INTERVIEW

«Die Figur von Gonzalo, das Dorf, die Entvölkerung, die Landschaft...

«...  –  all das zusammen stellt etwas Universelles dar.» Günter Schwaiger hat einen kastilischen Bauern über vier Jahreszeiten hinweg durch die Unwägbarkeiten eines harten Berufes begleitet und viel über den Zustand der Welt abgeleitet. Günter Schwaiger hat in Seit die Welt Welt ist einen kastilischen Bauern über vier Jahreszeiten hinweg begleitet und vieles über den Zustand der Welt abgeleitet.

 
 
 
SEIT DIE WELT WELT IST spannt inhaltlich einen Bogen zu einem Ihrer ersten Filme Der Mord von Santa Cruz. Reicht Ihre Begegnung mit Gonzalo in die Zeit der Arbeit an diesem Film zurück?
 
GÜNTER SCHWAIGER: Mit Seit die Welt Welt ist schließt sich ein Kreis. Mein erster Dokumentarfilm, Der Mord von Santa Cruz, ist bei der Exhumierung eines Massengrabes entstanden. Die Begegnung mit Gonzalo war etwas Besonderes. Er ist ein Bauer aus der Gegend, der mithalf, die Körper der unter Franco Ermordeten zu bergen. Seine Art, die Klarheit seiner Sprache, seine offene Weltsicht, sein tiefer, ehrlicher Stolz der Kastilier – all das hat mich gleich beeindruckt. Es war eine Begegnung, die mich nicht mehr losgelassen hat. Gonzalo, der damals Teil des Films war, hat mich in seine Familie eingeführt und es ist eine Freundschaft entstanden, die bis heute anhält. Vor einigen Jahren trug ich mich mit dem Gedanken, einen Film über Spanien in der Krise zu machen, ohne dabei einen gängigen urbanen Zugang zu wählen. Ich wollte einen anderen Blick finden und ich hatte auch schon lange die Idee mit mir herumgetragen, etwas über Gonzalo zu machen. Der Zufall wollte es, dass uns Gonzalo zu einer Schweineschlachtung – einem Ritual in seinem Dorf – einlud. Ich hatte das noch nie zuvor erlebt und nahm spontan die Kamera mit. Diese Schlachtung ist ein wichtiges Ritual und uralter Brauch in den kastilischen Dörfern im Winter, wo Freunde zusammentreffen –  ein Schwein wird ausgesucht, geschlachtet, gemeinsam verarbeitet, gegessen. Es ist etwas Natürliches, sehr Inniges und Familiäres. Die Stimmung dieses Moments war ganz besonders. Ich schlug Gonzalo vor: „Können wir nicht einen Film über dich und deine Familie, über das Dorf und die Situation in Spanien machen?“ Er war von der Idee von vornherein begeistert. Wir haben in der Folge recherchiert, ein Drehbuch entworfen und es begannen sehr intensive, mehr als achtzig Drehtage.
 
 
Sie werfen einen Blick auf einen Mikrokosmos, der sich wie eine russische Puppe von innen nach außen zusammengestellt, auf immer größere Dimensionen erweitern lässt:  Gonzalo –das Ehepaar – die Familie – die Landwirtschaft – das Dorf. Es fügen sich viele Elemente zusammen, die ein Abbild eines weiten Teils der aktuellen spanischen Gesellschaft sein könnten und letztlich auch zu grundsätzlichen Fragen der Existenz führt. Hat sich dieser Prozess im Laufe des Drehs immer deutlicher abgezeichnet?
 
GÜNTER SCHWAIGER: Es war in der Tat eine Reise von innen nach außen. Ich hatte natürlich die Absicht, mehr als nur das Familienleben zu zeigen. Struktur und konkreter Inhalt haben sich dann im Laufe der Arbeit ergeben. Je näher man einer Figur kommt und Tiefe zulässt, desto mehr erweitert sich der Horizont. Je tiefer man in den Mikrokosmos dringt,  desto größer wird der Makrokosmos. Die Figur von Gonzalo, die familiäre Beziehung, das Dorf, die Entvölkerung, die Landschaft – all das zusammen stellt etwas Universelles dar. Je länger wir dort arbeiteten, umso klarer wurde mir, dass dieses Dorf für so vieles symptomatisch ist, was nicht nur in Kastilien, sondern in der ganzen Welt passiert. Gonzalo spricht sehr viel aus, was für die aktuelle Situation gültig ist. So wie er die spanische Krise erlebt, auf sie reagiert, so wie er mit Traditionen und mit der Zukunft seiner Familie in einem aussterbenden Dorf umgeht, das ist für viele, nicht nur westliche Gesellschaften symptomatisch. Dieser Mikrokosmos hat mit ganz wenigen Elementen eine unheimlich starke Aussagekraft und wenn man diese nutzt, eine sehr große Breitenwirkung.
 
