FEATURE

DONAU, DUNAJ, DUNA, DUNAV, DUNAREA von Goran Rebic

 

1.927 in Wien, 1.874 in Bratislava, 1.649 in Budapest. Was wie Eckdaten aus dem Geschichtebuch anmutet, ist der Kilometerstand der Donau, der auf ihren 2.888 Kilometern, die sie von ihrem Quell im südlichen Deutschland bis zum Delta am Schwarzen Meer zurücklegt, im Countdown Richtung Null gemessen wird. Die Donau, der Fluss, gibt den Weg vor, den die Donau, das Schiff, in einer Reise gegen Null, Richtung Ende und Anfang in Goran Rebic'  Donau Dunaj Duna Dunav Dunarea unternimmt.

 

Franz, ein in die Jahre gekommener Kapitän, steuert ein letztes Mal seinen von den vielen Jahrzehnten am Fluss gezeichneten Kahn und wird im Laufe dieser Fahrt mit der Geschichte seines Lebens konfrontiert. Der 18-jährige Bruno taucht in Wien auf und will einen Sarg aufs Schiff verfrachten, der auf letzten Wunsch der Toten am Eisernen Tor an der Grenze zu Rumänien der Donau überlassen werden sollte. Im Sarg befindet sich die sterbliche Hülle von Mara, Franz' großer Liebe und, wie Bruno annimmt, seiner Mutter. Für beide wird es eine Fahrt, die die Vergangenheit an die Oberfläche spült und sie zwingt, sich mit einer unangenehmen Wahrheit auseinander zu setzen. Mit Otto Sander hatte Goran Rebic nicht nur seinen Wunschkandidaten für den unnahbaren, aber gebrochenen Kapitän besetzt, er hatte mit ihm auch einen erfahrenen Steuermann mit Schiffspatent gefunden, der mit Robert Stadlober ein perfektes Paar für den emotionalen Schlagabtausch der Generationen bildete. Schichten der Erinnerung "Was den Fluss vom Wasser unterscheidet", heißt es am Beginn des Films aus dem Off, "ist, dass der Fluss eine Erinnerung, eine Vergangenheit und eine Geschichte hat". Beinahe 2000 Kilometer lang gleitet die Donau den mächtigen Strom entlang, dessen Ufer die jüngste und ferne Geschichte Mitteleuropas erzählen. "Die Donau", so Regisseur Goran Rebic, "ist ein sehr komplexes Lebewesen und beinhaltet viele Schichten – geschichtliche, politische, soziale – und sie ist schon seit Jahrhunderten das Tor zum Orient, wo Abendland und Morgenland aufeinander trafen".

 

Auf dem Schiff selber findet sich eine Handvoll im Leben Gestrandeter, unterschiedlichster Herkunft, manche von ihnen leben schon seit Jahren auf dem Wasser und zögern, ins Leben auf dem Festland zurückzukehren, manche von ihnen hat der Zufall nur für diese eine Fahrt aufs Schiff getrieben. Was alle vereint, ist die Auszeit aus der Wirklichkeit, die diese Fahrt bedeutet und die sie an einen Wendepunkt in ihrem Leben führt. Franz, der deutsche Kapitän, hat seine Wurzeln im Land, wo die Donau ihren Ursprung nimmt, sein Zuhause war jedoch sein Leben lang, der Fluss, der seinen Sohn geschluckt hat und das Schiff, das sich rastlos zwischen dem Westen und dem Osten, zwischen seiner Vergangenheit mit der rumänischen Schwimmerin Mara und der bitteren Einsamkeit von Heute bewegte. Reise zum Nullpunkt Einer seiner ständigen Begleiter ist der Maschinist Nikola, der Frau und Kinder in Belgrad zurückgelassen hat. "Es war mir sehr wichtig", so der Regisseur, "einen serbischen Protagonisten zu haben, der meinem Erleben nahe kam, jemand, der zur Zeit des Krieges nicht dort war, der geflohen, der desertiert war".

