH war es mit dem Dreh noch lange nicht getan, wie hat sich die Postproduktion gestaltet? Was gab es alles durch computergenerierte Bilder darzustellen?
David Ruehm: Das war in der Tat noch einmal eine sehr intensive Arbeitsphase, weil wir bei den Effekten genauso präzise arbeiten wollten. Da waren nicht nur die Blue Screen-Aufnahmen, wo man Hintergründe im Stil der dreißiger Jahre einfügen musste, sondern viele andere – wie die Augen der Gräfin, die schwarz werden, eine Gelse, die jemanden beißt, Holzpflöcke, die durch Körper getrieben werden, Vampire, die zu Staub zerfallen und so weiter. Teilweise hatten wir auch SFX-Effekte, die on set gedreht wurden, z.B. wenn Blut aus einem herausgerissenen pumpenden Herzen spritzt. Oder für die Blutspritzer auf einen pinkelnden Burschenschafter.  Da hatten wir drei Kostüme, also auch nur drei Gelegenheiten, es in den Kasten zu kriegen. Wenn es bis zum dritten Mal nicht geklappt hätte, wäre es vorbei gewesen. Wenn Lucy mit Viktor auf der Straße geht und plötzlich neben ihm in die Luft aufsteigt – das haben wir mit diffizilen Seilverspannungen am Originalschauplatz im ersten Bezirk gedreht. Es war für mich ein spannender Lernprozess. Mein großer Vorteil war, dass ich viel Erfahrung mit aufwändigen Einstellungen in der Werbung gesammelt habe. Die war eine gute Schule für diesen Film.

Worin liegt für Sie als Filmemacher der Reiz im Schaffen dieser phantastischen Welten?
David Ruehm: Das bin ganz einfach ich. Wenn ich zu schreiben beginne, komme ich automatisch in eine ganz eigene Welt hinein, egal mit welchem Stoff ich mich auseinander setze. Ich bin ein großer Fan von Filmen von Buñuel oder Polanski, die auch in diese Richtung gehen. Wenn ich versuche, einen ernsten Film zu schreiben, kommt beim Schreiben unweigerlich Humor dazu. Das passiert ganz von selber. Das kann ein Vorteil, aber auch ein Nachteil sein, weil es dann eben nicht mehr so einordenbar ist. Ein eigener Stil macht einen angreifbarer.

Interview: Karin Schiefer
September 2014