Das Drama um Toni Kurz, das sich 1936 an der Eiger Nordwand ereignet hat ist eine tragische und mitreißende Geschichte, wie
gemacht fürs Kino. Da steckt eine Menge drin, ein dramatischer Abenteuerfilm, ein Parabel über den medialen Kannibalismus,
aber auch ein interessantes Stück Zeitgeschichte. Philipp Stölzl über das Bergdrama Nordwand.
Die Premiere von Nordwand im Sommer in Locarno fiel just in einen Zeitraum, wo sich außerordentlich viele Bergdramen ereignet haben. In den Medien
war das Thema Alpinismus mehr als präsent, als läge das Thema in der Luft.
Philipp Stölzl: Zu den Bergdramen in diesem Sommer habe ich so meine eigene These - eigentlich würde es mich wundern, wenn
dieses Jahr statistisch gesehen mehr Leute in den Bergen umgekommen sind als in den Jahren davor. Die Berge sind ja immer
gleich gefährlich. Ich glaube, es liegt an der medialen Aufmerksamkeit, die ein Unglück wie mit Karl Unterkirchner am Nanga
Parbat auf sich lenken. Da wird dann jedes normale Lawinenunglück danach auch noch ausgeschlachtet. Unser Film bekommt damit
unbeabsichtigt eine grausige Aktualität. Das hatte man sich eigentlich natürlich nicht gewünscht.
Was hat sie vor einigen Jahren, als sich das Thema anbot gereizt, ein Bergdrama aus den dreißiger Jahren zu verfilmen?
Philipp Stölzl: Das Drama um Toni Kurz, das sich 1936 an der Eiger Nordwand ereignet hat ist eine tragische und mitreißende
Geschichte, wie gemacht fürs Kino. Da steckt eine Menge drin, ein dramatischer Abenteuerfilm, ein Parabel über den medialen
Kannibalismus, aber auch ein interessantes Stück Zeitgeschichte! Die Geschichte spielt ja in der Nazizeit, in der der
Alpinismus durch die Propagandamaschine total vereinnahmt und instrumentalisiert war. Als Regisseur wartet man ja auf genau
solche Stoffe, die gleichzeitig kommerziell und anspruchsvoll sind.
Der Stoff trägt Elemente eines Abenteuerfilms, eines Thrillers, einer Liebesgeschichte in welche Richtung
haben Sie das bereits bestehende Drehbuch weiterentwickelt und gewichtet?
Philipp Stölzl: Der Stoff war ursprünglich ja mal als Zweiteiler fürs Fernsehen entwickelt und hatte dementsprechend andere
Figuren und eine andere Dramaturgie. Der Autor Christoph Silber und ich, wir haben dann die Dramaturgie noch mal ganz umgeschraubt
um sie fürs Kino tauglich zu machen. Es war nämlich gar nicht so einfach, die verschiedenen Elemente der Geschichte richtig
zu auszutarieren. Was macht man mit den Figuren, wenn ab der Mitte des Films die einen im Berg sind und die anderen unten
und sie nicht mehr miteinander kommunizieren können? Gab ja noch keine Handys damals. Wie kuckt man, dass die Liebesgeschichte
und die politischen Dimension der Geschichte nicht unter der Wucht des archaischen Überlebenskampfes in der Wand zerbröseln
und unwichtig werden? Wie geht man damit um, dass der tödliche Ausgang der Geschichte letztlich bekannt sind? Die Arbeit am
Drehbuch hat deshalb ziemlich lange gedauert. Außerdem ist es natürlich so, dass eine relativ teure Dreiländerproduktion
mit vielen verschiedenen Finanzierungsquellen natürlich das Gegenteil eines Autorenfilms ist. Jeder Partner will sich einbringen.
Da geht es in der Drehbucharbeit oft um die Frage, wie ich eine Einigung herstellen kann. Aber es war der gemeinsame Wunsch,
einen kommerziellen Film zu machen, dieses Ziel hat letztlich alle geeint.
Dieser Versuch der Besteigung des Eiger beruht auf einer Tatsache, mit welchen Quellen haben Sie gearbeitet?
