INTERVIEW

«Gleich einsteigen ins Nicht-Alltägliche.»

Weit kann ein Roadmovie im Kurzfilmformat nicht führen, dachte sich Martin Monk und versuchte sich dennoch diesem scheinbaren formalen Widerspruch zu stellen. In Favoriten erzählt er über die Zufallsbegegnung einer 17-jährigen Autostopperin mit einem Autolenker, der ihr Vater sein könnte, ein kurzes Aneinanderprallen zweier Generationen und ihrer unbeantworteten Lebensfragen. Gelandet ist der Regie-Student der Wiener Filmakademie damit in der Reihe Cinéfondation, der Nachwuchsplattform der Sélection officielle des Festivals von Cannes.



Die Protagonistin Sofia verlässt ein Haus und versucht auf einer stark befahrenen Straße an der Stadtausfahrt von Wien, autozustoppen. Die Handlung von Favoriten beginnt mit der Konsequenz eines unmittelbaren Vorfalls, über den wir erst nach und nach ein wenig erfahren. Warum haben Sie diese Form des Einstiegs gewählt?
 
MARTIN MONK: Gerade bei Kurzfilmen ist die erste Szene extrem wichtig. Man kann den Zuschauer sehr schnell verlieren. Einer unserer Ansätze war der, dokumentarisch zu arbeiten und an Originalschauplätzen zu drehen. Die Idee mit dem Autostoppen haben wir während der Drehbuchphase grundsätzlich diskutiert und uns gefragt, ob man das heute überhaupt noch macht. Bei der Recherche habe ich dann herausgefunden, dass Leute das immer noch vor allem deshalb  tun, weil es sie reizt, mit Fremden in spontanen Kontakt zu kommen. In Favoriten ist diese Begegnung ja eher konfliktbeladen. Dabei wollte ich auch mit dem Gefühl der Bedrohung spielen, da man ja nicht weiß, was mit der jungen Frau nun passiert. All diese Gedanken haben dazu geführt, dass ich mit dieser Direktheit in den Film hineingehen wollte. Dass wir das mit einer Plansequenz tun, war eine Entscheidung, die ich mit meinem Editor Felix Kalaivanan erst im Schnitt endgültig getroffen habe. Wir hatten zunächst noch mit anderen Variationen experimentiert, bevor wir zu dem Schluss kamen, dass dieser eine Take am besten in den Film hineinzieht. 
 
 
Der Titel Favoriten birgt für Wiener die Assoziation mit einem großen Stadtbezirk am südlichen Stadtrand und auch eine wörtliche Bedeutung. Wie möchten Sie diesen Doppelsinn verstanden wissen?
 
MARTIN MONK: Im Bezug auf die Figuren ist es ein leicht ironischer Titel. „Favoriten“ ist ja ein Begriff aus dem Sportwettkampf, wo es darum geht, wer als erster ins Ziel kommt. Ein Gedanke, den ich im Zusammenhang mit dem Genre Roadmovie ganz stimmig fand. Gleichzeitig stellt sich die Frage –  Wer ist wessen Favorit?; weitet man die Frage aufs Publikum aus, dann könnte man die Frage stellen, wer wen im Laufe des Films zum Favoriten wählt. Als deutscher Filmemacher, der nach Wien gezogen ist, habe ich die Doppelbedeutung gleichsam als „Schmäh“ eingesetzt, indem ich einen lokal vernehmbaren Doppelsinn verwende. Die Titelfindung war zugegebenermaßen aber eine schwere Geburt. Ich habe sehr viele Ideen verworfen, und er stand erst sehr spät fest. Er gefällt mir nun aber im Bezug auf den Inhalt und den Lokalkolorit sehr gut.
 
 
Der Filmtitel verweist auf einen konkreten Ort, während der Film nur an Schauplätzen gedreht wird, die nicht verortbar sind und das Gegenteil eines Gefühls von Zu-Hause-Sein vermitteln: Stadtausfahrt, Autobahn, Tankstelle. Alles ist in Bewegung und jeder bewegt sich für sich. Wird man von jemandem mitgenommen?, ist ein grundsätzliches Thema, das sich durch den Film zieht. Waren das Gedanken, die Sie beim Schreiben des Drehbuchs beschäftigt haben?
 
