Der österreichische Dokumentarfilm erzählt seit Jahren eine Erfolgsgeschichte in Fortsetzungen: ihm gelingt, was im Spielfilm
oft unerreichtes Ziel bleibt einen Spagat zwischen inhaltlichem Anspruch und dem Erfolg im Kino und bei Festivals zu
schaffen. Jüngste Belege: Anja Salomonowitz bereits mit dem Wiener Filmpreis 2006 ausgezeichnete Arbeit Kurz davor ist es passiert, Cinéma du Réel gab es Preise für Harald Friedls Aus der Zeit und Kurz davor ist es passiert.
Beachtung kommt zur Zeit von allen Seiten: ob bei den Festivals Unser Täglich Brot und Workingmans Death erhielten im letzten Jahr um die 100 Festivaleinladungen, von den zehn 2006 an Einladungen erfolgreichsten österreichischen
Filmen waren sieben Dokumentarfilme;
ob bei den Preisen mit dem Wiener Filmpreis 2006 für Anja Salomonowitz Kurz davor ist es passiert wurde dieser Preis zum achten Mal in den letzen zehn Jahren einem Dokumentarfilm zugesprochen, den Österreichischen Filmpreis
2006 erhielt Erwin Wagenhofers We Feed The World, Exile Family Movie und Life in Loops gewannen Hauptpreise in Leipzig und Karlovy Vary;
ob an den Kinokassen We Feed The World war nicht nur meistbesuchter österreichischer Film 2005, die Produktionsfirma konnte auch zur Gänze die Fördermittel wieder
zurückbezahlen, ein Einzelfall in der Geschichte der Förderungen. Ein kleiner Film wie Zeit zu gehen erreicht mit sechs Kopien über 17.000 Zuschauer, Unser Täglich Brot kann auf Verleiher in elf Ländern verweisen, darunter die USA und Kanada;
oder schließlich in den Medien der Kurier sprach unlängst vom heimischen Dokuwunder, im renommierten amerikanischen
Film Comment reihen zwei der Herausgeber Unser Täglich Brot in ihre Top 3 des Jahres 2006.
Die Liste der Erfolge ist lang, das Spektrum der Protagonisten breit. Auf dem Boden, der von Vorreitern wie Ulrich Seidl oder
Michael Glawogger aufbereitet wurde, ist im Laufe der Jahre etwas wie eine Qualitätsmarke gewachsen, die in ihren verschiedensten
Ausprägungen ihren Weg auf die Kinoleinwand gemacht hat: die bestechende Bildsprache von Nikolaus Geyrhalter ebenso wie die
wuchtigen Menschenbilder bei Michael Glawogger, gesellschaftspolitisch brisante Recherchen wie Darwins Nightmare oder We Feed The World ebenso wie persönliche Studien von Mikrokosmen wie Aus der Zeit oder Exile Family Movie oder auch formal innovative Themenzugänge wie Kurz davor ist es passiert. Unter den 20 Produktionen deren Herstellung im Vorjahr vom Österreichischen Filminstitut (ÖFI) gefördert wurde, befanden
sich sieben Dokumentarfilme. Der Trend, so der Direktor des ÖFI, Roland Teichmann, beim Blick auf die weiteren
Förderanträge, ist definitiv steigend. Ich würde aber diese wachsende Bedeutung des Dokumentarfilms gar nicht mehr als
Trend, sondern vielmehr als faktischen Zustand bezeichnen, der sich zu festigen beginnt.
Geringere Kosten, leichtere Finanzier- und schnellere Realisierbarkeit sowie gute Verwertungsaussichten, machen es für Produzenten
interessant, auf das Dokumentarfilmgenre ein Augenmerk zu richten. We Feed The World, so Produzent Helmut Grasser, hat beim Publikum einen sensiblen Punkt getroffen. Wenn uns ein Stoff thematisch
interessiert, dann werden wir immer wieder auch Dokumentarfilme produzieren. Sein nächstes Eisen im Feuer hat er mit
Wagenhoferes zweitem Doku-Projekt Money, das für Jahresende zu erwarten ist, ebenso wie Nikolaus Geyrhalters neue Arbeit Von Paris bis Dakar. Die erfolgreichen Filme so Roland Teichmann, sind keineswegs Feel-Good-Filme, sondern es geht
um die kritische Auseinandersetzung mit großen Themen. Der Dokumentarfilm hat sich vom Fernsehimage befreit und legt eine
andere Wahrheit an den Tag. Es ist ein wichtiges Genre, das seinen Platz im Kino gefunden hat und auf keinen Fall ein Schattendasein
fristen darf. (ks)