«Im Internet ist es noch so, dass nicht der größere den kleineren frisst, sondern der schnellere den langsamen. Große Strukturen
können eben durch ihre Größe nicht so schnell handeln wie wir.» Ein Gespräch mit Karin Haager und Ulrich Müller-Uri,
Geschäftsführer der VOD-Plattform Flimmit.com
Worin liegen grundsätzlich die Zukunftsperspektiven von Video-on-Demand?
Ulrich Müller-Uri: Video-on-Demand wird ein Markt werden. Es ist eine zusätzliche Auswertungsform, die im Aufbau ist, ich
vergleiche es mit der Ankunft der DVD. 1998 kam die DVD auf den Markt, als noch niemand DVDs kaufte, sie hat erst zwei drei
Jahre später die VHS abgelöst. Es wird noch zwei bis drei Jahre dauern, dass es sich rechnen wird. Ich glaube, dass
VOD in einem starken Maß eine zusätzliche Auswertungsschiene sein kann, weil sich erstens das Nutzerverhalten ganz anders
darstellt und man zweitens mit sehr geringem Kostenaufwand weltweit einen Film zur Verfügung stellen kann. Das wird
der spannende Punkt werden und zwar unter dem Aspekt der Nicht-Exklusivität. Das Interessante für den Hersteller oder den
Vertrieb wird sein, dass er mit einer Plattform eine bestimmte Zielgruppe erreicht und mit einer anderen Plattform eine
andere und so mit bis zu 200 Plattformen alle möglichen Gebiete erreichen kann.
Euer bisheriger Hintergrund liegt eher im Bereich der Produktion als in der Verwertung. Was hat den Anstoß geliefert, hier
in Österreich diesen Zukunftsmarkt zu bearbeiten?
Karin Haager: Wir haben festgestellt, dass es eine Zielgruppe gibt. Jetzt gilt es, genau herauszufinden, wo sie ist, wie groß
sie ist und wie wir sie erreichen können. Es lohnt sich oft für einen Produzenten nicht, in einer kleinen Auflage eine DVD
zu produzieren. Ein Produzent erhält dennoch zehn bis fünfzehn Anfragen pro Monat von Interessenten. Der Aufwand einen Film
fürs Internet aufzubereiten liegt bei 50 . Eine DVD-Kleinserie mit 1.000 Stück Auflage kostet wahrscheinlich
2.000,-. Das gilt natürlich nicht für die alten Filme, die erst von einer Kopie abgetastet werden müssen.
Ulrich Müller-Uri: Die Grundidee war, wie kann ich als Nutzer an einen Film herankommen, ohne ewig auf einen DVD-Versand zu
warten oder mit dem Problem konfrontiert zu werden, dass es den Film gar nicht auf DVD gibt. Es ging darum, eine möglichst
kostengünstige Variante zu finden, den Film zu verbreiten. Vorbild ist die Musikindustrie, die das Thema aufgrund der Piraterie
sehr bald aufgreifen musste. Jetzt sind die Leitungen groß genug, dass man auch Videos in annehmbarer guter Qualität verbreiten
kann.
Karin Haager: Der zweite Grund war, eine konkurrenzfähige Alternative zur Piraterie zu erarbeiten. Wir haben anlässlich
einer Präsentation die Gelegenheit wahrgenommen, im Internet zu überprüfen, welche österreichischen Filme auf illegalen Plattformen
abrufbar sind. Innerhalb von zwei Minuten hatten wir zehn Filme. Die Hemmschwelle bei diesen Plattformen ist ziemlich niedrig,
weil es sehr einfach ist. Studien über illegales Nutzerverhalten jedoch sagen, dass ein Drittel der User immer illegal downloaden
wird, ein Drittel unschlüssig ist und für andere Formen des Downloads offen ist, ein Drittel erklärt sich explizit bereit,
legale Angebote gegen Bezahlung in Anspruch zu nehmen.
Ulrich Müller-Uri: Diese Filme sind zwar nicht offiziell über VOD verfügbar, sie sind aber bereits als Download erhältlich.
Das ist ein Phänomen, dem man unseres Erachtens ein bisschen entgegenhalten muss.
Es gibt Vertriebs-Giganten, die längst das Marktpotenzial erkannt haben. Wie kann man sich dennoch als kleine Plattform auf
den Markt wagen und mit reellen Chancen rechnen, sich zu behaupten?
