INTERVIEW

Stefan Ruzowitzky über DIE FÄLSCHER

 

«Was mich immer gereizt und fasziniert hat, ist der Publikumsfilm. Ich halte so etwas wie Anatomie für kulturpolitisch wertvoller als manches andere, das ich gemacht habe, weil ich es für wichtig halte, dass es weiterhin europäische Mainstream-Popcorn-Kinokultur gibt.»


Mit welchem Gefühl sind Sie nach Berlin hingefahren, mit welchem zurückgekommen?

STEFAN RUZOWITZKY: Hingefahren mit dem Wissen, dass es für so einen Film ein Jackpot ist, wenn man auf einem A-Festival in Deutschland im Wettbewerb läuft. Es hat sich erfüllt, was wir erwartet und erhofft hatten. Wir haben in Deutschland sehr viel Publizität bekommen – wobei es extrem hilfreich war, dass der Film einen sehr günstigen Premierentermin am ersten Festivalwochenende hatte – und auch sehr viel internationale Beachtung. Der nicht bekommene Preis ist nicht so wichtig – 80 bis 90% des positiven Effekts geht auf die Teilnahme im Wettbewerb und auf den guten Screening-Termin zurück. Zurückgefahren sind wir sehr zufrieden. Wir sind sehr gut angekommen, in den Kritikerspiegeln der Dailys waren wir immer an zweiter Stelle, gleichauf mit dem Gewinner und damit ging ganz konkret einher, dass sich der Film international sehr gut verkauft hat. Wenn die Einkäufer sehen, Publikum und Kritik mögen den Film, dann greifen sie natürlich schneller danach.


Wenn man diese Tage kurz vor bis kurz nach der Premiere Revue passieren lässt. Wie dicht war das Programm?

STEFAN RUZOWITZKY: Es ist extrem viel Presse gewesen, ich habe für mich feststellen müssen, dass dieses Thema sehr heikel war, was mir am Anfang nicht so ganz bewusst war. Ich kenne das von anderen Filmen, man macht mal eine flapsige Bemerkung oder einen gewagten Vergleich, das gilt dann als witzig und jeder freut sich darüber. Bei diesem Thema ist das sehr gefährlich. Ich habe mir alle Interviews zum Gegenlesen geben lassen, es passiert einfach immer wieder, dass das „nicht“ in einem Satz überhört wird und schließlich das genaue Gegenteil von dem, was ich gesagt habe, zu lesen ist. Wenn ich sage, dass der Film keinen normalen KZ-Alltag beschreibt, es nicht nur darum geht, dass die Menschen im Film massenweise umgebracht werden, dann kommt es gleich so rüber, dass mein Film ein KZ-light darstellt. Wenn das ein bisschen im falschen Zusammenhang steht, dann entsteht ein Eindruck, da müsste einer wegen Verharmlosung angezeigt werden. Das Problem an so einem Pressetag ist, dass man im Zehn-Minuten-Takt abwechselnd in Deutsch und Englisch Fernsehinterviews gibt, wo es weniger ums Inhaltliche als vielmehr ums Wording geht. Da besteht ein Unterschied, ob man Shoah oder Holocaust, Gefangene oder Inhaftierte sagt und das noch in verschiedenen Sprachen, das war ganz schön heavy. Am Ende des zweiten Tages war ein Journalist für eine israelische Zeitung da, da geht es weniger um den Film, sondern um Fragen der Geschichtsaufarbeitung, um Begrifflichkeiten und das korrekte Wording, und zwar auf Englisch. Ich kann halbwegs gut Englisch, aber da wird es dann super heikel. In einer Zeitung stand vereinfacht gesagt, der Film sei intelligenter als ich, das ist auch ok.


Gab es so etwas wie ein schönstes Kompliment?

STEFAN RUZOWITZKY: Das schönste Kompliment kam von Alexander Kluge, der gesagt hat, in den zwanziger Jahren hätte Ernst Lubitsch diesen Film gedreht.


Wie wichtig war Berlin für den Film und auch für Sie in der weiteren Karriereperspektive?

