INTERVIEW

Harald Sicheritz im Gespräch über POPPITZ

 

«All Inclusive" ist ja eine Lüge im Begriff, das gibt es nicht im Leben. Für mich symptomatisch für etwas, wovor man flüchtet, meistens vor sich selbst.»

 

Poppitz hat innerhalb von zehn Tagen über 225.000 Kinobesucher registriert. In so kurzer Zeit an so viele Leute heranzugelangen scheint doch sehr überwältigend?

HARALD SICHERITZ: Wenn man es so formuliert und nur so, dann ist es natürlich etwas, das mich sehr freut. Ich muss aber aus gegebenem Anlass darauf hinweisen, dass ohnehin fruchtlose Zahlenspekulationen für mich niemals ein Grund dafür sein können, einen Film so oder so zu machen. Wichtig ist nur, dass der Film so ist, wie mein Koautor und ich ihn gerne hätten. Ich bin auf die Premierentour mitgefahren, weil ich wissen wollte, wie Kino an der "Front" ist. Eines habe ich dabei einmal mehr sehr deutlich bemerkt: ich bin kein Freund von Multiplexkinos, wo Filme nur noch als Ware behandelt werden.

 

Außer Muttertag war jeder Ihrer Filme im Jahr seines Kinostarts auch der erfolgreichste österreichische Kinofilm. Woran mag es liegen, dass Ihre Filme das Publikum in dem Ausmaß ansprechen?

HARALD SICHERITZ: Das fällt mir schwer zu beantworten. Ein möglicher Grund mag meine Überzeugung sein, dass Kultur etwas für alle ist und Kunst etwas für viele sein kann. Speziell Kino. Mein Kunstbegriff beinhaltet auch, dass es keine Apriorismen für Kunstrezeption geben darf. Ein weiterer Grund liegt sicher darin, dass Roland Düringer eine sehr hohe Popularität hat. Er ist immerhin jemand, der von Sollenau bis Kufstein spielt. Das macht ihn den Menschen nahe und ich glaube, dass er durch seine Programme viele Menschen dafür interessiert, ins Theater und ins Kino zu gehen.

 

Ein großes Publikum zu erreichen, scheint dennoch immer eine Priorität gewesen zu sein?

HARALD SICHERITZ: In Poppitz spielen eine Reihe deutscher Schauspieler, die alle das Drehbuch spannend, aber völlig abgehoben und bizarr fanden. Als sie jetzt zur Premiere kamen, waren sie fassungslos, dass Poppitz hier so etwas wie einen Mainstream-Status hat. Wenn sie mit auch allem gerechnet hätten, dann aber sicher nicht damit, dass der Film in Österreich so breit gestartet wird und so eine hohe mediale Aufmerksamkeit hat. Das wäre schon 300 km nördlicher nicht so. An meiner ohnehin dicken Haut prallen Kritikpunkte wie "Kommerzschwein" oder "Kunstfeind" vor allem schon deshalb ab, weil es so viele Menschen gibt, die das nicht so sehen. Sicheritz-Filmen hat man bisher immer zwei Dinge nachgesagt a) sie seien Kabarett-Filme, b) die Darsteller gehören einer Art Familie an.

 

POPPITZ ist in dieser Hinsicht anders?

HARALD SICHERITZ: Ich hoffe, dass jeder Film, den ich mache, ein Schritt weiter ist. Bei Poppitz  bin ich mir dessen ganz sicher. Ich habe etliche Male die Erfahrung gemacht, dass das Leben verdammt kurz sein kann. Zu den Dingen, die ich in Österreich genieße, gehört, dass ich trotz aller Restriktionen so arbeiten kann, wie ich möchte und eine relativ große Freiheit habe. Zu a) und b) kann ich nur eines sagen: es ist nichts schneller gezimmert als ein haltbares Vorurteil. Es gibt Menschen, mit denen ich gerne und gut, aber nicht zwingend immer arbeite. Das mit der "Familie" hat sich eingeschlichen, genauso wie dieses völlig unnötige Etikett "Kabarettfilm". Das ist etwas, was außerhalb der Grenzen unseres Landes zu Recht nicht mehr verstanden wird. Roland Düringer spielt auf Bühnen, auf denen auch Kabarett gespielt wird. Dennoch hat das, was er dort macht, für mich bestenfalls etwas zu tun mit Schauspiel mit einer hohen interaktiven Komponente. Kennen gelernt hab ich z.B. Schlabarett nicht als Kabarettisten, sondern als genau die potenziellen Filmschauspieler, die ich immer vor Augen hatte.

 

Roland Düringer ist Ihr bewährter Koautor. Diesmal lag der Geschichte kein Düringer-Programm zugrunde. Wie sah die Arbeitsteilung aus?