Ulrich Müller-Uri: Dadurch dass der Kostenaufwand inklusive Bürokosten, Server, Plattform überschaubar ist, waren wir
der Meinung, dass man in einer Nische sehr gut leben kann. Der Independent-Film oder z.B. der Film, der am EFM in Berlin angeboten
wird, hat großteils kein Blockbuster-Potenzial. Die großen amerikanischen Studios machen eigene Plattformen und investieren
Millionen. Der kleine Film wird dennoch wieder in der Schublade landen. Wir sind aus unserer Erfahrung von der Produzentenseite
her überzeugt, dass man dem kleineren Film eine Plattform bieten soll. Es genügt ja, nur einen kleinen Teil des Marktes zu
erobern, wir wollen ja nicht den Weltmarkt beherrschen. 2008 war der weltweite Umsatz für VOD bereits 89 Mrd USD. Da reicht
ja ein ganz kleiner Teil.
Karin Haager: Im Internet ist es noch so, dass nicht der größere den kleineren frisst, sondern der schnellere den langsamen.
Große Strukturen können eben durch ihre Größe nicht so schnell handeln wie wir. Unser Team beschäftigt sich seit langem
nur mit Suchmaschinenoptimierung, Online-Marketing. Wir konzentrieren uns auf diese Vermarktung und nutzen dabei die Web 2.0-Communities,
-Gimmicks und -Features. Wir versuchen, Standards, die es auf anderen Community Plattformen gibt, in unsere Plattform einzubauen.
Wie würdet ihr eure Zielgruppe definieren?
Uli Müller-Uri: Filmbegeisterte Internet-Community - Soziale Netzwerke auf europäischer Ebene wie Xing oder StudiVZ
oder auf internationaler Ebene Facebook, Business-Netzwerke - damit hat man effiziente Möglichkeiten, das zu verbreiten. Wenn
ich einen Film produziere und der Nutzer kommt aber nicht an den Film heran, dann wird er den Film schnell wieder vergessen.
Inzwischen hat beinahe jeder Film auch eine Website, über kurz oder lang wäre es sicher schön, wenn ich den Film dort auch
erhalten könnte. Wieviele Filme kommen bei uns nie ins Kino? Wie viele österreichische Filme haben nie einen internationalen
Kinostart? Durchs Internet kommt man schnell an den Film heran. Es macht einen Unterschied, ob ich einige Tage auf den DVD
Versand warten muss, oder ob ich ihn gleich haben kann und nur auf Play drücken muss. Ich sehe eine riesige Zielgruppe
in den USA, aus Exil-Österreichern oder Deutschen bestehend, die an die Filme nicht herankommt. Als zweites sehe ich einen
großen Markt im Original-Filmvertrieb, denn filmaffine Nutzer wollen den Film im Original sehen. Festivals sind dann nicht
mehr die einzige Gelegenheit, Filme im Original zu sehen.
Möchte Flimmit.com sich auf Independant Film spezialisieren?
Uli Müller-Uri: Ursprünglich haben wir das angedacht, inzwischen aber wieder gestrichen, weil wir der Meinung sind,
dass Filmtitel ohne Einschränkung verfügbar gemacht werden sollen. Wir werden nichts ablehnen, was wir haben können.
Karin Haager: Wir haben inzwischen z.B. American History X, einen Klassiker und Blockbuster. Die neuen Klassiker kurz nach der Kinoauswertung, das behalten sich die Großen vor und
daran haben wir nicht unbedingt ein besonderes Interesse. Wir müssen ja auch einen Backkatalog aufbauen. Wir können die User
nicht an uns binden, wenn wir auf unserer Plattform ein Jahr lang fünfzig Filme anbieten. Wir wollen einen Katalog aufbauen,
der so groß wie möglich und so qualitativ hochwertig wie möglich ist.
Uli Müller-Uri: Wir streben nach einer möglichst breiten Fächerung. Es gibt eine Riesen-Nachfrage nach Animes, die man
bei uns fast nicht bekommt. Ein amerikanischer Mitanbieter Eztakes z.B. ist ein Independent-Anbieter, er hat Filme wie Super Size Me, aber auch No-Name-Titel oder alte Titel. Seine Plattform läuft seit drei Jahren und seit einem Jahr positiv. Es wird sich
über kurz oder lang nur über die Marke abspielen. Ich erinnere an Google, die anfangs bei weitem nicht die erste Suchmaschine
war, warum ist sie heute praktisch die einzige, die verwendet wird? Weil sie einfach und ohne viel Werbung war. Für den Lizenzinhaber
scheint mir ein Anreiz darin zu liegen, seinen Film auf so vielen Marktständen wie möglich anbieten zu können.
Welche Filme waren für Euch verfügbar?
