INTERVIEW

«Es gibt viel mehr Helden als man denkt.»

Namrud – Troublemaker nennt Fernando Romero-Forsthuber sein Portrait von Jowan Safadi. Es ist dies nicht nur eine Anspielung auf dessen erstes Soloalbum. Vielmehr ist der palästinensische Musiker aus Haifa ein polyglotter und provokanter Denker, der unerbittlich und unermüdlich über die Reibungsflächen seiner Gesellschaft streift.
 
 
NAMRUD ist ein Portrait des in Israel geborenen palästinensischen Musikers Jowan Safadi. Wie sind Sie auf ihn aufmerksam geworden?
 
FERNANDO ROMERO-FORSTHUBER: Diese Begegnung habe ich dem palästinensischen Hip Hopper Asifeh zu verdanken, der zwischen Wien und Ramallah lebt. Wir haben uns für weniger bekannte Künstler interessiert, die in Israel oder im Westjordanland lebten. Jowan Safadi habe ich entdeckt, weil er als einziger seine Texte ins Englische übersetzt hatte. Vor sieben Jahren habe ich ihn zum ersten Mal in Haifa besucht. Er hat mich fasziniert, weil er ein wahrer Freigeist ist, über Gefühle ebenso schreibt wie über politische Themen, und alles – wirklich alles – grundsätzlich hinterfragt. Jowan ist einfach anders und nicht einzuordnen. Wir haben uns sehr schnell sehr gut verstanden, ich habe mit ihm in Nazareth ein Musikvideo gedreht und wir haben einander in einer Zeit oft besucht, wo sich in seinem Leben viel geändert hat: sein Sohn lebte mit seiner Mutter in den USA, beruflich lief einiges schief und er hat begonnen, sich vertieft seiner eigenen Musik und Kunst zu widmen.
 
 
Wie würden Sie seinen Status als Musiker in Israel zwischen populär und kontroversiell einschätzen?
 
FERNANDO ROMERO-FORSTHUBER: In Palästina/Israel ist Jowan in alternativen palästinensischen wie israelischen Künstlerkreisen bekannt. Einige Songs haben es in die israelische Presse geschafft, einige sind auch international bekannt. Man kennt ihn in gewissen Kreisen in Haifa, er wird aber sehr kontroversiell aufgenommen. Die meisten von den vielen Morddrohungen, die er schon bekommen hat, sind von Arabern gekommen, die nicht damit klar kommen, dass er auch Religion und familiäre Traditionen in Frage stellt. In einigen Ländern darf er gar nicht einreisen. Sein bekanntestes Lied, Oh, poor infidels, singt er in der TV-Diskussion, die im Film vorkommt. Damit hat er vor allem über das Internet Bekanntheit gewonnen, kommerziell erfolgreich ist er mit seiner Musik nicht.
 
 
Der Film ist das Portrait eines Künstlers, aber auch eines Mannes um die 40, der stellvertretend für die Situation der Palästinenser in Israel erzählt und letztlich kommt eine familiäre Komponente hinzu – die des alleinerziehenden Vaters mit einem 16-jährigen Sohn. Gab es anfangs einen Aspekt, der den Anstoß für diesen Film geliefert hat?
 
FERNANDO ROMERO-FORSTHUBER: Das Faszinierende an Jowan ist seine intellektuelle Stärke, mit der er hinterfragt und seine oft abstrakten Gedanken auch in Liedtexte und in Musik übertragen kann. Er spricht Dinge an, die sein unmittelbares Lebensumfeld in Israel/Palästina betreffen, die aber durchaus universell sind. Dazu kam dann die persönliche Komponente dazu, dass er ein wirklich lustiger, wenn auch nicht immer einfacher Kerl ist. Dass sein Sohn Don zu ihm nach Haifa gezogen ist, hat sich ergeben. Mich fasziniert, dass es Leute gibt, die trotz einer komplizierten Alltagssituation, an Dingen, die ihnen wichtig sind, festhalten und weitermachen.
 
 
Gab es in diesem wenig vorausplanbaren Dreh, Momente und Entwicklungen, die sich letztlich als Geschenke an den Filmemacher erwiesen haben?
 
FERNANDO ROMERO-FORSTHUBER: Jowan hatte volle Freiheit darüber, was er im Verlauf des Drehs tun oder schreiben würde. Er wusste nur, dass er irgendwann aus der arabischen Sprache raus musste, auch weil er die hebräische Sprache sehr gut beherrscht. Dass dieses in Hebräisch verfasste Lied, To be an Arab, eine so zentrale Rolle bekommen würde, damit haben wir nicht gerechnet. Das Lied wurde innerhalb von zwei Wochen ein Sommerhit. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Seiner Fangemeinde gegenüber war es gewiss ein Risiko, auf Hebräisch zu singen und als Verräter betrachtet zu werden. Der Ausgang dieses Versuchs war für uns alle sehr spannend. Er hat genau zum richtigen Zeitpunkt das Richtige gesungen. Ein weiteres Geschenk war der israelische Festivalorganisator Gilli, der am Anfang des Films versucht, Jowan zu überzeugen in Jerusalem zu spielen. Er wollte ihn unbedingt auf seinem Festival haben und war bereit, dafür selbst viel zu riskieren. Jowan war lange sehr abweisend, dass er es dann doch gemacht hat, war überraschend. Er hat viel zu verlieren, wenn er in Israel für Israelis spielt. Die größte Schwierigkeit beim Drehen war die, Jowan aus dem Haus zu bringen. Dort ist er am liebsten. Er verbringt die meiste Zeit zu Hause, um an seiner Musik zu arbeiten, Geld als Lektor für arabische Publikationen zu verdienen.
 
