INTERVIEW

«Man glaubt ja immer, dass Erinnerung ein selbstbestimmter Vorgang ist.»

Maya McKechneay hat mit Sühnhaus ein neues Genre  – den dokumentarischen Geisterfilm – erfunden und hat viel Unheimliches und Ungereimtes über eine immer wieder vom Unheil heimgesuchten Adresse an der Ringstraße in Erfahrung gebracht. Ein Gespräch mit der Filmemacherin.
 

Sie erzählen zu Beginn des Films, die Ringstraße zunächst als Touristin entdeckt, ohne etwas über das Haus Schottenring 7 erfahren zu haben. Wie kam es, dass dieses „Unhaus“, eine Art Panzer von einem Haus an der so genannten Prachtstraße, Ihre Aufmerksamkeit geweckt hat?
 
MAYA MCKECHNEAY: Ich habe mich immer schon für abseitige Orte interessiert. Einer davon ist das Kriminalmuseum in Wien, wo es auch einen tiefen, feuchten Keller gibt. U.a. befindet sich dort unter einem Glassturz der verbrannte Kopf eines Opfers des Ringtheater-Brandes, der sich am 8. Dezember 1881 ereignet hat und der im Museum kurz umrissen wird. Ich war über diesen Kopf ziemlich schockiert und konnte ihn nicht mehr vergessen. Das hat mich an den Schottenring 7, den Brandplatz, gebracht.
 
 
Was brachten Sie in der Folge alles in Erfahrung, dass es Sie zu einem Film inspirierte?
 
MAYA MCKECHNEAY: Ich habe mich schon immer für Haunted-House-Filme interessiert, Texte darüber geschrieben und Vorträge gehalten. Für einen Vortrag über „Das Theater als Haunted-House“ an der Volksbühne Berlin habe ich die Geschichte des Ringtheaterbrandes vor ein paar Jahren ausführlich recherchiert und bin dabei auf Ungereimtheiten gestoßen. Dazu kommt, dass Theater überhaupt besondere Orte sind, an denen auch der Aberglaube sehr lebendig ist. Es gibt zum Beispiel eine Sitte unter Theaterpersonal, dass man auf der Bühne immer ein Licht brennen lässt, um Geister fern zu halten. Das sogenannte „Ghost-Light“, ein bläuliches Licht. Ich glaube, ich habe auch bei der Bühne des Burgtheaters ein solches Licht gesehen, obwohl niemand mir das so richtig bestätigen wollte. Ich begann mich also für das Theater als merkwürdiges Gebäude zu interessieren, das von innen immer größer wirkt als von außen. Theaterfassaden sind ja meistens vergleichsweise klein – und erst nach hinten raus wächst das Gebäude dann in die Höhe und in die Tiefe.
 
 
Sie sprachen bereits die Ungereimtheiten an, auf die sie im Zuge der Recherche gestoßen sind. Immerhin scheint der Ringtheaterbrand in Wien sehr gut dokumentiert zu sein.
 
MAYA MCKECHNEAY: Ja, der Ringtheaterbrand ist so akribisch und detailversessen dokumentiert, dass man sich fragen kann, warum das so ist. Wenn fünf Jahre nach dem Brand irgendwo ein Splitter des Theaters gefunden wurde, war das noch eine Zeitungsnotiz wert. Sogar die Entsorgung der Ziegel und Trümmer ist dokumentiert. Ein Jahr nach dem Brand wurde den Verantwortlichen der Prozess gemacht. Die Prozessakten liegen im Stadt- und Landesarchiv. Jeder Prozesstag war ein Aufmacher in den Zeitungen. Was meine Recherche so aufwändig gemacht hat, war der Umstand, dass das relevante Material auf mindestens acht Archive in Wien verteilt ist. Man arbeitet mit einer Quelle in Kurrentschrift, muss sich irrsinnig abmühen, sie zu entziffern und kommt Monate später drauf, dass es eine getippte Abschrift in einem anderen Archiv gegeben hätte. Die Suche nach den wahren Geschichten, die ich im Film erzähle, war mühsam, aber auch spannend. Im Wiener Feuerwehr-Museum habe ich zum Beispiel handgeschriebene Zeugenberichte des Brandes gefunden. Da wurden zu den Jubiläen – 10 Jahre, 30 Jahre,  50 Jahre danach – Überlebende eingeladen, in der Ich-Perspektive ihre Flucht aufzuschreiben. Da kamen unglaubliche Sachen zutage, die dem offiziellen Bericht und vor allem dem Gerichtsurteil widersprechen.
 
