INTERVIEW

«Rock’n’Roll hat für mich etwas mit einer Haltung zum Leben zu tun»

Nach Nacktschnecken und Contact High arbeiteten Michael Ostrowski und Michael Glawogger am Drehbuch des letzten Teils ihrer Trilogie zu Sex, Drugs and Rock'n'Roll. Ende August bis Anfang Oktober gingen die Dreharbeiten von Hotel Rock'n' Roll unter der Regie von Michael Ostrowski über die Bühne. Ein Gespräch mit Michael Ostrowski über den Spirit Glawo, den Charme alter Hotelfilme und das Restrisiko des Rock'n'Roll.

 
 
 
Erinnern Sie sich noch an den ersten Drehtag von Hotel Rock’n’ Roll. Was war das für ein Gefühl, die Startklappe zu geben für einen Film, den sie gemeinsam mit Michael Glawogger geschrieben, dessen Regie er hätte führen sollen. Wie sehr war er in diesen Drehwochen Ihr Begleiter?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Diese Regie ist mir zugeflogen. Michael Glawogger und ich haben gemeinsam am Drehbuch geschrieben und als er für Untitled aufbrach, lag es an mir, für die nächste Fassung zu sorgen. Bis zu unserem letzten Mail haben wir uns über das Drehbuch ausgetauscht, es begleitete ihn die ganze Reise mit.  Als er dann nicht mehr zurück kam, war es zunächst nicht klar, wie es weitergehen würde. Dass es an mir liegen würde, den Film zu realisieren, war mir innerlich gleich bewusst.  Ich habe dann viele Gespräche mit unseren Freunden und filmischen Wegbegleitern von Nacktschnecken, Contact High und auch anderen Projekten außerhalb der Trilogie gesprochen – Georg Friedrich, Detlev Buck, Pia Hierzegger, Sven Regener ... , über die Schauspieler hinaus auch mit allen anderen Departments, die schon bei den ersten beiden Filmen dabei waren – , alle waren überzeugt, dass der Film gemacht werden musste. Ich hab auch mögliche Regisseure gefragt und es kam praktisch unisono – mit und ohne Bedenkzeit – die Rückmeldung, dass ich es machen sollte. Das war für mich ein großer und wichtiger Vertrauensvorschuss. Ich habe nie beabsichtigt, in Glawos Fußstapfen zu treten. Ganz naiv gesagt – wir haben einen so unterschiedlichen Werdegang und man kann nicht die Sache eines anderen umsetzen. Diesen Druck habe ich mir nie gemacht. Ich wusste, ich konnte es auf meine Weise machen. Mein Glück war, dass ich in Form von Werbungs-Regie in den letzten zwei Jahren sehr viel geübt hatte und auch, dass ich bei der Arbeit mit Leuten wie Andreas Prochaska, Wolfgang Murnberger oder auch Michael Glawogger, vor allem wenn ich am Drehbuch mitgeschrieben hatte, sehr stark in die Regiearbeit integriert wurde und daher sehr viel mitlernen konnte.
 
 
Gab es dennoch einen Spirit des Michael Glawogger, der Sie begleitet hat?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Absolut. Sein „spirit“ war es, was uns alle (ganz unesoterisch gedacht) beseelt hat – seine Haltung zum Humor, zum Leben, zum Film. Ich denke, das hat uns alle verbunden, angefangen vom Kameramann Wolfgang Thaler bis zu Helmut Köpping, der Ko-Regie führte.  Wir wussten, was wir wollten, was uns gefiel. Das ist mit Sicherheit von Michael durchdrungen, weil er auch die Menschen um sich geschart hat. Ich habe sehr davon profitiert, so viele Jahre mit so guten Leuten zusammenzuarbeiten. Es gab von Beginn an ein Wir-Gefühl, es war etwas Besonderes und ich war auch immer dankbar dafür, dass es realisiert werden konnte und dass alle mitgezogen haben.
 
 
In Ihrem Nachruf auf Michael Glawogger schreiben Sie: Wir wollten die österreichische Komödie weiterentwickeln, eine neue Dialog- und Bildsprache finden. Wie beschreiben Sie den Humor, der sie beide verbunden hat, worin sollte die österreichische Komödie eine neue Facette bekommen?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Humor zu beschreiben ist schwierig. Ich begann mit dem Schreiben eines Drehbuchs, weil ich nichts gefunden hatte, was meinem Empfinden nach authentisch und lustig war, was der Sprache entsprach, wie meine Freunde reden. Ich sah viel Künstliches, das auf den deutschen Markt geschielt hat und ich hasste die Fernsehsprache. Ich fand, dass man sich in einer Komödie auch einmal mehr trauen müsste, in eine andere Richtung zu gehen. Auf dieser Ebene haben wir beide uns gut verstanden. Uns beiden war das Dokumentarische nicht fremd. Unsere Arbeit im Theater im Bahnhof war irgendwie überhöht und gleichzeitig sehr nahe an den Leuten. Ich glaube, das gefiel Michael einfach gut, als ich damals für Nacktschnecken zum ersten Mal ein Drehbuch geschrieben habe. Eine Mischung zu finden aus „larger than life“ und dennoch authentisch zu sein, das hat uns so verbunden. Humor ist etwas Unaussprechliches. Wir haben einfach über dieselben Dinge gelacht. Beim Schreiben hab ich Dialoge geschrieben und er hat sie wieder rausgeschmissen und umgekehrt. Wir haben uns immer wieder zu einem gemeinsamen Punkt hingekämpft – sehr respektvoll, ohne überhöflich zu sein.
 
