FEATURE

SILENTIUM von Wolfgang Murnberger

 

Er hat schon richtig gesehen, der Brenner. Die attraktive Dame hatte da in der Dessousabteilung etwas anprobiert und dann prompt zum Zahlen vergessen. Es war seine Pflicht als Kaufhausdetektiv, sie zur Rede zu stellen. Dass man in Salzburg schon mal ein Auge zudrückt, wenn der Tochter des Festspielpräsidenten so etwas passiert, hat er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können. Ihm hat es allerdings zunächst den Job gekostet, und seine Naivität in Sachen Salzburg in weiterer Folge noch einiges mehr. Denn anstatt vor dubiosen Zusammenhängen von nun an beide Augen zu schließen, ist er raus aus dem Kaufhaus, seiner detektivischen Nase gefolgt und nach nur wenigen Schritten und im Salzburger Sumpf gesteckt.

 

Der Filmemacher Wolfgang Murnberger hat nach Komm, süßer Tod im Jahr 2000 nun ein weiteres Abenteuer von Wolf Haas' Anti-Kommissar Brenner verfilmt. In Silentium verschlägt es den ewigen Verlierer Brenner nach Salzburg, in jene Stadt, wo er seine Anfänge im Polizeidienst erlebt hat und nun sich als schmuddeliger Privatdetektiv gerade irgendwie über Wasser hält. Die Repräsentanten der Hochkultur sind in schäbige Geschäfte verwickelt, um sich die Opernstars bei Laune zu halten, die hohen Herren von der katholischen Kirche dulden und decken alles, um so ihr finanzielles und personelles Desaster ein bisschen abzufedern, die Salzburger Polizei, die sich mit recht brachialen Verhörmethoden Respekt verschafft, schaut diskret vorbei. Dazu kommen ein paar alte Nazis, eine Affäre sexueller Belästigung von Jugendlichen im Kloster - Privatdetektiv Brenner hat sich da ziemlich blauäugig auf ein heißes Pflaster begeben und sich dabei nicht nur die Finger verbrannt.

 

Im Sumpf der Festspielstadt

Das Drehbuch entstand wie schon bei Komm, süßer Tod in bewährter Teamarbeit zwischen Regisseur Wolfgang Murnberger, Romanautor Wolf Haas und Hauptdarsteller Josef Hader. "Die Herausforderung war die", so Wolfgang Murnberger, "nach dem Erfolg von Komm, süßer Tod nicht den Eindruck zu erwecken, dass mit zwei veränderten Akkorden der gleiche Hit produziert wird. Silentium ist grundsätzlich eher ein statischer Roman mit viel Dialog. Und da der Kriminalfall noch mysteriöser war, lag die Lösung für uns darin, dass wir weniger in Richtung Krimi als vielmehr in Richtung Thriller gingen, um einen noch spannenderen Film zu machen." Wenig Kontinuität zwischen den beiden Haas-Verfilmungen gibt's auch in Brenners äußerem Erscheinungsbild. Mit ihm ist's in der Zwischenzeit offensichtlich ziemlich bergab gegangen. Für eine eigene Wohnung in der Festspielstadt reicht es nicht mehr und wenn er sich am Samstag Vormittag in seiner ersten detektivischen Mission im Marianum unter die Obdachlosen mischt, die einmal wöchentlich mit heißer Dusche und Suppe vom Kloster versorgt werden, fügt er sich ohne besonderes Zutun unbemerkt ins Gruppenbild. "Wir sagten uns," erklärt der Regisseur den Brennerschen Abstieg, "wenn er sich schon in einer Stadt der Hochkultur befindet, ist es am besten, er ist ganz tief unten, damit der Kontrast schöner ist". Kontraste bestimmen den Grundton der komplexen Kriminalgeschichte, in der die Aufklärung eines als Selbstmord inszenierten Mordfalls die Verkommenheit der guten Gesellschaft einer noblen Kleinstadt nach und nach zutage führt. Die Figur des Brenner hat sich zum rettungslos verkannten Anti-Helden entwickelt, das Autorentrio hat dem leichten Genre des Anti-Krimis ein böses und abgründiges Gesicht verpasst. Außer einer goldenen Nase und Berti, seinem treuen Adjutanten, ist dem kauzigen Detektiv so ziemlich alles verwehrt, was sich nur in die Nähe des Wortes Erfolg bewegt. Rausziehen aus dem nächsten Schlamassel heißt gezwungenermaßen seine Lebensdevise. Er bleibt selbst in der Rolle des Jägers der Gejagte, seine Auftraggeber sind am Ende ebenso wenig an der Wahrheit interessiert wie die Polizei. Niemand klopft ihm auf die Schulter, dass er den Filz einer ganzen Stadt freigelegt hat.