 
Fast unglaublich erscheint die Entdeckung, dass Sigmund Freud mehrfach mit der Adresse Schottenring 7 in Verbindung steht. Eine Ironie, wenn man davon ausgeht, dass dies ja vor der Zeit seiner großen wissenschaftlichen Entdeckungen gewesen ist. 
 
MAYA MCKECHNEAY: Aus Briefen weiß man, dass er im Ringtheater 1880 eine Vorstellung des Hypnotiseurs Carl Hansen besucht hat, der die Leute in eine Art Leichenstarre versetzt oder ihnen suggeriert hat, dass sie in Flammen stehen. Die Hypnotisierten haben sich angeblich schreiend am Boden gewälzt. Im Spielfilm könnte man das als Foreshadowing einsetzen: ein zukünftiges Unheil deutet sich an. Freuds Schwester Anna schreibt wiederum, dass sie und ihr Bruder Karten für den Brandabend selbst gehabt hätten, also nur knapp mit dem Leben davon gekommen sind, weil sie sich entschieden, nicht hin zu gehen. Es ist die Frage, ob Anna Freud-Bernays Erinnerung da korrekt ist. Sicher ist, dass Freud Freunde und Bekannte beim Brand verloren hat. Das ist ihm bestimmt nahe gegangen. Mir ist es allerdings immer noch ein Rätsel, warum er später gerade an diese Adresse gezogen ist, als einer der ersten Mieter ins Sühnhaus, das man als Wiedergutmachungsbau an Stelle des Ringtheaters errichtet hatte. Abgesehen davon, dass diese Adresse einen schlechten Ruf hatte und die Miete über seinen finanziellen Verhältnissen lag, war das Haus nicht schön – neugotisch, protzig. Wie ein zu klein geratenes Wiener Rathaus. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass man da gerne wohnte.
 
 
Sie sprechen zu Beginn von Ihrem Wunsch, einen dokumentarischen Geisterfilm zu machen. Sie erfinden da ein Genre. Es geht beim Dokumentarfilm-Machen in der Regel um ein Sichtbarmachen von etwas. In Sühnhaus geht es um ein Sichtbarmachen von Absenz oder besser gesagt von unsichtbarer Präsenz. Wie hat Sie dieser neu kreierte Genrebegriff  auch im Konzipieren des Films begleitet?
 
MAYA MCKECHNEAY: Ich merke, dass manche Leute das als eine Art Koketterie verstehen. Geister gelten ja als unseriös. Dabei hab ich es ganz ernst gemeint mit dem „dokumentarischen Geisterfilm“. Die Idee ist, an einen Ort zu gehen und zu schauen, was von der Vergangenheit übrig geblieben ist. Spürt man eine Atmosphäre noch? Gibt es etwas zu finden, das unter dem Boden verborgen ist? Geister können ja viele Formen annehmen. Da ich so viele Geisterhausfilme kenne, ist mir die schwebende Kamera (wie man sie z.B. aus Shining kennt) so richtig in Fleisch und Blut übergegangen. Eine Steadicam, die durch die Gänge schwebt und eigentlich ein Blick oder eine Präsenz ohne Körper ist, eine Bewegung, die man keinem Körper zuschreiben kann. Solche Momente finde ich im Kino wesentlich unheimlicher als ein sichtbares Monster. Ein Monster kann man überwinden, eine diffuse Angst nicht. Im ursprünglichen Konzept des Filmes gab es viel mehr real recherchierte Geschichten, die mit Hilfe der schwebenden Kamera erzählt werden. So, dass man das Gefühl hat, hier reproduziert irgendein unsichtbares Wesen die Bewegungen oder die Gefühle aus der Vergangenheit. Ich denke an Pauline Silberstein, eine Freud-Patientin, die im Haus Selbstmord verübt hat. Der Blick der Kamera versucht Paulines Schwindel wieder einzufangen, oder ihr Balancieren, ihr Zögern, ob sie sich traut zu springen. Angedacht waren ursprünglich zehn solche Episoden. Das hätte für mich irgendwie den Geisterhausfilm mit dem Dokumentarfilm zusammengebracht. Im Schnitt stellte sich dann raus, dass es wirklich experimentell würde auf diese Weise. Es wäre unmöglich gewesen, den dokumentarischen Ansatz stringent zu entwickeln, der meinem Cutter und Produzenten Oliver Neumann und mir so wichtig war.
 
