INTERVIEW

Zwischen traurig, unsicher, wütend und lustig

...  unsicher, wütend, lustig hin- und her geschleudert wird.» Im Herbst stand Pia Hierzegger für Josef Haders Regiedebüt Wilde Maus vor der Kamera. Der dritte Dreh in Serie, nachdem sie zuvor bereits in Marie Kreutzers Was hat uns bloß so ruiniert und Michael Ostrowskis und Helmut Köppings Hotel Rock’n’Roll eine der Hauptrollen verkörperte.
 
 
 
In Josef Haders Wilde Maus spielen sie Johanna, die Frau des vom Regisseur gespielten Protagonisten. Wie lässt sich dieses Ehepaar Johanna/Georg, das im Zentrum dieses Films steht, beschreiben?
 
PIA HIERZEGGER:  Sie sind ein gut situiertes Wiener Bobo-Paar, das keine größeren Probleme kennt. Georg ist ein wenig älter als Johanna. Sie sind schon eine geraume Weile ein Paar, somit ist alles eingespielt. Georg ist ein renommierter Musikjournalist, er wird völlig unerwartet entlassen. Er teilt es Johanna zwar nicht mit, aber er verändert sich. Sein verändertes Verhalten wiederum verändert auch alles in der Beziehung.
 
 
Mit dieser Entlassung wird Georgs Selbstverständnis in seinem Fundament erschüttert wird. Wie geht er mit diesem Schlag, der sein Leben verändert, um?
 
PIA HIERZEGGER: Es schlägt erst wie ein Blitzschlag ein, dann beginnt alles zu bröckeln. Er kann mit seiner Entlassung überhaupt nicht umgehen und erzählt es niemandem. Weder seiner Frau noch den Leuten, mit denen er nun in seiner freien Zeit im Prater Umgang pflegt. Er ist über 50 und hochspezialisiert in seinem Gebiet, in einer vergleichbaren Position Arbeit zu bekommen, ist undenkbar. Die Szenen im Film, die von der Beziehung Johanna/Georg erzählen, vermitteln das Gefühl, dass Johanna deutlich mehr in die Beziehung investiert. Nicht weil er sie weniger gern hat, aber sie hat viel konkretere Vorstellung davon, wie eine Beziehung laufen sollte. Da es nicht mehr so läuft, beginnt es auch bei ihr zu bröckeln.  
 
 
Johanna gerät in eine Reihe von inneren Konflikten – privat wie professionell. Ist das eines der Charakteristika dieser Rolle, dass diese Frau Anfang 40 mit der grundsätzlichen Fragen und Entscheidungen konfrontiert wird?
 
PIA HIERZEGGER: Für mich ist Johanna eine Frau mit vielen Prinzipien. Sie hat sehr genaue Vorstellungen, wie etwas beruflich und privat zu sein hat und dadurch, dass sie nicht mehr so funktioniert, beginnt alles zu brechen. Sie hatte geplant, dass sie mit diesem Mann alt wird, hoffentlich noch ein Kind bekommt und in der viel zu großen Wohnung bleiben wird. Im Laufe des Films kommt ein Querschlag nach dem anderen, die sie vor allem auf emotionaler Ebene aushebeln.
 
 
Wie haben Sie in die Rolle hineingefunden?
 
PIA HIERZEGGER: Im Vergleich zu den Rollen, die ich bisher gespielt habe, lag die größte Herausforderung darin, dass Johanna eine wirklich erwachsene Frau ist. Angekommen-Sein, im Berufsleben Stehen, Midlife-Crisis – das waren Facetten, denen ich bisher noch in keiner meiner Rollen begegnet bin. Am Anfang hat mich das irritiert, weil es auch für mich hieß, dass ich jetzt nicht mehr die jungen Lustigen, sondern plötzlich erwachsenen Figuren spiele. Sehr reizvoll war für mich, dass diese Frau zwischen traurig, unsicher, wütend, lustig hin- und her geschleudert wird. Das hat mir großen Spaß gemacht. Gestern, an meinem letzten Drehtag, hatte ich eine Szene, die die größte Herausforderung war: ich musste alleine auf einer Party tanzen, auf der nur jüngere Leute waren. Für mich war das die schwierigste Szene, die ich in all den letzten Monaten in all den drei Filmen, in denen ich mitgewirkt habe, zu drehen hatte, weil ich peinlich sein musste und das fand ich irgendwie schön.  
 
 
Die Entlassung Georgs steht für eine persönliche Krise und, ich nehme an, eine Krise, die die Medien, die Kulturbranche, eine Generation betrifft, die einen Umbruch erlebt.
 
