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 BÖSE ZELLEN von Barbara Albert – Drehbericht

 

"Wir machen Sie glücklich". Die Shopping-Welt macht's möglich. Ein Einfamilienheim aus Fertigteilen als Inbegriff erfüllter Sehnsüchte prangt vom Plakat im Vordergrund des Einkaufsmekkas. Einer der riesigen Parkplätze von Wiens südlicher Shopping City ist noch fast menschenleer. Die Schauspieler und ein Teil des Teams sind für 8.30 Uhr bestellt, doch eine Reifenpanne trotzt dem planmäßigen Tagesbeginn. "Dann haben wir noch ein bisschen Zeit", beginnt Barbara Albert die tägliche Übung im unkalkulierbaren Wechselspiel aus knapper und überschüssiger Zeit ,"schick mal die Komparsen, damit sie sich bei den Einkaufswagen aufstellen".

 

Probe. Ehepaare, Omas mit Kindern, Einzelpersonen schieben ihre gefüllten Körbe vor sich her. Im Hintergrund Georg Friedrich, der sich die Hände in den Hosentaschen, den Kopf gesenkt und ein Stück Holz vor sich her trippelnd, an der Seite seiner schaukelnden Filmtochter langweilt. Die dritte, die vierte, die fünfte und die Regisseurin gibt sich zufrieden.

 

Umbau. Georg Friedrich (Andreas) und Kathrin Resetarits (Manu), ihre kleine Tochter am Arm haltend, blicken übers Gelände der Shopping-Welt. Der Vater erklärt, wo alles noch größer werden soll, die Mutter, dass das nun der Arbeitsplatz des Vaters ist. Die kleine Yvonne schaut etwas verloren. Schnitt. Eine winzige Szene, eines der unzähligen Fragmente, die sich in Barbara Alberts neuer Arbeit Böse Zellen wie schon zuvor in Nordrand zu einem Gesamtbild fügen werden. "Es war eine unaufregende Szene" so die Regisseurin, "aber da ist der Blick von Deborah, der Dialekt von Georg, die Natürlichkeit von den dreien da, ich glaube, selbst, wenn man die Figuren nur sieht, weiß man, wann der Ton stimmt." Kino im Kopf Entspannt und unaufgeregt wie das Spiel der beiden Hauptfiguren ist die Atmosphäre am Set. Absprache mit dem Kameramann Martin Gschlacht, Blick durch die Kamera, Rückfrage an die Regieassistentin, Hinweise für die Darsteller, den Weg zwischen Darstellern und ihrem Platz neben der Kamera legt Barbara Albert unermüdlich, immer wieder zurück, um das eine oder andere Detail zu klären, bis es heißt "Achtung – wir drehen!" Es liegt nur eine Nuance im kleinen "wir", das jedoch für eine Arbeitsweise spricht, von der man den Eindruck gewinnt, dass die Regisseurin mit allem bis zum kleinsten Baustein der Geschichte, die zur Zeit noch ein Leben in ihrem Kopf fristet, mit großer Behutsamkeit und Respekt begegnet umgeht. Sprach man nach dem Dreh ihres ersten Langfilms Nordrand mit der Filmemacherin, bezeichnete sie die Dreharbeiten noch als das ungeliebte und stressbeladene Kernstück im langen Entstehungsprozess.

 

"Ich bin", so Barbara Albert, "selber froh und erstaunt, dass ich diesmal mit Freude an den Dreh gehe, einfach probiere und nicht diese Angst vor einem Fehlschlag habe. Es geht mir im Moment darum, die Geschichte gut zu erzählen, und die Sorge, was andere davon denken könnten, belastet mich diesmal nicht. Ich hab auch an mich selber diesmal den Anspruch, am Set besser und entspannter zu sein". Für die Regisseurin ist Böse Zellen nun der erste Langfilm, für den sie gemeinsam mit ihren Kollegen von coop99 auch als Produzentin verantwortlich ist. Ein Vergleich zu den vorangegangenen Dreharbeiten lässt sich kaum herstellen. " Das ist", so Albert, "zu lange her, ich hab bei meinen ersten Arbeiten Slidin" - alles bunt und wunderbar und Nordrand viel gelernt und mich weiter entwickelt. Grundsätzlich ist es aber viel angenehmer, wenn ich mir selber Prioritäten setze oder Kürzungen verordne. Ich mache mir selber Druck genug, sodass ich nicht noch den von außen brauche, den ich viel schwieriger annehmen kann". Schöpfungen des Alltags Gedreht wird in zwei Etappen.

