INTERVIEW

Michael Glawogger im Gespräch über NACKTSCHNECKEN und WORKING MAN'S DEATH

 

Megacities-Regisseur Michael Glawogger steht wieder vor einer großen Filmreise: In der Ukraine beginnen demnächst die Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm Workingman's Death Sein Aufbruch zu Bastionen körperlicher Schwerarbeit, die er rund um den Globus aufgespürt hat, fügt sich nahtlos an die Postproduktion seines neuesten Spielfilms. Nacktschnecken, der mit dem Grazer Theater im Bahnhof entstand. Mit der Fertigstellung von Workingman’s Death ist nicht vor 2004 zu rechnen, auf ein schräges Filmexperiment mit Österreichs Nestroy-prämierter Off-Theater-Bühne darf man sich schon im Frühling freuen.
 


Nach einer längeren Phase der Recherche- und Vorarbeiten an nicht weniger als drei Projekten geht es nun mit einem Spielfilm und einem riesigen Doku-Projekt Schlag auf Schlag. Wie ist es zu Nacktschnecken gekommen?

MICHAEL GLAWOGGER:  Dazu kam es über eine Bekanntschaft mit dem Schauspieler Michael Ostrowski von der Grazer Theatergruppe Theater im Bahnhof. Ich entdeckte den Stoff als Juror für den Drehbuch 2000-Wettbewerb des ORF, wo das Projekt nicht einmal die erste Runde überstanden hat. Ich hielt die Idee für spannend, kontaktierte Michael Ostrowski und hab dann mit ihm zwei Jahre lang als eines unter mehreren Projekten, die ich verfolgt habe, dieses Buch weiter entwickelt Darüber hinaus ist es eine Art Ensemble-Film mit den Schauspielern des Theaters im Bahnhof geworden, das seit zehn Jahren sehr eigenwilliges Theater macht und mich als Ganzes immer mehr interessiert hat.

 

Ist das ganze Ensemble im Film vertreten?

MICHAEL GLAWOGGER:  Grundsätzlich ist der Film in seinem Kern nur mit Leuten vom Theater im Bahnhof besetzt. Dazu haben wir ein paar Nebenrollen mit bekannten Namen wie Georg Friedrich, Detlev Buck, August Schmölzer eingebaut. Sie haben auf der Bühne sehr viele Dinge versucht, die im Grunde Film und Fernsehen sind. Für LKH z.B., eine Soap, die kürzlich den Nestroy-Preis als beste Off-Produktion erhielt, wurde jede Woche eine neue Krankenhausserie für die Bühne geschrieben. Deshalb hat sich ihre Art des Schauspiels sehr gut für einen Film geeignet.

 

Worum geht es in Nacktschnecken?

MICHAEL GLAWOGGER:  Es ist die Geschichte von drei Leuten, die ohne großen Sinn im Leben in Graz herumhängen. Die Frau, das Zugpferd in der Dreiergruppe, verkauft zumindest Drogen, während die beiden Männer außer Gelegenheitsjobs nichts machen. Diese drei bekommen das Angebot, einen Pornofilm zu drehen und damit alles zu haben, was sie sonst nicht haben, nämlich ausreichend Sex, Glück und Geld. Das versuchen sie und das wird zum kleinen, feinen Desaster.

 

Eine Komödie also?

MICHAEL GLAWOGGER:  Atmosphärisch hab ich mir vorgenommen, in Österreich etwas zu versuchen, was man sonst einen American Independent Film nennen würde. Diese seltsam humorigen Filme wie Clerks oder Slacker, die ich nicht sofort als Komödie im klassischen Sinn bezeichnen würde, die ein Lebensgefühl oder eine Stimmung wiedergeben, haben mich inspiriert.

 

Es wird ein Film mit einem gewissen Lokalkolorit?

MICHAEL GLAWOGGER:   Von der Sprache her ist dies sicher der Fall. Gedreht wurde alles in Graz und Umgebung. Wenn man in Graz z.B. das Rotlichtmilieu braucht, dann ist das halt nur eine Gasse und die schaut auf ihre ganz eigene Art ein bisschen provinziell aus. Das fand ich für diesen Stoff sehr spannend und ich hab da eher noch drauf gedrückt. Gedreht haben wir im September, es wird zur Zeit geschnitten und ich rechne damit, dass der Film im Frühling fertig wird. Seit Ende November arbeite ich an meinem Dokumentarfilmprojekt Workingman’s Death und werde für Nacktschnecken eine Pause einlegen und dann fertig machen.

 

Die beiden Schienen Dokumentarfilm und Spielfilm verfolgen Sie also konsequent und getrennt voneinander weiter?

MICHAEL GLAWOGGER:   Ich merke es ganz besonders, wenn ich gerade einen Spielfilm gemacht habe, dann freue ich mich sehr auf eine andere Art des Arbeitens. Mir ist das Korsett des Spielfilms schnell eng, ich drehe meine Dokumentarfilme mit sehr kleinen Teams, das ist für mich eine arbeitstechnische Freiheit, die ich nicht missen möchte. Ich möchte nicht nur Spielfilme drehen.

 

Aber auch nicht ganz auf sie verzichten?

MICHAEL GLAWOGGER:   Das kommt auf den Stoff an. Um auf die anfängliche Frage zurück zu kommen, dass ich jetzt länger nichts gemacht habe. Das lag hauptsächlich daran, dass ich ein Projekt verfolgt habe, das dann knapp nichts geworden ist. Der Titel ist Butterfly Boy, ein Herzensprojekt von mir, das sich als Spielfilm präsentiert, aber sehr viele dokumentarische Elemente in sich hat.

 

Worum geht es in Butterfly Boy?