HARALD SICHERITZ: Von Roland kam die schlichte und deshalb mich auch begeisternde Idee, dass man eine Situation schafft, in der verschiedene Menschen verschiedener Nationalitäten zusammen kommen. Das Thema Urlaub lag damit auf der Hand. Roland hat dann beim Drehen für eine Kaisermühlen-Folge 14 Tage in einem Club zugebracht und dort auf einem Videoband einiges festgehalten. Poppitz ist natürlich eine dramatische Verdichtung von diesen Dingen. Wir haben dann beide eine gemeinsame Recherche-Woche in einem sehr billigen Club verbracht, um uns das anzusehen. Roland entwirft zuerst Figuren zu einem Thema, dann wird er unglaublich kreativ , ein richtiger Anfallstäter. Ich erhalte dann ein langes Mail, lese mir das lange durch, und verarbeite es dann mal in Form einer filmischen Verwaltung. Ich bin so etwas wie der Advokat des Films. Und natürlich gibt es dann noch einmal eine ganz spannende Arbeitsteilung, wenn ich in meiner Regietätigkeit anfange, die gemeinsamen Papierseiten mit Leben zu erfüllen. Roland ist dann einfach der Hauptdarsteller. Ab diesem Moment ist der gegenseitige Vertrauensvorschuss so groß, dass da kaum mehr Prinzipielles besprochen wird.

 

Dramaturgisch ist die Linearität unterbrochen, indem Roland Düringer mit dem Publikum in Dialog tritt. Dazu kommen auch diese Anspielungen an den Weißen Hai oder an Psycho. Was hat Sie veranlasst, diese Elemente hineinzubringen?

HARALD SICHERITZ:  Es ist nicht der einzige Film, wo der Hauptdarsteller in die Kamera spricht. Es war auch nicht so, dass wir beim Ansehen solcher Filme ein Aha-Erlebnis hatten und sagten, das machen wir auch so. Uns hat das In-die-Kamera-Sprechen der Hauptperson deshalb so gut gefallen, weil es der Orientierung hilft in einem Film, der seine Zusammenhänge nicht linear erzählt. Die paranoiden Gedanken des Herrn Schartl werden ja in Poppitz  auch zunehmend ungeordneter. Die Filmzitate sind dem Hintergrund entsprungen, dass es immer mehr ein Teil unserer Alltagskultur wird, in Filmbildern zu denken. Bei Menschen, die ihre Träume oder Horrorvisionen beschreiben, ist die Metaphorik sehr oft von Filmen inspiriert. Da Poppitz ja auch eine Reise im Kopf ist, war für mich das Verwenden von Filmzitaten für mich nahe liegend und reizvoll.

 

Worin liegt der ernste Kern in der Komik von Poppitz?

HARALD SICHERITZ: Ich verzichte gerne auf den moralischen Zeigefinger, aber es ist allseits bekannt, dass sich nach der Urlaubszeit viele Paare trennen oder persönliche Krisen ausbrechen. Das hat damit zu tun, dass es uns tendenziell immer leichter gemacht wird, uns in der bunten Konsumwelt nicht mehr selbst suchen und finden zu müssen. Für mich ist "All Inclusive" etwas, das niemandem entsprechen kann. Es ist definitiv so, dass man seinen Individualitätsanspruch in einem solchen Urlaub an der Kasse abgibt. "All Inclusive" ist ja eine Lüge im Begriff, das gibt es nicht im Leben. Für mich symptomatisch für etwas, wovor man flüchtet, meistens vor sich selbst. Das Wort POPPITZ ist ein Symbol für den Sorgenrucksack, den man besser nirgendwohin mitnimmt. Und wenn man den Film gesehen hat, dann weiß man, wie viele Fächer dieser Rucksack haben kann.

 

Neben dem Tourismus ist auch die Rivalität zwischen Deutschen und Österreichern ein Ansatzpunkt der Komik. War diesmal mehr als bei Hinterholz 8 der deutsche Markt im Visier?

HARALD SICHERITZ:  Es ist natürlich schon so, dass die Erfahrungen mit Hinterholz 8 in Deutschland für uns alle lehrreich waren. Hinterholz 8 wurde dort durchgehend untertitelt und trotzdem enorm breit gestartet, das passte nicht zusammen. Ich mochte die deutsch-deutsche Untertitelung nicht. Für Poppitz gibt Überlegungen zu einer deutschen Version, aber kein Grundsatzkalkül. Es wird daran arbeitet, den Film teilzusynchronisieren. Aber ich würde ohnehin nicht glauben, dass der Film in Deutschland ein ähnliches Echo hat wie hier.

 

Satire und nicht Komödie ist die eigentlich Genrebezeichnung Ihrer Kinofilme? Woher kommt die schwarze Sicht auf die Welt?

HARALD SICHERITZ:  Ich sah kürzlich ein Interview mit dem Regisseur von Amores Perros, der ganz einfach sagt "wenn man die Welt so sieht, dass das Tragisch-Berührende neben dem Bizarr-Komischen ist und beides ständig aufeinander prallt, dann nennt man das schwarzen Humor". So simpel hatte ich mir das noch nie überlegt, im Prinzip fand ich aber meine eigenen Gedanken darin. Dieses Nebeneinander von "tragisch" und "komisch" zuzulassen, ist etwas, was mich beim Filmemachen grundsätzlich beschäftigt.

