INTERVIEW

«Er war ein wilder Typ.»

 

 

... einem unheimlich starken Willen, aber er war gefährlich. Dieter Pochlatko über die Dreharbeiten zu JACK und die lange Geschichte, die ihn mit Jack Unterweger verbindet.



JACK ist nicht der erste Film, den die epo-film zum Thema Jack Unterweger produziert hat.

DIETER POCHLATKO: Ich habe 1988 einen Film über Jack Unterweger produziert Fegefeuer oder Die Reise ins Zuchthaus, Regie hat Willi Hengstler geführt. Fegefeuer war ein durchaus erfolgreicher Film, der auch in Deutschland ins Kino kam. Es war eine biografische Arbeit, die sich vor allem mit den Ursachen in Jack Unterwegers Kindheit auseinander gesetzt hat – die Trunksucht des Großvaters, der den Jungen auch schlug, die Mutter, die ihren Sohn den Großeltern überließ, der amerikanische Vater, der sowieso verschwunden war. Jack Unterweger ist 1950 als Besatzungskind geboren. Der Film beruhte auf Unterwegers Roman, der unbestrittene literarische Qualitäten hatte. Der Film war auch ein Beitrag dazu, dass Karl Schreiner, der damalige Direktor der Justizanstalt Stein, gemeinsam mit Justizminister Christian Broda im Jahr darauf die Strafvollzugsmilderung eingebracht hat. Jack Unterweger wurde 1990 freigelassen.


Hat die Unterstützung, die Unterweger vor dieser Entlassung erfuhr, etwas in der österreichischen Strafvollzugsgesetzgebung bewegt?

DIETER POCHLATKO: Absolut. Jack Unterweger galt ja als Vorzeigeprojekt für eine gelungene Resozialisierung. Dennoch hat es diesen Mann, ganz abgesehen von der unaufgeklärten Mordserie, die im Film nur am Rande ins Spiel kommt, wie Elisabeth Scharang es ausgedrückt hat, „zerbröselt“. Das zentrale Thema, das uns in diesem Film beschäftigt, ist, wie gelingt es einem Mann, der mit 24 in Haft kommt und nach 15 Jahren freigelassen wird, in der Freiheit zu bestehen. Es hat nach Fegefeuer noch viele Anläufe zum Thema gegeben. Als Leo Kirch noch mit seiner großen Firma existierte, wollte er mit uns einen Unterweger-Film produzieren. Ich erwog es erst nach seiner Verurteilung wieder, mich mit dem Thema auseinander zu setzen.  Was mich am Fall Unterweger beschäftigt hat, war diese mediale Vorverurteilung. Das hat mich damals schon geschreckt. Ich erinnere mich heute noch, dass es Schlagzeilen gab wie „Morgen wird Unterweger verurteilt“. Das gibt es heute nicht mehr. Da hat sich etwas gebessert. In JACK wird es keine Heroisierung geben. Da muss eine gesellschaftliche Botschaft transportiert werden, die nachdenklich macht, sonst macht der Film keinen Sinn.


Es verbindet Sie ja bereits eine sehr lange Zusammenarbeit mit Elisabeth Scharang. Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit?

DIETER POCHLATKO:  Es ist bereits der dritte Film, den wir gemeinsam machen: Unsere erste Zusammenarbeit war Franz Fuchs, dann folgte Vielleicht in einem anderen Leben. Ich schätze ihre Ernsthaftigkeit sehr, sie arbeitet nicht so an der Oberfläche. Sie benützt andere Menschen nicht, um selber Gewinn daraus zu ziehen, sie vertieft sich und hat eine ganz eigene Herangehensweise an ihre Themen. Und sie ist sehr menschlich. Ihre Arbeitsweise hat etwas vom Qualitätsjournalismus der alten Schule. Sie würde nie eine Vermutung in den Raum werfen, bevor sie etwas nicht überprüft. Das ist eine selten gewordene Eigenschaft. Sie arbeitet extrem genau und ziemlich kompromisslos. Man lässt sich da als Produzent schon auf etwas ein, aber es kommt auch etwas zurück.


Mit Jörg Widmer ist auch ein sehr renommierter Kameramann an Bord?

