INTERVIEW

«Der schönste Stern, der strahlt, schmückt auch den Herrn, dem er dient.»

Als kleiner Junge aus Afrika nach Europa verschleppt, als exotisches Kleinod mit höfischer Erziehung versehen, macht Angelo Soliman (1721-96) seinen Weg in der Wiener Gesellschaft, die ihn nach Belieben wahrnimmt, ohne ihn je dazugehören zu lassen. Markus Schleinzer nutzt die Bruchstückhaftigkeit dieser rätselhaften wie außergewöhnlichen Biografie, um Denkanstöße zu Identität und Freiheit in einem kunstvollen Spiel von Licht und Schatten in die Gegenwart zu projizieren.
 
Wir sehen in der ersten Einstellung von ANGELO in einiger Distanz Ruderboote am Meeresufer anlegen. Auch wenn es für diesen Moment ungewiss ist, ob wir uns in der Gegenwart oder der Vergangenheit befinden, klärt sich wenig später, dass wir uns in einem historischen Kontext befinden. Welche Funktion hatten die Knabenschiffe, die im 18. Jh. an den europäischen Küsten anlegten? Was erwartete diese Buben in Europa?
 
MARKUS SCHLEINZER: Ich wollte Angelos europäische Existenz nur am Kontinent Europa behandeln. In dem Moment, wo er einen Fuß auf den Kontinent setzt, beginnt die Geschichte und im Moment, wo er den Kontinent durch sein „zweites“ Ende wieder verlässt, endet sie. Ich habe das Drehbuch zu einem Zeitpunkt geschrieben, wo die Flüchtlingskrise noch nicht das Ausmaß angenommen hatte, das es 2015 erreicht hat. Seither sind Bilder von am Meeresstrand anlegenden Booten anders belegt. Das muss ich hinnehmen. Es ist ja unfreiwillig komisch, dass man vor wenigen Jahrhunderten, Menschen dazu zwang nach Europa zu kommen, jetzt, wo sie freiwillig kommen, will man sie nicht. Es gab Schiffe, die ausschließlich für den Buben- und Mädchenhandel bestimmt waren. Die Kinder wurden in erster Linie zum Amusement der höheren Gesellschaft eingesetzt. Man wollte lebendige Beispiele – ein Kuriosum, eine Abnormität oder ein Menschenkind aus fernen Ländern. Es ging um ein Entdecken des Exotischen. Man hat sie beschaut, bestaunt. Sind sie Menschen, Halbmenschen, Wilde? Kann man ihnen etwas beibringen? Die Arroganz und das Selbstbewusstsein, das Zentrum der Welt zu sein, ist ja nichts originär Europäisches. In jeder Kultur sind rassisches und rassistisches Denken und zentralistische Arroganz verwurzelt. In dem Moment, wo es losgeht mit der globalisierten Welt, beginnen auch die Reibungen und das Sich-selbst-Höherstellen gegenüber dem Anderen.
 
 
Angelo Soliman lebte von 1721-1796; nach Wien kommt er etwa in den 17-vierziger Jahren. Über seine Kinderjahre weiß man nicht allzu viel. Warum war es Ihnen dennoch wichtig, Angelos Kindheit zu imaginieren, und zum ersten Kapitel dieses Films zu machen?
 
MARKUS SCHLEINZER: Erst dort einzugsteigen, wo Angelo Soliman empirisch erfassbar und recherchierbar wird, hätte mich ja nicht aus der Verantwortung genommen, mir eine Form von Vergangenheit zu denken. Da liegt ein Grundproblem aller dokumentarischen und wissenschaftlichen Arbeiten: Sobald man etwas erzählt oder beschreibt, ist man umgehend in der Fiktion – allein durch Auswahl oder Kadrierung. Aus meiner Sicht gibt es keinen Dokumentarfilm, der nicht auch einen stark fiktionalen Charakter hat. Ich wollte die gesamte Zeitspanne, die dieser Mensch am Kontinent Europa verbracht hat zusammenfassen, da in jedem Lebensabschnitt unterschiedliche Dinge zu erlernen sind, die später zum Einsatz kommen. Wie Kindheit oder Schulbildung ganz allgemein zu jener Zeit ausgesehen haben, ist ja recherchierbar. Gemeinsam mit meinem Koautor Alexander Brom haben wir uns nicht auf das Wenige von Angelo Soliman Belegte versteift, sondern haben uns auch an anderen Schicksalen orientiert. Es war mir im Schreibprozess sehr früh wichtig, mich von der realen Person Angelo Soliman loszusagen. So kann ich an der fiktiven Lebensspanne eines einzelnen Menschen viele andere Themen verhandeln. Mir ist es lieber, mein Film bringt die Zuschauer einen Schritt weiter, als dass man einem einzelnen Menschen beim Denken und Vorankommen zuschaut.
 