STEFAN RUZOWITZKY: Der Film hat sich schlagartig rund um die Welt verkauft, allein mit dem Verkauf nach Skandinavien hat der Weltvertrieb seine Garantiesumme herinnen.
Was mich betrifft – das ist halt Show-Biz, man hat ganz plötzlich wieder alte Freunde, ich habe einen Agenten im Amerika, der sich sofort gemeldet und irgendwelche Treffen organisiert hat. Das muss man sportlich nehmen, das ist ganz lustig, aber sehr schnell auch wieder vorbei. Was den Festivalbetrieb betrifft, so ist es für mich das zweite Mal nach Die Siebtelbauern, dass ich das mitmache, man erlebt das Ganze schon ein bisschen reflektierter und weiß, wie die Mechanismen funktionieren. Es geht letztendlich um Marketing- und PR-Strategien, wo Leute etwas investieren und am Ende mit einem Profit aussteigen wollen.


Wenn amerikanische Agenten sich melden, heißt das nun, dass es auch konkrete Projekte oder Vorschläge gegeben hat?

STEFAN RUZOWITZKY: Es wird sehr darauf ankommen, wie der Film in Amerika läuft. Ein Film kann in Europa noch so erfolgreich sein, wenn er in Amerika nicht so sehr im amerikanischen Kino funktioniert, hält sich die Begeisterung in Grenzen. Viel funktioniert darüber, ob man ein Regisseur ist, mit dem Nicole Kidman oder Russell Crowe gerne arbeiten würden, denn dann bekommt man einen fetten Job. So funktionieren dort die Mechanismen auch. Wenn die beiden unbedingt mit mir arbeiten wollen, dann würde mich das sehr freuen, umgekehrt wird es mich auch sehr freuen, wenn ich wieder etwas mit Karl Markovics machen kann. Amerika ist eine Möglichkeit. Ich habe viele Angebote bekommen für irgendwelche Horrorfilme 3. Teil, direct to video. Wozu soll ich das machen? Nur um in Amerika zu arbeiten? – da verliert man ja die Lust am Beruf. Es ist natürlich eine Herausforderung, aber man muss da sehr genau schauen, um welche Art von Projekt es sich handelt, man kann dabei viel gewaltiger auf die Schnauze fallen, als hier in Europa.


Die Fälscher haben Sie jetzt mit zwei kleinen Produktionsfirmen gedreht. Wie waren die Erfahrungen?

STEFAN RUZOWITZKY: Wie wichtig der kreative Beitrag eines Produzenten anzusetzen ist, ist immer schwierig. In Deutschland wie in Österreich ist das System meiner Meinung nach zu sehr auf Produzenten zugeschnitten. Wenn ein Produzent, wie in dem Fall, mit öffentlichen Geldern finanziert und diese aufgrund meines Namens und meines Drehbuchs bekommt, dann gehört – ohne seine Leistung schmälern zu wollen – am Ende der Film ihm, ohne, dass er sein Geld investiert hat. Das Argument des unternehmerischen Risikos, das immer von Seiten der Produzenten ins Spiel gebracht wird, das habe ich genauso. Mir wird bei Kritikern und Förderern All the Queen’s Men noch immer um die Ohren gehauen. Das war ein Flop, den ich gebaut habe, und wenn einem zwei größere hintereinander passieren, dann ist man weg vom Fenster und weißt nicht mehr, wie man seine Kinder ernähren soll. Ich kann dann nicht sagen, dann werde ich halt Aufnahmeleiter. Ich trage bei jedem Film ein gewaltiges unternehmerisches Risiko, was viel mehr mit meiner Person zu tun hat. Wenn ein Produzent einen Flop baut, wird ihm das weniger nachgetragen als mir als Regisseur. Das ist meiner Meinung nach ein grobes Missverhältnis. Es ist etwas anderes, wenn ich Anatomie mache, wo Columbia das Geld auf den Tisch legt oder der Produzent aus der eigenen Börse bezahlt. Der Druck auf meine Person bleibt immer der gleiche, ob die Firma nun groß oder klein ist. Die legistischen Rahmenbedingungen sind so, dass mich der Produzent, wenn es hart auf hart geht, rausschmeißen könnte. Ich habe mir eine Art Final Cut sehr hart erkämpft, bei so einem Thema muss das sein. Ich muss am Ende tagaus tagein bei Interviews sitzen und kann nur etwas vertreten, das zu hundert Prozent meines ist. Bei Anatomie ist das weniger tragisch. Es ist hier aber fast ehrenrührig, wenn man auf so etwas besteht, man gelangt in den Verdacht, kapriziös und schwierig zu sein, ich denke, es sollte eigentlich ganz normal sein.


Wie wird es nun mit nächsten Projekten weitergehen?

