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2005 –  Das Jahr des Michael Haneke

 

Er versucht, an eine Wahrheit heranzukommen, so nahe wie möglich unter die Haut oder an Erfahrungen, an Details von Gefühlen zu gelangen. Es interessieren ihn die inneren Zustände, das, was verborgen ist, das, was unter der Haut, unter den Worten, unter den guten Gefühlen liegt. Seine Messerschärfe, mit der er so nahe wie möglich an die Wahrheit heran will, das fasziniert mich an ihm und seinen Filmen, in denen es mir manchmal ein wenig an Mitgefühl fehlt. Aber heute sind seine Filme ein schöner Gegenpol zu gewissen Filmen, die wie in Konservendosen daherkommen und Zerstreuung und gute Gefühle verkaufen wollen. Ich glaube, es ist notwendig, auf eine gewisse Würde und Menschlichkeit im Kino zurückzukehren. Und an die Würde gelangt man, indem man sich seinen Ängsten, seiner Hässlichkeit, seinen inneren Schlangen stellt und er hat den Mut dazu, die Lust darauf und das Bedürfnis danach.

Juliette Binoche

 

Er besitzt die Einzigartigkeit des Regisseurs in einer Welt, wo das Kino sehr in Formen gepresst wird. Er hat eine kompromisslose Erzählweise und dabei dennoch einen Stil, der es ermöglicht, das, was er sagen möchte, über das Kino zu transportieren. Bei ihm begegnet man immer einer Form von Ästhetik und einer verstörende Hellsichtigkeit zugleich und er ist jemand, der immer dort draufdrückt, wo es wehtut. Er hat die Eigenschaften der großen Regisseure, nämlich absolute Konsequenz und ein Gespür für Glaubwürdigkeit. Er ist ein Regisseur, der seine Schauspieler hört, der sie nicht entmündigt, sondern ihnen Verantwortung überträgt, ein Regisseur, wie es sie selten gibt. Daniel Auteuil Michael Hanekes Filme sind gefährlich. Die Entladung der Gewalt trifft ins Mark. Keinerlei Selbstgefälligkeit in dieser Gewalt, keinerlei ästhetisierendes Barock. Notwendige Gewalt, um die Bilder zu durchqueren, in denen das Individuum von heute untergeht. Ein einsamer, narzisstischer, nihilistischer Mann, dessen Phantasie das wahre Leben im Tod ersinnt, seines oder das des anderen. Danke Michael für die Gewalt deiner Filme.

Jean-Pierre und Luc Dardenne

 

Das Besondere an Michael Haneke ist zunächst einmal, dass er ein sehr stilsicherer Regisseur ist. In dieser Klasse gibt es nur wenige in Europa. Seine Filme sind genau überlegt, perfekt gebaut und exakt gestaltet. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Andererseits zeigt er, wenn am Set rasche Antworten gefordert sind, dass er auch aus dem Bauch heraus entscheiden kann und ein gutes Gespür dafür hat, was richtig oder eben nicht richtig ist. Außerdem verfügt Haneke, wie sich in seiner Arbeit mit Schauspielern immer wieder zeigt, über ein erstklassiges Gehör: Wie etwas gesagt wird ist ihm ungeheuer wichtig. Für den Produzenten und das Team bedeutet dieser hohe Anspruch, nicht 100 sondern vielleicht 200 Prozent geben zu müssen. Wenn man schon so lange zusammenarbeitet wie wir, dann ist das wie in einer Ehe. Man hat Respekt und Vertrauen. Sicherlich gibt es auch schwierige Situationen, aber immer ein klares, gemeinsames Ziel vor Augen. Bei allem, was bisher erreicht wurde, bleibt jedes neue Projekt eine Herausforderung: natürlich geht es um die Qualität, aber immer auch darum einen mutigen Schritt weiterzugehen.

Veit Heiduschka

 

Was mich bewogen hat, mit Michael Haneke zusammenzuarbeiten, war die vollkommene Übereinstimmung unserer Arbeitsauffassungen. Ich habe als Produzentin immer für die Autoren und Regisseure gearbeitet, das hat er sicherlich gespürt. Was bei Haneke fasziniert, ist seine Präzision, seine Ernsthaftigkeit, seine Inspiration. Natürlich seine Geschichten, die ich für wirklich genial halte. Sein Storyboard und die Qualität der Bücher. Er arbeitet selbstkritisch und schenkt sich dabei selber nichts. So lange er nicht sicher ist, dass es gut ist, so lange arbeitet er. Wenn man sie zum Lesen bekommt, dann handelt es sich sie wirklich um ein fertig geschriebenes Drehbuch wie man es nur in der amerikanischen Cinematografie findet. Er gehört schon lange, aber heute erst ist es weltweit akzeptiert, zu den größten europäischen Autoren.

