INTERVIEW

Das Team coop99 filmproduktion im Gespräch über LOVELY RITA

«Es ging uns um Unabhängigkeit und darum, dass wir spezielle Vorstellungen hatten, wie wir Filme machen wollen und wie wichtig Produktionsbedingungen für das Ergebnis sind.» Die coop99 Filmproduktion – Barbara Albert, Martin Gschlacht, Jessica Hausner, Gilbert Petutschnig und Antonin Svoboda im Gespräch

 

Der Erfolg hat sich sehr prompt eingestellt: die erste Produktion – ein Spielfilmdebüt – ist in der offiziellen Selektion des Festivals von Cannes. Das Konzept coop99 ist aufgegangen. Was war vor zwei Jahren die Motivation, eine Firma zu gründen?

BARBARA ALBERT: Es war ein miteinander Wollen, das sich durch das lange Kennen und gemeinsame Arbeiten an der Filmakademie ergeben hat. Es ging uns um Unabhängigkeit und darum, dass wir spezielle Vorstellungen hatten, wie wir Filme machen wollen und wie wichtig Produktionsbedingungen für das Ergebnis sind.

ANTONIN SVOBODA: Das, was wir uns gegenseitig auf der Filmakademie geben konnten, war ein gegenseitiges Spüren und Vertrauen in die Vision der anderen. Das war unser Kapital. Auf etwas anderes konnte man sich im Grunde nicht verlassen. Es verband uns ein Gefühl, wie man eine Vision auf die Leinwand bringen kann.

JESSICA HAUSNER:  Bei Lovely Rita ist es sehr gut gelungen. Da war die Drehzeit und auch der Umstand, dass wir mit Laien gedreht haben. Mit denen muss man so umgehen, dass sie weder erschrecken noch sich eingezwängt fühlen. Lovely Rita ist ein ganz konkretes Beispiel, warum es für mich sehr viel Sinn gemacht hat, diese Firma zu gründen. Weil ich konkret merkte, die Umstände beeinflussen das Produkt.

 

Hinter COOP 99 stehen mittlerweile fünf Namen - Barbara Albert, Martin Gschlacht, Jessica Hausner Gilbert Petutschnig, Antonin Svoboda. Wie sehen in so einer Konstellation Entscheidungsfindung und Arbeitsteilung aus?

GILBERT PETUTSCHNIG: Es ist so, dass es eine gemeinsame Entscheidungsfindung gibt, welche Projekte werden entwickelt oder sollen in Herstellung gehen, aber es ist nicht so, dass alle fünf in der Folge permanent in diesen Prozess eingebunden sind. Es ist definiert, wer für welches Projekt Ansprechpartner ist. Es gibt drei, die Regie machen und Bücher schreiben, einer der Kamera und Produktion macht, ich bin nun seit Jänner 2001 dabei und kümmere mich ausschließlich um die Produktion. Ich sehe meinen Part darin, die anderen von diesen dispositiven und logistischen Aufgaben freizuspielen. Natürlich ist nicht immer leicht, zu fünft zu einer Entscheidung zu finden, aber natürlich ist es auch ein sehr fruchtbarer Prozess.

 

An wie vielen Projekten arbeitet ihr zur Zeit?

BARBARA ALBERT:  Wir haben jetzt drei Projektentwicklungen: der nächste Dokumentarfilm von Hubert Sauper Darwin's Nightmare, ein ein sehr eigenwilliges Spieldokuprojekt mit dem Titel Telekolleg Politik, und dann noch Böse Zellen, mein nächster Film. Weiters arbeiten wir auch noch an Kaltfront, einem Drehbuch von Valentin Hitz.