 
Ein Element, auf das man im Film in vielerlei Hinsicht im Film stößt ist Ressource. Ob das nun Grund und Boden, engagierte und durchdachte Arbeit, ausgebildete Jugend ist. Was führt Ihrer Meinung nach dazu, dass so viel an Ressource ungenutzt verpufft?
 
GÜNTER SCHWAIGER: Es ist ein gutes Beispiel, wie mit Möglichkeiten, die wir haben, umgegangen wird. Das Interesse der großen Korporationen in der Ernährungsindustrie besteht auf keinen Fall darin, dass das Land bebaut wird und die Landbevölkerung von ihrer eigenen Nahrungsproduktion leben kann. Die Landbevölkerung wird verdrängt, um industrielle Produktion voranzutreiben. Damit die jungen Leute in den Dörfern dort weiterhin leben und eine Zukunftsperspektive haben, müsste der Reichtum verteilt werden. Daher ist die Ressourcenverteilung nicht im Interesse der wirtschaftlich Mächtigen, denn das würde bedeuten, dass sich die Profite auf mehr Menschen verteilen. Da geht es um vieles mehr als Ernährung. Ich zeige den Film gerade bei den Hofer Filmtagen. Dieser Region geht es ähnlich. Auch hier findet eine Entvölkerung statt. Es gibt immer weniger unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten für junge Leute, die in die Städte gehen. Am Land überlebt der, der sich dem Diktat der Nahrungsmittelkonzerne anpasst. Da geht es um Profit und nicht um Kultur. Das Land bebauen und am Land leben geht aber auf einen Begriff namens Agrikultur zurück. Es geht nicht nur um anbauen und ernten, sondern auch darum, die Kultur zu pflegen, die Geschichte, die Existenz des Menschen einzubeziehen. Es ist auch eine Antwort auf eine hochindustrialisierte und übertechnologisierte Gesellschaft, die sich nicht mehr am Menschen interessiert. Das ist nichts Neues. Interessant ist, dass es sich daran nichts ändert trotz romantisierender Idealvorstellungen der großen Städte. Aggressive Veränderungsprozesse am Land bedeuten Vernichtung des Landes. Ich meine damit die Betreibung von Landwirtschaft im traditionellen Sinne. Da rede ich nicht davon, dass es Menschen gibt, die sich ein altes Haus kaufen und ein bisschen Öko-Bauer spielen.
 
 
Indem der Film seinen Fokus auf ein Individuum richtet, kehrt er sehr deutlich hervor, wie wenig die Anstrengung eines Individuums im größeren System erreichen kann.
 
GÜNTER SCHWAIGER: Das Individuum kommt in diesem Prozess unter die Mühle, da es sich am wenigsten wehren kann. Man kann diese Dinge nur dann spüren, wenn man die Menschen genauer beobachtet und nicht nur auf Strukturen, Zahlen und Statistiken schaut. Gonzalo und seine Familie, das sind Leute, die am Land leben und bleiben möchten, die sich sehr wohl bewusst sind, dass sie mit der Zeit gehen müssen. Sie halten an bestimmten Traditionen fest und lassen andere hinter sich – negative Traditionen wie das Patriarchat – oder treten gegen bestimmte Missstände ein. Das linke Bewusstsein von Gonzalo ist mit Gegenwart und Zukunft verbunden und trotzdem wird es extrem schwierig sein, für die Zukunft eine Existenzgrundlage zu schaffen. Das kleine Beispiel hilft da, im Großen zu verstehen. Seit die Welt Welt ist hat sehr viel Anklang in Südamerika gefunden. In weniger entwickelten Ländern ist diese Problematik seit langem bekannt, für sie war es sehr interessant, zu entdecken, dass im reichen Europa die Problematik keine andere ist.   
 
 
Betrachten Sie dieses Porträt von Gonzalo und Familie als das Bild einer Überlebensstrategie oder, will man es hart formulieren, als das eines Auslaufmodells?
 