MARTIN MONK: Mein erster Ansatzpunkt war das Genre Roadmovie, zu dem ich mir die Frage gestellt habe, ob sich das auch in einem Kurzfilm umsetzen lässt. Eine weitere Frage, die sich meinen beiden ProtagonistInnen stellt, ist die, für wen der beiden es die prägendere Begegnung ist: Auf den ersten Blick für Sofia, bei näherem Hinsehen aber für Michael, der vom Alter her ihr Vater sein könnte. Er wird mit Dingen konfrontiert, die er bis dahin beiseite geschoben hat. Und Sofia macht sich, obwohl sie sehr unbedarft und naiv an ihren Autostop-Trip herangeht, nie klein. Das erlaubt auch ein Spiel mit der Opfer/Täter-Thematik, der Zuschauer muss entscheiden, wem er vertraut. Den Verweis auf die Ortlosigkeit finde ich deshalb interessant, weil wir für die Dreharbeiten auf der Autobahn auch sehr viel mit der ASFINAG (der Verwaltungsgesellschaft der österreichischen Autobahnen) zu tun hatten, deren Mitarbeiter uns immer wieder erzählt haben, dass Österreich ein Transitland mit enormem Verkehrsaufkommen ist. Also ein Durchfahr-Land. Für Sofia, die ja nach Italien will, trifft das auch zu. Ich bin dann auch selbst zur Recherche sehr viel mit dem Auto durch Österreich gefahren – Reisen im Allgemeinen und Autoreisen im Besonderen reizen mich einfach. Diese Stimmung wollte ich erkunden.
 
 
Das Auto ist in Favoriten nicht nur Vehikel zur Fortbewegung in Richtung Ziel  des Roadmovies, es ist auch ein „Panzer“, in dem sich Menschen verschanzen können. Sie drehen ja auch viele Szenen im Auto, wo es nicht um einen Blick nach außen, sondern um das Gefüge zwischen zwei Menschen auf sehr engem Raum geht. Wofür steht das Objekt Auto?
 
MARTIN MONK: Ich glaube, das Auto als Grenze nach außen spielt eine sehr große Rolle. Da wird das Autostoppen so richtig wirksam, weil genau das die Privatsphäre und vielleicht auch das Machtgefühl, das man als Lenker hat, aufbricht. Michael erlebt ja Sofia als wirkliche Störung. Die Regeln werden durch das Auftauchen einer Autostopperin neu geschrieben. Für die erste Szene haben wir nichts inszeniert, die Momente, wo Sofia an die Scheiben klopft und fragt, ob sie mitfahren darf, sind real. Es war sehr spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Reaktionen der Autofahrer ausfielen.
 
 
Der Gesprächston zwischen Sofia und Michael ist gerade am Anfang ziemlich aggressiv, obwohl nicht wirklich ein Anlass dafür gegeben ist. Wie sehr projiziert jeder von ihnen seinen/ihren Unmut in die andere Generation (Sofia) bzw. ins andere Geschlecht (Michael). Sie scheinen ja manchmal wie Vater und Tochter, manchmal wie Mann und Frau miteinander umzugehen.
 
MARTIN MONK: Das kann ich so nur unterschreiben. Das war eine Frage, die uns in der Figurenzeichnung immer wieder beschäftigt hat. Die Grundenergie, die der Beziehung der beiden Hauptfiguren im Film zugrunde liegt, haben Lia und Christian selbst mitgebracht und danach habe ich sie auch ausgewählt. Dass Sofia vom Generationenkonflikt, Michael vielmehr von Reibereien zwischen den Geschlechtern geprägt ist, trifft auf alle Fälle zu. Wie schafft man es dann, dass sich die Lage für beide wenden kann? Das war dramaturgisch ein weiterer wesentlicher Punkt. Das ist gar nicht so einfach. Die Frage „Warum ist Michael von Beginn an so grantig?“ steht im Raum, ich habe für mich und im Gespräch mit Christian Dolezal aber entschieden, dass das in einem Kurzfilm nicht so klar auserzählt werden muss. Zumal Sofia die Hauptfigur bleiben soll.
 
 
Wie haben Sie die beiden Darsteller Lia Wilfing und Christian Dolezal gefunden? Wie haben sie sich eingebracht?
 
MARTIN MONK: Ich war im Rahmen meines Studiums sehr aktiv auf der Suche nach einem Stoff für einen Kurzfilm. Es begann sich dann die Idee „Roadmovie – junge Frau“ abzuzeichnen und ein großer Zufall führte dann zur Begegnung mit Lia. Ich hatte beim Casting einer Kollegin an der Filmakademie mitgearbeitet und sie dabei entdeckt. Sie war so toll bei der Improvisation, dass ich sie sofort angesprochen habe. Wir haben uns zunächst mehrmals getroffen und ich habe in unseren Gesprächen, wo es nicht nur um den Film ging, einige Themen, die im Buch vorkommen, einfließen lassen. Es war schnell klar, dass sie da auch aus eigener Erfahrung schöpfen konnte und ich hatte einfach ein sehr gutes Bauchgefühl. Lia ist sehr offen und durchlässig und in meinen Augen ein Naturtalent. Das Casting von Christian Dolezal hingegen verlief diametral anders. Ihn habe ich über eine professionelle Casterin, Iris Baumüller, gefunden. Ich habe dann mit beiden ein Kennenlern-Gespräch und eine Probe knapp vor Dreh auf der Tankstelle gemacht. Ich fand, man konnte für diesen Film nur an den Original-Schauplätzen auch vernünftig proben. Mehr war aus zeitlichen Gründen auch gar nicht möglich.
 