Philipp Stölzl: Die 1936iger Eiger Tragödie gehört sicher zu den zehn bekanntesten alpinen Tragödien der Welt, sie ist
in sehr vielen Bergbüchern beschrieben, zum ersten Mal in Heinrich Harrers Bestseller Die weiße Spinne. Jede Quelle stellt den Hergang etwas anders dar, die Fakten sind vage, fragmentarisch. Man weiß nur, was die Leute von unten
mit dem Fernrohr verfolgen konnten, solange das Wetter es erlaubt hat, und die paar Dinge, die der halbtote und wirre
Toni Kurz seinen vermeintlichen Rettern runtergerufen hat. Wir haben im Drehbuch versucht, uns an den bekannten, gesicherten
Eckdaten so authentisch wie möglich entlang zu tasten: Aufstieg, Unfall des Österreichers, Steckenbleiben im zweiten Eisfeld,
Zusammenschluss der Seilschaften, Abstieg, Nächte in der Wand, Lawinenabgang, die komplizierten Details der Seil-Rettung,
etc, etc. das alles ist im Film ziemlich genau so geschildert, wie es vermutlich war. Wenn man sich einer wahren Geschichte
verpflichtet, muss man das, glaube ich, so machen, sonst kann man es gleich bleiben lassen und was Eigenes schreiben. Da muss
man die ganzen seltsamen Rhythmen und Wendungen mitmachen, die nur das Leben schreibt und die man bei einer rein fiktionalen
Geschichte als falsch empfinden würde. Die lange Rettungsszene am Ende des Films kommt einem beispielsweise wie
ein siebter Akt vor, zu lange, irgendwie ein bisschen unrund, aber so war es nun mal und deswegen ist es auch richtig, es
so zu erzählen.
Wie sind Sie herangegangen, zum einen den Berg selbst, sozusagen die physische, machtvolle Komponente der Natur zu filmen
und da hinein auch noch dieses Drama zu betten, so dass es glaubwürdig bleibt.
Philipp Stölzl: Visuelle Kraft ist beim Bergfilm eine knifflige Angelegenheit. Die Faszination und Dramatik der Berge, Weite,
Tiefe etc. sind fotografisch nur schwer einzufangen. Man kennt das selber, wenn man auf einem Gipfel steht und vom Anblick
überwältigt ist, dann macht man ein Foto, und wenn man das Bild zwei Tage später unten wieder ansieht, erzählt es nichts von
dem, was man oben gefühlt hat. Mit dem Wetter ist das noch schlimmer. Wie filmst du Minusgrade? Wie erzählt man einen Schneesturm?
Der kommt ja nicht auf Bestellung. Dazu kommt die schwere Erreichbarkeit der Drehorte. Man muss erstmal hinkommen mit der
ganzen Ausrüstung und den Schauspielern. Dann ist man endlich oben und dann zieht es zu und man bricht wieder ab, ohne einen
Meter Film belichtet zu haben. Unglaublich mühsam.
Ist auch am Eiger selbst gedreht worden?
Philipp Stölzl: Absolut. Vor allem die Double-Szenen sind dort entstanden, oft unter sehr heftigen Bedingungen. Gerade bei
einem Schneesturm ist der Grat zwischen dem Punkt, wo es durch die Kamera so richtig gut und fies aussieht und dem Moment,
wo man den Dreh abbrechen muss, sehr schmal. Aber durch die Jungfrau-Bahn, die ja auch im Film eine Rolle spielt, ist die
Logistik am Eiger großartig. Man ist sehr schnell oben auf dem Jungfraujoch, auf 3600 Meter und kann durch Schuttstollen,
die beim Bau der Bahn gemacht wurden, vom Bahntunnel direkt in die Nordwand aussteigen. Teuer ist es halt dort. Dafür ist die Schweiz ja leider auch bekannt. Manche Dinge haben wir dann auch am Dachstein
gedreht, das hat vor allem mit den Förderungsstatuten zu tun. Die Schweiz war ja nur ein minoritärer Finanzierungspartner,
da haben wir zwangläufig eine Menge Drehorte in Deutschland und Österreich suchen müssen, auch wenn der Film zu einem großen
Teil in der Schweiz spielt. Viele der Kletteraufnahmen mit den Schauspielern haben wir dann in einem Kühlhaus in Graz gedreht,
wo wir uns einen Kunstfelsen gebaut haben und uns bei minus zehn Grad einen sehr realen Schneesturm produziert haben. Das
war ziemlich hart für die Schauspieler und das Team, hat uns aber Bilder erzeugt, die wir in der Eigerwand niemals bekommen
hätten. Dort kann man ja bei Schneesturm nicht rein, schon gar nicht mit einer Kamera und Schauspielern. Die Kühhausaufnahmen
und die Sachen die an Originalschauplätzen entstanden sind, haben wir dann im Schnitt zusammengefügt und am Ende im Rechner
aneinander angeglichen. Die Szenen sind quasi Collagen aus verschiedensten Drehorten, wirken aber im fertigen Film sehr geschlossen.