DIETER POCHLATKO:  Das war ein expliziter Wunsch von Elisabeth. Sie hat sich viele Filme angeschaut und ist dann beim Kameramann von Wim Wenders hängen geblieben. Ursprünglich war der Film auch als Koproduktion geplant und wir brauchten künstlerische Anteile aus Deutschland. Jörg Widmer und Corinna Harfouch für die Rolle der Susanne waren so überzeugend, dass sie auch für die nun letztendlich rein österreichische Version mit dabei blieben. Beides ein Glücksfall. Die Kamera ist erstklassig, sie ist hochkünstlerisch, ohne manieriert zu sein. Corinna Harfouch bringt durch ihr Spiel eine so interessante neue Farbe ein. Zwei der Hauptrollen mussten wir noch in letzter Minute umbesetzen: Ursula Strauss, die die Journalistin hätte spielen sollen, hatte eine Woche vor Drehbeginn einen Unfall. Birgit Minichmayr ist sehr professionell binnen weniger Tage eingesprungen. Man muss sich ja vor Augenhalten, dass es da wochenlang Vorläufe für Kostüme, Maske und szenische Proben gibt. Sie hat an einem Abend das Drehbuch gelesen und zugesagt. Dann ist Peter Kern schwer erkrankt, für ihn ist Paulus Manker eingesprungen. Auch er ist ein Glücksfall, denn er ist als Psychiater und Gerichtsgutachter der Antagonist, der sich gegen die Freilassung ausspricht. Ein sehr bewegter Drehstart alles in allem.


Wann wurde klar, dass JACK nicht als Koproduktion realisiert werden kann?

DIETER POCHLATKO: Erst vor zwei Monaten. Das war schlimm, denn ich musste um Mittelaufstockung ansuchen und alle Förderinstitutionen abklappern. In dieser Situation waren sowohl der Cast als auch das Drehbuch in seiner Endfassung sehr überzeugend. Die Phase vor Drehstart war alles in allem eine harte Nervenprobe. Aber es kommt bei jenen Filmen, wo es am Beginn so sperrig läuft, oft ein besonders gutes Resultat heraus.


Sie erwähnten, dass Kostüm und Maske diesmal eine sehr aufwändige Vorbereitung verlangten?

DIETER POCHLATKO: Ja, da waren die Vorarbeiten extrem aufwändig, weil Johannes Krisch auch den jungen Jack Unterweger spielt, d.h. das deckt eine Zeitspanne von fünfzehn Jahren. Es gibt insgesamt drei Zeitfenster: den jungen Jack Mitte zwanzig, dann den ca. 30-Jährigen, der in Haft ist und dann, wenn er frei kommt. Da ist er knapp vierzig. Dafür ließen wir deutsche Experten kommen, da es da ganz eigene Methoden gibt. Für die Kostüme haben wir sehr exakt recherchiert und aufgrund von Fotos die Kostüme nachgefertigt.


In der Produktion unterstützt Sie nun Ihr Sohn.

DIETER POCHLATKO: Ja, mein Sohn Jakob hat Jus studiert, in Medienrecht seine Abschlussarbeit geschrieben und ist bei uns eingestiegen. Er kümmert sich sehr viel um Stoffsuche. Man würde es ja nicht glauben, aber wir bekommen fast täglich einen Vorschlag auf den Schreibtisch. Da sind von hundert keine zehn Projekte dabei, die interessant sind. Und wir bereiten geraden einen Film über Bud Spencer vor, für den er als Junior Producer fungiert. Das wird ein sehr junger Indie-Film, da passt er gut dazu. Ich bin sehr froh, dass die Firma als Familienunternehmen weitergeführt werden kann. Ich hatte 2007 einen Kapitalpartner gesucht, der aber nach guter Zusammenarbeit sämtliche Beteiligungen abgegeben hat. Das hätte das Ende der epo-film bedeutet. Damals sagte mein Sohn – Machen wir weiter und ich habe mit 68 noch einmal sehr viel Geld aufgenommen und die Anteile, die bei der Leykam Medien AG lagen, zurückerworben. Heute bin ich sehr froh darüber. Wir sind sehr aktiv, wir sind gerade in der Fertigstellung von Superwelt, wir haben dieses Jahr fürs Kino auch noch Unter Blinden von Eva Spreizhofer gemacht und jetzt noch JACK, und darüber hinaus auch einiges fürs Fernsehen. Nächstes Jahr  wird es wohl ruhiger werden.