 

Für die Sommer- und Frühlingsszenen fiel die Klappe in einem zweiwöchigen Drehblock noch unter der unbarmherzigen Augustsonne, Anfang Oktober startet der große Block. Ein Rohschnitt aus den ersten abgedrehten Bruchstücken liefert nun eine wichtigen ersten Eindruck für den Hauptdreh. "Ich bin sehr froh darüber", so Barbara Albert, "dass uns diese Pause ein bisschen Zeit gibt, nochmals kurz innezuhalten, nachzudenken und um gemeinsam mit dem Kameramann zu überprüfen, ob von den Bildern her das Gefühl stimmt, etwas aufgeht oder vielleicht noch in eine andere Richtung gehen soll". Trotz der Fülle der Figuren standen bis auf zwei alle bereits kurz vor der Kamera. Die Darstellerliste ist wie in Nordrand eine Mischung aus Profis und Laien, die in einem langen Casting gemeinsam mit Rita Waszilovics ausgewählt wurden. "Das Casting war sehr intensiv", erklärt die Regisseurin aber das zahlt sich aus". Bei Laien bin ich mir oft unsicher und caste sie mehrmals. Das ist das beste Training für sie, das mehr bringt als ein Probentag, denn die Leute kommen dadurch schon so in ihre Figuren hinein". Die kurzen, selten dialogreichen Szenen erfordern kein allzu aufwändiges Proben. "Es geht da mehr", so die Regisseurin weiter, "um ein Gefühl für die Figur, um Körperhaltungen, deshalb versuche ich durch die Besetzung meinen Figuren so nahe wie möglich zu kommen". Ins schwarze Loch Wie in Nordrand sind Alberts Figuren unspektakuläre Schöpfungen des Alltags, deren Geschichten sich in einer Vielzahl kleinster Szenen zu einem Gesamtbild ergänzen, in dem jedoch anders als bei den Vorgängern das Irrationale und Unerklärliche eine gewichtige Rolle spielt. Schwarze Löcher, Tischrücken, Geister von Toten, die sich manifestieren.
 

Es wird in Böse Zellen viel um undefinierbare Ahnungen gehen, die Barbara Albert über das Beziehungsgeflecht ihrer zahlreichen Figuren transportieren will. Vom Umgang mit Verlust und Vergänglichkeit und der Unmöglichkeit, die Sehnsucht nach Zweisamkeit schadlos zu überstehen, erzählen die Episoden aus einer Vielzahl von Fragmenten zusammenwachsen. "Beim Schreiben," erläutert die Filmemacherin ihren Ansatz, "interessiert mich besonders die Struktur. Die Frage, wie führe ich verschiedene Geschichten zusammen, wie baue ich ein Netz auf. Das Schwierige an dieser puzzleartigen Art zu schreiben ist, dass ich für die Figuren sehr wenig Raum besitze, um sie für die Zuschauer plastisch zu machen. Das ist aber auch das Spannende, ob der Film durch diese Vielzahl kurzer Szenen einen eigenen Sog bekommen wird." Menschen in Systemen – Familiensystemen, Beziehungssystemen, Systemen, die von Fernsehen und Konsumwelten geschaffen werden - als hilflose Wesen, die sich in einer Umwelt bewegen müssen, die ihnen nicht entspricht, für die es aber keine Alternative gibt, bilden den Stoff von Böse Zellen, jene kleinsten Einheiten, die über durch Alberts dramaturgische Handschrift wiederum ein System ergeben. Chaos und Ordnung sind die Pole, zwischen denen sich die Erzählbögen spannen. "Ich denke," so die Regisseurin, "in uns allen ist dieses Bedürfnis nach Ordnung, um uns an irgendetwas anhalten zu können, weil so viel unbegreiflich ist. Die Dinge, die den Leuten unbegreiflich sind, das hat mich fasziniert. Das Unbegreifliche, das, von dem man bloß eine Ahnung hat, das möchte ich als Atmosphäre in diesem Film spüren. Irgend etwas, von dem, das es da noch gibt, etwas Unheimliches hat und schon die ganze Zeit unter der Oberfläche brodelt".

 

Karin Schiefer (2002)