INTERVIEW

Erwin Wagenhofer über WE FEED THE WORLD

 

«Will man dann zu diesem Thema etwas Ernsthaftes machen, ohne sich auf Reizwörter wie Pestizide, Genmanipulation, Legebatterien, illegale Tiertransporte etc. draufzusetzen und über das rein Journalistische hinausgehen, dann muss man der Frage nachgehen, was passiert da wirklich in diesen Zeiten der Globalisierung. Beginnt man da hineinzublicken, dann tun sich erstaunliche Dinge auf, welche Schurkerei da am Werk ist?» Erwin Wagenhofer über Hintergründe und Zusammenhänge im globalen Nahrungsgeschäft.

 

Gab es so etwas wie einen Auslöser, der zum Thema Ernährung im globalen Kontext geführt hat und Sie motivierte, darüber einen Film zu machen?


ERWIN WAGENHOFER: Menschen, die kreative Berufe wählen, sind meistens Leute, die mit dem Status Quo dieser Welt nicht zufrieden sind. Es müssen nicht immer negative Dinge den Anstoß liefern, aber man geht Dingen nach, die einem irgendwie gegen den Strich gehen. Die Inhalte, über die man dieses Unbehagen transportiert, können sehr unterschiedlich sein. Ich hab' 2001 mit Limes schon einen sehr radikalen Film über Grenzen gemacht und im Nachdenkprozess über das Folgeprojekt mich gefragt, welche Themen für uns naheliegend sind, dann kommt man natürlich aufs Essen. Will man dann zu diesem Thema etwas Ernsthaftes machen, ohne sich auf Reizwörter wie Pestizide, Genmanipulation, Legebatterien, illegale Tiertransporte etc. draufzusetzen und über das rein Journalistische hinausgehen, dann muss man der Frage nachgehen, was passiert da wirklich in diesen Zeiten der Globalisierung. Beginnt man da hineinzublicken, dann tun sich erstaunliche Dinge auf, welche Schurkerei da am Werk ist. Die Idee zum Film entstand als work in progress, es gab nicht einen einzelnen, konkreten Anlass, der mich zu dieser Arbeit inspiriert hat.


Wie haben Sie sich in der Recherche diesem komplexen Thema angenähert?


ERWIN WAGENHOFER: Ich habe natürlich sehr viel gelesen. Das Schwierigste bei so einem umfassenden Thema ist die Frage, welche Wege wählt man? Man geht viele falsche, die muss man schnell erkennen und wieder an den Start zurückkehren. Was man als Ergebnis auf der Leinwand sieht, kommt so flockig daher, man darf aber nicht vergessen, was da alles im Schneideraum liegen geblieben ist. Ich habe besonders in Österreich sehr viel gedreht, letztendlich war es aber Material, das ich dann nicht verwenden konnte, weil es nicht passte. Die erste Reise ging nach Spanien, parallel dazu haben wir auch in Österreich immer wieder mit Bauern gearbeitet, wenn auch nur wenig davon im Film vorkommt. Ursprünglich war die Stoßrichtung, in die der Film gehen sollte eine andere. Als ich von der ersten Reise nach Spanien zurückkam, führte ich mit dem Produzenten nochmals ein Gespräch. Wir hatten zwei Möglichkeiten - entweder wir tun hier in Österreich eher klein herum, machen etwas über die österreichischen Bauern und darüber, was da so alles falsch läuft. Oder: was mir auch das größere Anliegen war - wir gehen hinaus und nehmen die Konzerne ins Visier. Wir haben uns für Zweiteres entschieden. Was uns noch bestärkte, war der Umstand, dass in Österreich eine Riesenangst herrschte, etwas vor der Kamera zu sagen. Diese zwei Argumente haben uns von Österreich weggeführt. Was mir von Anfang an ganz wichtig war, war das System von innen aufzurollen. Ich wollte mir nicht jemanden von einer NGO herholen, der auf die großen Konzerne schimpft. Ich sagte von Beginn an - Wir gehen selbst hinein, wir gehen in die Betriebe, wir gehen zu den großen Managern. Wir gehen zum Schmied und nicht zum Schmiedl. Brabeck oder niemand. Otrok oder niemand. Diese Leute wollte ich befragen und siehe da, es kommen auch von diesen Leuten kritische Worte. Das ist für mich doppelt so stark, als wenn wir sie kritisiert hätten.