Uli Müller-Uri: Momentan sind wir immer noch am Aufbau des Backkatalogs, der eine gewisse Vielfalt erreichen muss. Das
bedeutet für uns Vertriebe abklappern und wir sind über Kataloge in Verhandlung, die z.T. aus 200 bis 300 Filmen bestehen.
Es muss momentan katalogweise vorwärts gehen. Den Vertrieben geht es jetzt darum, dass die Filme entsprechend aufbereitet
werden, ihnen geht es darum, wie sie sie weiter verwenden können. Da müssen wir einen Deal finden. Wir möchten auch verschiedene
Sprachversionen und zwar nicht exklusiv. Ich bin der Meinung, der Lizenzinhaber soll sie 20, 30, 40 Anbietern geben können,
weil es letztendlich dem Hersteller zugute kommen soll. Wichtig ist es, eine Plattform im Internet so zu etablieren, dass
sie die Kunden findet, die sie braucht. Das territoriale Vertriebswesen wird im Kino und Fernsehen so bleiben, weil es feste
Medien sind. Die Frage der Grenzen stellt sich im Internet nicht in der gleichen Weise.
In welcher Form ist der Film auf Flimmit.com abrufbar?
Uli Müller-Uri: Wir bieten mehrere Varianten an, entweder Streaming zum sofortigen Ansehen oder Download zum Speichern,
Brennen und Ansehen auf DVD. Für die Miete haben wir eine 24-Stunden-Variante geplant, bei der der Film nicht auf der Festplatte
gespeichert wird. Beim Download gibt es zwei Qualitätsstufen, das mp4 file, das eine Größe zwischen 700 MB und 1,5 GB hat
und die DVD mit einer Größe bis zu 4,5 GB. Bei der DVD bieten wir zusätzlich ein von uns entworfenes Cover sowie das Label
für die DVD gratis zum Druck an.
Wer sind die Lizenznehmer. Sind immer noch viele Filme frei?
Karin Haager: Es kann ein World Sales sein oder ein Verleiher, der diese Rechte erworben hat oder ein Zwischenanbieter, der
sich nur die VOD-Rechte besorgt hat. Wir verhandeln mit verschiedenen Partnern.
Uli Müller-Uri: Es ist einiges frei, aber auch schon sehr viel weg muss man sagen. Es gibt jetzt im Zuge des Umschwungs
sehr viele offene Fragen, was ist beim Senderecht, was ist beim Verbreitungsrecht dabei? Wir kümmern uns zur Zeit um die Rechte,
die frei sind, bei denen, wo es komplizierter ist, da gilt es, herauszufinden, ob sie zu haben sind, und wenn ja, ab wann.
Karin Haager: Dennoch ist noch mehr frei als man denkt. Es ist eher so, dass Vertriebe und Produzenten den finanziellen Output
erwarten. Wir hören immer wieder, dass sie sofort bereit wären, die Rechte abzutreten unter der Bedingung, dass sie damit
keinen Aufwand haben, nicht nur was die Konvertierung betrifft, die wird ohnehin von uns durchgeführt, es geht bei ihnen vielmehr
um den Rechtestock. Wir wollen uns in keiner Weise dagegen verwehren, dass auch andere Betreiber in Österreich die VOD-Rechte
eines bestimmten Films besitzen, der bei uns ist. Unser Ziel ist es, dass die Leute Flimmit.com mit Filmen verbinden, die
sie interessieren. VOD ist ein Vergrößerungsmarkt, den klassischen Verdrängungswettbewerb gibt es noch nicht. Momentan ist
es so, dass jede VOD Plattform, die Werbung macht und Aufklärung betreibt, auch jeder anderen hilft.
Zurückgehend auf die Firmengründung, bedeutet der Aufbau eures Unternehmens die rechtlichen, die wirtschaftlichen und die
technischen Voraussetzungen zu schaffen.
Uli Müller-Uri: Anfang 2007 haben wir erstmals in Berlin versucht herauszufinden, ob das funktionieren könnte. Wir haben eruiert,
wie die Vertriebe dazu stehen und es gab die ersten Plattformen, die zeigten, dass sie ihre Käuferschicht finden. Wir haben
2007 mit einer Plattform in den USA Kontakt aufgenommen und haben uns gesagt, machen wir das auch für Europa. Die USA sind
ein großes Territorium, in Europa ist alles ein bisschen komplizierter, da gibt es 35 Territorien, 35 Sprachen, 35 Gesetze.