MICHAEL GLAWOGGER:  Es ist die Verfilmung eines Romans von William T. Vollman. Es geht um einen Journalisten und einen Fotografen, die nach Kambodscha fahren, um ein Interview mit Pol Pot zu machen und sich statt dessen ihren Weg durch Südostasien huren. Einer der beiden verliebt sich auf eine sehr unerklärliche, melodramatische Weise in eine kambodschanische Hure und verfällt ihr. Pol Pot stirbt in dieser Zeit und sie machen nie ihre Arbeit. Die Geschichte kippt dann, wie der Hauptdarsteller selbst, völlig in dieses Milieu und in diese selbst zerfleischende Liebesgeschichte.

 

Wie haben Sie dieses Buch entdeckt?

MICHAEL GLAWOGGER:  Ich habe den Autor während der Arbeiten zu Megacities entdeckt. Ich hörte von einem Buch, das The Atlas hieß, eine Kompilation aus Erlebnissen rund um den Globus, wo er verschiedenste Orte der Welt durch Beobachtungen miteinander verflicht. Damals sagte jemand, dass seine Art zu schreiben so ähnlich ist wie meine Art Filme zu machen, dann las ich dieses Buch und war vollkommen begeistert. Mein nächstes Buch war dann Butterfly Stories. Wir haben William T. Vollman kontaktiert und die Rechte für dieses Buch erworben und er hat dann die erste Fassung fürs Drehbuch geschrieben.

 

Wie weit sind da die Vorarbeiten gediehen?

MICHAEL GLAWOGGER:  Ich habe in Stufen zusammen mit dem Autor das Buch geschrieben, es hat schon Castings gegeben, da gibt es Motivfotos. Insgesamt habe ich über die letzten Jahre drei Projekte betrieben, Butterfly Boy und auch zu Working Man’s Deathhab ich in den letzten Jahren sehr viel Recherche gemacht. Das ist ein sehr aufwändiger Dokumentarfilm, der auch viel Vorarbeit verlangt, es ist ein bisschen das Folgeprojekt zu Megacities, nur noch größer.

 

Welches Thema liegt WORKINGMAN'S DEATH zugrunde?

MICHAEL GLAWOGGER:  Ich gehe vom Arbeiterhelden Aleksej Stachanov aus, der für eine ganze Gesellschaftsform als Held herhalten musste. Stachanov ist eine Legende, der zu Sowjetzeiten in körperlicher Handarbeit Massen an Kohle befördert hat und Unmengen an Statuen bekam. Alle kommunistischen Staaten hatten ihren Arbeiterhelden, aber auch in Demokratien wurde der Arbeiter als Vorbild und stellvertretend für einen Wert in der Gesellschaft verwendet. Ich möchte nun untersuchen, was heute aus dem Helden der Arbeit geworden ist? Was ist aus körperlicher Schwerstarbeit geworden? Wo wird sie noch immer verrichtet? Was ist aus den Kombinaten, Minen, Großbaustellen geworden? Was ist ihre Bedeutung für den Einzelnen und die Gesellschaft? Wie geht man damit um, dass so viele Leute keine Arbeit haben?

 

Wo wird gedreht werden?

MICHAEL GLAWOGGER:   Ich beginne jetzt in der Ukraine, wo es hunderte aufgelassener, teils riesiger Bergwerke aus Sowjetzeiten gibt, wo die Leute tagtäglich hingehen und ohne Lohn arbeiten, weil sich die Kohleförderung nicht mehr rentiert. Es ist ein Phänomen, der ehemaligen Sowjetrepubliken, dass die Leute zur Arbeit gehen, weil es sonst nichts zu tun gibt, auch wenn sie nichts bezahlt kriegen, außer dass sie ernährt werden. Insgesamt ist es schwieriger, in Arbeitsbereiche dieser Größenordnung vorzudringen ist heute schwieriger als über die katholische Kirche einen Film zu machen. Ich gehe ähnlich vor wie bei Megacities, dass ich mir Schritt für Schritt die Orte suche. Ich würde gerne etwas über das Schiffe-Zerschneiden in Bangladesch machen, aber da spielen viele von Greenpeace kritisierte Umweltgeschichten, Halbsklaverei und arbeitstechnische Aspekte mit. Ich denke auch an Tansanitminen in Tansania, an Fahrradfabriken in China, an eine schwimmende Fischfabrik in Sibirien und ich würde gerne in Nordkorea drehen, dem letzten stalinistischen Staat, wo noch Arbeiterverherrlichung stattfindet.

 

Wie weit sind die Recherchen in der Ukraine fortgeschritten?

MICHAEL GLAWOGGER:   Ich war in den letzten zwei Jahren für Vorarbeiten an fünf oder sechs dieser Orte. Ich fahre jetzt noch einmal zehn Tage, um Kontakte neu zu knüpfen und zu schauen, wie sich alles entwickelt hat. Es gibt dort sehr viele illegale Minen, die Leute machen hinter dem Haus einen Schacht, lassen sich 60 Meter hinunter, hauen mit Hammer und Meißel die Kohle raus und tauschen ihre Kohlesäcke gegen Eier, Brot und Schnaps, was immer noch mehr bringt, als in den offiziellen Minen zu arbeiten. Diese illegalen Minen wachsen aus dem Boden und verschwinden wieder und man muss sie wieder finden. Gedreht wird dann entweder noch dieses Jahr oder im Jänner, es ist jedenfalls eine Wintergeschichte. Ich werde sicher etwas mehr als ein Jahr mit Drehen beschäftigt sein, die Fertigstellung von WorkingMan’s Death ist für 2004 vorgesehen.

 

Interview: Karin Schiefer (2002)