Bei der Recherche stöberten Sie sicherlich viel mehr brisante Punkte auf, als letztendlich im Film vorkommen können.

ERWIN WAGENHOFER: Ja, nur ein Beispiel zu den österreichischen Bauern. In die Produktionszeit des Films fiel auch die Osterweiterung der EU. Ich war der Meinung, die österreichischen Bauern würden fürchten, dass durch die niedrigeren Preise in der Slowakei ihre Preise unter Druck geraten würden. Was geschah? Die österreichischen Bauern fuhren in die Slowakei und kauften Hunderte und Tausende Hektar Grund. Eine weitere Sache ist die, dass die Bauern sich gerne zu Geschäften ferne der eigenen Haustür verleiten lassen. Es gibt deutsche Immobilienfirmen, die den Landwirten hier den brasilianischen Regenwald verkaufen. Sie müssen sich verpflichten, den Regenwald zu 70 Prozent zu roden, um dort Soja anzubauen. Gleichzeitig wird in den Erweiterungsländern - Ukraine, Rumänien - in Ländern mit enormen Anbauflächen, der Sojaanbau vorbereitet, dann müsste sie in Zukunft nicht aus Übersee importiert werden. Bis es so weit ist, versucht man die hiesigen Bauern jedoch zu Eigentümern des brasilianischen Regenwaldes zu machen. Parallel dazu ist es so - auf brach liegenden Flächen (man nimmt immer an, sie liegen brach, damit sich der Boden erholt. In Wirklichkeit ist es so, dass die Bauern die EU-Förderung nicht erhalten, wenn sie nicht bestimmte Flächen brach liegen lassen) werden Lebensmittel angebaut, die nicht als solche deklariert sind, sondern die zur Stromerzeugung verheizt werden. Das ist eine Schurkerei und hier wird auch bei uns mitgespielt. Das sind Hintergründe, die ich alle im Film nicht direkt transportieren kann. Ein Film kann einfach nicht alles abdecken. Das war auch das Schwierigste, die Fakten und das Sinnliche miteinander zu vereinen, zu erreichen, dass die Leute dranbleiben, Information bekommen und auch immer wieder emotional einsteigen. Das musste hin- und hergehen.


Was war der Hintergrund der Spanienreise?


ERWIN WAGENHOFER:Die Geschichten in Spanien waren mir schon alle bekannt. Ich wollte einerseits der Frage nachgehen, warum muss das Obst und Gemüse, das wir kaufen, von so weit hergeholt werden und dann wollte ich wissen, wie das mit den Afrikanern funktioniert. Was bei uns zu viel ist, wird nach Afrika zu aberwitzigen Preisen exportiert, billiger als zu den dortigen Preisen. Die einheimischen Bauern verlieren dort ihre Existenzgrundlage und irgendwann wundern wir uns, warum sie eines Tages bei uns dastehen. So wie ich mit Brasilien einen Zusammenhang zu uns herstellen wollte. Wir essen den Regenwald auf. Oder das Beispiel unserer Bäcker. Brot wird in den Großbäckereien mit Weizen aus Indien produziert, Ergebnis ist: es wird in solchen Mengen überproduziert, dass oft bis zur Hälfte des hergestellten Brotes auf der Müllhalde landen. Es geht mir nicht primär um Hunger und Armut, sondern um diese Zusammenhänge. Wenn man jedoch einen Film über Nahrung macht und man lässt den Hunger draußen, wo täglich über 840 Millionen Menschen hungern, dann würde etwas falsch laufen. Man muss sich einer Sache immer wieder bewusst sein: Die Welt wird täglich reicher. Der Reichtum ist enorm gehäuft, das Welt-BIP hat sich in zehn Jahren verdoppelt. Gleichzeitig wächst täglich die Armut.