STEFAN RUZOWITZKY: Jetzt mache ich demnächst einen Kinderfilm – Hexe Lili. Das finde ich sehr gut nach Die Fälscher. Das ist etwas, wo man sich ein bisschen rausnehmen kann.
Wenn ich jetzt nach diesem Film gleich mit einem Splatter daher kommen würde, fände ich das blöd. Ein Kinderfilm ist auf jeden Fall erlaubt und mir bleibt ein bisschen Luft zu überlegen, was dann als nächstes Sinn macht. Das ist eine internationale Großproduktion aus Deutschland, Spanien, Italien, wo ich gerade versuche, die nach Österreich zu lotsen. Ich fände es sinnvoll für Österreich, sich daran zu beteiligen. Es ist zwar dann nur eine minoritär österreichische Koproduktion, wenn aber der Regisseur und Autor Österreicher ist, stellt es sich sehr österreichisch dar und ich zerre auch einen Schwung an Kreativen im Schlepptau mit. Ich halte so etwas für sinnvoller als wenn österreichische Produzenten für eine 15%-Beteiligung bei irgendeiner bosnischen oder dänischen Produktion gefördert werden, wo kein Mensch weiß, dass Österreich damit zu tun hat. Im Sinne von Innen- wie von Außenwirkung fände ich es sinnvoller, in so etwas österreichisches Steuergeld hineinzustecken.

 

Schaut man sich Ihre Filmografie an, dann ist die Faszination durch den Genre-Film nicht von der Hand zu weisen. 

STEFAN RUZOWITZKY: Was mich immer gereizt und fasziniert hat, ist der Publikumsfilm. Ich halte so etwas wie Anatomie für kulturpolitisch wertvoller als manches andere, das ich gemacht habe, weil ich es für wichtig halte, dass es weiterhin europäische Mainstream-Popcorn-Kinokultur gibt. Ich halte es für eine gefährliche Entwicklung zu sagen, amerikanische Filme sind unterhaltsam und professionell gemacht, europäische Filme sind Arbeit und mühsam. Das ist es, was die junge Kinogeneration heute lernt, während ich noch mit Italowestern, Terence Hill und Bud Spencer oder Louis de Funès aufgewachsen bin, da gab es noch europäischen Mainstream. Jetzt gibt es nur noch Arthouse und Programmkino. Gerade noch im Horrorfilmbereich kommt manchmal etwas. Meine Konzeption von Kino hat einfach mehr mit Kino als mit Filmkunst zu tun. Das Tolle am Kino war für mich immer die Tatsache, dass es demokratisch und unelitär ist, etwas, das sich nicht auf die Leserschaft des Feuilletons beschränkt. Ich möchte etwas machen, womit ich alle erreiche. Meine Vielseitigkeit ist ein zweischneidiges Schwert: karrieretechnisch wäre es schlauer, sich zur Trademark zu machen. Bei Haneke z.B. weiß das Publikum, was einen erwartet. Bei mir ist das nicht so. Wer Siebtelbauern gemocht hat und dann in Anatomie geht, erschreckt sich vielleicht und wenn Anatomie-Fans jetzt in Die Fälscher gehen, werden sich etwas anderes erwarten. Da ich so viele verschiedene Dinge gemacht habe, bekomme ich auch die verschiedensten Dinge angeboten, was wiederum sehr spannend ist. Es wäre sehr schade, wenn ich beim neuen Heimatfilm oder beim deutschen Teenie-Horror stecken geblieben wäre und nur mehr in eine Richtung arbeiten würde. Ich freue mich, dass es in dieser Vielfalt funktioniert.


An Angeboten wird es jedenfalls nicht mangeln?

STEFAN RUZOWITZKY: Nach den Die Fälscher wird es nicht Angeboten mangeln, nach Hexe Lili, müssen wir zuerst sehen wie die Hexe funktioniert. Es ist ein blöder Spruch, aber es stimmt in gewisser Weise, dass man so viel wert ist, wie der letzte Film. Das ist in der Branche so. So ganz schnell, werde ich, glaube ich, nicht abstürzen. Mit Die Fälscher habe ich eine Kontinuität, ich bin jetzt schon zehn Jahre auf einem höheren Niveau dabei, es klappt nicht alles, nicht jeder Film war ein Super-Knaller, einer war ein Flop. Aber man kann sich mal leisten, einmal was nicht so Tolles zu machen oder bei der Stoffauswahl etwas mutiger zu sein.

 

Interview: Karin Schiefer
2007