INTERVIEW

Markus Heltschl im Gespräch über DER GLÄSERNE BLICK

 

 Der Titel ist sehr treffend, weil Blicke, Beobachtungen, Voyeurismus im Zentrum des Films stehen und diese beiden Aspekte alles umschließen. In erster Linie ist es der gebrochene Blick durch die Videokamera, der dazu führt, dass das Auge bricht. Beim Schreiben war es für mich eindeutig der voyeuristische Blick durch die Kamera, der dann die Liebe zerstört. Markus Heltschl über seine zweiten Langfilm Der gläserne Blick.

 

Ihre beiden Filme Am Rande der Arena und Der gläserne Blick spielen in Portugal. Woher kommt dieser Bezug zu Portugal?

MARKUS HELTSCHL: Ich mag Portugal sehr, es ist für mich eine Art zweite Heimat. Dass sowohl Am Rande der Arena als auch Der gläserne Blick dort spielen, ist eher ein Zufall, der daher rührt, dass ich Der gläserne Blick schon seit langem machen wollte und die Finanzierung sich als schwierig erwies. Irgendwann wollte ich nicht mehr länger warten und machte dann, eher aus einer Laune heraus, Am Rande der Arena, den ich ohne Finanzierung begann und mit wenig Geld fertig stellte. Am Rand der Arena spielt in Portugal, weil man dort sehr günstig drehen kann. Es war ein Konzeptfilm, der ohne Drehbuch gedreht wurde. Das Konzept war, aus dem Tag heraus etwas zu erfinden, sich an Ort und Stelle zu verirren, um dort etwas zu drehen und am nächsten Tag wieder hinzufahren und die Szene fortzusetzen.

 

Wie entstand das Drehbuch zu Der gläserne Blick?

MARKUS HELTSCHL: Das Projekt gibt es schon länger. Bei mir sind die Filme im Kopf eigentlich schon fertig, bevor ich das Drehbuch schreibe. Die erste Fassung von Der gläserne Blick hab ich innerhalb von zwei Wochen geschrieben, sie entstand kurz vor Am Rande der Arena. Dann kamen unzählige Neufassungen, ich glaube insgesamt 18. Portugal als Schauplatz wählte ich deshalb, weil die Geschichte dort spielt. Ich machte einmal eine Wanderung von Cabo de Roca, dem westlichsten Punkt des europäischen Festlandes bis nach Sintra, wo ich diese Latifundien der reichen Portugiesen entdeckte, die zum Teil im Zuge der Revolution nach Brasilien gegangen sind und diese Häuser aufgelassen haben. Da sind mir Fragmente dieser Geschichte eingefallen.

 

Der gläserne Blick  spielt für einige der Darsteller in einem fremden Land, alle sprechen eine fremde Sprache, fast niemand seine Muttersprache. Spielt das Motiv des Entfremdet-Seins eine besondere Rolle?

MARKUS HELTSCHL: Ich schätze das Wort Entfremdung nicht sehr. Entfremdet sind wir entweder alle oder gar niemand. Es geht in dieser Geschichte im wesentlichen um Liebe und Verrat, Vertrauen und Nicht-Vertrauen, Lüge und Wahrheit.

 

Die Kriminalgeschichte bildet eigentlich nur den Vordergrund einer Geschichte von der Unmöglichkeit des Zueinanderfindens von zwei Menschen?

MARKUS HELTSCHL: Das kann man so sehen. Ich würde es lieber nicht von einer Unmöglichkeit sprechen, sondern von einer Schwierigkeit. Es ist halt nicht so leicht. Wenn man es sich zu leicht macht, dann ist es unmöglich. Man muss daran arbeiten, es ist Liebe und Arbeit. Im Falle von Der gläserne Blick ist es die Geschichte eines Scheiterns, eines männlichen Scheitern. Es gibt jenseits des männlichen Scheiterns schon eine Liebe, die hält wie jene zwischen dem Polizisten und der Tochter. Die Liebe zwischen Mann und Frau scheitert und es ist meistens die männliche Schuld, die zum Scheitern führt.

