INTERVIEW

«Aus einem Zufall entspinnt sich eine gewaltige existentielle Geschichte.»

Pünktlich zum Frühlingserwachen hat Karl Markovics in der Gartensiedlung auf der Schmelz seinen dritten Spielfilm gedreht. Ein Zufall bedingt in NOBADI die Begegnung zwischen einem betagten Schrebergärtner und einem jungen Flüchtling, eine alltägliche Aufgabe führt sie zur Konfrontation mit sich selbst und ihren offenen Lebensfragen.
 
 
Nach Atmen und Superwelt ist NOBADI nun der dritte Film, den die epo-film nach einem Original-Drehbuch von Karl Markovics realisiert. Worin würden Sie zwischen diesen drei Arbeiten einen inhaltlichen Bogen spannen?
 
JAKOB POCHLATKO: Die Fertigstellung von Atmen verbinde ich mit meinen Anfängen als Produzent in der epo-film. Wenn ich Karl Markovics’ Filme auf den Punkt bringen soll, dann würde ich zwischenmenschliche Themen und menschliche Entwicklungen in den Vordergrund stellen. Es sind Geschichten, die im Kleinen erzählt werden und sehr unmittelbar an den Figuren sind, letztlich aber große menschliche Fragestellungen zur Grundlage haben. Bei Superwelt war das übergeordnete Thema sichtbarer, bei Atmen wie auch bei NOBADI liegt es eher unter der Oberfläche.
 
 
Hat sich einmal mehr eine Geschichte von Karl Markovics aus einer Alltagsbeobachtung heraus entsponnen?
 
JAKOB POCHLATKO: Ich denke, im Fall von NOBADI waren es mehrere Beobachtungen. Da war zum einen der Wiener Kosmos Schrebergarten und zum anderen Flüchtlingsthematik, die 2015 zu einem bewegenden Thema wurde. Das waren gewiss die zentralen Punkte. Grundsätzlich muss man zu Markovics-Filmen sagen, dass alles, was man in seinen Filmen sieht, einer Beobachtung entspringen muss, weil es so genau erzählt ist. So etwas kann man sich nicht ausdenken. Gerade in den Details der Alltagssituationen, die er so gekonnt zu erzählen versteht, muss alles stimmen, weil diese Kleinigkeiten nicht nur jeder kennt, sondern auch jedem auffallen würde, wenn sie nicht stimmen.
 
 
Der Synopsis ist zu entnehmen, dass die Geschichte zwei Menschen, die nichts miteinander gemein haben, etwas tief Bewegendes miteinander teilen. Was führt die beiden letztlich zusammen?
 
JAKOB POCHLATKO: Was beide – einen alten und einen jungen Mann – zusammenführt, ist der Umstand, dass sie aufeinander angewiesen sind, obwohl das im ersten Moment gar nicht so augenscheinlich ist. Der Grund für ihre Begegnung beruht auf reinem Zufall. Aus diesem Zufall entspinnt sich eine gewaltige existentielle Geschichte.
 
 
Wie kann man diese beiden Hauptfiguren charakterisieren?
 
JAKOB POCHLATKO: Im Mittelpunkt steht ein sehr betagter Herr, der von der Umwelt völlig abgeschottet in seinem Schreibergartenhäuschen lebt. Nach außen ist er sehr harsch und wirkt nicht so, als hätte er ein Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt, in Wirklichkeit sehnt er sich nach nichts mehr. Ihm gegenüber steht ein junger afghanischer Flüchtling in einer absoluten Notsituation, der einen gewissen Rückhalt in Österreich sucht. Als Persönlichkeit ist er ein sehr vifer, humorvoller und aufgeschlossener Kerl, der sehr wenig mit seinem Gegenüber gemein hat.
 
 
Wird sich der Film komplett auf die beiden männlichen Hauptfiguren konzentrieren?
 
JAKOB POCHLATKO: Absolut. Die Geschichte wird ganz nah an den beiden dran sein. Wir haben insgesamt sechs Rollen mit Schauspielern besetzt. Der Fokus liegt aber an den beiden, die beinahe in jedem Bild sein werden. Der Film spielt an einem einzigen Nachmittag, wo es nur um die zwei geht. Es wird für die Zuschauer hoffentlich ein Leichtes sein, daraus etwas Größeres abzuleiten.
 
 
Wie verlief in diesem Fall das Casting, wenn der Fokus so stark auf zwei Figuren lag?
 