 
Ein immer wieder kehrendes Wort ist „unheimlich“. Das ja, wenn man es auf eine Adresse umlegt, mit viel Bedeutung aufgeladen wird. In welchen Facetten verstehen Sie das Wort?
 
MAYA MCKECHNEAY: „Un-Heim-lich“: Ich mag das Wort wahnsinnig gerne. Gerade wegen seiner Bedeutung des fremdgewordenen Heims. Etwas Vertrautes verbindet sich plötzlich mit etwas, das einen abstößt oder verschlingt oder irgendwie gefangen hält. Es gibt einen sehr schönen Aufsatz von Sigmund Freud über das Unheimliche, in dem er auflistet, was den Menschen unheimlich ist. Zu diesen Phänomenen gehört laut Freud der Doppelgänger. Und für mich sind das Sühnhaus und das Ringtheater Doppelgänger. Sehr ähnliche Gebäude, die oft verwechselt werden, wenn man Leuten Fotos zeigt. Beide haben in der Mitte eine Ausnehmung, von der beim Theaterbrand die Leute in den Tod gesprungen sind. Beim Sühnhaus war an der gleichen Stelle eine Kapelle, die diese „Unglücksstelle“ entsühnen, also reinigen sollte. Auch diese Spiegelung hat mich interessiert. Freud arbeitet in seinem Aufsatz über „Das Unheimliche“ mit einer Geschichte von E.T.A Hoffman, die auch Teil der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ ist, die wiederum am Brandabend 1881 aufgeführt werden sollte.
 
 
Sühnhaus ist ein Film über das Erinnern und den aufschlussreichen Umgang der Gesellschaft mit der Erinnerung. Einerseits ist der Brand so gut dokumentiert und gleichzeitig kaum präsent im Bewusstsein der Wiener. Einerseits zeigen sie den behutsamen Umgang mit den Erinnerungsobjekten und konfrontieren diese mit groben Lügen, die kolportiert wurden. Der Film verdeutlicht auch, in welchem Spannungsfeld Erinnerung und Geschichtsschreibung stattfindet.
 
MAYA MCKECHNEAY: Man glaubt ja immer, dass das Erinnern ein selbstbestimmter Vorgang ist: Ich entscheide, woran ich mich erinnere. Die Gedanken sind frei. Mir ist schon sehr früh bei diesem Projekt aufgegangen, wie stark Erinnerung von der Gesellschaft gelenkt wird. Bestimmte Dinge werden propagiert, andere unter den Teppich gekehrt. Damals, nach dem Brand 1881 wurde immer wieder betont, wie wichtig es ist, dieses Ereignis nie zu vergessen. Das Begräbnis der Toten war voller Pathos und Prunk. Aber mit einer Stadt ist es scheinbar wie mit einem Menschen: man sagt, man will sich an etwas erinnern, wenn es aber Unlust bereitet, wird es verdrängt. Es hätte zum Beispiel die Möglichkeit gegeben, die unversehrten Statuen des Ringtheaters in der Stadt aufzustellen. Jetzt stehen sie im Pötzleinsdorfer Park. Die Stadt wollte nicht, dass sie im zentralen Stadtbild präsent sind. Und dann ist es natürlich ein Wahnsinn, dass mit dem Sühnhaus noch 1952 ein Haus abgerissen wurde, in dem Sigmund Freund fünf Jahre lang praktiziert, gelebt und seine Frau ihm die ersten drei Kinder geboren hat. Das Haus war im Krieg gar nicht so schwer beschädigt worden.
 

Dass ein Friedrich Schmidt-Bau an der Ringstraße verschwindet, mutet auch seltsam an?
 
MAYA MCKECHNEAY:  Das kommt dazu. Daher war ich so froh, dass ich einen ehemaligen Bewohner des Hauses, Herrn Thinius,  gefunden habe. Er hat sich ja zwei Jahre lang geweigert, mit uns zu drehen, zum Glück hat er nachgegeben. Seine Erzählung finde ich sehr wichtig für den Film.
 