 

Beobachten, Spionieren, Voyeurismus, Kontrolle und Angst vor Kontrollverlust sind die wesentlichen Elemente der Geschichte?

MARKUS HELTSCHL:  Ich will den Film selber nicht interpretieren, aber ein wichtiger Begriff ist für mich das Wort Überblendung. Wenn man es auf die Geschichte umlegt und von der Überblendung der zwei männlichen Figuren spricht. Zwischen dem Polizisten und dem Archäologen findet eine Art Überblendung statt. Der Polizist nimmt immer mehr die Verhaltensweisen des Archäologen an, aber ich bin dabei zu interpretieren und das möchte ich vermeiden.

 

Es geht ja auch um die Frage von Schuld und Unschuld. Letztendlich könnte man behaupten die junge Frau ist am Tod beider Männer schuld?

MARKUS HELTSCHL: Ich glaube, dass der Film sehr offen ist und viele Interpretationen zulässt. Das Verhör, wie es der Kommissar mit Alice führt, funktioniert nach einem Muster aus Lüge und Wahrheit, weil sie nie die Wahrheit sagt und doch mit der Wahrheit lügt. Mir ist aufgefallen, dass manche Leute sehr sicher sind in ihrer Interpretation, sie meinen, sie sei ganz sicher schuld an Fernandos Tod, dadurch, dass sie vom Motorrad springt. Ich will meine eigene Interpretation dem Zuschauer nicht aufoktroyieren. Es gibt viele Lesearten des Films, das ist auch die Intention des Films. Wenn man ihn zehn Mal gesehen hat, wird man vielleicht zu einer endgültigen kommen. Ich glaube, es ist sicher ein Film, den man sich zwei Mal anschauen kann.

 

Es gibt durch Verwendung von Film und Video, Vorspulen und Rückspulen, Dekompostion und Rekomposition des Bildes mehrere Ebenen in der Bildsprache?

MARKUS HELTSCHL: Die Geschichte ist die von der Suche nach der Wahrheit und der Unmöglichkeit dieser Wahrheit. Das hat natürlich auch mit der Konstruktion und Dekonstruktion des Bildes zu tun. Im Drehbuch waren die Videoszenen als solche ausgewiesen und es gab bereits Überlagerungen von Video und so genannter Realität.

 

Ein immer wieder kehrendes Stilmittel sind Einstellungen durch halb geöffnete Türen oder man sieht nur Ausschnitte der Figuren.

MARKUS HELTSCHL: Die Erzählung ist fragmentarisch und hat eine Entsprechung in der Bildsprache, auch sie ist fragmentarisch. Es wird nichts auserzählt, die Szenen enden z.B. oft, ohne dass die Figuren aus dem Bild gehen. Diese fragmentarische Erzählhaltung hat eine Entsprechung in der Bildkomposition.

 

Beide Filme haben etwas sehr Langsames, Melancholisches, die wiederkehrende, suggestive Musik trägt sicher auch zu diesem Eindruck bei.

MARKUS HELTSCHL: Ich glaube nicht, dass Der gläserne Blick langsam ist, er ist eher sehr konzentriert. Am Rande der Arena ist ein langsamer Film, weil die still stehende Zeit auch ein Thema ist. Der gläserne Blick hat relativ viele Schnitte, mehr jedenfalls als üblich. Er beginnt sehr ruhig, das hat aber für mich eher etwas mit Konzentration zu tun. Ich möchte kein melancholischer Filmerzähler sein.

 

Repetition ist ebenfalls ein wesentliches Element.

