INTERVIEW

«Ich hasse Political Correctness.»

In Life Guidance haben sich die Menschen dem Credo der Selbstoptimierung unterworfen und ihre Privatsphäre einer Agentur übergeben. Verstörend genug. Doch Ruth Mader hat die Schraube nachgedreht und ihre Dystopie in eine Zeit gelegt, die unserer Gegenwart zum Greifen nahe scheint.
 
 
 
In einer der ersten Einstellungen von Life Guidance sieht man zwei Paare in einem offensichtlich sehr teuren Restaurant, wo sie zu Tische liegend mit Häppchen von Kellnern gefüttert werden. Entmündigung und Passivität scheinen hier sehr überspitzt zum Life-Style erhoben. Es ist eine von vielen Szenen, die in minimalen Momenten Tendenzen in der gesellschaftliche Entwicklung auf den Punkt zu bringen. Welche Wahrnehmungen in der aktuellen Zeit haben Sie zu Life Guidance inspiriert?
 
RUTH MADER: Martin Leidenfrost, mein Ko-Autor, und ich haben sehr lange über das Unbehagen, das uns im Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigt hat, nachgedacht und dabei mehrere Aspekte lokalisiert. Zum einen sahen wir eine Art von Infantilisierung oder eben Entmündigung der Menschen. Vorausgesetzt haben wir dabei den Umstand, dass die Menschen freiwillig ihre persönlichsten Daten ins Netz speisen  – etwas, was uns beide sehr befremdet. Sehr vielen Menschen scheint das gar kein Problem zu bereiten. Dann stellten wir ein Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Schichten fest: Es gibt die „Working Poor“, die abgehetzten Leute im Unterschichtviertel, dazu gehört z.B. die Bankangestellte im Film. Sie ist eine Figur, die ich nicht frei erfunden habe, sondern zu der mich meine eigenen Erfahrungen inspiriert haben. Ich hab an den Schaltern meiner Bank Leute gesehen, die schlecht gekleidet, verwahrlost wirkten und ich fragte mich, wie es so etwas in Österreich geben kann, dass die arbeitende mittlere Mittelschicht schon so verfällt. Mein Büro befindet sich im Karl-Seitz-Hof, einer wunderschönen Wohnanlage aus den 1920-er Jahren, der optimistischen Aufbruchsphase der Sozialdemokratie, hier leben heute  80% der Bewohner von der Sozialhilfe. Dieser Bau war ein Symbol für eine neue Welt. Für meinen Film habe ich auch hier gedreht, aber die Szenen führen vor Augen, wie dieser Traum geplatzt ist. In Life Guidance leben nur Minimumbezieher hier, die seltsame Getränke trinken, die möglicherweise mit Psychopharmaka abgemischt sind, um sie ruhig zu stellen. Mir war zuvor gar nicht bewusst, dass es in Wien ganze Zonen gibt, wo Menschen am Existenzminimum leben. Dann gibt es noch eine gehobene Mittelschicht, auf der ein unheimlicher Leistungsdruck lastet wie unser Protagonist Alexander, der im Bereich der Finanzdienstleistung tätig ist. Wir haben uns den Bankensektor herausgenommen, weil auch der Faktor Globalisierung hereinspielt, die in einer kurzen Sequenz, die in Afrika spielt, deutlich wird. Alexander hat ein schlechtes Gewissen, weil er um die Konsequenzen weiß, die seine abstrakten Finanzoperationen für die Menschen in der Welt haben.
 
 
Sie haben auch in Ihren vorangegangenen Filmen – What Is Love und Struggle – sehr konkrete und aktuelle gesellschaftliche Themen aufgegriffen und beide auf unterschiedliche Weise in einem semidokumentarischen Ansatz behandelt. Worin steckte für Sie der Reiz, für Ihren neuen Film, dieses tiefe Unbehagen an der gesellschaftlichen Entwicklung über einen stark stilisierten Genre-Film zum Ausdruck zu bringen?
 