 
Angelo erreicht als Fremder in der reglementierten Gesellschaft des 18. Jhs einen unglaublichen Status; trotz aller Anpassungsfähigkeit und Intelligenz wird er immer ein Anderer bleiben. Seine Geschichte ist eine der Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit. Worin sahen Sie in seiner Existenz das Potenzial als heutige Filmfigur?
 
MARKUS SCHLEINZER: Ich halte die Angelo- Soliman-Figur für eine immer noch gültige Figur, weil er etwas transportiert, was wir auch haben: Wir sind alle Menschen unserer Zeit und bringen dafür unterschiedlichste Voraussetzungen mit. Um im Leben voranzukommen muss man es schaffen, zwischen dem Fleck, an dem man steht und dem, den man erreichen möchte, Brücken zu schlagen. Manchen gelingt dies dank ihrer Voraussetzungen besser als anderen. Dieses Nicht-losgelöst-Sein aus der Zeit, in der man lebt, halte ich für spannend. Ich glaube, wir sind alle in einen extrem aktuellen Kontext hineingeworfen und es ist uns gar nicht bewusst, wie stark wir von der Zeit geformt sind, in der wir uns bewegen.
 
 
Die Szene, wo die Comtesse den Knaben auswählt, findet in einem hohen, neonausgeleuchteten Raum statt. Sie lassen an manchen Stellen geradezu provokant die Gegenwart in den historischen Kontext funken. Was hat Sie dazu bewogen?
 
MARKUS SCHLEINZER: Ich glaube nicht an das Konzept des historischen Films. Niemand von uns war dabei. Welchen Sinn soll es machen, einen historisch lupenreinen Film zu machen, abgesehen von der Schönheit, die man damit produziert. Will man den Stoff nur in der Vergangenheit verorten, macht man ihn klein und erzählt nichts von heute. Für mich stand immer fest, dass wir diesen Stoff auch mit gegenwärtigen Akzenten versehen müssen.
Ein schöner Historienfilm veranlasst mich, mich bequem zurückzulehnen. Da habe ich als Zuschauer einen geringeren Handlungsauftrag. Wenn ich im Burgtheater sitze und das Bühnenbild legt die Feuerwand frei und dennoch kommen dann Schauspieler in einem Kostüm auf die Bühne, das historisch verortbar ist, dann weiß ich, dass ich mich mit einem Spiel der Zeitebenen auseinandersetzen muss. Im Tanz oder Theater ist das gang und gäbe, im Film kommt das heute viel weniger vor, auch wenn in der frühen Filmgeschichte unheimlich stark abstrahiert und expressiv gearbeitet wurde. Da war man viel experimentierfreudiger. So ein Zeitenbruch ist immer ein Appell ans Publikum. „Du bist gemeint!“ Wir haben das im Film nur sehr dezent eingesetzt. So wie Ausstattung und Kostüm konzipiert sind, ist der Film ja ein Ritt durch viele Zeiten – wir fangen architektonisch in einer Renaissance an und enden im Biedermeier. So alt ist Herr Soliman nicht geworden.
 
 
Man weiß, dass die Haut von Angelo Soliman präpariert und für ein Exponat, das den ersten Vertreters des Menschengeschlechts darstellen sollte, im kaiserlichen Naturalienkabinett verwendet wurde. In der ersten nahen Einstellung auf Angelo sehen wir, wie er aus den Stoffschichten, die er während der Überfahrt getragen hatte, gelöst wird, als würden Schichten abgetragen und seine eigentliche Haut freigelegt. Die Hautfarbe zum einen, die Haut, die Gewänder, die das Innere verbergen, scheinen Ihnen in der Geschichte, die sie von Angelo ersinnen, eine sehr wichtige Rolle zu spielen.
 