 

Der Rumäne Mircea, der beim Versuch, schwimmend die österreichische Grenze zu erreichen, von der Donau-Crew aus dem Wasser gefischt wird, steht für die verlorene Generation der 20-30-Jährigen, denen aufgrund politischer und wirtschaftlicher Barrieren der Traum ihrer Jugend verwehrt blieb, die Welt des Westens zu entdecken. Mathilda setzt den märchenhaften Kontrapunkt in der Runde der Schiffbrüchigen, sie war einem Wink des Schicksals in Gestalt eines exotischen Vogels auf ihrem Balkon gefolgt und so auf der Donau gelandet. Für den jungen Bruno wird die Donau-Reise zu einer Art Lebenstaufe, im Laufe derer er die wenigen Gewissheiten, die bisher das Fundament in seinem Leben bildeten, in den Tiefen des Flusses verschwinden. Er verliert die, die er für seine Eltern gehalten hat, und findet dennoch eine Familie. Am Ende steht er am Kilometer Null der Donau, wo sich der Fluss mit dem Meer vereint und die Unendlichkeit des Meeres einen neuen Ausgangspunkt der unbegrenzten Möglichkeiten in sein Erwachsensein eröffnen. "Das ist es", so Rebic, "was die Donau für mich ausmacht: Es ist immer alles möglich - Begegnungen, Entwicklungen, Erinnerungen -, die plötzlich aus den Tiefen hervor schießen. Die Donau mit all ihren Schichten und Ablagerungen, die vergegenwärtigen, was sie durch Jahrhunderte gesehen hat, das macht sie zu einer großen Metapher für das Leben in diesem Teil von Europa".

 

Donau, Dunaj, Duna, Dunav, Dunarea, der mehrsprachige Titel fasst bereits kurz eine 2000 km lange Fahrt durch unzählige Sprachgebiete zusammen. Erste Entwürfe zum Projekt machte der selbst nahe der Donau mitten im Nationalitätengemisch der Vojvodina geborene Filmemacher schon 1993, für ihn stand jedoch immer fest, dass erst dann an eine Realisierung des Projekts gedacht werden konnte, wenn der Zerstörung und Isolierung der Bevölkerung des jugoslawischen Territoriums ein Ende bereitet war. Dazu kam, dass nach den Bombardements die freie Schifffahrt an der Donau gesperrt war und zerstörte Frachtkähne den Wasserweg blockierten. "Wir hätten natürlich", erklärt Rebic, "das Stück Donau zwischen Serbien und Kroatien ausklammern können und so tun als ob, dazu war ich aber inhaltlich nicht bereit". So gewinnt gerade dieser Abschnitt von Vukovar bis Belgrad, der vor authentischer "Kulisse" an den Wunden des Krieges vorbei führt, auch wenn inzwischen die Kinder von Novi Sad das Brückenwrack als Terrain ihrer kleinen Abenteuer erobert haben, eine ganz eigene Intensität aus dem Zusammenspiel von Realität und Fiktion. Abenteuerliches Doppelspiel Die Fahrt als Ganzes, die die Donau im Zuge der Dreharbeiten tatsächlich entlang des Flusslaufs unternahm, wurde für den Regisseur und sein ganzes Team zum abenteuerlichen Doppelspiel einer echten Reise auf der filmischen Reise.

 

Nicht nur dass notwendigerweise in der Chronologie des Flusslaufs gedreht werden musste und es nach zwei Tagen nicht einfach ein Zurück für einen Nachdreh gab, es galt auch, den Zeitplan der Trägheit des Schiffes und dem Rhythmus des Wassers unterzuordnen, nicht weniger als zehn Grenzen zu passieren, in jedem Land die notwendige Unterstützung für das Kernteam zu organisieren, all das im Sommer der Jahrhundertflut, die dem Filmteam sprichwörtlich auf den Fersen war. "Wären wir ein paar Tage später aufgebrochen", erinnert sich Goran Rebic, "wäre das Projekt in der Tat ins Wasser gefallen. Aber es kamen viele Umstände zusammen, die diese Reise zu einem Abenteuer machten. Allein die Dimension des Flusses, dieser Naturgewalt, die keiner von uns so richtig kannte, hat uns bewusst gemacht, wie sehr man dem ausgeliefert ist." Ein serbischer Stuntman, der beinahe in den Tod gesprungen wäre, zehn Filmrollen, die auf mysteriöse Weise verschwanden und nach einem massiven Polizei- und Medieneinsatz auf geradezu burleske Weise in einem Kukuruzfeld wieder zum Vorschein kamen, zählen heute zum Anekdotenschatz eines Unterfangens, von dem, so der Regisseur, "ich weiß, was es für alle Beteiligten für Anstrengungen bedeutet hatte, das aber durch die Begegnungen mit all diesen Staaten, Gesichtern und Städten die Dimension einer "bewusstseinserweiternde" Reise hatte, wie man sie vielleicht in den sechziger Jahren nach Indien machte".

 

Karin Schiefer (2003)

2003