 
Es ist nun durchgeklungen, dass Sie durchaus dokumentarisch arbeiten wollten und auch Input der Schauspieler einfließen ließen. Wie präzis ist Ihr Drehbuch geskriptet?
 
MARTIN MONK: Ich würde sagen in den Dialogen sind 90% geschrieben. Bei diesem Projekt habe ich aber auch viel ausprobiert, improvisiert und hinzugefügt. Interessanterweise ist sehr viel davon im Schnitt wieder rausgeflogen. Ich schreibe meist an die 30% mehr Dialog als ich brauche, wo teilweise auch der Subtext aus- oder angesprochen wird, und nehme entweder schon am Set oder dann im Schnitt davon Vieles wieder weg. Da ich ja mit österreichischen Darstellern gearbeitet habe, habe ich darauf geachtet, mich sprachlich immer wieder abzusichern und hier bei den Schauspielern rückzufragen, um die Nuancen richtig zu treffen. Es sollte auf keinen Fall danach klingen, dass ein Deutscher versucht, einen österreichischen Dialog zu schreiben. Insofern war ich bei diesem Projekt etwas freier in der Ausgestaltung der Dialoge und habe den Schauspielern die Verantwortung mit übergeben. Über die Dialoge hinaus gibt es auch Dinge, die direkt an der Location entstehen. Wie z.B. die Wasserpumpe, an der sich Sofia das Gesicht abkühlt, nachdem sie mit ihrer Mutter am Telefon gestritten hat.
 
 
Sofias Figur ist immer wieder von einem Hin und Her, einem Vor und Zurück bestimmt; ich denke da an ihre verschiedene Anläufe, als Autostopperin mitgenommen zu werden, jedesmal mit anderer Attitüde – höflich, witzig, kindlich, verführerisch. Am Ende des Films wissen wir nicht, in welche Richtung ihre Reise weiter führen wird. Ging es Ihnen auch darum, etwas von der inneren Zerrissenheit einer 17-Jährigen zu erzählen?
 
MARTIN MONK: Man muss da sehr vorsichtig sein. Ich will nicht, dass man von oben herab sagt – die ist halt 17. Es ist mir wichtig, dass diese Zerrissenheit altersunabhängig ernst genommen wird. Es musste allerdings eine junge Frau sein, um die Unbedarftheit, mit der Sofia sich da reinschmeißt, erzählen zu können. Das Lebensgefühl, das ihr widerfährt, kenne ich auch sehr gut. Dazu kommt die Idee, dass Michael sich in der Begegnung mit ihr gar nicht so anders fühlt. Er hat ja auch keine Antworten. Sofias unterschiedliche Strategien, mit denen sie experimentiert, haben definitiv etwas Jugendliches. Sie fragt sich „Wie wirke ich?“ Als Erwachsener hat man sich meist schon für eine Variante des Selbst entschieden. Das Gefühl der Zerrissenheit halte ich aber eher für ein allgemeines, an kein Alter gebundenes, Gefühl. Und es geht in Favoriten um Familie. Familie ist ein Lebensthema. Familienbande brechen ja die Fiktion vom vernünftigen erwachsenen Menschen auf. Man kann sich als Erwachsener in Gegenwart der Eltern immer auch als Kind fühlen.
 
 
Dass viel Information im Off bleibt, scheint nicht nur mit der Ökonomie des Kurzfilms zu tun zu haben. Hier handelt es sich auch um eine Zufallsbegegnung, wo zwei Menschen einen kurzen Moment teilen, der für beider Leben unbedeutend oder so wichtig sein könnte, dass sich in ihrem Leben etwas entscheidend verändert. Auch das lassen Sie offen...
 
MARTIN MONK: Ich halte die zeitliche Beschränkung im Kurzfilm für sehr spannend. Von der Backstory kann man meist nicht viel unterbringen. Für mich ist der Kurzfilm ein spannendes Genre, weil es den Zuschauer zwingt, selber mitzumachen, zu hinterfragen und wach zu bleiben. Zum anderen auch deshalb, weil es aus struktureller Sicht viel unerschlossenes Terrain gibt. Es gibt relativ wenig Literatur zur Dramaturgie des Kurzfilms. Zur Offenheit: Ich möchte dem Zuschauer meine eigene Position nicht aufzwingen, auch wenn ich glaube, dass ich relativ klare Hinweise gebe. Allein durch die Stimmung eines Filmes vermittelt sich ja enorm viel Inhalt und somit Aussage.
 