Wofür stehen die einzelnen Schauplätze?

ERWIN WAGENHOFER: Wir suchten Plätze, die einzigartig in der Welt sind. Der einzige Berufsstand, der wie in Urzeiten in der Früh aufsteht, um ein wildes Tier zu fangen, das sind die Fischer, vor allem die Seefischer. Laut Fachleuten ist die Bretagne die einzige Region in der Welt, sicher in Europa, wo noch guter Wildfang möglich ist. Ich wollte eingangs ein positives Beispiel zeigen und schon auch vor Augen führen, dass, wenn wir Tiere essen wollen, irgendjemand sie auch töten muss. Das ist ein brachialer Vorgang. Es geht mir aber weder bei den Fischern noch bei der Hühnerfarm darum, die "Mörder" zu zeigen. Wir wünschen das, und einer muss es tun. Die Fischerei-Episode ist ein sehr sinnlicher Block und auch da stellt sich heraus, dass man diese Leute nicht mehr will. Auch der Fischfang soll industrialisiert werden. Wie das funktioniert, erzählt der Fischer. Es ist völlig hirnlos, was hier geschieht. Wir müssen uns selber an die Nase greifen. Ich wollte in der Bretagne zeigen, wie der Fischer mit seinen eigenen Händen fischt, während in Spanien genau das Gegenteil passiert, in der weltgrößten Gewächshausanlage entsteht ein reines Industrieprodukt. Bei Rumänien stand die Idee dahinter, ein Land, das gerade im Umbau ist, zu zeigen, das, wenn alles nach Plan verläuft, in zehn Jahren wie Spanien ist. In Spanien wird es dann vorbei sein, denn Rumänien wird dann sicherlich billiger sein. Brasilien ist der weltgrößte Sojaexporteur. Hier war die Motivation, in ein Hungerland zu gehen, jedoch nicht in ein traditionelles, sondern in ein Land, wo es absurd ist, dass es Hunger gibt. Um dann am Ende den Bogen zu schließen, muss man Masttierhaltung zeigen. Wir haben nur legale Tierhaltung gezeigt, ich wollte ganz nüchtern dokumentieren, von welchen Mengen da die Rede ist, ohne es besonders blutig darzustellen. Ganz am Ende spricht der Manager des größten Nahrungsmittelkonzerns der Welt. Der Titel We Feed The World wurde erst sehr spät festgelegt. Das ist der Slogan des Saatgutherstellers Pioneer, dass der zitiert wird, gefällt mir sehr.


Wie lange haben Sie von der Idee weg am Projekt We Feed The World gearbeitet?


ERWIN WAGENHOFER: Die Idee gab es schon 2002. Ich machte damals einen Film über das Kunstprojekt Figurini mit einem Freund, der Kunst auf Lebensmittelmärkten verkaufte. Das Thema stand also schon im Raum. Definitiv los ging es Ende 2003. Ich schrieb relativ schnell das Treatment, Helmut Grasser hat sehr rasch das Geld aufgestellt. Mit der Allegro bin ich also schon seit fünf Jahren in Arbeitskontakt, habe Figurini dort gemacht und davor schon ein Drehbuch geschrieben. Das OK kam im Jänner 2004, richtig los ging es, als die Bauern begonnen haben, auszusäen, also im März. Der letzte Dreh war im April 2005, wir haben aber immer schon parallel zu den Dreharbeiten auch montiert.


Sie haben nicht nur Regie und Kamera, sondern auch den Schnitt gemacht. Alles in allem beinahe ein One-Man-Unternehmen?