GÜNTER SCHWAIGER: Es ist ein Kampf gegen das Verschwinden. Ein Teil meiner Motivation, Filme zu machen, ist meine Überzeugung, dass nichts unabwendbar ist. Wenn es ein Bewusstsein gibt, gibt es auch einen Weg aus einer Situation. Ob er dann umsetzbar ist, hängt von vielen Faktoren ab. An erster Stelle aber müssen Bewusstsein, Beobachtung, Mitteilung stehen. Gonzalo ist sich über seine Situation und über die düstere Zukunft seiner Familie im Klaren. Daher war er auch bereit, diesen Film mitzutragen. Vielleicht gibt es einen Weg, diese Dörfer vor dem Absterben zu bewahren und in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Erhaltung des „Landes“ zu schaffen. Das Land kann uns sehr viel mitteilen. Der Dialog darf jedoch nicht nur von den Metropolen ausgehen, sondern es braucht auch die Stimme des Landes und da denke ich nicht an einen romantisierenden Dialog. Auch wenn das jetzt sehr philosophisch-esoterisch  klingt, es geht darum, der Erde zuzuhören. Vieles, was in der Krise schief gegangen ist, ist darauf zurückzuführen, dass man viele Signale nicht mehr erkennt. Daher ist es wichtig, auf Menschen wie Gonzalo zu hören. Wenn dieser Niedergang einer Lebensart vollendet ist, dann ist etwas Essentielles für immer verloren. Vielleicht ist jetzt noch Gelegenheit, die Bremse zu ziehen. 
 
 
 
Der Film beginnt und endet mit einem knisternden Feuer, beginnt mit der Schlachtung und Verwertung eines Schweines. Die Landwirtschaft, wie sie betrieben wird, hat etwas Archaisches. Sie haben auch schon einen Film über das  Ritual des Stierkampfes gemacht. Finden Sie in diesem Land, dieser Gesellschaft, die Sie nun schon so lange beobachten, einen besonderer Boden der Archaik, der Sie immer wieder fasziniert und zum Gegenstand Ihres filmischen Forschens wird?
 
GÜNTER SCHWAIGER: Da ist eine Faszination, die ich gewiss in mir trage. Die kastilische Hochebene ist ein Land, das sich im Laufe der Jahrhunderte nicht verändert hat. Nicht so wie Österreich, wo die menschliche Spur extrem präsent ist, weil es dichter besiedelt ist. Dieses große, weite Land hat etwas Archetypisches und gibt mir die Möglichkeit, aus der Gegenwart direkt hinein in die Wurzeln zu blicken. Das interessiert mich, weil mich die Kultur im weitesten Sinne interessiert. Als verschiedene Oberflächen eines Lebenswürfels, der unendlich viele Seiten hat und doch im selben Spiel seine Verwendung findet. Der unaufhörliche Blick zurück an den Ursprung und gleichzeitig die Vereinfachung, die das Archaische an sich hat, geben uns die Möglichkeit, einen kristalleneren Blick auf uns zu werfen. Gleichzeitig gibt es mir die Möglichkeit, meine eigene Identität besser zu erkennen. Spanien als Teil der mediterranen, und daher auch als Ursprung der europäischen Kultur, bietet da eine interessante Betrachtungsfläche, besonders für mich, der ich einen Blick von außen darauf werfe.
 
 
Arena, Ihr Film über den Stierkampf, erzählt auch etwas von einer Rolle/Karriere und damit auch von einem Männerbild, das im Schwinden begriffen ist.  Männlichkeit und die Auseinandersetzung damit ist ein wiederkehrendes Thema in Ihrer Arbeit. Ein älterer Mann erzählt in Seit die Welt Welt ist, dass die Männer früher nichts gearbeitet haben und alles von den Frauen getragen wurde. Vertritt Gonzalo ein verändertes Männer-Bild? Hat er für Sie etwas Neues in diese Thematik eingebracht?
 