PIA HIERZEGGER: Ich hoffe, dass „Krise“ eher für das Ende des Gewohnten und eine Angst vor Veränderung steht, die letztendlich nicht nur negativ zu sehen ist.
Natürlich fürchte ich mich davor, dass es keine Printmedien mehr gibt, weil ich das gewohnt bin und ich in meinem Bekanntenkreis erlebe, dass die Journalistinnen und Journalisten ihre Jobs verlieren, weil die Zeitungen immer mehr sparen müssen. Ich möchte nicht so kulturpessimistisch werden und nur davon reden, wie sich alles verschlechtert. Georg ist wie ein geschütztes Tier, das plötzlich in die Wildnis entlassen wird, wo andere Gesetze gelten. Ich glaube, dass bei einer so exakten Betrachtung einer Figur unweigerlich sehr viel miterzählt wird, wie eben ein gesellschaftlicher Wandel. Diese Konzentration auf ein Detail, einen Lebensausschnitt ermöglicht es viel eher, etwas allgemein Gültiges zu erzählen als der Ansatz,  über die Gesellschaft als Ganzes etwas erzählen zu wollen.
 
 
Es ist nicht nur Josef Haders Debüt als Filmregisseur, er ist auch der Hauptdarsteller. Wie gelingt es ihm,  zwischen beiden Rollen hin- und her zu schlüpfen.
 
PIA HIERZEGGER: Ich finde es erstaunlich, dass es möglich ist. Ich glaube, man muss sehr diszipliniert sein, weil letztlich die körperliche Erschöpfung zum Hauptproblem wird. Es ist wichtig, jeden Tag genug Schlaf zu bekommen, weil man es sonst nicht durchhält, jeden Tag dran zu sein und früh aufzustehen. Ich habe den Eindruck, dass es Josef großen Spaß macht und dass er gut delegieren kann. Er lässt auch den Schauspielern ihre Freiheiten und besteht nicht auf totaler Exaktheit des Texts, es geht ihm um Glaubhaftigkeit.
Seine beiden Kameraleute, Andreas Thalhammer und Xiaosu Han, waren eine große Stütze, weil sie genau wissen, was sie wollen und gleichzeitig die Vorstellungen des Regisseurs respektieren. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich sehr gut ergänzten. Und Hanuš Polak ist ein sehr guter Regieassistent, der auf sehr angenehme Weise sagen kann, dass die Zeit knapp wird, ohne dass alle unter Druck geraten.
 
 
Wie bereitet Josef Hader die Schauspieler auf den Dreh vor?
 
PIA HIERZEGGER: Es gibt immer Textproben und jetzt gegen Ende des Drehs, wo wir sehr viel in der Wohnung gedreht haben,  haben wir am Abend immer auch mit Kamera und Regieassistenz eine Stellprobe für den nächsten Tag gemacht. So haben wir immer noch am Vortag aufgelöst, wo wir stehen und wohin wir uns bewegen müssen. Das war ein großer Zeitgewinn und ersparte uns besonders frühes Aufstehen, denn es macht nun im Winter einen Unterschied, dass viel weniger Tageslicht vorhanden ist. Darüber hinaus gab es auch vor dem Dreh Gespräche über die Rolle. Georg Friedrich, der den Erich, Georgs Volksschulfreund spielt, und ich, standen schon sehr früh fest. Wenn man schon öfter zusammengearbeitet hat, versteht man sich auch schneller, weil man eine gemeinsame Sprache spricht. Wir haben dennoch viele Gespräche geführt. Für mich war es auch sehr wichtig, da ich drei Drehs hintereinander hatte, dass ich einen Zugang finde, der ganz anders war als der zu den beiden Rollen davor.
 
 
Aus Josef Haders Solo-Programmen weiß man, wie er das Abgründige mit dem Lachen verbindet. Wie wird das in Wilde Maus sein?
 
PIA HIERZEGGER: Der Film ist in keiner Weise als Komödie angedacht. Aber so wie die Figuren in ihre Situationen hineingeworfen werden, ist es wieder sehr lustig. Es gibt sehr berührende Szenen. Da Figuren nicht nur Spaß machen, kommt wieder ein ganz besonderer Humor zum Tragen. Eigentlich stehen sie alle vor irgendwelchen Abgründen. Sie verteidigen das, woran sie glauben, in Wirklichkeit bröckelt es an allen Ecken und Enden.
 
 
Wilde Maus hat diesen Titel einer Bahn im Prater zu verdanken. Wofür steht sie Ihrer Meinung nach?
 
PIA HIERZEGGER: Es ist eine schreckliche Bahn. Ich bin nur einmal damit gefahren, aber die die Kinder scheinen großen Spaß daran zu haben.  Diese Bahn gibt es nicht nur im Prater, sondern auch in Vergnügungsparks anderer Städte. die Wilde Maus ist eine Achterbahn und natürlich liegt der Vergleich mit der Achterbahn des Lebens nahe, aber ich glaube, das wäre jetzt eine zu einfache Deutung. Gleichzeitig ist der Prater der Ort, wo man Zeit verbringen kann, wenn man Zeit hat. Das Auf und Ab hat viel mit dem Film zu tun. Und Gegensätze spielen in vielerlei Hinsicht eine Rolle, emotional, aber auch rein örtlich.
 