Wie sehen Sie den Berg als Metapher. Haben Sie selbst einen starken Bezug zum Bergsteigen?
Philipp Stölzl: Schon. Ich komme ja aus München und war als Junge deshalb oft Bergwandern und Skifahren. Dann bin ich
nach Berlin gezogen und hab diese Dinge eher vergessen. Durch den Film habe ich dann wieder zum Alpinismus zurückgefunden.
Ich glaube, wenn man sich so lange mit dem Thema beschäftigt, dann kommt man dem gar nicht aus. Ich war sogar auf dem Eigergipfel
diesen Sommer, nicht über die Nordwand, sondern nur über den Westgrat. Das ist für Topbergsteiger Kinderkram, aber für mich
war das ein Grenzgang. Das ist beim Bergsteigen ja wie beim Golfspielen, man tritt gegen das eigene Handikap an. Der Grat
ist irrsinnig schmal und steil, es geht die ganze Tour rechts und links 1000 Meter runter. Das kostet starke psychische Überwindung,
aber wenn du es am Ende doch geschafft hast, dann gibt dir das aber Kraft für dein normales Leben unten im Tal.
Dort hat man ja, ob privat oder beruflich, auch immer wieder schwierige Stellen zu überwinden und muss, genauso wie beim Klettern,
oft lange durchhalten, um ans Ziel zu kommen. Insofern hat mir das Bergsteigen auch geholfen, den Film fertig zu kriegen.
Das Projekt war nämlich auch wie ein harte Bergtour, ständig hatte man das Gefühl, gleich, hinter der nächsten Anhöhe, müsste
der Gipfel sein, und dann hat sich rausgestellt, dass doch der doch noch ewig weit weg war.
Ein schönes Bild im Film ist der Umstand, dass der Berg ein Innen- und ein Außenleben hat. Wie haben Sie damit operiert?
Philipp Stölzl: Der Eiger mit seiner konkaven Form wird auch die vertikale Arena genannt. Unten auf der Mittelstation, wo
sich das Luxushotel Bellevue befindet und seit dem Bau der Zahnradbahn Anfang des 20.Jhs. Massentourismus Einzug gehalten
hat, sitzt das dekadente Publikum bei Kaffee und Kuchen, während die Bergsteiger in der Wand wie Gladiatoren um ihr Leben
kämpfen. Das macht den Unterschied zu anderen legendären Bergen aus. Alle Dramen, und davon gibt es ja nicht wenige, haben
sich in der Eigerwand vor schaulustigem Publikum abgespielt und die angereisten Journalisten haben davon live berichtet. In
Nordwand spielt Ulrich Tukur so einen Reporter, der den aktuellen Stand immer wieder per Telefon durchgibt wie bei einem Boxkampf.
Und dann hat der Berg eben auch noch ein Innenleben. Die Bahn führt durch ihn hindurch hoch zum Jungfraujoch und man kann
aus Stationen im Berg drin in die Wand hinausschauen. Das spielt im Film natürlich auch eine große Rolle, besonders bei den
Versuchen, die in Not geratenen Bergsteiger zu retten.
Die Cast-Liste ist sehr beeindruckend. Wie ist es zu dieser Dichte an großartigen Schauspielern gekommen?
Philipp Stölzl: Das hat sich irgendwie gefunden, der Stoff hat die Schauspieler angezogen. Ich denke die haben einfach auch
große Lust gehabt, mal was Ungewöhnliches und Extremes zu machen, das ging mir selber ja nicht anders. Benno Fürmann war von
Anfang an dabei, weil er selber ein Kletterer ist und deshalb eine große Affinität zum Stoff hatte. Dann kam Florian Lukas
dazu, der mit Benno ein tolles Duo bildete. Simon Schwarz und Georg Friedrich habe ich gefragt, ob sie mitmachen würden, weil
ich schon lange Fan der beiden bin. Alle vier hatten dann in der Vorbereitung ein intensives Klettertraining und hatten dann
bei Drehbeginn fast den Klettergrad erreicht, der in den 30iger Jahren die Obergrenze war, Georg sogar, obwohl er eigentlich
Höhenangst hat. Florian hat nach Drehende auch weitergemacht damit und ist jetzt richtig ein amtlicher Sportkletterer
geworden.