 
Ist der Humor, wie er in dieser Trilogie praktiziert wird, vor allem eine Flucht vor und Befreiung von einem fortschreitenden Reglementierungkorsett?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Ganz gewiss. Das hat viel mit Michael zu tun, aber auch mit mir. Er war ein paar Jahre älter und hat vieles noch anders erlebt. Vom Grundgefühl haben wir beide einen starken Willen, einer zunehmenden Normierung eine Anarchie und vielleicht auch mal einen Wahnsinn entgegenzuhalten.
 
 
 
Eines von Michael Glawoggers Vermächtnissen ist ein Buch namens 69 Hotelzimmer mit Geschichten von und in Hotelzimmern. Ein Hotel steht im Mittelpunkt von Hotel Rock’n’Roll
Inwiefern war das Hotel für Sie beide ein erzählerisch so stark aufgeladener Raum?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Nach Contact High sagte ich, dass ich gerne einen Hotelfilm machen würde. Michael sagte sofort zu. Eine Idee kommt ja nicht aus dem Nichts. Wir hatten uns immer wieder über Orte unterhalten und den Wunsch, uns auf einen Ort zu konzentrieren. Besonders nach Contact High, wo wir durch die Reise nach Polen sehr viel unterwegs waren. Die Konzentration auf einen Ort war das eine, die Liebe zum Hotel das andere. Michael ist in seinem Leben ja ständig gereist, ich nicht in diesem Ausmaß, aber doch auch und vor allem war ich als Schauspieler auch sehr viel in Hotels. Darüberhinaus gefielen uns die alten Hotel-Filme, seien es nun Filme mit Hans Moser oder Peter Alexander, aber auch Filme mit Louis de Funès oder Jerry Lewis. Diese Tradition hat uns interessiert.
 
 
Wo ließ sich ein geeignetes altes Haus finden?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Genau genommen war es kein ehemaliges Hotel, sondern eine alte Villa, in der zwei Schwestern lebten. Wir hatten einen Aufruf in der Kleinen Zeitung gemacht, dass wir nach einem geeigneten Drehort suchten. Dieses Haus war ein Geschenk. Was wir dort über zwei Monate aufgeführt haben, ist schon eher unerhört. Obwohl wir der Meinung sind, dass wir die Räume verschönert haben. Die Damen sehen das nicht unbedingt so, aber sie waren großartig. Ohne sie hätten wir’s nicht geschafft. Es ist unheimlich schwierig, ein gutes Motiv zu finden.
 
 
Wieviel Ernst und wieviel Spaß herrscht auf Ihrem Set, wenn Sie eine Komödie verfilmen?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Ich hoffe, es ist eine gute Mischung aus beidem. Ernst und lustig ist in keiner Hinsicht ein Widerspruch. Es ist sogar notwendig. Es gibt wahrscheinlich ein Bild, dass man bei der Arbeit ernst sein muss und nur im Spiel lustig sein darf. Das stimmt ja nicht. Man kann in der Arbeit lustig sein und im Spiel ernst. Man kann eine ganz klare Regieanweisung geben und im nächsten Moment einen Schmäh machen. Alles ist erlaubt.
 
 
Welche Rolle übernimmt Helmut Köpping in der Ko-Regie?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Es war ein großes Geschenk, dass Helmut dabei ist. Es fällt mir nicht schwer, Regie zu führen und selber auch zu spielen. Dennoch war es mir ein Blick von außen wichtig, wenn ich spielte. Helmut hat das gut gemacht und in einer kleineren Rolle auch mitgespielt. Ich war schon so lange mit diesem Projekt beschäftigt, wenn man an die erste Drehbuchfassung zurückdenkt und wusste sehr genau, was ich wollte. Und genau in so einer Situation ist es wichtig, dass jemand einen Blick von außen einbringt. Ich schätze es sehr, im Team oder zu zweit zu arbeiten. Beim Schreiben wie beim Drehen. Ich gebe auch den Schauspielern und allen, die mitarbeiten, die Freiheit, etwas einzubringen. Für mich steckt darin das Geheimnis, allen das Gefühl der Freiheit und des Vertrauens zu vermitteln. Das bringt vierzig mal mehr Ideen als die eigenen.
 