 
Wie haben Sie ihre Recherche angesichts der Unzahl der Erinnerungsträger und – spuren eingegrenzt?
 
MAYA MCKECHNEAY:  Am Anfang habe ich sogar recherchiert, wo die Trümmer des Sühnhauses gelandet sind: teilweise liegen sie als Beetumrandung in einem Kleingarten in Jedlesee. Die Szenen von dort kommen im Film leider nicht vor, dieser Ort hätte einfach zu weit fort von der Haupterzählung geführt. Die Buntglasfenster des Sühnhauses haben wir in einer aus den fünfziger Jahren stammenden Behelfskirche im Norden von Wien wieder gefunden, wo sie nach dem Abriss verbaut wurden. Eine Arme-Leute-Kirche könnte man sagen. Dort wird jeden 8. Dezember des Ringtheaterbrandes gedacht. Gerade dort findet also Gedenken statt. Ein sehr schöner Ort übrigens, für mich. Und es gibt die Säulen des Theaters, die sind in einem Missionshaus in Mödling. Es hätten sich unendlich viele Geschichten aufgetan, wenn man den Spuren der Gebäude folgt.

 
In der weitläufigen Recherche haben sich gewiss auch mehrere thematische Stränge hervorgetan. Einer davon ist der des gesellschaftlichen Abbilds und der sozialen und wirtschaftlichen Hierarchie, die sich im Zuschauerraum und in der Rettungsaktion während des Brandes abzeichnet. Wann ist Ihnen dieser Aspekt so offensichtlich geworden?
 
MAYA MCKECHNEAY:  Wiederholung ist ja auch das Prinzip der Geistererscheinung. Geister führen die gleiche Tätigkeit zwanghaft aus. Am Schottenring 7 kam es mir so vor, dass es auch eine ständige Wiederholung gibt. Hier wiederholt sich das Unheil. Brände, Selbstmorde, anderes mehr. Warum? Liegt ein Fluch auf diesem Ort? Es ist wohl eher so, dass hier, während die Gebäude wechselten, eine gewisse Geisteshaltung konstant blieb: Obrigkeitshörigkeit bis zum blinden Gehorsam, Besitzdenken und so weiter. Dass zum Beispiel besonders viele arme Leute unter den Opfern des Theaterbrandes waren, liegt ganz klar an der Sitzordnung. Das Gebäude nimmt in seiner Planung den Tod der Leute auf den billigen Plätzen in Kauf – weil es Gewinn abwerfen soll. Im Gebäude des Sühnhauses, dem Nachfolgebau, spiegeln sich die sozialen Verhältnisse genauso stark wider, und vielleicht noch deutlicher im 70er-Jahre-Bau der Polizeidirektion, die heute am Schottenring 7 steht. Und wenn wir uns heute umschauen: In der zeitgenössischen Architektur ist es ja nicht anders. In ganz modernen Häusern oder in Hotels hat man Aufzüge, die vorselektieren. Um in den „Executive Floor“ zu fahren, braucht man die richtige Key Card. Hierarchien spiegeln sich in den Gebäuden, die eine Gesellschaft baut. Deswegen sind Haunted House-Filme für mich politische Filme. Wenn Häuser plötzlich unheimlich und bedrohlich werden, dann hat das ja einen tiefer liegenden Grund.
 
 
Ich glaube der Film hat von Beginn an klar gemacht, dass es eine Off-Stimme brauchen wird, also ein Zusammenwirken von Bild und Text. Wie hat zunächst die Bildersuche mit dem Kameramann Martin Putz ausgesehen?
 