RUTH MADER: Ich hatte ja bereits vor einigen Jahren einen sehr stilisierten, hitchcockartigen Thriller geschrieben, es war ein sehr starkes Drehbuch, das leider nicht finanziert werden konnte. Das heißt Genre, insbesondere das des Thrillers beschäftigt und reizt mich schon lange. Wir wollten einen Science Fiction-Film machen, wo der Schock für den Zuschauer darin liegt, dass er im Jetzt spielt. Am Anfang spielt man eher mit der Frage, „Wie weit liegt die Handlung in der Zukunft entfernt?“ Nach und nach wird einem aber bewusst, dass wir uns im Jetzt befinden. Hätte es zu sehr die Anmutung einer fernen Zukunft, dann könnte sich der Zuschauer dahin flüchten zu sagen, das wird vielleicht nie eintreten.  
 
 
Waren die beiden Filme zuvor von einer subtilen Gratwanderung zwischen fiktivem und dokumentarischem Erzählen geprägt, so bewegt sich Life Guidance eindeutig in der Fiktion und vollführt dennoch auch eine Gratwanderung – jene zwischen Gegenwart und Zukunft. Wie ist es Ihnen gelungen, diesen zeitlichen Schwebezustand visuell und erzählerisch darzustellen?
 
RUTH MADER: Unsere Schlüsselidee war die der privaten Life Guidance-Agentur, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Menschen zu optimieren. Viele Details haben wir wiederum aus dem realen Leben geschöpft, Beobachtungen aus dem Alltag wie der Mann mit den Rosenkränzen; so einem Mann bin ich auf der Straße in Wien begegnet. Ich würde sagen, es war eine Mischung aus Alltagsbeobachtungen und der frei erfundenen Agentur. Kostüm und Ausstattung waren da natürlich auch sehr gefordert, eine Welt entstehen zu lassen, die abstrahiert, leicht in die Zukunft gerückt und dennoch voller Referenzen zur Gegenwart ist.
 
 
Wie kann man sich den Schreibprozess zwischen den Vorgaben des Genres und einem hohen Anspruch auf Abstraktion, die aber gleichzeitig die Perfidie eines Systems hervorbringen soll, vorstellen? Wie schwierig war es, eine Dialogsprache für eine Welt zu finden, in der Individualität und damit auch echter Austausch ausgeschaltet ist?
 
RUTH MADER: Das ist für mich schwierig nachzuvollziehen. Ich kann aber erzählen, wie Martin Leidenfrost und ich seit nunmehr 25 Jahren schreiben. Wir treffen uns – solange die Idee noch im Heranreifen ist, meist in eher entspannten Settings wie an der Alten Donau z.B. – und unterhalten uns stundenlang über unsere Gesellschaft. Wenn wir in die konkrete Drehbuchphase eintreten, haben wir fixierte Schreibtermine, wo wir uns im Büro treffen und gemeinsam Szenen und Dialoge entwickeln und sie uns nötigenfalls auch vorspielen. In der Feinarbeit funktioniert dann viel auch über Mail. Es ist eine sehr harte, disziplinierte Arbeit, die sich über zwei Jahre erstreckt. Um nochmals auf das anfängliche Beispiel des Restaurants zurückzukommen. Ich habe davon gelesen, dass es in Berlin ein Restaurant gab, wo man zu Tisch liegt. Dass die Menschen von den Kellnern mit Häppchen gefüttert werden, haben wir dann überspitzt. In der Umsetzung spielen dann Ausstattung und Kostüm eine wesentliche Rolle, die Regiearbeit kommt natürlich ins Spiel und ein sehr gutes Casting von Marion Rossmann. Das optimale Zusammenwirken aller Departments ist eine heikle Gratwanderung, die auch schief gehen könnte. Einen Film zu machen, heißt immer, sich über einen schmalen Grat zu bewegen.
 
Frappierend ist in Life Guidance der zwischenmenschliche Umgang innerhalb der Familie. Anna und Alexander agieren, als wären die Gefühle aus ihnen ausgeleitet worden. Der zwischenmenschliche Austausch scheint auf dem Nullpunkt zu sein. Das darzustellen ist gewiss eine große Herausforderung an die Schauspieler gewesen. Wie haben Sie Ihre Darsteller gefunden und mit Ihnen an dieser Reduktion gearbeitet?
 