JAKOB POCHLATKO: Für die Besetzung des alten Manns ist die Bandbreite der Möglichkeiten in Österreich nicht sehr groß. Mit der Besetzung von Heinz Trixner haben wir einen wahren Glücksfall erlebt. Er ist unheimlich beeindruckend in der Rolle. Das kann man schon nach wenigen Drehtagen sagen. Schwieriger war es, einen Darsteller für den jungen Afghanen zu finden. Wo beginnt man die Suche? Die Klassiker – wie Inserat per Internet, Flugblätter an Schulen  – waren in dieser Situation nicht angebracht. Bei Menschen, die aufgrund ihrer Geschichte und ihres Aufenthaltsstatus in einer problematischen Situation sind, ist es schwieriger eine Plattform zu finden, wo man auf diese Leute zugehen kann. Wir haben sehr eng mit Hilde Dalik zusammen gearbeitet, die einen Verein gegründet hat, wo sie jungen Geflüchteten über Schauspiel und Tanz eine Möglichkeit bietet, Anschluss zu finden. Sie hat durch diese Arbeit einen sehr guten Überblick und war uns sehr hilfreich. Wir brauchten jemanden, der nicht zu gut Deutsch sprach und gleichzeitig Deutsch gut genug verstand, um am Set – ob es nun um die direkte Kommunikation mit dem Regisseur oder um die generelle Dreh-Kommunikation ging – ohne Dolmetscher arbeiten zu können. Borhan Hassan Zadeh kann sehr gut Deutsch und ist überhaupt ein unglaubliches Sprachentalent. Karl hat einen ganz besonderen, sehr mit positiver Energie aufgeladenen Umgang mit Schauspielern. Wenn man da einen Dolmetscher bräuchte, ginge viel von der Spontaneität verloren. Das Casting hat Nicole Schmid durchgeführt, die bis jetzt alle drei Filme von Karl gecastet hat. Auch wenn die Besetzung eher klein ist, oder vielleicht gerade deshalb, ist sie vor einer großen Herausforderung gestanden.
 
 
Wir sind hier an der Schrebergartensiedlung auf der Schmelz, wo sich auch das Hauptmotiv befindet. War es ein Leichtes, mitten in Wien ein Gartenmotiv zu finden? Wird hier auch das Gros des Films gedreht werden?
 
JAKOB POCHLATKO: Die Locationssuche selbst hat sich nicht allzu schwierig gestaltet, da Karl Markovics beim Schreiben des Drehbuchs schon in Gedanken die Schmelz vor sich hatte. Die Herausforderung lag darin, einen Grundstückseigentümer zu finden, der seine Zustimmung gab, dass wir uns für sechs Wochen in seinem Daheim breit machten und ein 35-Mann-Team täglich im Garten herumsteigt. Wir haben ja auch massive technische Aufbauten durchgeführt. In Schrebergärten sind noch dazu die Nachbarschaften sehr eng und es galt auch, die angrenzenden Grundstückseigner zu überzeugen. Auf so engem Raum braucht es das Wohlwollen der Nachbarn, sonst hätte es so ein Projekt sehr schwer, wenn da auch noch Konflikte zu regeln wären. Es war Karl sehr wichtig, die Drehsituation in einer Enge und Dichte zu erhalten, die auch das beinahe Klaustrophobische eines Schrebergartens spürbar macht. Wir können einen großen Teil des Drehs hier abwickeln, da ja 90% der Geschichte vor dem und im Gartenhäuschen spielen. Das Außengrundstück nutzen wir zur Gänze, einige Szenen haben wir sogar Innen im Haus gedreht. Für die komplizierteren Innenszenen aber haben wir das Innenleben des Häuschens im Studio nachgebaut, wo man auch Wände entfernen kann, damit sich das Team freier bewegen kann. Bei den ersten Drehs im Haus selbst, haben wir erlebt, wie eng es wird, selbst wenn nur die allernotwendigsten Teammitglieder präsent sind.
 
 
Serafin Spitzer ist ein junger Kameramann, der bisher die Kamera für Dokumentarfilme gemacht hat. War es für ihn die Gelegenheit, einen ersten abendfüllenden Spielfilm zu drehen oder ist NOBADI ein Film, der eine Kamera mit einer Affinität zum Dokumentarischen braucht?
 