Nochmals zurück zu Jack Unterweger, den Sie persönlich kannten. Wann ergab sich dazu die Gelegenheit?

DIETER POCHLATKO:  Er hat mich bald nach seiner Freilassung kontaktiert und gemeint, der Film von Willi Hengstler sei viel zu brav gewesen und schlug vor „Jetzt machen wir etwas“. Er wollte mit „seinem Jack“ einen Film übers Rotlicht-Milieu drehen, hatte schon in Linz recherchiert und versicherte mir, dass ihm in diesem Milieu alle Türen offen standen. Ich habe ihn dann mal in seiner Wiener Wohnung besucht, wo sehr arge Aktbilder hingen – sie waren weder ästhetisch noch pornografisch, ich kann es nicht erklären, irgendwie abstoßend. Damals dachte ich mir zum ersten Mal – „der ist arg“. Und er war eiskalt. Wir waren damals in engem Kontakt, er hat auch meinen Bruder in L.A. besucht, als er für einen Darsteller recherchierte. Als er dann vor seiner Verhaftung geflüchtet ist, war ich gerade im Ausland. Meine Frau, die mit unseren noch kleinen Kindern allein zu Hause war, ist zur ihrer Mutter, weil sie überzeugt war, dass er sich bei uns verstecken würde. Unglaublich, wenn ich da zurückdenke. Wir waren wirklich nahe daran, gemeinsam einen Film zu drehen. Es gab ein Drehbuch, Briefwechsel, wir haben zu einer Projektentwicklung beim Filminstitut eingereicht. Das war schon sehr konkret. Ich bin aber schon vor seiner Verhaftung aus dem Projekt ausgestiegen. Mir war es irgendwann nicht mehr geheuer. Mit jemandem einen Film zu machen, setzt ein sehr hohes Vertrauen voraus und das habe ich nicht gehabt. Das sage ich ganz offen.


Nun ist er doch wieder in ihre Sphäre getreten.

DIETER POCHLATKO: Der Mann verfolgt mich (lacht). Gerald Szyszkowitz hat vor vielen Jahren  im ORF das aktuelle Fernsehspiel erfunden, ein Format über 45 Minuten, für das man einen Monat vor Drehbeginn das Thema bekommen hat, damit es aktuell ist. Eine sehr gute Idee. Als die Verhaftung von Jack Unterweger das Thema war, habe ich mit Houchang Allahyari produziert, es wurde unter dem Titel Der Tag, an dem sie Jack Unterweger fingen 1992 ausgestrahlt. Dieser Mann lässt mich wirklich nicht los. Ich habe ihn auch dreimal im Gefängnis in Stein besucht. Er war ein wilder Typ. Ein Mann mit einem unheimlich starken Willen, aber er war gefährlich. Das weiß ich. Ich weiß aber nicht, ob er der Täter in den Mordfällen war, die man ihm zur Last legte. Das kann man nicht wissen. Mit der heutigen Kriminaltechnologie könnte man es feststellen. Elisabeth Scharang spricht in ihrem Film auch an, wie damals ermittelt wurde. Das wirkt heute schon altmodisch, es ist zwanzig Jahre her. Die DNA-Analyse kam gerade auf. Die DNA-Probe, die im Prozess verwendet wurde, war nicht seriös, das weiß man inzwischen. Den wollte man loswerden und diesen Fall greift keiner mehr an.  Ich hatte auch noch lange mit der Rechtsanwältin Astrid Wagner Kontakt. Sie hatte als Konzipientin den Rechtsanwalt vertreten und hat sich sofort in Unterweger verliebt. Wie alle. Sie hat sich sogar eine Wohnung mit dem Fenster zum Untersuchungsgefängnis genommen. Sie schrieb Bücher zu seiner Verteidigung und hat sich auch an mich gewendet, weil sie ein Drehbuch schreiben wollte. Sie war mir auch ein wenig unheimlich und ich traute mich nicht, ein Projekt weiter mit ihr zu verfolgen. In diesem Umfeld waren sehr merkwürdige Menschen. Irgendwie war alles ein bisschen verhext. Ich bin kein abergläubischer Mensch, auch wenn ich an mehr glaube als das, was wir wissen. Aber da sind wir jetzt bei einem anderen Thema.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2014