MARKUS SCHLEINZER: Filmemachen ist für mich ein Bestandteil der bildenden Kunst und das Auftragen von Schichten und das Experimentieren damit, macht mir große Freude. Bei meinem ersten Film Michael war das nicht möglich, weil wir uns bei diesem Thema – es ging um die Entführung eines Kindes, das in einem Keller festgehalten wird – jeder Form von Sinnlichkeit verwehrt haben. Bei ANGELO hat sich ein schwelgender Blick angeboten, weil er dem Schönen wie dem Schrecklichen der Geschichte keinen Abbruch tut. Angelo hat es in der Tat sehr weit gebracht. Das, was von einem bleibt ist das, was die folgenden Generationen aus einem machen. Worauf wird ein Mensch nach seinem Ableben zurückgestutzt? Was wird man über ihn sagen? Dass er weit gekommen ist? Dass er, obwohl er schwarz war, weit gekommen ist? Wo sind die Grenzen? Wo kann Osmose stattfinden? Was oder wer kann man zu welcher Zeit sein? Diese Fragen faszinieren mich ganz allgemein.
 
 
Diese Geschichte über Identität und Dazugehörigkeit ist auch eine Geschichte, die Sie sehr intensiv über Rituale, Zeremonielle, Regeln erzählen. Warum?
 
MARKUS SCHLEINZER: Es ist das Handwerkzeug von Zugehörigkeit. Sie kann sich nur im Ritual äußern. Das Erkennen des eigenen Ichs ist ein großer Bestandteil der menschlichen Existenz. Ich wüsste nicht, wie sich der Wunsch nach Zugehörigkeit sonst zeigen ließe als über die äußere Beschreibung wie das Tragen von Freimaurerschürzen oder einer Krone. Angelo Soliman wollte eines – nach oben. Andere Schwarze, die zur selben Zeit in Wien leben, interessieren ihn absolut nicht. Wenn man in dieser Zeit aufsteigen will, muss man mit den Weißen steigen, was wiederum Einsamkeit impliziert. Wenn man so lange ein Einzelkämpfer ist, ermüdet man irgendwann und die Sehnsucht wächst, sich in einer Allgemeinheit, einer Norm, einem Gegenüber aufzulösen. Ich glaube, dass es in einer funktionalen Gesellschaft einen gemeinsamen Nenner geben muss. Ich kann nur so weit wachsen, wie das Gegenüber es zulässt. Natürlich kommt es zunächst einmal darauf an, wieviel Mut ich habe, wie stark ich meine Sehnsüchte in eine Realität umwandle. Identität ist verhandelbar, manchmal aber verhandeln die anderen deine Identität.
Im letzten Teil des Films mit Angelo als alten Mann ist auch die Tochterposition besonders interessant. Sie ist ein erster Hybrid, mit einem schwarzhäutigen Vater und einer weißhäutigen Mutter und hat mit dem Kontinent, den man ihr aufgrund ihres Aussehens bei jeder Gelegenheit anhaftet, gar nichts mehr zu tun.  Vor der kitschigen Wandmalerei im Museum fragt sie ihren Vater „C’est comme ça, papa, l’Afrique?“ Dieser Moment berührt mich sehr, weil Angelo selbst nicht weiß, was er antworten soll, war er doch selbst seit 70 Jahren nicht dort.
 
 
Ein weiteres großes Thema dieses Films ist die Freiheit – die Freiheit als Geschenk, als Strafe, als Ziel, als Sehnsucht, als Chimäre, ob für den Sklaven, ob für den Kaiser. In Joseph II. haben Sie eine Gegenfigur zu Angelo entwickelt. Was verkörpert er?
 
MARKUS SCHLEINZER: Ich mag den Kaiser sehr, weil er die drei großen Themen, die im Film verhandelt werden – Heimat, Identität und Selbstverwirklichung – in den drei Gesprächen, die er mit Angelo Soliman hat, offen diskutiert. Joseph II war ja auch ein Gefangener. Auch er hatte aufgrund seiner Geburt als Thronfolger ein Stigma, weder er noch Angelo konnten aufgrund ihrer Geburt so leben, wie sie wollten, noch etwas anderes werden als das, was ihnen bestimmt war. Ich fand es spannend, den schwarzen Diener dem ersten Diener eines Reiches gegenüberzustellen, der in seinen Möglichkeiten ebenso beschnitten und unfrei  ist, wie für ihn der schwarze Mann, auch wenn sie aufgrund ihrer Herkunft auf den zwei gegenüberliegenden Enden des Tisches sitzen. Beide sind Gefangene in ihrer Situation,  denen ein Vorankommen nur in abgesteckten Gehegen möglich war. Mit dieser Spannung trifft man auf den Kern dieser Grundproblematik. Dem Herrn Soliman war man auch so zugetan, weil er teuer in der Anschaffung und im Unterhalt war. Der schönste Stern, der strahlt, schmückt auch den Herrn, dem er dient. Menschen wie Angelo Soliman dienten genau dazu, das Prestige der Fürsten und ihrer Herrschaft zu erhöhen. Sie zeigten, wie toll die Besitzer sind. Heute wäre er wahrscheinlich ein saisonales Statussymbol, ein Must-have, ohne das man nicht als modern gilt. Mit Joseph II. habe ich eine Figur, der mit Angelo philosophische Inhalte wälzt und gleichzeitig an die Grenzen seiner Wahrnehmung gelangt. Es wäre langweilig, ihn in die Ecke der bösen Weißen abgleiten zu lassen.
 