 
Was bringt die Bühnenerfahrung der Improvisation für das Filmset?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Ich denke, keine Angst vor dem Unbekannten zu haben. Das sieht man auch bei Schauspielern wie Georg Friedrich. Er ist ein Beispiel dafür, dass man mit ihm nie weiß, was in einer Szene passieren wird und wenn man das schätzt, dann braucht man gar nicht sehr ausführlich mit ihm zu reden. Man gibt ihm ein paar Ansagen und es passieren Dinge, die man nie im Leben erwartet hätte. Das ist einfach eine Freude.
 
 
Mit Sportautos, die im  Wasser landen, standen Sie auch produktionstechnisch vor einigen Aufgaben, die es im budgetären Rahmen zu bewältigen galt.
 
MICHAEL OSTROWSKI:   Der Film war in der Tat ganz schön aufwändig, obwohl wir uns auf einen Spielort reduziert hatten: Autofahrten, Autos, die in einem See landen, SFX, da war einiges. Unser Stunt-Koordinator Joe, der wirklich im Dauereinsatz und bei 14° stundenlang im Wasser war, um das hinzukriegen, sagte nach dem Dreh „20% Arbeit, 80% Spaß“. Er wollte das einfach machen. So etwas ist durch nichts zu überbieten. Wenn da jemand dasitzt und  sagt: „Zu teuer. Geht nicht“, hätten wir den Film nie machen können. Hier war jemand, der mit vollem Einsatz bemüht war, etwas zu realisieren, was im selber taugt. Natürlich hätte es die Produktion vorgezogen, dass wir gewisse Stunts streichen. Ich hätte es auch verstanden, weil es in der Tat riskant war. Aber es bringt etwas, dass wir es gemacht haben. Helmut Köpping hat einmal gesagt: „Das ist das Restrisiko des Rock’n’Roll“.
 
 
Was transportiert heute im 21. Jh. das Wort Rock’n’Roll?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Ich glaube zu einem gewissen Teil eine Nostalgie, jedoch eine Nostalgie, die nicht nach hinten gewandt ist. So wie Romane aus dem 19. Jh. immer noch gute Romane sind, ist Rock’n’Roll aus den fünfziger, sechziger, siebziger Jahren immer noch gut. Es ist Kunst. Ich höre immer noch gerne Beatles oder Stones, ohne dass das jetzt retrohaft ist. Viel wichtiger aber als der Nostalgieaspekt ist mir Rock’n’Roll als Haltung zum Leben, und zwar in einem Sinne, wenn Robert Pfaller sagt: „Verschwende dich selbst.“ Sei nicht zu kopflastig, schau nicht immer nur, dass alles funktioniert. Erlaube auch das Wilde, Durchgedrehte, Narrische. Wenn das aus unserem Leben weg ist, dann wird es wirklich bitter. Ich glaube, dass es Rock’n’Roll dringend braucht, um auch ein Gefühl der Freiheit und Offenheit zu haben und man nicht nur einkaufen geht.
 
 
Wie ist der Rock’n’Roll als Musik im Film präsent?
 
MICHAEL OSTROWSKI: Es gibt drei Ebenen von Musik. Es gibt eine Band, die keinen Schlagzeuger hat. Der kommt dann in der Figur des Georg Friedrich, der als Gärtner im Hotel anheuert. Wir hatten eine Nummer (und das seit vier Jahren), das wir in den verschiedensten Versionen spielen. Das ist ein wenig angelehnt – ich wage da jetzt einen sehr kühnen Vergleich – es gibt einen Film von Jean-Luc Godard aus dem Jahr 1968, Sympathy for the Devil, wo die Stones diese eine Nummer aufnehmen und man sie immer wieder im Studio sieht. Es wäre eine unheimliche Hybris, wenn wir uns damit vergleichen, aber auf uns umgelegt  –  wir haben uns auch für eine Nummer entschieden, die wir in den verschiedensten Stilen spielen.
Auf einer zweiten Ebene treten reale Musiker, die live Musik im Film spielen, wie z.B. The Base, eine Grazer Band, die ich kenne, seit ich 19 bin und die lange mit Glawo verbunden war. Wir lassen Musiker mitspielen und als Musiker auftreten – ein bisschen in der alten Hotelfilm-Tradition, aber halt auf neu. Wir haben z.B. Sven Regener, der Trompete spielt, Lukas König von dem Duo König Leopold, der unter Wasser Schlagzeug spielt.
Und schließlich gibt es den Score, in den wir Nummern eingebaut haben von Iggy Pop bis Element of Crime. Alle Musiker waren sich darin einig, das Rock’n’Roll nicht nur Rock ist, dass man von HipHop bis Reggae alles einbringen kann, wenn der Spirit stimmt. Wir haben einfach die Dinge eingebracht, die uns taugen. Einen Teil davon haben Glawo und ich noch gemeinsam ausgewählt. Wir hatten immer schon Musik so gerne gehabt, dass ein immenser Fundus an Freunden, Musikern, Nummern da war.


Interview: Karin Schiefer
Oktober 2015