ERWIN WAGENHOFER: In Österreich waren wir zu dritt, den Rest haben wir zu zweit gemeinsam mit meiner Regieassistentin Lisa Ganser gemacht. Ja, alles in allem ein Miniteam. Bei Kamera und Schnitt habe ich Routine genug, dass ich weiß, dass etwas rauskommt, auch wenn es einmal einen Tag nicht so gut läuft. Ich habe aber auch alles organisiert. Das ist eigentlich das Anstrengendste - Lösungen zu finden, wie komme ich an die Leute heran. Man braucht viel Psychologie, viele Tricks, um dorthin zu kommen, wo man gerne drehen möchte. Wie schaffe ich es, den Konzernchef von Nestlé vor die Kamera zu bekommen. Die wollten anfangs nicht und ich hätte aber nicht aufgegeben.


Wie hat sich z.B. Peter Brabeck, der Chef von Nestlé International überzeugen lassen?


ERWIN WAGENHOFER: Die Schwierigkeit am Anfang ist, wie spricht man solche Leute an? Mit einer konventionellen Herangehensweise geht da gar nichts. Ich muss mir zuerst eine Menge Informationen über die Person einholen, um sie richtig einzuschätzen. Ihm ein E-Mail zu schicken, ist wahrscheinlich mehr als falsch. Ich hab ihm letztlich einen handgeschriebenen Brief an seine Privatadresse geschickt mit ein paar Details, von denen ich meinte, die könnten ihn ansprechen. Ich bekam zunächst von seinem Pressesprecher eine negative Antwort. Als ich mich mit Jean Ziegler in Genf traf, war ich bereits in der Nähe und schaute dann einfach vorbei, weil ich überzeugt war, dass so etwas bei diesen Leuten Wirkung hat. Ich hatte dann mit dem Pressesprecher einen Termin, um die Themen festzulegen: Wasser, Hunger, Gentechnik und die Stellung der Lebensmittelkonzerne. Beim Gespräch selbst habe ich diese Reizworte in den Raum gestellt, ohne konkrete Fragen zu stellen, wissend, dass jemand wie Peter Brabeck nicht auf das wartet, was ich frage, sondern die Gelegenheit eher nutzt, etwas loszuwerden. Wenn man dann und wann im Gespräch gewisse Themen einfließen lässt, greift er sie doch auf und es gibt dann auch die Momente, wo er etwas als Mensch und nicht als Konzernchef sagt.


Der Schweizer UNO-Sonderberichterstatter Jean Ziegler kommt mehrmals im Film zu Wort. Wer ist Jean Ziegler?


ERWIN WAGENHOFER: Er ist ein systemkritischer Querdenker, der in der Schweiz ein sehr schlechtes Image als Nestbeschmutzer hat, sehr viele Bücher geschrieben hat, und Abgeordneter im Nationalrat war. Ich bewundere ihn sehr, weil er sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Seit 2001 ist er in der Funktion des Sonderberichterstatters für das Menschenrecht auf Nahrung tätig. Das ist das jüngste Menschenrecht, es bedeutet, dass jeder das Recht hat, sich Nahrung zu erwirtschaften - als Bauer oder mit einem Job, der das dafür nötige Geld bringt. Das hat nichts mit karitativen Dingen zu tun. Sonderberichterstatter ist die höchste Funktion, die es gibt, aus diesem Grund war er für den Film interessant. Um ein Haar wäre unser Treffen in Genf schief gegangen. Ich traf ihn nach meinem Termin mit Nestlé, wo wir zunächst ein bisschen Smalltalk führten und ich erzählte, dass ich gerade von Nestlé komme. Einen größeren Fauxpas hätte ich nicht begehen können, für Jean Ziegler gibt es kein schlimmeres Reizwort. Ich musste ihn fünf Minuten lang überzeugen, dass er sich überhaupt noch hinsetzte. Er ist zurecht sehr vorsichtig, weil er in dieser Position natürlich bedroht wird, und er ist, obwohl er sein Leben lang gut verdient hat, sehr hoch verschuldet. Grund dafür ist sein Buch Die Schweiz wäscht weißer, wo er die Praktiken der Schweizer Banken analysiert. Er war zunächst unantastbar - die Fakten waren korrekt, als Nationalratsabgeordneter war er zum Zeitpunkt des Erscheinens immun. Als er jedoch aus dem Nationalrat ausschied, haben alle Schweizer Banken auf die Aufhebung seiner Immunität gedrängt und das auch durchgesetzt, woraufhin er mit Klagen überhäuft wurde. Man muss also bei dieser Arbeit wissen, wo man hineinsticht.