 
Ihre Bilder sind von Fülle und Reduktion zugleich geprägt. Wie würden Sie ihren Anspruch auf opulente Reduktion oder reduzierte Opulenz in den Bildern beschreiben?
 
MARKUS SCHLEINZER: Eine Prämisse bei mir lautet – wenn man das nach zwei Langfilmen schon so verallgemeinernd sagen kann – „matter of fact“. Alles was an Beiwerk dazukommt, ordne ich sehr schnell dem Kitsch zu. Daher sind sehr viele der Sets in ANGELO auf ihre Funktionalität reduziert. Ein Gang ist ein Gang. Was mich dann darüber hinaus sehr beschäftigt, ist die Frage, wo ich die Sinnlichkeit entstehen lasse. Wie entstehen Bilder, die ich am liebsten trinken würde, weil sie so schön anzuschauen sind. Das hat mich nach der Dürre, die wir in Michael kostüm- und ausstattungstechnisch durchwandert haben, sehr gereizt. Wir haben stark mit Schichten gearbeitet, weil die Sinnlichkeit in erster Linie an den handelnden Personen festzumachen war. Die Mägde haben drei Unterröcke, einen Oberrock und dann die Schürze getragen. Wir haben mit den großartigen Gewandmeisterinnen die historischen Schnitte recherchiert und auf die Kostüme 1:1 übertragen und mit der Hand genäht. Das hat in der Sekunde, wo das Gewand angelegt war, den DarstellerInnen ein Gefühl des Andersseins vermittelt hat. Es war schön, ins Material hineinzugehen, das dann keine Grenzen kennt. Die Zusammenführung der Materialien und die Schaffung einer Dreidimensionalität durch das Auftragen von Schichten war eine spannende Herausforderung. Der Film beginnt auch in einem Palazzo, den wir zur Gänze geflammt haben, und der vollkommen verkohlt ist. Wir haben ein schwarzes Set geschaffen, wie einen dunklen Bühnenraum, in dem dieses Kind seine Existenz in Europa beginnt und der Raum seines Wissens über die europäische Kultur seinen Ausgang nimmt. Mit dem wachsenden Wissenstand der Angelo-Figur steigert sich auch die Opulenz der Ausstattung. Am Anfang braucht es nicht mehr als ein Bett zum Schlafen und einen Stuhl zum Sitzen. Alles andere hält den Blick auch auf. Ich will, dass die Leute dorthin schauen, wo ich finde, dass etwas passiert. Auch wenn die wenigen Möbelstücke Originale aus der jeweiligen Epoche waren, war mein Fokus stets auf dem Innenleben. 
 
 
In dieser Geschichte, die im Herzen des 18. Jhs. und im Aufkommen der Ideen der Lumières spielt, operieren Sie mit extremen Lichtverhältnissen: helles Sonnenlicht, Neonlicht, echtes Kerzenlicht, quasi Dunkelheit. Warum diese extreme Lichtpalette und wie ließ sie sich umsetzen?
 