RUTH MADER: Die Idee, dass Fritz Karl die Rolle des Alexander spielen könnte, verdanke ich Marion Rossmann. ich halte ihn für einen der besten Schauspieler im deutschsprachigen Raum. Unsere erste Begegnung war alles andere als eine sanfte, aber er war schließlich bereit, sich auf diese Arbeit einzulassen. Fritz Karl ist ein sehr engagierter und fleißiger Schauspieler und er hat sich, wenn auch nicht sofort, in meine Hände begeben und gleichzeitig sehr viel immer wieder hinterfragt. Er kann sehr gut Emotionen darstellen, er ist einer der wenigen Darsteller, der auf den Schlag der Klappe hin zu weinen beginnen kann. Das muss man mal können. Ich hoffe, dass dieser Film auch dazu beiträgt, zu zeigen, was für ein gigantischer Schauspieler er ist, der noch viel zu wenig im Arthouse-Sektor besetzt wird. Katharina Lorenz, die Alexanders Frau Anna darstellt, arbeitet am Burgtheater. Sie ist jemand mit einer sehr starken Ausstrahlung, hatte aber eine sehr schwierige Rolle, weil sie keinerlei Gefühle zeigen darf. Florian Teichtmeister ist ebenfalls ein sehr begabter Schauspieler, der auch komplexe Anweisungen unmittelbar umsetzen kann. Meine Darsteller kamen aus den verschiedensten Richtungen, vom Musical-, TV- bis zum Laien-Darsteller. Die musste ich alle auf eine Regie-Ebene bringen, was eine intensive Arbeit bedeutete. Ich habe sehr viel probiert und zwar bis in die kleinsten Rollen. Sehr viel geschah da schon beim Casting, wo ich selbst dabei war. Mir ist das wichtig, weil ich dabei sehr viel erfahre, wo Schwierigkeiten liegen könnten, in welche Richtung eine Szene gehen kann u.ä.
 
 
Ein wesentliches Charakteristikum von Life Guidance ist der dominierende Einsatz von Raum bzw. Architektur als erzählendes Element.  Warum ist Architektur so wichtig? Mit welchen Ansprüchen habt ihr nach Locations gesucht? Wo habt ihr sie gefunden? Ich denke ans besonders beeindruckende HQ von Life Guidance?
 
RUTH MADER: Architektur halte ich für einen unglaublich wichtigen Faktor, weil Räume sprechen. Clockwork Orange hat mich im Besonderen inspiriert, Stanley Kubrick ist eines meiner ganz großen Vorbilder.  Grundsätzlich sind alle gestalterischen Elemente, ob das nun Musik oder Schnitt ist, in einem Film von ganz wesentlicher Bedeutung. So auch die Architektur. Es missfällt mir, wenn ich den Eindruck bekomme, dass Räume beliebig gewählt sind. Die Production-Designer Renate Martin und Andreas Donnhauser haben eine großartige Arbeit geleistet. Wir haben uns allein für die Motivsuche drei Monate Zeit gegeben. Das Einfamilienhaus musste ja nicht nur optisch passen, sondern auch gewisse szenische Anforderungen erfüllen können. Es war eine harte Knochenarbeit. Film ist ganz einfach harte Knochenarbeit, idealerweise ausgeführt von Menschen mit Talent. Das Headquarter von Life Guidance war das am schwierigsten zu findende Motiv, weil wir kein Budget dafür hatten, es zu bauen. Wir haben das Motiv aus verschiedenen Motiven zusammen gesetzt, was man hoffentlich nicht merkt. Die Lobby ist in dem von Zaha Hadid gestalteten Bau der Wiener WU. Die unterirdischen Studio- und Archiv-Räume fanden wir im ORF, dem ich wirklich sehr dankbar bin, dass wir das unentgeltlich nutzen konnten. Wir hatten auch zahlreiche Sponsoren, besonders bei der Einrichtung, die uns ermöglichten, Produkte im Film unentgeltlich zu verwenden. Bei einem Gesamtbudget von ca. € 2,5 Mio mussten die Mittel sehr effizient eingesetzt werden und die Produktionsleiterin Stefanie Wagner sowie meine Produzenten Gabriele Kranzelbinder haben da Großes geleistet, denn ich denke, der Production value des Films liegt sicher um einiges höher als das Budget vermuten ließe.
 