ANTONIN SVOBODA: Es ist uns wichtig, auch Projekte von außen, nicht nur unsere eigenen zu verwirklichen. Bei Lovely Rita war auch noch eine zweite österreichische Produktionsfirma beteiligt. Wir haben gemeinsam mit der Prisma Film produziert. Grund dafür war, dass man den ersten vom ÖFI geförderten Film nur mit einer etablierten und erfahrenen Firma machen kann, die in finanziellen Dingen die Letztverantwortung trägt. Wir arbeiteten mit dem Heinz Stussak zusammen, was sehr gut funktioniert hat. Wir fühlten uns auch in keiner Weise kontrolliert. Die Prisma Film hat eher das Vorher und das Nachher - Verträge, Koproduktionsverträge und die Abwicklung der Förderungen - erledigt, die eigentliche Drehbetreuung ist von hier aus gegangen.

 

War die Durchführung von Lovely Rita als internationale Koproduktion eine finanzielle Notwendigkeit oder gehört es mit zur Firmenphilosophie?

MARTIN GSCHLACHT:  Finanzielle Notwendigkeit war es bei Lovely Rita nicht, es war vielmehr so, dass Philippe Bober von sich aus uns in Cannes vor zwei Jahren angesprochen hat und eine Zusammenarbeit anbot. Gleich die erste Produktion als internationale Koproduktion durchzuführen war für uns eine sehr gute Erfahrung.

 

Geht ihr auch offensiv nach außen auf der Suche nach Partnern?

GILBERT PETUTSCHNIG: Wir waren heuer in Rotterdam und auch in Berlin, um zu diversen Finanzierungspartnern Kontakte zu knüpfen. Es war ein sehr aufwändiges und langwieriges Procedere. Aber à la longue sind wir alle der Meinung, dass sich das auszahlen wird. Der nächste Schritt wird sein, in Cannes dahingehend zu arbeiten.

 

Wie geht die coop99 mit den Kürzungen des staatlichen Förderbudgets um?

BARBARA ALBERT: Die Kürzungen sind für alle dramatisch. Wir sind absolut davon überzeugt, dass es diese Förderungen geben muss, weil dadurch eine Unabhängigkeit gegeben ist. Es gibt seit zwei Jahren so einen filmischen Aufschwung, sehr viele gute, unterschiedliche und mutige Filme und es ist natürlich tragisch zu sehen, da ist ein Potenzial und das fällt auf keinen fruchtbaren Boden.

JESSICA HAUSNER:  Es geht außerdem um Summen, die einen ganzen Industriezweig beleben müssen. Das sind Summen, die nur der Staat geben kann.

ANONIN SVOBODA:  Das Thema ist, dass Film als Kulturträger auf politischer Seite niemandem wichtig genug ist. Das wollen wir weder akzeptieren noch zulassen. Es ist ein sehr wesentliches Anliegen dieser Firma, an einer österreichischen filmischen Identität mitzuarbeiten und zu gestalten. Die Diskussion hier hat nichts mit einer Auseinandersetzung mit Qualitäten zu tun. Das ist es auch, was uns ein bisschen hinaustreibt, um uns Verbündete von außen zu suchen und die Situation hier ein bisschen zu relativieren. Nach mehreren Jahren der Diskussion muss man irgendwann feststellen, der politische Wille ist im gewünschten Maß nicht da.

 

Was kann man sich als junge Produktionsfirma an (Überlebens)Strategien überlegen.

JESSICA HAUSNER: In erster Linie wollen wir Filme produzieren und nicht die politische Landschaft umkrempeln. Ich glaube, dass das aber passieren wird, wenn es uns gelingt, Filme zu produzieren. Dann gilt es einfach die Möglichkeiten, die da sind, zu nutzen und sonst halt international zu arbeiten.

BARBARA ALBERT: Wenn wir es schaffen, Filme zu machen, die im In- und Ausland gesehen werden, dann kann auch die Politik nicht anders reagieren. Wir sind ja neuen Ideen auch aufgeschlossen, wenn es um die Frage geht, wo kann man noch Geld herkriegen. Es ist aber klar, dass zunächst die Basis durch Förderungen da sein muss. Wir wissen aber auch, dass private Gelder mehr Abhängigkeit bedeuten.

 

Wie waren die Produktionserfahrungen konkret bei Lovely Rita?