Eine weitere wichtige Figur ist Karl Otrok, der hier einen sehr großen Konzern vertritt und es gleichzeitig wagt, seine persönliche, widersprüchliche Meinung vor der Kamera auszudrücken.


ERWIN WAGENHOFER: Karl Otrok ist der "Zerrissene" in unserem Film. Es war sehr schwierig, an ihn heranzukommen, da er sehr viel in Rumänien unterwegs ist. Wir wollten unbedingt dort vor der Ernte filmen. Ich traf ihn eines Tages endlich am Flughafen und begann ein Gespräch mit ihm. Nach kürzester Zeit begann er, sehr kritische Dinge über die Strategie der eigenen Firma zu sagen. Er war bereit, das auch vor der Kamera zu sagen, da er wusste, dass er zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Films bereits in Pension sein würde. Ich wollte die Leute immer bei ihrer Arbeit filmen. Tatsache ist, dass ich sie in Wirklichkeit dabei behindere. Das hat sich besonders bei ihm als eine große Herausforderung herausgestellt. Karl Otrok ist ja ein großer Manager, wir mussten die wenige Zeit, die wir zur Verfügung hatten, zum Filmen nutzen und manchmal klappte es dann nicht sofort, dass das, was er sagen wollte, auch knapp auf den Punkt gebracht war. Wir waren unheimlich unter Druck, filmten bis zu den letzten Sonnenstrahlen, weil ich wusste, wenn ich bis dahin nicht bekomme, was ich brauche, am nächsten Tag würde er weg sein.


Hat es ihm keine Probleme bereitet, gegen seine persönliche Überzeugung zu arbeiten?


ERWIN WAGENHOFER: Hat es nicht und das ist ein wichtiger Punkt. Diese Manager wissen, was da gemacht wird. Die Leute von Pioneer gehen nach Rumänien, machen die Bauern abhängig, der Ertrag wird gesteigert, in Wirklichkeit wissen alle, dass ihr Geschäft nicht sauber ist. Das ist auch meine Conclusio aus der Arbeit an dem Film, aber auch meines Lebens bisher. Peter Brabeck hat nicht unrecht, wenn er sagt, wir haben alles, es geht uns sehr gut, aber wir können mit dem Glück nicht umgehen. Das beginnt zwischen Mann und Frau, geht weiter zwischen Konzern und Konzern, Land und Land usw. Hier vorwärts zu kommen, ist die Herausforderung des Lebens. Wenn man aufrecht durchs Leben gehen will, geht es darum, dass man zu einem gewissen Punkt eintritt und zu dem Zeitpunkt, wo man austritt, hat sich hoffentlich um die Breite eines halben Frauenhaars etwas verbessert. Das motiviert mich, solche Dinge zu machen. Am Schluss eines solchen Projektes ist es natürlich so, dass man unglaubliche Einblicke und Wissen gewonnen hat und was überbleibt, ist eine Projektion von Licht und Schall. Schade, dass man nicht mehr daraus machen kann.


Wieviel gedrehtes Material war vorhanden? Wie ist dann die Struktur für den Schnitt entstanden?


