Ein Choleriker, der's lustig findet, seine Frau nackt auf den Balkon zu sperren, ein Familienvater, der's nicht erträgt, dass
auch der Rest der Welt einen Blick auf seine hübsche Frau werfen darf, ein altes Ekel, das es geschafft hat, seine Frau bis
ins Pensionsalter einzuschüchtern und zu schikanieren: Männer permanent am Rande des Nervenausbruchs, Frauen täglich vor der
Zerreißprobe Familienhölle. Und die heikle Frage, wann hat das Verzeihen ein Ende, wann ist es Zeit zu gehen?
Auswege, Nina Kusturicas Abschlussfilm an der Filmakademie war ursprünglich als Informationsfilm gedacht, ein Drehbuchauftrag des
Vereins unabhängiger Frauenhäuser an Barbara Albert, für einen Film, der vor Augen führt, wieviel Gewalt in der kleinen Zelle
Familie ungeahndet bleibt. Als Nina Kusturica das Regieangebot für Auswege erhielt, war sie selbst gerade an einer Recherche
für einen Dokumentarfilm zum Thema Gewalt in der Familie. Die damalige Fußball-WM lieferte den Anlass, denn die Statistik
belegt für diese Periode einen eklatanten Anstieg der Zahl an Frauen, die Frauenhäuser oder ähnliche Institutionen aufsuchen.
"Es hat genau gepasst", erinnert sich Nina Kusturica, "ich wollte etwas zu diesem Thema machen und außerdem ein fremdes Drehbuch
verfilmen, weil ich es für eine notwendige Erfahrung im Regiestudium halte, auch an Figuren zu arbeiten, die man nicht selbst
geschaffen hat."
Gewalt hinter geschlossenen Türen
Drehbuchautorin Barbara Albert entwarf drei familiäre Situationen quer durch Generationen und Milieus, von der jungen Einwandererfamilie
zum gutbürgerlichen Ehepaar in den späten Fünfzigern, die eines verbindet - seelische und physische Grausamkeit hinter
den geschlossenen Türen der Privatheit und die Schwierigkeit der Frauen, sich aus dem subtilen Geflecht der emotionalen Abhängigkeit
zu befreien. Nina Kusturica castete jeweils Paare, da ihr viel an der Glaubwürdigkeit der jeweiligen Konstellation lag und
probte eine Woche mit jeder Familie. Das Ergebnis: der auf 45 Minuten veranschlagte Film wuchs beinahe auf doppelte Länge.
In den entscheidenden Momenten, wenn es darum geht, Versöhnung wieder zuzulassen, um damit nur dem nächsten Gewaltexzess Tür
und Tor zu öffnen oder endlich den Schritt zur Trennung zu schaffen, zieht Nina Kusturica den Konflikt in Echtzeit durch und
es gelingt ihr Augenblicke der Authentizität zu schaffen, mit denen sie den Grat zwischen dem aufklärenden Anspruch des Informationsfilms
und dem einer runden Geschichte meistert.
"Wir wollten auf keinen Fall", so die Regisseurin, "dass hier ein Eindruck von "im Auftrag von" entsteht, ich wollte aber
einen sehr deutlichen Blick auf dieses Thema werfen und nichts mystifizieren. Ich wollte klare Bilder ohne viel Schatten und
Geheimnisse und letztendlich wurde dieser didaktische Aspekt zum Stilmittel. Wie viele Leute wissen denn, was in der Wohnung
nebenan passiert? Und im Film ist alles noch milde im Vergleich zu den Geschichten, die mir während meiner Recherche begegnet
sind." Nach Wishes und dem Dokumentarfilm Draga Liljana ist Auswege die dritte Arbeit von Nina Kusturica, die mit 17 aus Sarajewo nach Wien kam und kurz danach zunächst in der Schnittklasse
an der Filmakademie begann, ehe sie zur Regie wechselte. Ob sie in Richtung Dokumentar- oder Spielfilm weiter arbeiten wird
ist noch offen, ganz klar steht jedoch der gesellschaftspolitisch Aspekt ihrer Handschrift fest. "Es geht mir um Geschichten",
so die Regisseurin, "die um uns herum geschehen und mit uns etwas zu tun haben. Ich möchte Filme machen, die sich von der
Realität nicht viel entfernen, wo sich aber trotzdem noch etwas auftut". (ks)