GÜNTER SCHWAIGER: Auf jeden Fall. Es interessiert mich als Mann sehr, mich mit der Rolle der Männer im Laufe der Geschichte auseinanderzusetzen, nicht zuletzt deshalb, weil viele Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft bei den Männern und ihrer Dominanz bzw. ihrer Angst vor dem Verlust dieser Dominanz liegen. Das Interessante bei Gonzalo ist, dass dieser kastilische Bauer, bei dem jedes Klischee greifen könnte, dieses absolut in Frage stellt. Die Beziehung, die er zu seiner Frau Rosa und seinen Kindern hat, zeigt, dass es möglich ist, erdverbunden und mit den Traditionen verwurzelt zu sein und man dennoch breit sein kann, Dinge über Bord zu werfen., wie beispielsweise die Rolle des kastilischen Macho. Rosa und er arbeiten viel gemeinsam und er betont am Beginn des Films, dass Rosas Einkommen als Krankenschwester das Gros des Familieneinkommens abdeckt. Er hatte kein Problem, das vor der Kamera auszusprechen. Das ist ein Tabubruch. Das hat auch bei den Screenings in Spanien, gerade in seinem eigenen Umfeld etwas ausgelöst. Gonzalo zeigt, man kann als Mann auch zugeben, Schwächen zu haben, als Kastilier in der Küche mithelfen und einen offenen Horizont haben. Es braucht kein Doktorat, um zu begreifen, dass man gewisse Rollenbilder überwinden muss. Das ist das Interessante an der Figur,  mit ihr zu zeigen, dass es Wege gibt, Rollenbilder zu verändern, sich als Mann zu modernisieren. Man kann Mann bleiben, ohne ein Patriarch zu sein. Das geht auch am Land und auch bei einem Bauern und man kann dabei gewinnen. Er erzählt auch von seiner religiösen Erziehung, unter der er sehr gelitten hat. Das sind Wunden, die er ausspricht, Kleinigkeiten, die ihn definieren und er führt uns wunderbar vor Augen, dass das Bewusstsein und die Sensibilität für gewisse Dinge der erste Schritt für eine mögliche Veränderung sind.
 
 
Der Film berührt auch die familiäre Ebene und verweist sowohl auf Bruch als auch auf die Verbindung zwischen den Generationen. Darauf,  wie sehr es beides braucht und immer gegeben hat.
 
GÜNTER SCHWAIGER: Es geht in diesem Film um Übertragung von Wissen über die Generationen als einen ganz essentiellen Bestandteil der menschlichen Kultur. Zwischen Vater und Sohn besteht dennoch ein Spannungsverhältnis. Der Vater ist ein offener Mensch und dennoch steckt in ihm die Sorge um die Zukunft und Existenz seines Sohnes. Er vermittelt sein Wissen und gleichzeitig auch Spannung durch seinen Wunsch, dass sein Sohn seine Fehler vermeidet. Dabei begeht er den klassischen Irrtum zu glauben, es besser als der Sohn zu wissen. Der Vater ist sehr tolerant, der Sohn muss dennoch die Grenze ausreizen.  Daher ist er der Punk des Dorfes geworden und macht vieles absichtlich nicht so, wie der Vater es möchte. Die Dialektik zwischen den Generationen ist ein Grundbaustein der menschlichen Entwicklung. An diesen kleinen Beispielen wird es sichtbar. Nur so gibt es ein Vorwärtskommen. Wissen wird weitergegeben und hinterfragt. Vertrauen auf die nächste Generation und Misstrauen gegenüber der älteren ist etwas ganz Natürliches. Das zeigt sich auch in dieser Familie. Die Frage ist, wie in der Synthese aus diesem Spannungsverhältnis die essentiellen Bestandteile erhalten bleiben, damit die nächste Generation wachsen kann. Die natürliche Weisheit, die in so vielen von Gonzalos Sätzen steckt, versuche ich unspektakulär und nicht romantisierend rüber zu bringen. Wenn wir metaphorisch gesprochen immer das Essentielle, das die Erde hervorbringt, erkennen und auf dem neu aufbauen und das Unkraut ausreißen könnten, dann würde einer positiven Entwicklung nichts im Weg stehen. Leider bauen wir viel zu sehr auf dem Unkraut auf. Das ist ein Punkt, der längst bekannt ist, der alle betrifft, aber nie wirklich gelöst wird.
 
 
Sehr beeindruckend sind die Szenen, die zeigen wie Gonzalo mit dem Schicksal und der Exhumierung des Großvaters umgeht, der als Gewerkschaftler unter Franco ermordet und in einem Massengrab verscharrt wurde. Die Szenen der Exhumierung spannen einen Bogen zu Ihrem eingangs erwähnten Film, den Sie vor ca. zehn Jahren gedreht haben. Haben Sie das Gefühl, da hat sich in Spanien etwas weiter entwickelt hat?
 