 
Sie absolvieren gerade ein Master-Studium in Regie an der Wiener Filmakademie. Sie beschäftigen sich gewiss über den Rahmen des Kurzfilms hinaus mit Ideen des Erzählens, die Sie entwickeln oder weiterentwickeln. Gibt es Erzählformen, Regiehandschriften, die Ihnen nahe sind?
 
MARTIN MONK: Nicht bewusst. Ich horche sehr stark in mich selber rein. Aber natürlich nimmt man viel auf, sieht Vieles und Manches fließt gewiss unbewusst und über Umwege ein. Da muss man immer wieder Acht geben. Die eigenen Ideen sind vielleicht nicht immer die eigenen Ideen. Ich hatte jedenfalls noch nie die Ambition, einer Sache ganz konkret nachzueifern. Was mich in letzter Zeit sehr reizt, sind Strukturansätze wie z.B. im Fall von Favoriten das Roadmovie. Das Genre gibt ein gewisses Gerüst vor und hilft beim Einstieg ins Schreiben. Settings, die Figuren nicht in alltäglichen Situationen zeigen, reizen mich momentan. Kein Bruch zwischen Alltag und Nicht-Alltag, sondern gleich einsteigen ins Nicht-Alltägliche. Das bewegt mich gerade. Woher das kommt, weiß ich nicht.
 
 
Sie sind mit Favoriten in die Reihe Cinéfondation eingeladen, die Arbeiten, die auf Filmhochschulen entstanden sind, in diese spezielle Reihe der Sélection officielle einladen. Wie führte Ihr Weg an die Wiener Filmakademie?
 
MARTIN MONK: Ich habe insgesamt sieben Jahre in London, Paris und Berlin Geisteswissenschaften studiert, Bachelor in Geschichte und Literatur, Master in Kulturwissenschaft. Das filmische Arbeiten habe ich auf eigene Faust parallel zum Studium begonnen und habe dreimal an Filmhochschulen in Deutschland die Aufnahmeprüfung versucht, bin auch in die Auswahlrunden gekommen, aber nie genommen worden. Ich habe dennoch weitergemacht und einen 20-Minüter realisiert, der auf einigen Festivals lief. Die Idee der Filmhochschule hatte ich eigentlich schon wieder aufgegeben, als ich entdeckt habe, dass die Filmakademie Wien auch ein Master-Studium anbietet. Michael Haneke als Professor hat mich auch sehr gereizt. Ich habe dann ohne große Aufregung die Bewerbung abgeschickt und auch nicht mehr groß dran gedacht. Es kam dann eine Einladung zum Gespräch und ich wurde als einziger externer Master-Student aufgenommen. Das war schon eine Genugtuung. In die Cinéfondation wäre ich ohne Filmhochschule nie hineingekommen. Das öffnet schon Türen.
 
 
Was bedeutet die Einladung nach Cannes, außer großer Freude?
 
MARTIN MONK: Um das wirklich beschreiben zu können, muss ich das erst mal vor Ort erleben. Es ist ein Gefühl, dass die langen Jahre, die man daran gearbeitet hat, Regisseur zu werden, kein komplettes Hirngespinst waren. Um ein Drehbuch und einen Film zu realisieren, braucht man viel Geld, viele Menschen, die an einen glauben, die sehr hart mit und für einen arbeiten. Es ist eine kreative Arbeit, die auf dem Rücken vieler Menschen getragen wird, anders als beispielsweise beim Schreiben eines Romans. Deshalb sollte man auch ein Verantwortungsgefühl haben und eine Wertschätzung für diese Zusammenarbeit. So eine bedeutende Festivaleinladung wie Cinéfondation nimmt mir Gewicht von den Schultern und es bestärkt mich, weiterzumachen. Außerdem freue ich mich für alle Beteiligten, für die sich auch im Nachhinein betrachtet, die Anstrengung gelohnt hat. Diesen Film herzustellen war aufgrund der vielen öffentlichen Locations und des vielen Autofahrens kein leichtes Unterfangen. Auch wenn Favoriten auf einem anderen Festival gelaufen wäre, hätten wir drauf stolz sein können – aber Cannes vergoldet das einfach.
 
 
Interview: Karin Schiefer
April 2019
«Es ist mir wichtig, dass diese Zerrissenheit altersunabhängig ernst genommen wird. Das Lebensgefühl, das Sofia widerfährt, kenne ich auch sehr gut. Dazu kommt die Idee, dass Michael sich in der Begegnung mit ihr gar nicht so anders fühlt. Er hat ja auch keine Antworten.»