 
Die Agentur Life Guidance erstellt Filme mit den geheimen Wünschen ihrer Klienten. Alexander führt es nach Afrika, wo er großzügig spendet. Diese kleine Sequenz in einem namibischen Dorf beinhaltet viele Mitwirkende besonders Kinder, was vielleicht nicht ganz einfach war. Wie verlief der kurze Dreh in Namibia?
 
RUTH MADER: Wir waren ja einmal mehr aus Budgetgründen, ein Mini-Team bestehend aus Produktionsleitung, Kamera, Maske und Schauspielern, vor Ort natürlich unterstützt durch eine Service-Produktion. Wir haben mit einfachsten Mittel, fast dokumentarisch gedreht. Ich war sehr froh, auf meine Erfahrungen von What is Love zurückgreifen zu können, wo es auch darum ging, mit dokumentarischen Mitteln großen Spielfilm zu erzeugen. Ich musste in Namibia zwar mit einem Übersetzer arbeiten, die Arbeit mit den Kindern verlief aber völlig problemlos. Es war eher die Hitze, die uns da vor Herausforderungen stellte, weil wir an den beiden Drehtagen aufgrund der Temperatur- und Lichtverhältnisse um 11 Uhr vormittags alles im Kasten haben mussten. Meine Kamerafrau Christine A. Maier, die eine wunderbare Arbeit geleistet hat, hatte genug Erfahrung, um aus einer dokumentarischen Herangehensweise große Kinobilder zu erzeugen.
 
 
Ein schales gegenseitiges „Ich liebe dich“ ist der erste und der letzte Satz dieses Films, zwei mal im selben Setting ausgesprochen. Sie strukturieren auch Ihren Film immer wieder mit einer Szene mit Anna und Alexander im Ehebett in einer stets gleichen Kameraaufsicht, wenn auch mit unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Ehe, Familie, Lebensglück, Einsamkeit, Erfüllung – nannten Sie in Zusammenhang mit What Is Love als die grundlegenden Themen. Sind dies letztlich nicht auch die Themen, die Ihr Filmemachen im Ganzen betrachtet und die Fragestellungen, die Sie dabei bewegen, auf den Punkt bringen? Ist dies auch der Grund, weshalb sich LIFE GUIDANCE am intimsten Ort der Familie öffnet und schließt?
 
RUTH MADER: Das ist richtig. Das sind die Themen, die mich immer wieder bewegen. Sie waren schon in Struggle präsent, wo eher ein familiäres Konstrukt im Mittelpunkt steht. Dieses intime Setting habe ich deshalb gewählt, weil den Figuren in meinem Film bis ins Allerintimste ihre Freiheit genommen wird. Das ist aus meiner Sicht das Schlimmste an unserer gesellschaftlichen Entwicklung und daher setze ich am Ende wieder eine Szene, wo Alexander und Anna zueinander „Ich liebe dich“ sagen – diese hohlen Worte, die nicht mehr stimmen.
 
 
„Life Guidance ist eine private Agentur, da haben wir keine Handhabe“, sagt der Polizist, der eine Uniform trägt, die der heutigen entspricht. Wer regiert im Land von Life Guidance ?
 
RUTH MADER: Grundsätzlich gehen wir von einer liberalen Demokratie aus. Daher auch die Polizeiuniform, die der aktuellen Uniform in Österreich entspricht. Es handelt sich aber um eine Polizei, die kaputtgespart ist. Es ist ja auch jetzt schon so, dass immer mehr Leistungen, die bisher von staatlicher Seite gestellt wurden, ausgelagert werden. Man hat ja auch schon diskutiert, ob man nicht Gefängnisse in billigere Länder verlagern sollte.
 
 
„Wir leben in einer interessanten Zeit“, sagt der Gastgeber der Jagdgesellschaft, die für die alte Ordnung steht, sich aber auch gesättigt in die neue gerettet hat? Wofür steht diese Männerrunde?
 