Die Technik scheint ein großer Posten zu sein, sie ist dennoch zweitrangig. Es geht in erster Linie um die Finanzierung. Nach
der Firmengründung haben wir uns an die diversen Innovationstöpfe herangewagt und versucht, Geld zu lukrieren. Austria WirtschaftsService
hat uns letzten Sommer eine Förderzusage erteilt, mit dieser Zusage haben wir dann auch gleich zwei Privatinvestoren an Land
gezogen. Mit Mai 2009 möchten wir gerne unseren ersten Katalog launchen, das sind ca 400 Filme.
Was macht ihr für den Film, wenn die Lizenz erworben ist?
Uli Müller-Uri: Wir bekommen in der Regel digitale Daten vom Film und die Meta-Daten mit Informationen zum Film, die wir sowohl
für Download als auch für Streaming aufbereiten. Dann stellen wir den Film online. Sobald der Shop und die Plattform funktionieren,
werden Marketing und die Akquisition unsere wichtigsten Aktivitäten darstellen. Der Katalog soll stetig wachsen und darüber
hinaus stellt die Markenbildung die größte Aufgabe dar. Da werden wir uns die Web 2.0-Techniken zueigen machen. Wenn es Kundenaktivitäten
gibt, können wir auch diverse Marketinginstrumente genau auf die Zielgruppen einsetzen. Im Internet ist der gläserne Mensch
eine Wirklichkeit, der User hat zwar keine Identität, aber ich weiß, wo er sich bewegt. Das ist auch eine Generationenfrage
und deshalb ist das alles auch noch ein Aufbau-Markt. Ich glaube, dass man mit diesen Werkzeugen gezielter an meine Kunden
herantreten kann als an den Kunden im Laufgeschäft, der bar bezahlt. Was wir auch oft von den Testkunden hören ist die Frage,
wo bleiben denn die österreichischen Filme, da ihr doch eine österreichische Plattform seid. Das haben wir uns für die nächsten
Monate vorgenommen, die österreichischen Vertriebe und Produzenten zu kontaktieren. Es geht uns darum, dass man Flimmit.com
auch mit einem bestimmten Inhalt verbindet und einer unserer Wünsche ist es, den österreichischen Film als eine Marke zu repräsentieren.
Ihr habt eine sehr offene Philosophie, was die Bereitstellung der Dateien an die Kunden betrifft. Setzt ihr darauf, dass die
Leichtigkeit und Unkompliziertheit des Zugangs, am ehesten die Kunden bindet?
Uli Müller-Uri: Einer unserer Ansätze und Grundsätze ist, mit nicht mehr als drei Klicks bis zum fertigen Film zum Anschauen
zu gelangen. Der zweite Punkt, den man sich überlegen muss, ist die Kundenbindung. Diese wird immer nur durch Qualität und
über die Filmauswahl möglich sein. Abo-Modelle muss man anbieten für Leute, die das gerne wollen, es soll aber keine Pflicht
werden. Man muss sich nicht einloggen, um bei uns einen Film zu kaufen. Das sind Ansätze, die wir aus dem Offline-Handel übernehmen.
Was relativ einfach möglich ist, ist auf Kundenbedürfnisse einzugehen und herauszufinden, welche Filme gefragt sind. Wenn
ich heute auf eine Plattform komme, wird mir das präsentiert, was mir gefallen könnte. Wir bieten den Leuten auch an, Wünsche
zu äußern, welche Filme sie gerne auf der Plattform finden würden.
Wie oft muss man einen Film verkaufen, damit er sich rechnet?
Karin Haager: Das kann man jetzt noch nicht so genau sagen. Es ist in den nächsten ein bis zwei Jahren für die Produzenten
und Vertriebe sicherlich noch nicht rentabel. Umso wichtiger ist das Marketing. Ohne die Förderung hätte wir das sicherlich
nicht auf die Beine stellen können. Es ist darüber hinaus auch eine ganz klassische Form von Export, die wir da betreiben
und im Sommer wird die Plattform auch in Englisch für den internationalen Launch online gehen.
Uli Müller-Uri: Eines unserer Ziele ist, bis zu 10.000 Zugriffe weltweit am Tag zu haben. Man muss sich die Ziele hoch stecken.
Karin Haager: Es gibt in Österreich Plattformen, wenn auch nicht im Filmbereich, die das innerhalb eines Jahres geschafft
haben, in diese Größenordnung hineinzugeraten. Ich würde sagen, wir geben uns zwei bis drei Jahre, das ist eine Zeitspanne,
die jedes Business-Modell braucht.
Interview: Karin Schiefer
© 2009