MAYA MCKECHNEAY: Ich fotografiere selbst auch. Zunächst mal bin ich also an die möglichen Drehorte gefahren und habe Fotos gemacht, die dann die Diskussionsgrundlage mit Martin waren. Eine Schwierigkeit in diesem Film war, dass es viele Szenen gibt, in denen von außen keine Bewegung ins Spiel kommt. Leere Räume. Aber zugleich will man einen Film machen. Und Film braucht Bewegung. Da heißt es dann oft: Warten auf den richtigen Moment. Zum Beispiel am Zentralfriedhof: sei es ein Windstoß, der Nebel oder ein Schneegestöber, oder Grabsteine, die von einer Schneedecke zugedeckt sind. Man wartet und wartet und friert. Ich glaube kein anderer Kameramann wäre so flexibel gewesen wie Martin. Einmal ist er sogar alleine los gezogen, als es endlich geschneit hat, und ich nicht weg konnte von meinen beiden Kindern. Ich bin Martin für seine schöne und präzise Arbeit sehr dankbar. Vor allem war es für mich wichtig, zu spüren, dass er immer an das Projekt geglaubt hat, obwohl es mein erster Film war. Für die erwähnten „schwebenden Gänge“ ist Martin sogar so weit gegangen, dass er eine alte Steadicam aus Rumänien besorgt und mit zusätzlichen Gewichten umgebaut hat. Er hat sich da einfach reingetigert. Steadicam zu machen, ist ja ein eigener Job, und wir hatten in der Entwicklungsphase des Films noch kein Geld für einen extra Steadicam-Operator. Aber die tollen Bilder am Zentralfriedhof, die hat Martin mit diesem verrückten Gestell zustande gebracht.
 
 
Was ich an dem Film auch sehr schön finde, ist die Kohärenz zwischen Bild und Text. Sie sind Filmpublizistin, das Schreiben ist ein wesentliches Ausdrucksmittel, der Film Gegenstand des Schreibens. War dieser Film eine Möglichkeit, die Ihnen nahen Ausdrucksmittel miteinander zu vereinen?
 
MAYA MCKECHNEAY: Ja. Ich schreibe seit 1999 regelmäßig Filmkritiken und halte Vorträge. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich eigentlich selber Bilder produzieren möchte. Ich trat einer Fotoplattform im Internet bei, die ganz neu war und damals hauptsächlich von kreativen, alternativen Leuten benutzt wurde. Ich begann, sehr viel zu fotografieren, hatte auch Fotoserien im Falter und hab gemerkt, wie befreiend es für mich war, in Bildern zu denken und von der Sprache weg zu kommen. Ich persönlich habe das Gefühl, dass die beiden Ebenen – Text und Bild – den Film sehr dicht machen, stellenweise vielleicht zu dicht. Man braucht große Konzentration, um dem zu folgen. Sollte ich wieder einen Film machen, würde ich mich stärker auf die Bilder verlassen. Vielleicht ist Sühnhaus ein Übergang, bei dem beide Ebenen eben noch sehr stark da sind.
 
 
Sehr schön sind die animierten Elemente aus Papier und Karten. Animation hat etwas mit der Belebung von nicht-lebendigem Material zutun. War es für Sühnhaus unumgänglich, die Animation Teil dieses Film werden zu lassen?
 
MAYA MCKECHNEAY: Ich hätte nicht an Animationen gedacht, wenn wir nicht so viele 2D-Dokumente gehabt hätten: Fotos, Stadtpläne, Hauspläne ... Wenn ich ein Dokument mit der Hand ins Bild ziehe und mit der Lupe anschaue, dann ergibt das im Grunde ja schon fast eine Animation. Der Schritt war nicht mehr groß. Die Idee war, legetrickartig Dinge ins Bild zu holen, rauszuschieben, die Bildfläche zu ergänzen. Die Hände in den animierten Passagen sind übrigens die von Michaela Mandel, die die Animationen gemacht hat, und die mit knallroten Fingernägeln gearbeitet hat. Das habe ich als Stilmittel übernommen. Rot lackierte Fingernägel betonen sehr schön den weiblichen Umgang mit der ganzen Geschichte. Die Geschichte dieser Adresse ist ja auch eine Geschichte männlicher Dominanz und Machtausübung. Und deswegen finde ich es wichtig, dass jetzt weibliche Hände mit den Dokumenten hantieren. Sozusagen: Ich nehme jetzt die Geschichte in die Hand und drehe die Dinge um, ich schaue auf die Rückseite und frage, ob das, was in den Geschichtsbüchern und in der Zeitung behauptet wird, überhaupt stimmt.


Interview: Karin Schiefer
Jänner 2017
 
 
«Die Idee ist, an einen Ort zu gehen und zu schauen, was von der Vergangenheit übrig geblieben ist.»