MARKUS HELTSCHL:  Ich habe einen bestimmten Hang zum Minimalismus und sicher auch zur Repetition, die in Der gläserne Blick hauptsächlich durch die Musik bewerkstelligt wird, das Hauptmotiv ist von Michael Galasso, der auch als Komponist von In the Mood for Love bekannt ist. Die Musik, die ich in meinem Film verwendet habe, hat er vor 20 Jahren in München aufgenommen und aus dieser CD war dieses Stück, das immer wieder als Leitmotiv vorkommt. Das Besondere daran ist, dass dieses Leitmotiv zur real gespielten Musik wird.

 

Der Schnitt spielt in der Komposition von Der gläserne Blick eine sehr wesentliche Rolle?

MARKUS HELTSCHL: Man schreibt einen Film und wenn er fertig gedreht ist, schreibt man ihn neu, indem man ihn schneidet und von Grund auf neu denkt. Mich interessiert das Schreiben sehr und ich habe auch schon mehrere Drehbücher geschrieben. Ich bin aber ein sehr optischer Mensch und deshalb ist auch der Schnitt sehr wichtig für mich. Am Rande der Arena z.B. ist nur am Schneidetisch entstanden, das waren Fragmente, die ich gedreht habe, ohne eine Geschichte im Hinterkopf zu haben. Markus Heltschl: Dass sich der Der gläserne Blick beim Schnitt noch einmal verändert hat, ist eine zweite Sache. Er ist so genau montiert, weil er mit den verschiedenen Ebenen spielt. Der Film pendelt ständig zwischen Gegenwart und Vergangenheit und er hat Videopassagen, die eine zweite Vergangenheit bilden. Deshalb musste er sehr geplant sein. Die Arbeit am Schnitt war sehr lange, wir begannen im Mai und schnitten mit Unterbrechungen bis Herbst. Der gläserne Blick ist eben auch ein Schnittfilm, der davon lebt, dass man kadergenau den Schnitt setzt und ich bin da sehr genau.

 

Wie kam es zu diesem sehr internationalen und polyglotten Cast. Wie verlief die Arbeit mit den Schauspielern?

MARKUS HELTSCHL: Sylvie Testud war ein Glücksgriff, anfangs war es nicht vorgesehen, dass ihre Rolle von einer Französin gespielt wird. Es sind dadurch Dinge entstanden, die nach ihrem Einstieg im Drehbuch noch geändert werden mussten. Sie war vom Drehbuch begeistert und wollte den Film unbedingt machen, obwohl es ein Low-Budget-Film ist und sie auf den Großteil ihrer Gage verzichten musste. Noch dazu brachten sie unsere Dreharbeiten in große Terminschwierigkeiten, weil sie zur selben Zeit an einer Produktion mit Gerard Depardieu arbeitete. Das Schwierigste war, einen deutschsprachigen Schauspieler zu finden und die Rolle von Hans zu besetzen, bis wir auf Klaus Pohl kamen. Bei den Portugiesen machte ich ein klassisches Casting und wählte halb zufällig halb zielsicher all die Leute, die dort Stars sind. Ein besonderer Glücksgriff war aber auch die Tochter des Polizisten, und zufälligerweise die Tochter eines Mannes den ich drei Jahre zuvor kennen gelernt habe und der mir das Hauptmotiv zum erstem Mal gezeigt hat.

 

Entstand das Drehbuch von Anfang an in Englisch?

MARKUS HELTSCHL:  Es war ursprünglich in Deutsch geschrieben auch aus Gründen der Lesbarkeit bei der Suche nach Finanzierungspartnern. Es war aber immer in Englisch geplant und ich habe dann mit einem Übersetzer zusammengearbeitet. Das Projekt war ursprünglich ein rein deutsches Projekt, die deutschsprachigen Fernsehstationen haben alle abgelehnt. Es war ursprünglich ein rein deutsches Projekt, wir haben dringend nach Geld gesucht, aber ohne die Unterstützung der österreichischen Förderinstitutionen ÖFI und Filmfonds Wien, der als letzter Retter einstieg, wäre es nicht zustande gekommen. Das ist österreichische Filmkultur, die man nicht hoch genug loben kann und ich bin auch sehr dankbar.