MARKUS SCHLEINZER: Ich sage nur wieder „matter of fact“. Wir haben die Halle betreten und ich sagte, „Die Neonlichtkörper nehmen wir“. Gerald Kerkletz, der Kameramann, wollte unbedingt mit echtem Kerzenlicht, ohne jegliches zusätzliche Licht drehen, bei allen Schwierigkeiten, die das implizierte. Ich war damit sehr einverstanden, weil einmal mehr die „Fake-Ebene“ ausgeschaltet war. Wer weiß heute schon, was reines Kerzenlicht bedeutet? Dasselbe gilt für das echte Feuer am Ende, das wir in all seiner Brachialität gefilmt haben. Die digitale Darstellung von Feuer hat sich in unsere Sehgewohnheiten schon so eingebrannt, dass wir glauben, so schaut Feuer aus. Wir haben sehr viel recherchiert, wie sich in der historischen Architektur einst das Kerzenlicht durch Spiegel, Kleidung, Fenster potenziert hat. Das haben wir in den Film übertragen. Am Drehtag im Barocktheater haben wir 2000 Kerzen verbrannt. Es war schrecklich heiß. Das Ergebnis steht allerdings für sich. Und um nochmals zum Neonlicht zurückzukommen, das funktioniert meiner Meinung nach nur dank des Kerzenlichts. Das eine bedingt das andere.
 
 
Knabenchöre, ein Countertenor, ein Singspiel, die Flöte. Welche Gedanken haben Sie in der Auswahl und im Einsatz der Musik bewegt?
 
MARKUS SCHLEINZER: Musik ist immer live – die Kinder, die Flöte spielen, die Sänger, der Cembalist. Das gehört zu meinem Anspruch auf Schönheit und Sinnlichkeit. Man hat Angelo geholt, damit er auch unterhalte. Man hat ihn sehr schnell zum allgemeinen Amusement ausgebildet. Er musste ja auch etwas leisten und zeigen, was seine Erhöhung im Vergleich zu anderen Schwarzen ausmacht. Musik ist ja eine Form von Dressurakt. Hier ging es darum, dieses wilde Kind durch unsere herrliche Kunst und Kultur zu zähmen, der Applaus gilt ja schließlich dem Dompteur.
 
 
Ihre Erzählweise ist sehr elliptisch, für mich vielmehr in einem poetischen Sinn im Gegensatz zu einer prosaischen Erzählweise. Das Bild zeigt nicht unbedingt das, was es erzählt. Hat das mit ihrem grundsätzlichen Verständnis von filmischem Erzählen zu tun oder mit dem Umstand, dass vieles, was Sie von Angelo Soliman erzählen, nur im Bereich des Möglichen und nicht des Faktischen liegt?
 
MARKUS SCHLEINZER: Ich glaube, dass viele Geschichten ihre eigene Erzählform suchen oder brauchen. Bei ANGELO war ich mit dem, was ich zur historischen Figur recherchieren konnte, ziemlich schnell fertig. Mit der Dürre an Material und der Sehnsucht, über ihn etwas zu schreiben, war der Schritt zum elliptischen Erzählen naheliegend. Aber auch das auslassende Erzählen muss motiviert sein. Ich wollte nichts erfinden, was ich nicht wusste. Das karge Wissen über sein Leben macht ihn zu einer Figur, die sich anbietet, über diese kaum bekannte Biografie größere Themen zu verhandeln, an deren Grenzen er immer sehr schnell gestoßen ist. Natürlich wollte Angelo am guten Leben seines Umfeldes teilhaben, eine Frau und Familie haben.
 
 
Ob Angelo Solimans Lebensgeschichte eine Geschichte von Erfolg oder von Scheitern bleibt eine offene Frage. Wie sieht Ihre Antwort darauf aus?
 
MARKUS SCHLEINZER: Die Geschichte beginnt mit einer offensichtlich verwitweten Frau und ihrem starken Wunsch in einer Form von Christlichkeit etwas Gutes zu tun. Ein Wunsch, der geradezu explodiert, der Film endet allerdings mit einer Gesellschaft, die so tut, als würde sie inkludieren, Angelo aber wieder exkludieren muss, weil er nach wie vor dieselbe Position einnimmt, sie war nur umbenannt worden. Das lässt sich nicht auflösen. Daher finde ich es auch so berührend, dass die Gespräche zwischen Kaiser und Angelo unbefriedigend bleiben. Es gibt keine Lösung für dieses Problem. Was uns alle verbindet, ist das Faktum, dass wir alle anders sind. Das gilt es zu erkennen. Damit wird Schindluder getrieben. Das Konzept des Anderen oder der Andersartigkeit wird dafür genutzt, Gruppenidentitäten zu schaffen. Vom Individuum zum Nationalisten ist der Weg ein kurzer, im heute kurz gedachten politischen Leben.
 
 
Interview: Karin Schiefer
Juli 2018
«Will man den Stoff nur in der Vergangenheit verorten, macht man ihn klein und erzählt nichts von heute.»