JAKOB POCHLATKO: Ich denke, es ist eine Mischung. Der Film ist in gewisser Weise dokumentarisch gedreht, weil er sehr realitätsnah und vor allem so nah an den Figuren ist. Serafin Spitzer hat bei seinen abendfüllenden Arbeiten bis jetzt Dokumentarfilme gedreht, er war aber auch der Kameramann von Florian Pochlatkos Erdbeerland, der mehrfach ausgezeichnet worden ist und alle Qualitäten eines vollwertigen Spielfilms hat. Ich glaube, dass die Kombination den Ausschlag gegeben hat. Karl war auf ihn schon aufmerksam geworden, als er für Superwelt das Making Of gedreht Es war eine naheliegende Entscheidung und ist genau genommen gar nicht die allererste Zusammenarbeit zwischen beiden. Es war schön mitzuerleben, mit wieviel Kreativität und Enthusiasmus hier jemand in die Vorbereitung eingestiegen ist. Selten erlebe ich bei Regisseuren eine so enge Zusammenarbeit mit dem Kameramann wie bei Karl Markovics, der Monate vor Drehbeginn akribisch an der Auflösung jedes Bildes arbeitet. Die beiden haben einander auf sensationelle Weise ergänzt. Karl ist ein Regisseur, der sehr bildhaft schreibt und denkt, umso mehr braucht er einen Kameramann, der seine Bilder erfasst und versteht. Er hat sehr präzise Vorstellungen, wenn aber jemand Vorschläge einbringt, die ihn überzeugen, dann nimmt er das gerne an.
 
 
Auch von Seiten der Produzenten?
 
JAKOB POCHLATKO: Es ist für Produzenten sehr angenehm mit Karl Markovics zu arbeiten. Er ist ein Regisseur, der weiß, was er will, der aber auch versteht, wenn sich die Finanzierbarkeit einer konkreten Idee, Grenzen erreicht oder wenn sich der Drehstart verzögert, weil noch eine Förderzusage aussteht. Als ich das Drehbuch von NOBADI zum ersten Mal gelesen habe, habe ich es in einem Zug verschlungen, ohne auch nur einmal aufzustehen. Es liest sich wie ein Thriller, man will jeden Moment wissen, wie es weiter geht, obwohl es um zwei Menschen geht, die einen Nachmittag gemeinsam im Garten verbringen. Es entwickelt einen unheimlichen Sog, und in der Mitte gibt es einen Plot-Twist, der sich gewaschen hat. Sich bei so einem exzellenten Drehbuch als Produzent inhaltlich einzubringen, hielte ich für vermessen.  Es ist ein Geschenk, so etwas zu lesen zu bekommen.
 
 
Was die Finanzierung betrifft, klingt es mit einer einzigen Hauptlocation und zwei zentralen Schauspielern nicht nach einem besonders teuren Projekt.
 
JAKOB POCHLATKO: Als Kinofilm ist NOBADI definitiv ein überschaubares Projekt. Man darf sich aber nicht täuschen lassen und muss mehrere Blickwinkel in Betracht ziehen. zum Beispiel die schon erwähnte Präzision von Karl Markovics, der jede Szene sehr detailliert auflöst. Bei ihm  muss alles sitzen. Wir drehen nur sehr wenige Schnittminuten pro Tag und haben für so ein „klein“ anmutendes Projekt sehr viele Drehtage. Und wir haben am kleinen Ort einen großen technischen Aufwand betrieben – u.a. das Haus überdacht, um unabhängig von Licht- und Wetterverhältnissen arbeiten zu können. April ist nicht nur die Jahreszeit des häufigen Wetterwechsels, es wird alles rundherum sehr schnell grün, die Veränderungen in der Natur sind täglich sichtbar. Wir stehen vor der Herausforderung, in dreißig Drehtagen die fünf Stunden eines Nachmittags zu erzählen und dabei glaubhaft zu vermitteln, dass sich die Umwelt nicht verändert. Das ist nicht so einfach. Angedacht war NOBADI als Wintergeschichte, da es sich durch eine Förderentscheidung verzögert hat, wollten wir nicht noch einen Winter abwarten, um den Dreh zu beginnen. Es war eine so gute Energie da, die musste jetzt im April raus.
Wir haben auch versucht, so weit wie möglich chronologisch zu drehen. Der Studio-Teil ist allerdings erst am Ende der Drehzeit, insofern konnten wir das nicht in aller Konsequenz durchziehen.
 
 
Wie sieht der weitere Zeitplan für die Fertigstellung von NOBADI aus
 
JAKOB POCHLATKO:  Am 17. Mai wird der Film abgedreht sein und wir haben Zeit für eine erste Schnittfassung. Im Sommer inszeniert Karl Markovics eine Oper bei den Bregenzer Festspielen, es wird also erst im Herbst mit der Postproduktion weiter gehen. Mit Ende des Jahres 2018 sollte der Film fertig sein.
 
 
 
Interview: Karin Schiefer
April 2018
 
«Das Drehbuch liest sich wie ein Thriller, man will jeden Moment wissen, wie es weiter geht, obwohl es um zwei Menschen geht, die einen Nachmittag gemeinsam im Garten verbringen.»