 

Sätze und Seifenblasen

Bei einer rasante Verfolgungsjagd im Parkhaus hängen Brenner und Berti zwar ihre Killer ab, manövrieren aber ihr Auto selbst gegen die Wand und setzen sich selbst außer Gefecht. Die spektakuläre Szene im Parkhaus bedurfte zweier intensiver Nachtdrehs, wo rund 25 Einstellungen pro Nacht aufgenommen wurden. Schwindelerregende Schnitte von der Raserei in der Spirale des Parkhauses setzen vom Tempo her einen Höhepunkt im Film, dem unmittelbar das triviale Ende folgt: es gibt weder Explosion, noch Super-Crash, weder Verfolger noch Verfolgte, bloß einen Blechschaden. "Ich mag es", so der Regisseur, "so einen Aufwand zu betreiben, um dann etwas ganz Lapidares zu machen. So kann man meiner Meinung nach den literarischen Schmäh von Wolf Haas am besten filmisch beschreiben. Das Ende dieser Verfolgungsjagd oder der Autounfall am Anfang von Komm, süßer Tod, das sind genau die Dinge, die seinem Umgang mit Sprache entsprechen. Er schreibt eineinhalb Seiten über irgendetwas und dann kommt am Ende ein Halbsatz und alles stellt sich als Seifenblase heraus." Wie sich das wortwitzige literarische Original in ein Drehbuch verwandelt, verfolgt der Autor von Anfang an, ohne allzu streng über die getreue Einhaltung der Handlung zu wachen.

 

"Es gibt", erklärt Murnberger, "Elemente der Literatur und Elemente des Films. Wenn ich versuche, die Elemente der Literatur als Film zu machen, werde ich scheitern, denn das kann die Literatur besser. Das Feeling, das der Roman beim Lesen erzeugt, entsteht oft eher, wenn man sich von der Handlung wegbewegt. Umgekehrt genügt oft ein Satz, wenn im Buch z.B. steht, Brenner kommt sich wie ein Tischfußballmännchen vor, dann kann ich aus einem Satz eine 3-Minuten-Sequenz machen". Josef Haders Kopf auf einem alptraumgeschüttelten roten Fußballmännchen, das von unbekannten Mächten hin- und hergezogen wird, ist eine der wenigen Sequenzen, die am Computer entstanden sind, ansonsten bedeuteten die achtwöchigen Dreharbeiten großteils zu frühwinterlichen Temperaturen eine harte Herausforderung für das ganze Team - ob die Nachtszenen am Mönchsberg, Schneefall vor den Aufnahmen in der Felsenreitschule, leicht angeeiste Fahrbahnen im Parkhaus, die eiskalte Kirche in der Karthause Mauerbach oder die Szenen in der Dusche in einer aufgelassenen Fabrikshalle. "Normalerweise", so der Regisseur, "gibt es in einem Film ein Drittel schlimme Motive, wo es wirklich hart hergeht, ein Drittel halbschwere und ein Drittel gemütliche, wie Wohnzimmer oder Küche. Bei Silentium war außer dem Büro des Festspieldirektors alles Hölle, es war einfach alles kalt und nass und staubig und schlimm". Nass und schlimm ist auch das Finale des Films. Brenner klärt, was es zu klären gab, doch der verdiente Triumph für den Helden bleibt aus. Der Sieger bleibt ein Verlierer, die Verlierer bis auf einen bleiben obenauf und die Stadt hüllt sich wieder ins Schweigen. Der Fall ist gelöst, doch von Gerechtigkeit keine Spur. Ein tristes Ende, wenn da nicht irgendwer dem Brenner bei seinem Abzug aus Salzburg ein kleines Stückchen Glück auf die Straße gelegt hätte.

 

Karin Schiefer

2004