Margaret Menegoz
 

Aus Produktionssicht ist es wesentlich einfacher, mit Michael Haneke einen Film zu machen, als dies sein Ruf vermuten lässt: er verspricht nie etwas, das er nicht halten kann, sein Arbeitsstil ist präzise bis ins Detail, er gibt jeden Augenblick während der Arbeit 100% für die Verwirklichung seiner Idee und sagt von Anfang an, was er dazu benötigt. So kann man planen, kalkulieren, vorbereiten. Der Rest ist Einsatz. Michael Haneke hat mich den täglichen Kampf gegen die Bequemlichkeit gelehrt. Statt des bequemen Lamentierens wurde absolute Loyalität gegenüber der gemeinsamen Sache zum Fundament unserer erfolgreichen Zusammenarbeit. Loyalität, Wachheit, ganzen Einsatz - das fordert Haneke permanent ein, was vielleicht nicht immer angenehm ist. Doch hat man sich einmal mit ihm auf diesen Weg begeben, profitiert davon nicht nur der einzelne Film, sondern auch man selbst. Dass dabei auch noch ausgezeichnete Filme herauskommen, ist für die Produktion nicht gerade unerheblich.

Michael Katz, Herstellungsleiter

 

Ich kenne Michael Haneke seit Ende der Achtziger und habe Bennys Video mit ihm gedreht, die 71 Fragmente, Die Klavierspielerin und jetzt Caché. Michael Haneke selbst geht immer an die Grenze und nimmt seine Partner dorthin mit. Das gehört zur Arbeit eines guten Regisseurs und mir sind Grenzzonen allemal lieber als gesichertes Land. Dieser Weg ist nicht immer angenehm und Michaels Genauigkeit tut oft weh, aber es führt weiter. Das Wie ist ihm zumindest gleich wichtig wie das Was - eine seltene Qualität. Er ist der beste Drehbuchautor, den ich kenne, und über das Bilderfinden brauchen wir nicht lange zu reden - da waren wir uns vom ersten Film an einig, ohne dass wir je darüber eingeschlafen wären.

Christian Berger

 

Das Besondere an ihm ist, dass er weiß, was er will. Jede Szene, jede Kameraeinstellung ist vorbereitet und genauestens ausgetüftelt. Zum Teil so genau, dass unsereins oft erst beim fertigen Film kapiert, warum es so war. Es gibt keine Improvisation, sondern es wird in einem Maß nach Plan vorgegangen, das ihn von allen anderen Regisseuren, die ich kenne, unterscheidet. Mit Haneke zu arbeiten, ist eine andere Sportart und vermutlich eine, wo man von der ganzen Arbeit und dem Geld, das man aufwendet, einen höheren Prozentsatz dorthin bringt, wo es hingehört, nämlich ins Bild. Es ist kein Versuchen, kein Herumspielen an irgendetwas. Es ist eine vergleichsweise wissenschaftliche Herangehensweise. Das Geheimnis, mit ihm zurechtzukommen ist, dass man es ernst nehmen muss und wenn man ihm etwas ausreden will, dann muss man sich etwas richtig Ernsthaftes einfallen lassen. Mit Schmäh ist nichts zu machen.

Christoph Kanter

 

Es gäb' soviel zu sagen! Seine Genauigkeit ist sicher schon ausreichend erwähnt worden. Schrullen hätte er auch, aber soll man die wirklich veröffentlichen? Was mir auffällt ist, dass das Bild, das er in die Medien transportiert, und vielleicht auch transportieren will, in vielen Dingen nicht mit meinem Bild von ihm übereinstimmt. Zum Beispiel die viel zitierte Kälte, die seine Filme abstrahlen. So "kalte" Filme kann man ohne Wärme ja gar nicht machen (und auch nicht anschauen). Und dann wären da noch sein Wiener Neustädter Slang, seine Offenheit und sein Sinn für Humor, die ihn privat sympathisch und liebenswert machen. Ich find' er ist ein netter, grauhaariger Kerl...