RUTH MADER: Diese Männerrunde steht für jene Plutokraten, die immer Geld haben und haben werden, weil sie das System durchschauen. In dieser Szene erschließt sich ganz präzise, worum es in Life Guidance geht, nämlich, dass die Mittelschicht genau diese Entwicklung selbst gewünscht und getragen hat. Das ständig sich steigernde Bedürfnis nach Sicherheit hat natürlich seinen Preis für die Bürger. Das Bedürfnis nach Transparenz, das sich EU-weit etabliert, ebenfalls. Ich denke an Schweden, wo sogar im Internet abrufbar sein muss, was jeder verdient. Für mich eine Horrorvision. Darum sagt einer im Film auch: „Langsam werden wir alle Schweden.“ Ich will in keiner transparenten Gesellschaft leben. Ich hasse Transparenz. Ich hasse Political Correctness. Ich finde, das ruiniert alles.
 
 
Es gibt drei Szenen, in denen sich Alexander allein in die Natur , genauer gesagt in den Wald begibt. Warum spielt der Wald eine wesentliche Rolle?
 
RUTH MADER: Wald kommt bei mir schon in What Is Love vor. Es ist für mich ein Ort der Freiheit und Wahrhaftigkeit, ein Ort des eigentlichen, des puren Lebens. Wenn Alexander durch den Wald läuft, dann ist das für ihn ein Rückzugsort, wo er sich selbst wieder spürt und sich der Kontrolle entziehen kann. Hier kann er ausbrechen. In der zweiten Waldszene, wo er Paintball spielt, geht er einem Motivierungs-Angebot seiner Firma nach. Er ist durch das Eindringen von Life Guidance in sein Leben schon sehr verstört und dann kommt in diesem sehr unwirtlichen Wald (wir haben ihn den „Atomwald“ genannt) noch ein Kollege und schießt mit der Farbpistole auf ihn. Es hat mir natürlich auch Spaß gemacht, da wie auch in der Szene mit dem Sensibilisierungstraining, wo die Männer im Businessanzug handwerkliche Tätigkeiten ausführen müssen, eine satirische Note anklingen zu lassen.
 
 
In Life Guidance kommen drei Generationen vor. Großvater, Vater, Sohn. Der Großvater endet vereinsamt im Netzbett eines Pflegeheims. In zwei Generationen ist der Wandel vollzogen, die alte Welt verschwunden, das kontrollierte Leben nicht mehr hinterfragt.  Wie pessimistisch ist Ihr Ausblick?
 
RUTH MADER: Während Alexander noch Zweifel über sein Handeln kommen, hat der kleine Sohn alles verinnerlicht. Meine Vision ist eine sehr pessimistische, ich will die Menschen damit ja auch aufrütteln. Gäbe es ein Happy End, dann würde es nicht ernst genommen werden. Ein Film der gesellschaftliche Zustände kritisch betrachtet, muss die Zuschauer wachrütteln. Ich denke an Clockwork Orange mit seinem schrecklichen, schockierenden Ende, das auch eine Reaktion und ein geändertes Verhalten bewirken soll. Ich will mit meinen Filmen immer auch eine politische Aussage treffen.
 
 
Die optimale Verquickung von Angst und Komfort scheint in dieser Gesellschaft den maximalen Machtanspruch zu ermöglichen. Interessant ist, dass Sie in Alexanders Aufbegehren um seine persönliche Freiheit die Frage nach dem Glauben ins Spiel bringen. Der Glaube, von dessen Ketten die Gesellschaft sich in den letzten Jahrzehnten/Jahrhunderten befreit hat. Ein Kreis schließt sich wie in Ihrem Film ...
 
RUTH MADER: Life Guidance zeigt zum einen, dass der Glaube nur noch in Nischen da ist. Er wird zurückgedrängt und nicht mehr ernst genommen. Dass Kirchengebäude verkauft, in Discos oder Banken umgewandelt werden, ist auch nichts Neues mehr. Für mich ist Glaube wichtig. Es ist ein Thema, das in meinem Filmen immer wieder eine Rolle spielt. In Serviam, dem Drehbuch, von dem ich zuvor bereits gesprochen habe, ist Glaube das zentrale Thema. Ich denke, dass Glaube nie ganz verdrängt werden kann, weil er ganz elementar zum Menschsein dazugehört. Ich habe zum Thema Glauben einen positiven Bezug und stelle das im Film auch so dar. Wenn es zum Niedergang des Kapitalismus kommt, werden vielleicht alle zum Papst laufen und fragen: „Was machen wir jetzt, Franziskus?!“
 
 
Interview: Karin Schiefer
August 2017