INTERVIEW

Jessica Hausner über HOTEL

 

«Mir ging es darum, dass jemand, der den Film sieht, vermuten kann, dass sich hinter der Oberfläche der Dinge wirklich anderes befindet und das tut es auch. Was dieses andere ist, das kann weder Namen noch Gesicht haben. Ich habe das Gefühl, worum es eigentlich geht, das liegt zwischen den Bildern.» Jessica Hausner über ihren zweiten Langfilm Hotel

 

Bei unserem letzten Gespräch nach Abschluss der Dreharbeiten, freuten Sie sich schon sehr auf den Schnitt, denn es sei wie "Zaubern". War es Zauberei?

JESSICA HAUSNER: Ja, es war wirklich Hokuspokus. Wir haben bei Lovely Rita sehr lange geschnitten und ich war innerlich darauf eingestellt, dass es auch diesmal lange dauern wird. Ich hielt es nicht für sehr wahrscheinlich, den Film bis Cannes fertig zu bekommen und ich wollte mir auch den Druck nicht machen. Dass es so schnell gegangen ist, hängt auch mit Karina Ressler zusammen. Wir haben zum ersten Mal zusammengearbeitet und es war eine sehr produktive Auseinandersetzung auf einer inhaltlichen und stilistischen Ebene. Wir schnitten bei Philippe Bober in Paris und machten regelmäßig Sichtungen mit einem ausgewählten Publikum, das hat sehr gut funktioniert. Für mich war das neu, bisher wollte ich immer den eigenen Schatz hüten und mich ja nicht irritieren lassen. Ich konnte die Entwicklungen, die Kritik und die Vorschläge gut verwenden. Dadurch ist es schneller gegangen.

 

Wie sah die Zusammenarbeit mit Karina Ressler aus?

JESSICA HAUSNER:  Karina hat während des Drehs bereits einen Rohschnitt gemacht, was auch für mich neu war. Nach dem Dreh haben wir ihn zwei Wochen lang überarbeitet und dann gingen wir zum Feinschnitt über, an dem wir dann Jänner und Februar arbeiteten. Wir saßen den ganzen Tag am Schneidetisch zusammen und die Tatsache, dass wir in Paris waren, schuf eine Klausursituation. Wir waren beide dort, um uns ausschließlich diesem Projekt zu widmen und es hat sich alles um diesen Film konzentriert. Unsere Hauptarbeit bestand darin, ein Gleichgewicht zu finden zwischen den Fragen - steht Irene im Mittelpunkt oder geht es um einen möglichen Komplott in der Belegschaft, geht es um den Wald und die Mystik oder die Kriminalgeschichte. Wir haben beim Schneiden ausprobiert, welcher dieser Aspekte mehr in den Vordergrund gelangen sollte. Es war für mich sehr spannend zu fragen - wie wichtig ist dieses Mädchen. Der entscheidende Punkt war - bis zu welchem Grad soll der Zuschauer sie interessant finden und ihr auch folgen wollen. Bis zu welchem anderen Grad aber handelt die Geschichte nicht von ihr. Sie handelt definitiv nicht von ihr. Dieses Mädchen bleibt sehr geheimnisvoll. Wer weiß schon, was in ihr vorgeht.
 


Wo sehen Sie den eigentlichen Schwerpunkt?

JESSICA HAUSNER:  Wir haben bei den Sichtungen den Leuten am Ende immer die Kardinalfrage gestellt - Worum geht es in diesem Film? Mir war wichtig, dass die Zuschauer es schaffen, über die Story hinaus den Film zu lesen. Da gibt es verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Manche Leute sagten, es geht um den Tod - ums Sterben müssen oder wollen, andere fanden, es geht um das sexuelle Erwachen des Mädchens, andere meinten, um das Unbewusste, um das Entdecken der verborgenen, dunklen Seiten von einem selbst. Für mich gelten sie alle. Mir ging es darum, dass jemand, der den Film sieht, vermuten kann, dass sich hinter der Oberfläche der Dinge wirklich anderes befindet und das tut es auch. Was dieses andere ist, das kann weder Namen noch Gesicht haben.

 

 Was in den Kritiken in Cannes mehrfach angesprochen wird, ist die Frustration des Zuschauers, der sehr lange auf die Folter gespannt wird und letztlich am Ende des Films keine Erklärung für nichts bekommt.

JESSICA HAUSNER: Ich fand es interessant, dass die internationale Presse den Film sehr positiv aufgenommen hat und den internationalen Journalisten durchaus Interpretationen dazu eingefallen sind. Es hat mich gefreut, dass man dieses Werk nicht gleich in Frage stellt, wie es aus dem heimatlichen Naheverhältnis heraus geschah, sondern dass man aus der ausländischen Distanz dem Ganzen etwas abgewinnen kann oder da erkennt, dass meine Verweigerung nicht auf einem Nullpunkt landet, sondern dass es eine Tür ist, die aufgeht und es innerhalb des Films verschiedene Hinweise gibt, die dem Zuschauer Interpretationsmöglichkeiten bieten.
 


Sowohl Lovely Rita als auch Hotel sind beides für einen Spielfilm relativ kurze Arbeiten.

JESSICA HAUSNER: Das ist schwierig zu beantworten, weil ich nie so genau plane, wie lange ein Film wird. Das hängt möglicherweise mit meiner Art zu erzählen zusammen, die verknappt und elliptisch funktioniert und ich die Einfachheit gerne mag. Ich lasse mich nicht auf komplizierte Gebilde ein und das dauert dann einfach nicht so lange.
 