 

Wie fiel die Wahl auf Marie Bäumer und Kai Wiesinger?

HARALD SICHERITZ: Es gab eine relativ lange Phase, in der ich mir unzählige Bänder ansah. Beim Casting von Marie - die ich schon lange kenne -, habe ich bemerkt, dass sie und Roland keine unnötig abstrakten Gedanken über die Annäherung an eine Situation verlieren mussten. Das hat mich natürlich bezaubert, dass die beiden so schnell ein Filmehepaar darstellen konnten. Kai Wiesinger hat mich menschlich beeindruckt bei der Premiere eines vom Publikum ungeliebten Films, der Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit hieß. Und er nach der Lektüre des Drehbuchs von POPPITZ mit so großem Engagement reagiert, dass unsere Wahl einfach auf ihn fallen musste.

 

Der Dreh an sich war sicherlich der längste Auslandsdreh?

HARALD SICHERITZ: So stelle ich mir Zirkus vor. In den fünf Wochen Gran Canaria lebten nicht nur Darsteller und Team am selben Ort, sondern wir hatten alle die Familie, unsere liebsten Menschen mit uns. Da kann so etwas wie Lagerkoller niemals aufkommen. Wir hatten außerdem in Michael Friedl einen sehr guten Location-Manager. Schon angesichts der ersten Motivfotos hatte ich das Gefühl, der versteht genau, worum es geht. Seine Firma hat das souverän abgewickelt. Allein den Strand abzusperren bzw. die Menschenströme umzulenken, war unglaublich hart, da spazieren sonst in einer Stunde über 1000 Leute auf und ab.

 

Neben dem Kino arbeiten Sie regelmäßig und mit einem beachtlichen Output fürs Fernsehen?

HARALD SICHERITZ: Ja. MA 2412 hat Alfred Dorfer, Roland Düringer und mich vor allem deshalb interessiert, weil wir wissen wollten, ob das spezifisch amerikanische 25 Minuten-Sitcom-Format auch auf unsere Kultur übersetzbar ist. Konkrete Fernsehprojekte hab ich zur Zeit keine. Ich erinnere mich aber gern daran, dass ich nach Wanted1999 einen meiner seltenen Termine beim Fernsehen hatte und dort die Sehnsucht bekundete, einen Krimi oder etwas Historisches zu machen. Und dankenswerterweise konnte ich mit Trautmann und Zwölfeläuten dann beides realisieren.

 

Worin liegt der Unterschied in der Herangehensweise?

HARALD SICHERITZ:  Ich bin kein religiöser Mensch, aber das Kino hat für mich etwas Heiliges, das ist für mich die Kathedrale der laufenden Bilder. Das heißt nicht, dass ich mich deshalb fürs Fernsehen weniger anstrenge, aber es ist anders, kleiner, hat eine andere Form der Verbreitung. Ich hab mich z.B. unheimlich gefreut, als ich den Fernsehpreis der Österreichischen Volksbildung für Zwölfeläuten bekommen habe. Ich wusste gar nicht, dass es den gibt. Dieses antiquiert wirkende Wort "Volksbildung" war mir total sympathisch.

 

Gibt es Pläne, ein "ernstes" Thema fürs Kino zu bearbeiten?

HARALD SICHERITZ: Die Themen von Hinterholz und Poppitz sind im Grunde todernst. Ich habe Autoren, mit denen ich regelmäßig über Stoffe kommuniziere und schreibe auch selber. Zumeist sind es historische Dinge.

 

Wie weit ist das nächste Kinoprojekt MA 2412 gediehen?

HARALD SICHERITZ: Wir werden keinesfalls im Kino eine auf 90 Minuten ausgedehnte Sitcom-Handlung erzählen. Die Sitcom ist formal ein eigenes Ding, parodistisch überhöht, offensichtlich maskiert, karikaturenähnlich. Der Kinofilm MA 2412 hat einen dokumentarischer Ansatz. Wir wollen z.B. erzählen, was mit den Figuren war, bevor es die MA 2412 gab. So entsteht eine Metaebene zu dem, was man im Fernsehen gesehen hat. Gedreht sollte, wenn alles klappt, Ende November und dann im Mai werden. Es ist jedenfalls wieder ein filmisches Experiment.

 

Der kommerzielle Erfolg passiert einfach?

HARALD SICHERITZ:  Es stört mich nicht, das wäre gelogen. Aber ich halte mich von entsprechenden Planungsversuchen fern, weil ich nicht glaube, dass man Erfolg am Reißbrett konstruieren kann. Ich freue mich über jeden Kinobesucher, finde es aber traurig, wenn nicht sogar kränkend, wenn bei Festivalauswahlen Filme, die an der Kinokasse erfolgreich sind, deshalb als künstlerisch minderwertiger angesehen werden.

 

Interview: Karin Schiefer (2002)