Kathrin Resetarits

 

Unerbittlich setzt er sich Tag für Tag an den Computer, erfüllt sein Drehbuchpensum Unerbittlich setzt er in Bilder und Sprache um, was ihm vorschwebt Unerbittlich setzt er dann die Mitarbeiter unter den Druck der Präzision Unerbittlich setzt er schließlich bei seinen Schauspielern durch, was er als wahr erkennt Unerbittlich setzt er noch alle Mittel der Filmkunst ein, um den Film zu vollenden Recht gerne setzt er sich dann endlich zu einer Flasche sehr sehr guten Cabernets.

Wolfgang Glück

 

"Da kriag i Wimmerln" sagt er, der Haneke, und fuchtelt mit den Armen in der Luft herum. Wimmerln kriegt er, wenn etwas nicht stimmt, sich falsch anhört, nichts mit der Realität zu tun hat oder schlicht und einfach unglaubwürdig ist. Diskussionen zu Realität im Film sind schwierig. Oft ist es angenehmer, sich die Welt zurechtzubiegen. Man behauptet eine Realität und quetscht sie in ein Drehbuch, einen Dialog oder ein Bild. "Da rollts an jo die Zechnnägel auf!" Haneke will, dass wir mit offenen Ohren schauen. Wir sollen Filme machen über etwas, wo wir uns auch auskennen, weil's doch viel einfacher ist am Anfang. Und vor allem aber Tun. Tun und Scheitern und Erfolg haben. Haneke ist vom Sessel aufgesprungen und verscheucht die Gespenster der Lethargie.

Barbara Schärf
 

Michael Haneke ist sehr hilfsbereit und lustig. Er hat sich stundenlang mit mir hingesetzt, Schauspielerkataloge durchgeschaut, macht Listen mit Drehbuchverbesserungsideen, schreibt Gratulationsfaxe. Sein ehrliches Interesse freut mich und ich bin dankbar für seine langjährige Unterstützung. MH ist sehr direkt und unverblümt, Lieblingsworte: Trottel, Volltrottel, echter Trottel. Das gefällt mir, da wird nicht lang herumgefackelt. Einmal hat er ein Steak gemacht, Kartoffel gab's keine - "Ich bin zu blad" - er war auf Diät. Als ich ihn nach seiner Regiegage gefragt hab, hat er gleich das Steak fallen lassen. Ich mag ihn.

Ruth Mader

 

Ich bin jedesmal wieder von der formalen Konsequenz, die in jedem von Hanekes Filmen steckt, tief beeindruckt. Seine Arbeiten haben ein Publikumspotenzial, und dennoch geht er keinerlei Kompromisse ein, die Filme etwas stromlinienförmiger, leichter verkaufbar, "konsumerabler" zu machen. Wir haben hier einen Filmautor von Weltrang, der kompromisslos seinen Weg geht und gerade deshalb Erfolg hat. Und auch wenn man die Auswirkungen einzelner Filme nie überschätzen darf, glaube ich, dass ein Tor aufgestoßen wird zu einer höheren Akzeptanz jener Filme, die dem Zuschauer mehr abverlangen, als er das im Kinoalltag gewohnt ist. Allein deshalb ist es eine Freude mit diesen Filmen zu arbeiten, weil man nicht so oft ein Produkt anzubieten hat, das einen so hohen künstlerischen Stellenwert hat und gleichzeitig gut vermarktbar ist.

Michael Stejskal

 

Michael Haneke wurde zwar in München geboren, aber bayrisch sind seine Filme nicht, und eigentlich sind sie auch nicht österreichisch (das sind sie nur ausnahmsweise: Funny Games). Haneke ist, in der Nachfolge des großen Kieslowski, ein europäischer Regisseur, im besten Sinn des Wortes: er arbeitet jenseits jeder kulturellen Kleinstaaterei. Er spürt einer Krankheit an der Gesellschaft nach: das Motiv jeder großen Kunst. Er tut dies besonnen und besessen zugleich, mit einem außergewöhnlich scharfen Blick auf das Innenleben der Bourgeoisie. Dabei folgt er beharrlich einer eigenen Ästhetik von kühler Schönheit und bestechender Analytik, die sich in ihrer fragmentarischen Schreibweise am besten in den 71 Fragmenten zeigt, in Code - Unbekannt, zuletzt in seinem Meisterwerk Caché. Da treibt Haneke die Sprache des Kinos voran. Die internationale Kritik (FIPRESCI) hat seine Filme viermal ausgezeichnet: nach Theo Angelopoulos gehört er damit, in den Augen der Kritik, zu den meistgeschätzten Autoren des modernen Kinos.

Klaus Eder, FIPRESCI - Generalsekretär

 

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