Aber auch der Rest der Besetzung war für mich ein Traum, da hab ich wirklich Glück gehabt. Ulrich Tukur ist natürlich eine
naheliegende Idealbesetzung das liegt auf der Hand, Johanna Wokalek hatte ich mir auch gewünscht, weil ich eine Frau mit Persönlichkeit
haben wollte, nicht nur einen Mädchen-Typ mit einem vordergründigen Beauty-Appeal. Und Petra Morzé und Erwin Steinhauer, das
sind einfach Granaten-Schauspieler, die jede Mini-Szene in starke Momente verwandeln.
Jeder dieser Schauspieler bringt seine eigene Arbeitsweise mit, der eine kommt eher vom Film, der andere mehr vom Theater,
der eine baut sich den Text ganz genau und ist deshalb gut, der andere spielt jedes Mal etwas anderes und ist deshalb gut.
Die Synchronisation der Leute ist die eigentliche Aufgabe beim Drehen, aber wenn du als Regisseur weißt, was du möchtest und
das auch kommunizieren kannst, dann kann man gut arbeiten.
Der Film hatte auf der Piazza Grande in Locarno seine Premiere. Wie ist das gelaufen?
Philipp Stölzl: Locarno war meiner Meinung nach der perfekte Ort für die Uraufführung. Man ist unter freiem Himmel, zwischen
Bergen, man ist in der Schweiz, wo der Film spielt, besser gehts eigentlich nicht. Dazu hat die Leinwand beinahe IMAX-Dimensionen
und einen fettenTon. Das ist für einen Film, der Naturgewalten und Naturpanoramen lebt, total super. Das Physische des Films
ist dort richtig zur Geltung gekommen. Es waren mehrere Tausend Leute auf der Piazza und am Schluss hätte man eine Stecknadel
fallen hören. Außerdem hat die Piazza in Locarno irgendwie auch eine Popcorn-Atmosphäre, das ist für Nordwand, der ja kein Festivalfilm im klassischen Sinn, sondern hoffentlich ein Multiplex-Film ist, auch sehr passend gewesen.
Sie arbeiten als Regisseur in den verschiedensten Bereichen Oper, Theater, Werbung, Musikvideo. Was macht trotz dieser
Bandbreite, in der Sie erfolgreich tätig sind, den besonderen Reiz des Kinos aus?
Philipp Stölzl: Das Kino ist für mich die Königsklasse, ich finde das bei weitem schwerer und fordernder als die anderen Sparten
- und am Ende kommt dabei auch am meisten zurück. Ich habe mich da auch erst langsam hingearbeitet, am Theater begonnen, dann
kamen die Musikvideos und die Werbung, und dann habe ich schließlich den ersten Langfilm Baby gemacht. Da wollte ich immer
hin, das war das Ziel. Ich hätte gerne sofort mit den langen Filmen weitergemacht. Aber bis zur Nordwand hat es dann leider einige Jahre gedauert, nicht weil ich mich nicht bemüht habe, aber ich hatte einfach eine Menge Pech,
ich habe beispielsweise an zwei amerikanischen Projekten mitgearbeitet, die beide sehr weit fortgeschritten waren, dann aber
nie gedreht worden sind.
In der Zwischenzeit bin ich dann zusätzlich noch bei der Oper gelandet, das hat sich mehr aus Zufall ergeben, ist aber mittlerweile
zu einem ausgewachsenen Zweitberuf geworden, den ich in den nächsten Jahren zumindest einmal im Jahr ausüben werde und damit
Gott sei Dank auch vermeide, dass es mir in der Zeit bis zum nächsten Spielfilm langweilig wird. (lacht)
Was wird das nächste Filmprojekt sein, das nächstes Jahr gedreht werden könnte?
Philipp Stölzl: Ich arbeite zur Zeit an einem Kinderfilm, nach einem deutschen Kinderbuch, das es auch als Puppenserie gab
- Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt. Es handelt von einem Jungen und einem Roboter, die in einem selbst gebauten Phantasie-Fluggerät Abenteuer bestehen. Das
ganze soll komplett im Studio mit gebauten Kulissen entstehen, was mich als ehemaliger Bühnenbildner natürlich sehr reizt.
In meinem zweiten Projekt geht es um den jungen Goethe, der Anfang zwanzig ist und eigentlich Jura studieren soll, zum
Ärger seines Vaters seine Zeit aber mit dem Schreiben von Gedichten und Theaterstücken verplempert. Der Alte schickt ihn nach
Wetzlar ans Gericht, dort sollen ihm seine Flausen ausgetrieben werden. Dort trifft der junge Mann auf Charlotte Buff und
verliebt sich unsterblich. Doch die Dame ist vergeben und der Film schon mitten im Werther Es ist eine Art Shakespeare in Love mit Goethe.
Interview: Karin Schiefer
2008