GÜNTER SCHWEIGER: Als die ersten Exhumierungen von Opfern des Franco-Terrors stattfanden, gab es in Spanien einen Aufschrei von rechts, dass es alte Wunden aufreißen und in den Dörfern Spannungen entstehen werden und daher verhindert werden müssten. Besser vergessen, als zurückzublicken. In der Gegend von Vadocondes haben prozentuell gesehen in den letzten Jahren die meisten Exhumierungen stattgefunden und es erweist sich, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Gerade das Öffnen der Massengräber und das Herausholen der Ermordeten löste einen Befriedungs- , einen Heilungsprozess aus. Selbst zwischen den Familien der Opfer und der Täter entsteht nicht gerade eine Aussöhnung, aber eine Ruhe. Solange diese Gräber, von denen alle wissen, wo sie sind, nicht geöffnet werden, pochen sie und klopfen täglich an die Türen der Opfer wie der Täter. Das würdige Bestatten der Opfer beruhigt und heilt diese Spannung. Das zeigt sich in Gonzalos Familie ebenso wie im Dorf. Unter Zapatero wurde ein Gesetz zur Aufarbeitung der Geschichte verabschiedet, das zumindest einen kleinen Fortschritt bewirkte. Jetzt, wo es nun unter der rechten Regierung gar kein Geld mehr für die Bergung der Opfer gibt, übernehmen die Dorfbewohner, die Familien, die Zivilgesellschaft diese Aufgabe. Es hat der spanischen Gesellschaft sehr gut getan. Traurig, dass die Institutionen diese Notwendigkeit nicht eingestehen wollen. Vor allem die rechten Parteien in Spanien können noch immer nicht offen mit dem Franquismus brechen. Man will immer noch nicht begreifen, dass die starke Spannung, die in Spanien zwischen Rechts und Links besteht, die weit mehr als eine rein politische Spannung ist, weil hier noch sehr viele Ressentiments aus dem Spanischen Bürgerkrieg wirken, nur durch einen gemeinsamen Schritt nach vorne gelöst werden kann, und zwar indem man den Terror der faschistischen Vergangenheit anerkennt, damit bricht und den Angehörigen hilft, die Opfer zu bergen. Im Verhältnis zwischen Institutionen und Opfern hat sich sehr wenig geändert, innerhalb der Gesellschaft dort, wo Gräber gehoben worden sind, schon. Zwischen 2003 und 2005, als wir Der Mord von Santa Cruz drehten, war das noch ein Tabu, heute ist es das nicht mehr. Man kann darüber reden, wie heilsam und notwendig dieser Prozess ist. Die Gesellschaft ist in manchen Dingen weiter als ihre Politiker.
 
 
Wie haben Sie die Dreharbeiten im Jahres- und Arbeitszyklus der Landwirtschaft erlebt. Hat es Ihre Sicht auf manche Dinge geändert?
 
GÜNTER SCHWAIGER: Wenn man mit einem Bauern mitlebt, wird man sehr schnell bescheidener. Man plant die Kartoffelsaat zu filmen, fährt an den Drehort und es regnet drei Tage. Das heißt, man muss etwas anderes tun. Alles wird bestimmt von den Unwägbarkeiten des Wetters und der Natur. Der Bauer muss sich an die Zeit, das Wetter, die Wetterumschwünge anpassen. Nur so kann er als Bauer Erfolg haben. Am Anfang war ich oft verärgert, dass meine Pläne so durchkreuzt wurden. Mit der Zeit lernte ich, eine Gelassenheit zu entwickeln, denn zornig sein half nichts. Ich musste lernen, in Einklang mit der Natur und nicht gegen sie zu arbeiten.  Gonzalo lebt einem vor, wie er mit Widrigkeiten, Rückschlägen, Ernteverlusten umgeht und sie in sein Lebenskonzept einbettet.  Er stellt klar, dass auch Erfolge nur in einem langen Zyklus betrachtet werden können und nie als Regel betrachtet werden dürfen. Man kann da sehr viel auf andere Bereiche umlegen und daraus lernen. Die Krise in Spanien war auf eine extreme Spekulationswirtschaft zurückzuführen, die auf schnellen Reichtum und extremen Konsumwahn aufbaute. Das Motto war „Jetzt sofort und so viel wie möglich“. So kann ein Bauer nicht denken. Er muss immer mit der Natur rechnen. Das ließe sich sehr gut auch auf das Leben in der postmodernen Industriegesellschaft umlegen. Wenn wir nachhaltig und im Bezug auf die Zeit reflektieren würden, dann wäre so eine Krise gar nicht möglich. Ich würde den Bankern empfehlen, Gonzalo zuzuhören. Sie könnten daraus etwas lernen. Ich fürchte nur, die Habgier ist stärker als die Weisheit und die Ruhe.
 

Interview: Karin Schiefer
Oktober 2015