 
Wilde Maus hatte seinen Drehstart Ende September, davor fand der Dreh für Hotel Rock’n’roll statt und davor standen Sie für Marie Kreutzers Was hat uns bloß so ruiniert vor der Kamera. Wie erlebten Sie diese Erfahrung, so knapp hintereinander auf drei Sets zu sein?
 
PIA HIERZEGGER: Es waren drei vollkommen unterschiedliche Drehs. Bei Marie Kreutzers Was hat uns bloß so ruiniert gibt es sechs Protagonistinnen – drei Paare.
Da war ich nicht so viel dran. Außerdem gibt es im Sommer genug Licht und man steht zeitlich weniger unter Druck. Ich konnte manchmal vormittags baden gehen und erst am Nachmittag drehen. Bei Hotel Rock’n’roll haben wir sehr viel in einer alten Villa in der Steiermark gedreht. Da entsteht dann innerhalb des Teams eine Art Schikurs-Gefühl. Für Wilde Maus hatte ich 18 Drehtage in vier Wochen, das war ziemlich komprimiert. Es ist anstrengend, aber als Schauspielerin darf man sich wirklich nicht beklagen. Man bekommt alles hinterhergetragen. Manchmal muss man länger als geplant arbeiten, aber wenn man nebenbei nichts macht, dann ist Schauspielen im Film ein Luxus.
 
 
Wie geht man damit um, so schnell jemand anderer zu werden, wenn man in so kurzer Zeit drei Filme hintereinander dreht.
 
PIA HIERZEGGER: Marie Kreutzer probt relativ viel im Vorfeld. Dafür habe ich mich mit Manuel Rubey, meinem Partner im Film, immer wieder getroffen und geprobt und auch die anderen Darsteller kennen gelernt. Mit Marie habe ich schon öfter zusammen gearbeitet und die Figur, die ich in ihrem Film spiele, war mir persönlich sehr nahe. Sie ist strenger als ich, aber ich hab sie sehr rasch verstanden und auch das System, in dem sie da drinnen ist. Ich spiele Ines, eine Clubbesitzerin und DJane, in deren Freundeskreis plötzlich alle Kinder bekommen. Ihr Freund hätte auch gerne eines, sie will eigentlich kein Kind, wird dann aber auch schwanger, will aber damit nichts zu tun haben. Es geht um drei Freundespaare, die gemeinsam diese Änderung in ihrem Leben bewältigen. Ines scheint so unberührbar und wird dann doch in das Ganze hineingezogen.
Die Figur der Mao, die ich in Hotel Rock’n’Roll spiele, kannte ich bereits. Da war es mir wichtig, dass es nicht so aussieht, als wäre sie die ernsthafte Böse und alle anderen machen Späße. Ein bisschen ist es schon so, weil das auch die Funktion der Figur ist. Was unglaublich hilfreich für eine neue Figur ist, ist, so banal es scheinen mag, ein anderer Haarschnitt oder das Kostüm.
 
 
Mit Hotel Rock’n’Roll spielten Sie in einem zweiten Film, wo der Regisseur als solcher debütiert und eine der Hauptrollen spielt. Wie haben Sie diese Dreharbeiten anders erlebt. Ihre Arbeit hat sich ja immer wieder auch mit Michael Glawogger gekreuzt, der dem Theater im Bahnhof sehr nahe stand. Was bedeutet es für Sie nun in diesem letzten Teil der Trilogie mitzuwirken?
 
PIA HIERZEGGER:  Angefangen hat es damit, dass Michael Ostrowski mir 2000 ein Drehbuch in die Hand drückte und sagte, „Da ist eine Rolle für dich drinnen“. Ich glaubte zunächst nicht daran, dass es je verfilmt werden würde. Dann kam der Dreh von Nacktschnecken zustande und Michael Glawogger, der Regie führte, nahm die Leute, die ihm Michael Ostrowski als Darsteller vorschlug. Ohne die „Michis“ wäre ich vielleicht gar nicht zum Film gekommen. Ich hab damals auch in Slumming mitgespielt. Bei Hotel Rock’n’Roll war es einerseits klar, dass wir den Film auch ohne Michael machen mussten und gleichzeitig erschien es uns unmöglich. Die Konstellation, Michael Ostrowski mit Helmut Köpping als Ko-Regisseur, halte ich für eine sehr gute Lösung. Es wäre auf keinen Fall gut gewesen, sich ständig die Frage zu stellen „Wie hätte er es gemacht?“ oder zu versuchen, ihm nachzueifern. Aber es war wichtig, ihn mitzudenken. Natürlich war im Drehbuch schon viel „Glawo“ angelegt. Manchmal hat man das Gefühl, das würde ihm jetzt gefallen. Es ist im Drehbuch sehr viel um den Tod gegangen. Am Anfang spielt Maos sterbender Onkel eine Rolle, das war einfach nicht von der Hand zu weißen, dass wir in dieser Figur und dessen Vermächtnis immer ein wenig Michael Glawogger sahen.  Es war wie noch einmal Abschied nehmen.
 