MARTIN GSCHLACHT: Man darf sich nicht vorstellen, dass wir alles gemacht haben. Das Casting war sehr professionell aufgezogen. Man muss bedenken, für die Rolle der Rita haben wir über 500 Personen gecastet. Dafür haben wir uns sehr viel Zeit genommen. Das ist auch eine der Ideen der coop99, das man das auch einkalkuliert und ermöglicht.

ANTONIN SVOBODA: Ein langes Casting, lange Dreh- und Schnittzeit waren für den Film einfach wichtig und da gab es auch keine langen Diskussionen darum. Auf der anderen Seite muss man Abstriche machen und die muss man versuchen, mit viel Phantasie und Überzeugung wettzumachen. Aber toll. Filmemachen ist einfach sehr hierarchisch, das zu brechen, ist eine der herausforderndsten Aufgaben gewesen.

JESSICA HAUSNER: Für mich war in Lovely Rita diese Doppelfunktion als Regisseurin und Produzentin sehr spannend, weil es sich sozusagen um die beiden Machtpositionen im Prozess handelt, die möglicherweise miteinander kämpfen müssen. Dass das in Lovely Rita überhaupt nicht notwendig war, geht auf die Übereinkünfte zurück, die wir getroffen haben. Für mich hat das sehr gut funktioniert. Natürlich hatte ich den Regieaspekt im Vordergrund. Es ist da dieser komische Irrglaube, dass Regisseure das total ausnützen. Aber das stimmt nicht, denn ich will ja selber, dass der Film gemacht werden kann und dass er fertig wird. Das steht für mich in keinem Gegensatz.

 

Wann ist The Coproduction Office eingestiegen?

MARTIN GSCHLACHT: In erster Linie ab der Postproduktion, die vorwiegend in Berlin stattgefunden hat. Außerdem war es nicht nur Koproduzent, sondern auch Weltvertrieb. Und als solcher hat er natürlich längst mit der Vermarktung begonnen. Das war auch ein sehr berauschendes Gefühl, vor Drehbeginn schon einen Weltvertrieb zu haben, das ist alles andere als üblich bei österreichischen Filmen. Hier ist ein Kunstfilm entstanden, der sehr wohl kommerziell ausgewertet wird. Dasselbe ist auch für die nächsten Projekte geplant. Wir wollen unsere Filme aus dieser komischen Schere zwischen Kunst- und Kommerzfilm herausholen.

 

Hat die coop99 Bewegung in etablierte Produktionsstrukturen gebracht?

BARBARA ALBERT: Wir hoffen schon. Es gibt ja auch andere junge Kollegen wie Niki Geyrhalter oder Virgil Widrich, wo wir schon das Gefühl haben, dass auch an anderen Stellen etwas passiert.

MARTIN GSCHLACHT:  Man muss die COOP als Chance sehen, dass Film wieder wahrgenommen wird in diesem Land und dadurch auch wieder mehr Geld zur Verfügung gestellt wird.

BARBARA ALBERT: Wir wollen aber als Kinopublikum nicht nur Leute, die leicht zu erreichen sind, weil sie ohnehin Arthouse-Filme anschauen. Wir wollen versuchen, verschiedenste Publikumssegmente zu erreichen. Einen Kunstfilm machen, aber ihn verkaufen. Wichtig ist uns, nicht nur als Bittsteller aufzutreten, sondern den zuständigen Stellen auch zu verdeutlichen, "Was habt ihr, was hat das Land von unserem Film", abgesehen von wirtschaftlichen Aspekten.

MARTIN GSCHLACHT: Wir sind nicht bereit, Fördermittel als Geschenk vom Staat zu betrachten. Ich glaube, die COOP wird daran nicht zerbrechen. Die Frage ist, wie viel Qualität kann man entwickeln. Film ist ein großer Apparat mit vielen interaktiven Möglichkeiten, da gehört eine abgesicherte Basis dazu. Wir sehen die Zukunft nicht schwarz, wir sind voller Projekte, mit lauter interessanten Menschen, wo wir das Gefühl haben, das wird spannend.

 

Interview: Karin Schiefer

2001