FEATURE

Antonin Svoboda dreht SPIELE LEBEN

 

Antonin Svoboda hat sich für Spiele Leben auf die Gunst des Augenblicks eingelassen: als Drehbuchautor hat er Georg Friedrich die Rolle eines der Macht des Würfels verfallenen Versagers auf den Leib geschrieben. Als Regisseur hat er sich gemeinsam mit seinen Darstellern und seinem Kameramann auf ein Arbeiten im offenen Feld der Improvisation eingelassen und dabei mehr gewonnen, als er erwartet hatte.


Kurt! KUURT! Kurt! Mach auf! Birgit Minichmayrs Stimme schlägt Kapriolen. Völlig außer Rand und Band geraten, kreischt Tanja durch den Hausflur, tritt gegen die Wohnungstür ihres Freundes Kurt. Ihr Gesicht von der Fischaugenoptik, die Kurts Blick durch den Späher seiner Wohnungstür zeigt, verzerrt, versucht sie, ihn in changierenden Tonlagen dazu zu bewegen, ihr Einlass zu gewähren: provokant, lasziv, wutentbrannt und durch die Drogen nur ein Zerrbild ihrer Selbst. Kurt bleibt hart. Nicht aus moralischen Gründen, nicht weil er mit seiner Junkie-Freundin nichts mehr zu tun haben will, bloß sein Würfel hat anders entschieden und der hat das Sagen in seinem Leben. Tanja wiederum gibt sich auch mit dem Nachbarn zufrieden, Schranken kennt sie nicht wirklich in ihrem Leben und der Herr nebenan hat, vom Lärm am Gang hellhörig geworden, seine Tür geöffnet und lässt sie herein: Wenn das Schicksal schon eine Gelegenheit bietet, dann einfach nehmen und schauen, was kommt.

 

Schauen, was kommt ist nicht nur der letzte Ausweg in der gut einminütigen Improvisation, die Birgit Minichmayr in dieser Szene vor der Tür eindrucksvoll vor die Kamera legt, sondern auch eines der Themen, das die Geschichte von Spiele Leben speist, und kann auch als Motto des ungewöhnlichen und intensiven Drehs gesehen werden, den Antonin Svoboda mit seinem Team Ende November abgeschlossen hat. "Es ist wie von selbst gelaufen", resümiert der Regisseur erschöpft und euphorisch am Tag nach Drehschluss die Zusammenarbeit mit seinem Kameramann Martin Gschlacht, und seinen Hauptdarstellern, Georg Friedrich, Birgit Minichmayr, Gerti Drassl, Andreas Patton, die sich vor allem dadurch kennzeichnet, dass eine Offenheit und das Abwarten der Gunst des Augenblicks den Ton am Set bestimmten und den Darstellern ein beinahe uneingeschränkter Freiraum zur Entfaltung ihrer Figuren zur Verfügung stand.

 

Spiele Leben erzählt von Sucht und Selbstzerstörung, vom Dasein ohne Halt und von der Unfähigkeit, Wege aus dem Lebenschaos zu finden. Aber es erzählt auch von der Lust auf den Augenblick, vom Verzicht auf Konventionen und dem Mut, sich einfach auf den Tag einzulassen. Kurt ist ein Versager, was immer er im Leben auch anfasst, es geht mit ziemlicher Sicherheit schief - Jobs, Frauen, Eltern - alles liegt im Argen. Kaum hat er Geld in der Hand, dann ist es auch schon wieder weg, meist am Kartentisch oder im Spielcasino unters Volk gebracht. Wachsende Schulden halten ihn nicht davon ab, den Kick der Ungewissheit, die kleine Chance aufs große Wunder bei jeder Gelegenheit wieder auszureizen, bis er eines Tages entdeckt, dass er eigentlich sein ganzes Leben zum Spiel erheben könnte, indem er den Würfel in seiner Hand zum Herrn über sein Handeln macht. "Ich wollte", erklärt Antonin Svoboda, "einen sympathischen Loser haben. Es ging mir nicht darum, eine Geschichte in den Vordergrund zu stellen, sondern das Tragische an einem Charakter zu zeigen, nicht bewusstes Handeln, sondern ein getriebenes, verführtes Menschsein zu erzählen. Es gibt bewusst keine Gewalt, weder Schlägerei noch Mord, ich wollte das Thema zwischen Menschen abgehandelt haben: Liebe, Treue, Vertrauen, Neid und Hoffnung". Mit Georg Friedrich (Kurt), den der Regisseur schon in der Drehbuchphase im Hinterkopf hatte, und Birgit Minichmayr (Tanja) traf ein Schauspielerpaar am Set zusammen, das das Regie-Konzept - grobe Linien ohne festgesteckten Rahmen, gemeinsame Suche nach den "ausufernden Momenten" – über alle Erwartungen hinaus aufgehen ließ, was in extremen Fällen in bis zu 45-minütigen Improvisationsdurchläufen endete. "Die beiden," erinnert sich der Regisseur," sind bei der ersten Probe wie zwei Kometen aufeinander gestoßen und haben das Spiel auf den Punkt gebracht." Auch für Birgit Minichmayr war Spiele Leben die bisher größte Filmrolle in einer Kinoproduktion, "Tanja" so die Darstellerin, "ist eine Randfigur, die mit ihrer Energie nicht klarkommt und keine Ruhe findet. Ich finde den Plot großartig - Was kommt, das nehme ich und ziehe es durch. Ich habe so eine Rolle noch nie gespielt. Es herrscht einfach eine schöne Arbeitsatmosphäre am Set und wenn die Chemie stimmt, dann gibt man sich gerne hin."

 

Grundsätzlich galt, dass die Schauspieler die Kamera führen, was für den Martin Gschlacht bedeutete, sechs Wochen lang, die Handkamera auf der Schulter, den Schauspielern zu folgen, wohin sie ihre Intuition im nächsten Moment führen würde und in kinoreife Bilder zu kadrieren. Für das Drehbuch bedeutet es, dass die Dynamik der Schauspieler andere Akzente setzte und den Stoff so verdichtete, dass aus dem Spielerschicksal ein Liebesdrama wurde. Das Zufallsprinzip hat dennoch ein gewichtiges Wort dabei mitzureden.
Karin Schiefer (2004)