 

Wie war die Arbeit mit den vielen Sprachen am Set?

Markus Heltschl: Was schwierig war, von allen ein Englisch zu bekommen, das auch in unseren Breiten verständlich ist. Aber ich bin kein Regisseur, der Anweisungen gibt, ich mache das eher durch Gesten. Es ist gut gelaufen, auch wenn es am Anfang schwierig war, aber das hat auch seinen Reiz. Mit Sylvie Testud zu arbeiten machte großen Spaß, da sie so einen Filminstinkt hat. Sie ist kein intellektueller Mensch, sie erfasst instinktiv das Richtige und spürt sofort, wenn eine Szene schlecht ist, das weiß sie sofort und dann gibt es Schwierigkeiten.

 

Wie kam die TTV-Film zum Projekt? Mit Christian Berger als Kameramann war das Projekt schon lange geplant.

Markus Heltschl: Christian Berger ist als Koproduzent eingesprungen, da in Deutschland nur ein Drittel der Mittel aufgebracht wurde, und er wurde schließlich zum majoritären Produzenten mit zwei Dritteln österreichischer Beteiligung.

 

Besteht mit Christian Berger schon seit längerem eine künstlerische Zusammenarbeit?

Markus Heltschl: Ich hab mit Christian Berger schon sehr viel zusammengearbeitet. Ich hab an Raffl mitgeschrieben und war immer wieder Regieassistent, dadurch besteht eine sehr lange Freundschaft und in vielen Aspekten eine große Übereinstimmung was Bildgestaltung, Lichtgestaltung und Kameraführung betrifft. Christian Berger sagte, er hätte schon beim Lesen des Drehbuchs die Bilder vor sich. Da ich auch eine sehr genaue Vorstellung habe, komme ich mit ihm sehr gut zurande.

 

 Der Film beinhaltet mehrere Anspielungen für den aufmerksameren Beobachter?

Markus Heltschl: Er hat interne Hinweise auf Bresson, auf Pessoa. Es kommen alle Homonyme von Pessoa vor, die Pension heißt Pensão Alvaro de Campos, unter diesem Namen schrieb er Gedichte. In Der gläserne Blick geht es sehr viel auch um Koinzidenzen und eine der unbesabsichtigten, die sich während des Drehs ergab, war jene, dass wir den Dreh der Szene in der Pension ohne es zu wissen, auf den Platz legten, auf dem Pessoas Geburtshaus steht. Dreh auf einem Platz stellten wir fest, ohne es vorher zu wissen, dass dort Pessoas Geburtshaus stand. Reiss, die Zigarettenmarke, die man nur einmal sieht, ist ein weiteres Homonym. Das sind kleine Spielereien, die Fährten legen. Einen Hinweis auf Bresson gibt es mit dem Plakat und einem kurzen Filmausschnitt von Pickpocket, den man durch den Projektionsraum kurz sehen kann, während der Kommissar seine Freundin abholt. Es stellt auch eine Hommage an Marika Green dar, die in Pickpocket die Hauptrolle spielte. Gewisse Einstellungen sind leichte Hinweise an den Film, das sind aber Hintergrundsachen.

 

Was bedeutet Der gläserne Blick für Sie?

Markus Heltschl: Es bedeutet zweierlei für mich: den Blick durch Optik, die Videokamera und im alt hergebrachten Sprachgebrauch ist es der Blick des Toten. Das gläserne Auge, das gebrochene Auge eines Toten. Der Titel ist sehr treffend, weil Blicke, Beobachtungen, Voyeurismus im Zentrum des Films stehen und diese beiden Aspekte alles umschließen. In erster Linie ist es der gebrochene Blick durch die Videokamera, der dazu führt, dass das Auge bricht. Beim Schreiben war es für mich eindeutig der voyeuristische Blick durch die Kamera, der dann die Liebe zerstört, das war der Ausgangspunkt der Überlegung, mehr will ich dazu aber gar nicht sagen.

 

Interview: Karin Schiefer (2003)