 
Was hat Michael Glawogger für Sie bedeutet?
 
PIA HIERZEGGER: Michael war immer sehr offen und großzügig mit seinem Wissen. Er hat nie eine Idee nur für sich beansprucht und er brachte jemandem von Anfang an Vertrauen entgegen. Ich hatte noch nie zuvor in einem Spielfilm mitgewirkt und er vertraute mir gleich in zwei Filmen eine Rolle an. Ich hab mich sehr geehrt gefühlt. Es war immer ein sehr harmonisches Set, obwohl Michael künstlerisch nie kompromissbereit war. Er vermittelte immer das Gefühl, dass wir gemeinsam an etwas arbeiteten. Es war nie „sein“ Film, es war immer „unser“ Film. Dieses Gefühl hat es jetzt auch bei Hotel Rock’n’Roll gegeben und auch bei Wilde Maus. Auch da hatte man nie das Gefühl, wir hätten es mit der Idee von jemandem zu tun und alle anderen dürfen sie nun ausführen. Es funktionierte, weil die Leute ständig eingebunden waren.
 
 
Man nimmt Sie in erster Linie als Theatermacherin wahr, nun ist in den letzten Monaten der Film ganz geballt auf Sie zugekommen? Wird sich nun in nächster Zukunft die Gewichtung Ihrer Projekte Richtung Film verschieben?
 
PIA HIERZEGGER:  Ich habe bis jetzt noch nie eine Filmrolle abgelehnt. Es ist gewiss nicht so, dass ich mich nur noch auf Film konzentrieren möchte, ich stehe aber jetzt aufgrund der aktuellen Projekte in keiner Weise zwischen einer Entscheidung zwischen Film oder Theater. Ein bis zwei Filme im Jahr würde mir gut gefallen. Das sind Dinge, die man nur sehr schwer vorhersagen kann. Ich habe das Gefühl, dass es mir dazwischen gut tut zu schreiben und Konzepte zu machen. Nur zu spielen würde mich persönlich etwas deformieren. Als Schauspielerin darf und man muss nichts selber bestimmen. Alles wird einem zugetragen, man bestimmt nicht, was man anzieht, man wird überallhin gebracht. Kürzlich hatte ich zuhause einen Becher in der Hand und war für einen Moment verwirrt, dass ihn mir nicht jemand abgenommen hat und ich ihn selbst entsorgen musste.
 
 
Woran schreiben Sie gerade?
 
PIA HIERZEGGER: Zur Zeit schreibe ich für das Theater im Bahnhof an einem Stück, für das Volkstheater in den Außenbezirken. Lorenz Kabas wird Regie führen, die Premiere ist für Ende Februar geplant. Ich schreibe mal eine Fassung, das Stück wird dann im Laufe der Proben weiterentwickelt. Das Stück heißt Die Fleischhauer von Wien, eine Idee, die im Ensemble entstanden ist und ich schreibe jetzt mal daran. Es ist ein sehr interessantes Thema. Gleichzeitig ist auch ein Fernsehfilm für den ORF aktuell geworden, da werde ich in den kommenden Tagen mehr dazu erfahren.  Darin soll es um eine Patchwork-Familiensituation gehen.
 
 
Was bedeutet es nach einer intensiven Spielphase in die Einsamkeit des Schreibens abzutauchen?
 
PIA HIERZEGGER: Zum Schreiben ziehe ich mich am liebsten an einen anderen Ort zurück. Das kann in Italien sein oder auf einer Hütte. Wichtig ist, nichts anderes zu tun. Wenn ich in Wien oder Graz schreibe, macht man sich abends etwas aus, geht ins Theater u.ä. Besser ist es, wenn man sich so richtig reingräbt.
 
 
Führen Sie in den Theaterstücken auch selber Regie?
 
PIA HIERZEGGER: Theaterregie nicht so gern. Ich habe vor kurzem eine Hörspielregie gemacht. Und ich muss zugeben, die beiden Filmprojekte Hotel Rock’n’Roll und Wilde Maus haben mich schon ein wenig angespitzt, dass ich mir dachte, das könnte mal interessant sein. Es muss aber nicht sofort sein. Jetzt schlaf ich mal ein bisschen.


Interview: Karin Schiefer
November 2015