ERWIN WAGENHOFER: Es sind ungefähr neunzig Stunden Material vorhanden gewesen. Ich bin es gewohnt, im Kleinstteam zu arbeiten und eine meiner Stärken ist die Montage. Ich habe jahrelang Industriefilme machen müssen, um Geld zu verdienen und lernte in dieser Zeit, auch aus relativ schlechtem Material, noch etwas zu machen. Wir mussten sehr viel gutes Material weggeben. Wir haben immer parallel zu den Dreharbeiten blockweise montiert. Schwieriger war es, eine Reihenfolge zu finden. Ich hatte zunächst eine Rohschnittfassung von 120 Minuten, die mir sehr gut gefiel, wo sich die Spannung sukzessive aufgebaut hat und nach und nach die Systemfehler zum Vorschein kommen. Dann haben wir umgestellt und einen Prolog gemacht, der alle Punkte umreißt. In diesen vier oder fünf ersten Aussagen ist alles gesagt, worum es im Film geht - Bauernsterben, der Irrsinn unserer Zeit mit seiner Logik des ständigen Vergrößern und Vermehrens, das Wegschmeißen, der Überfluss als eine Konsequenz davon einer erklärt, dass der Streusplit teurer als der Weizen ist, ein anderer, dass die Schweiz ihren Weizen aus Indien bezieht, und ein dritter erklärt, dass der Mais jetzt verheizt wird.


Wenn man sich im Laufe von zwei Jahren dieses enorme Wissen um die Hintergründe und Zusammenhänge dieser Industrie erworben hat, bleibt einem dann noch ein Funken Optimismus, was die Zukunft betrifft?


ERWIN WAGENHOFER: Klar. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn ich beim "We"-Begriff des Titels bleibe, da stecken zwei Dinge drinnen: das erste - wir haben die Verantwortung, wenn wir die Demokratie ernst nehmen, wir gehen zu Wahlen und könnten unsere Politiker dazu zwingen, etwas zu tun oder zu gehen. Ich bin der Meinung, Veränderung ist demokratiepolitisch möglich. Die zweite Möglichkeit zur Veränderung liegt im Kaufverhalten. Tomaten zu Weihnachten, die 8 Euro das Kilo kosten und 3000 km transportiert werden, dagegen spricht doch eigentlich der gesunde Menschenverstand. Andererseits ein Huhn um 3,50 Euro angeboten zu bekommen, das kann nicht funktionieren. Wir glauben immer, das sind naturgegebene Dinge. Das System dieser Wirtschaft ist von uns gemacht, also können wir es auch verändern. In dem Moment, wo die keine Tomaten mehr verkaufen, werden sie sich etwas einfallen lassen. Mein Optimismus geht in die Richtung, dass wir daran glauben, etwas tun zu können. Wenn ich diese Hoffnung aufgebe, dann ist überhaupt der geistige Sprit verloren, dann bräuchte ich keinen Film mehr zu machen, außer um mich selbst zu erhalten. Beim Filmemachen muss ja auch eine Leidenschaft dabei sein.


Was könnte dieser Film bewirken?


ERWIN WAGENHOFER:  Erwartung habe ich gar keine. Wir werden sehen, wie er ankommt. Der Film ist jetzt fertig, er ist weg von mir. Das ist wie bei Kindern, die gehen hinaus und man kann sich nur sagen, hoffentlich habe ich es richtig gemacht. Mit Kindern ist es gut vergleichbar. Knapp bevor man fertig wird, sind immer die größten Tiefpunkte. Das ist die Zeit, wo die Kinder adoleszent werden, da kommen sie und halten einem den Spiegel vor, am Schneidetisch ist das genauso. Ich kenne diesen Augenblick schon lange, hab ihn schon oft erlebt, und dennoch kann ich nicht gelassen bleiben. Aber jetzt ist er weg. Jetzt muss er sich draußen bewähren und das wird teilweise von Faktoren abhängen, die ich nicht beeinflussen kann.


Es ist durchgeklungen, dass sich aus der Arbeit zu We Feed The World bereits das nächste Projekt ergeben hat?


ERWIN WAGENHOFER: Es entwickelt sich immer weiter, das eine ergibt sich aus dem anderen. In welche Richtung es gehen wird, kann ich noch nicht sagen, da noch nichts finanziert und gesichert ist. Es geht in die Richtung weiter zu einem Thema, das uns vielleicht noch mehr berührt als das Essen.


Interview: Karin Schiefer (2005)