Die Kamera hat die Funktion einer unsichtbaren Figur, die die anderen verfolgt oder sich zwischen sie schiebt?

JESSICA HAUSNER:  Das war im Prinzip ein filmisches Mittel um dieses nicht zu Benennende entstehen zu lassen und ihm einen Platz zu geben. Ich habe das Gefühl, worum es eigentlich geht, das liegt zwischen den Bildern. Das, was an der Schnittstelle zwischen zwei Bildern hinunter führt. Das ist auch der Blick der Kamera, die Filmsprache selbst - das, woraus der Film gemacht ist. Der Vergleich mit einer Figur stimmt schon, aber es ist keine körperliche Person. Dieses Beobachten bedeutet auch, dass die Kamera etwas Selbständiges hat oder auch im Ganzen mitspielt. Es ist auf alle Fälle der Versuch, diese dritte Größe zu zeigen oder spürbar zu machen.
 


Hat die Märchen- und Sagentradition der deutschen Literatur beim Schreiben eine Rolle gespielt?

JESSICA HAUSNER:  Ich lese sehr gerne Märchen, vor allem die Originalmärchen. Es gibt abgesehen von den Gebrüdern Grimm auch die Volksmärchen, in Österreich in allen Bundesländern. Auch bei den Motivbegehungen für Hotel hab ich mir die lokalen Sagenbücher geben lassen und mich schon zum Drehbuchschreiben davon inspirieren lassen. Ich mag, wie diese Geschichten erzählt sind, weil sie total schlicht sind und es nicht um bemühtes Geschichten-Erzählen geht, wie bei den Gebrüdern Grimm, mit dem Ziel erzieherisch zu wirken, eine Moral zu vermitteln, aufzubauen oder zu reinigen. Es fasziniert mich diese Einfachheit, etwas steht wie ein roher Klotz da und hat etwas Berührendes an sich. Für mich funktioniert die Welt nicht nach einer Geschichte, die irgendein Film erzählt. Ich habe das Gefühl, es reihen sich einfach Ereignisse aneinander. Bei Hotel kann man jetzt sagen, das ist nur Oberfläche und das dahinter kann man, wenn man nicht will, auch nicht lesen und dann fragt man sich, worum geht es in diesem Film. Gleichzeitig ist es genau das, was ich erzählen will. Es ist die Unmöglichkeit, eine Geschichte zu erzählen.

 

Franziska Weiß verkörpert eine sehr große, sicherlich auch sehr schwierig zu spielende Figur, der letztlich keine so essentielle Rolle im Film zukommt. Wie lässt sich das verstehen?

JESSICA HAUSNER: Die oberflächliche Handlung, wenn ich sie in drei Sätzen erzähle, klingt ja so, als wäre sie aus einem drittklassigen Thriller gestohlen. Ganz genau genommen ist Irene ein Teil dieser konstruierten Handlung und da gibt es so eine Figur unter allen anderen Figuren. Der Witz daran ist der, dass die Geschichte am Ende extrem unbefriedigend verläuft. Ich würde zu behaupten wagen, dass die Psyche von Irene an der Stelle wirklich egal ist. Das war auch eine Meisterleistung von Franziska Weiß, denn es ging darum, authentisch zu sein und nicht hölzern zu wirken und gleichzeitig sollte im Zuschauer nicht die Möglichkeit entstehen, sich da hineinzufinden, sich an ihrer Psychologie anzuhalten und mit ihr mitzufiebern. Ich glaube auch nicht, dass jemand, der spürt, worum es in diesem Film geht, ernsthaft beginnt, mitzufiebern.



Sie waren zum dritten Mal in Cannes, wie haben Sie es dieses Mal erlebt, war die Aufmerksamkeit spürbar höher?

JESSICA HAUSNER: Bei Lovely Rita war ich viel aufgeregter, alles war neu, die vielen Interviews haben mich sehr beeindruckt. Ich hab das diesmal lockerer genommen. Wenn die Gespräche interessant sind, dann macht mir das auch Spass über den Film zu reden. Ich war auch sehr gespannt darauf, wie der Film ankommt. Ob sich alle denken, die ist jetzt verrückt geworden. Was der Weltvertrieb berichtet, verkauft sich der Film sehr gut - er ist nach Japan und Frankreich verkauft ist, zwei wichtige Territorien sind und noch einige mehr in Europa und Asien.

 

Sie drehen ein nächstes Projekt in Frankreich?

JESSICA HAUSNER:  Eine französische Firma ZOR-Film hat einen aus verschiedenen Kurzfilmen bestehenden Episodenfilm geplant und lud junge europäische Regisseure ein, mitzumachen. Das Thema ist About Europe, sie haben Drehbuchautoren gebeten auf der Basis von gesammelten Zeitungsartikeln Drehbücher zu entwickeln und dann konnte sich jeder Regisseur aus diesen 20 Büchern eines aussuchen. Für mich ist es eine interessante Erfahrung, ein fremdes Drehbuch zu verfilmen. Ich finde die Distanz sehr angenehm. Das ist eines vom Schwierigsten und gleichzeitig Wichtigsten, zu seinem Projekt die Distanz zu halten. Ende Juni fahre ich zur Motivbesichtigung und zum Casting nach Frankreich, Martin Gschlacht als Kameramann und Karina Ressler für den Schnitt hab ich mir als unverzichtbare Mitarbeiter auserbeten, der restliche Stab und die Schauspieler werden aus Frankreich kommen. Gedreht wird Ende August.

 

Interview: Karin Schiefer

2004