 
 
Sie zeigen mit Don, Jowan und dessen Vater drei Generationen, die möglicherweise die gesamte Geschichte der Palästinenser seit der Gründung Israels erlebt haben. Ging es Ihnen auch darum, innerhalb dieser Familie ein Bild vom unterschiedlichen Umgang mit der politischen Situation zu finden?
 
FERNANDO ROMERO-FORSTHUBER: Meine ersten Reisen in diese Region haben mich nur ins Westjordanland geführt. Israel blieb ausgeklammert, Palästinenser, die in Israel lebten, galten gewissermaßen als Verräter und ich habe mich nie so richtig mit ihrer Geschichte seit den Anfängen Israels auseinandergesetzt. Diese Perspektive der Palästinenser in Israel war für mich deshalb so reizvoll, weil es darüber wenig filmische Erzählungen gibt, ganz im Gegensatz zum Westjordanland. Ich fand es spannend, von Städten wie Haifa oder Nazareth zu erzählen, wo Araber und Juden zusammenleben. Jowans Familie bietet da schon eine interessante Konstellation, mit seiner Mutter, die sehr religiös ist, seinem Vater, dem die Religion etwas weniger wichtig ist und seinem Sohn Don, der 16 und in den USA aufgewachsen ist. Jowans Eltern waren mir sehr wichtig, weil sie eine sehr liebevolle Beziehung zueinander haben und sie gleichzeitig nichts von ihrem Sohn und dessen Zugang zum Leben verstehen. Bei Don habe ich das Gefühl, dass er gerne bei seinem Vater leben wollte, auch wenn das Leben für ihn in New York gewiss einfacher wäre.
 
 
Jowans Vorliebe fürs Drinnen-Sein hat wohl viele Innendrehs in engen Räumen bedingt. Oft waren die Drehs sehr spontan. Vor welchen Herausforderungen standen die Kameraleute während der Dreharbeiten?
 
FERNANDO ROMERO-FORSTHUBER: Wir haben mit Jowan grundsätzlich  abgesprochen, was wir drehen wollten – z.B. gemeinsam Kochen mit dem Sohn oder Besuch bei den Eltern. Die Drehs selbst sind dann auf Vertrauensbasis vonstatten gegangen. Er hat Seines gemacht und wir haben versucht, es einzufangen. Mein Eindruck war auch, dass er mit fortschreitendem Dreh immer selbstbewusster im Umgang mit der Kamera geworden ist. Eine meiner Prämissen war, dass wir ihn filmten und nicht der Eindruck entstand, dass er für uns den Protagonisten spielte und uns das gab, was wir brauchen. Oft war auch die räumliche Situation so klein, dass abgesehen von Kamera und Ton kein Platz war. Wir ließen ihm auf jeden Fall alle Zeit der Welt...
 
 
...was am Ende zu wie viel Stunden Material geführt hat? Wie sehr ist der Film am Schneidetisch entstanden?
 
FERNANDO ROMERO-FORSTHUBER: Ich denke, es waren an die 130 Stunden Material vorhanden. Die Entscheidung, mit Wolfgang Auer als Schnittmeister zu arbeiten, habe ich ganz intuitiv getroffen. Bei ihm hatte ich das Gefühl, dass er meinen Ansatz erfasst hatte. Es war eine wahre Schnittorgie. Wolfgang war derjenige, der schnell mit sehr viel Sensibilität erfasst hat, dass man Jowan über die Details, die kleinen Schmähs, seinen Galgenhumor und nicht über seine Auftritte portraitieren musste. Das hat er durchgezogen und sehr stark auch seine Handschrift in diesem Film hinterlassen. Es wirkt jetzt alles sehr natürlich, Wolfgang hat da im Nachhinein sehr viel konzeptuelle Arbeit in der Montage erledigt. Das Leben in Israel ist alles andere als ein Honiglecken und Wolfgang und mir ist es gelungen, ein sehr würdevolles, heiteres und keineswegs deprimierendes Dasein zu vermitteln und die Menschen nie als Opfer, sondern als Weltbürger zu zeigen. Um die Spannung und den Druck, die den Alltag in Israel bestimmen, auszuhalten, muss man wahrscheinlich in gewisser Weise verrückt sein, um normal zu bleiben.
 
 
Wie sehr hat diese Erfahrung des ersten Langfilms, Ihren Zugang zum und Anspruch ans Filmemachen gefestigt?
 
FERNANDO ROMERO-FORSTHUBER: NAMRUD – TROUBLEMAKER ist mein erster langer Dokumentarfilm, ich habe aber schon mehrere Reportagen gemacht und bin davor sehr viel in Konfliktregionen gereist. Jowan ist für mich ein Held, ebenso wie ich die Studenten in Mexiko, um die es in meinem neuen Projekt geht, als Helden betrachte. Ich interessiere mich für Menschen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten – Jowan als Künstler, die mexikanischen Studenten als angehende Lehrer – sich dafür einsetzen, in ihrem kleinen Handlungsradius zur Verbesserung der Lebensbedingungen beizutragen. Dokumentarfilm ist ein gutes Werkzeug, diese Menschen zu zeigen. Meine Arbeit als Dokumentarfilmer könnte darin bestehen, dass ich solche Helden aufspüre, dokumentiere und damit zeige, dass es nicht nur in der Vergangenheit und in der Fiktion Helden gibt. Es gibt viel mehr Helden, die Gutes tun, als man sich denkt.
 
 
Interview: Karin Schiefer
April 2018

 

 
 
«Um die Spannung und den Druck, die den Alltag in Israel bestimmen, auszuhalten, muss man wahrscheinlich in gewisser Weise verrückt sein, um normal zu bleiben.»