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WEG IN DEN SÜDEN von Reinhard Jud

 

Gleise, Geschichte und Generationen: Zu Habsburgs Zeiten war die Bahnstrecke vom Wiener Südbahnhof nach Triest die Lebensader des Reiches, die Verbindung der Hauptstadt mit dem größten Hafen der Monarchie, entlang derer die Städte wuchsen, die Wirtschaft aufblühte und der Tourismus erwachte. Industrieanlagen schufen eine engagierte Arbeiterschaft, die sich in den Krisenzeiten der dreißiger Jahre zum explosiven Potenzial einer polarisierten Gesellschaft entwickelte.

 

Am Anfang des 21. Jhs sind die Industriebauten zu Relikten einer Ära verblasst, die Dynamik der Kleinstädte an der Eisenbahnlinie versiegt. Regisseur Reinhard Jud hat dies zum Anlass genommen in seinem Dokumentarfilm Weg in den Süden, die Frage nach der Vergangenheit und der Zukunft zu stellen. Die Bahnroute von Wien nach Triest, die Kleinstädte von Wiener Neustadt bis Arnoldstein und letztendlich ein Schwenk auf Triest geben die Linie vor, entlang der er anhand von Gesprächen mit Zeitzeugen und Archivaufnahmen die Entwicklung dieser Region, vor allem aber in zwei Perspektiven die Geschichte von der Jugend erzählt. Für die einen, heute 80-jährig und älter, war die Zukunft als weites Feld, das mit 17 vor einem liegt, ein kurzer Traum.

 

Für die anderen, heute 15 oder 20-jährig, scheint es völlig klar, dass mit Entschlossenheit und Ehrgeiz, die Zukunft gestaltbar ist. Reinhard Juds Zeugen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und den Jahren davor waren im Widerstand tätig, engagierte Gewerkschaftler, Idealisten, die von einem besseren Leben träumten: Sie waren 17 als sie von der Gestapo verhaftet wurden, 18 oder 19, als sie aktiv im Arbeiteraufstand eine fatale Niederlage erlebten, knapp 20, als sie selber in der Todeszelle das Ende erwartend, den Liebsten verloren. Weg in den Süden hält berührende Einzelschicksale von Überlebenden fest, die, kontrastiert durch Interviews mit Jugendlichen, die aus heutiger Sicht ihre Lebenspläne darlegen in ein besonders tragisches Licht rücken. Wenn Zwanzigjährge heute sagen: "Ich will mein Leben richtig leben, meinen Spass haben, das Richtige tun" – wirft der Film gegenüber den Kämpfern für Solidarität und Gerechtigkeit eine bedenkliche Frage nach aktuellen Werten auf. Die parallele Montage zweier Generationen eröffnet jedoch vielmehr ein glaubhaftes Bild davon, wie die Erwartungen ans Leben dieser Menschen damals aussahen, ehe sie die Geschichte brüsk aus ihren Träumen riss.(ks)

2003