INTERVIEW

«Wie ein positives Zurückkommen»

 
Der Filmemacher Sigmund Steiner ist selbst auf einem Bauernhof groß geworden. In Holz Erde Fleisch reflektiert er über die sich wandelnde Bindung an Boden und Besitz. Nach dem Großen Diagonale-Preise wurde sein Langfilmdbüt beim DOK.fest München mit dem Viktor Dok.deutsch ausgezeichnet.
 
 
 
Holz Erde Fleisch ist ein persönlicher Essay, der Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater reflektiert, ohne ihn zu zeigen. Ein erzählerisches Prinzip, das Präsenz durch visuelle Abwesenheit erzeugt, bedarf umso mehr einer Vorgeschichte. Können Sie diese kurz erläutern?
 
SIGMUND STEINER: Ich wollte anfänglich einen Dokumentarfilm über Arbeit und das Verhältnis von Mensch und Material machen: eben mit Holz, Fleisch und Erde. Eine weitere Idee war ein  Dokumentarfilm über abwesende Väter. Diese beiden Stränge flossen dann zu Holz Erde Fleisch in seiner jetzigen Form zusammen. Das Konzept der thematischen Dreiteilung und des visuellen Aussparens meines Vaters stand sehr früh fest. Wichtig war es dann, die passenden Protagonisten zu finden.
 
 
Was konkret hat die beiden Stränge zusammengeführt?
 
SIGMUND STEINER: Ich hatte lange die Tendenz, die Auseinandersetzung mit meinem Vater zu verdrängen. Es war aber ein Zeitpunkt gekommen, wo ich es mir zutrauen konnte, näher hinzuschauen. Ich habe das Projekt dann beim Bundeskanzleramt mit einem START-Stipendium ausgebaut und weiterentwickelt.
 
 
Sie erzählen eingangs, dass Sie Ihren Vater einmal in Ihrem Leben weinen sahen, nämlich dann, als ihm bewusst wurde, dass er aufgrund der Scheidung die Hälfte seines Besitzes verlieren würde. Der Verlust der Familie schmerzte ihn offensichtlich weniger. Verletzend und befremdlich für Sie. Könnte ihm in diesem Moment auch sein Scheitern und Versagen als Sohn und als Familienoberhaupt bewusst geworden sein, die lange Familientradition weiterzuführen?
 
SIGMUND STEINER: Das kann schon sein. Ich hatte den Eindruck, dass er sich stets zwischen der bäuerlichen Tradition, aus der er kam und den Aufgaben, die sich durch die „ausgesuchte“ Familie mit Frau und Kindern ergaben, aufgerieben hat. Diese Anforderungen gingen bei ihm nicht zusammen.
 
 
Zwei der drei Protagonisten begegnen wir bei einer Schlachtung und beim Fällen eines Baumes. Der Schnitt zwischen Leben und Tod, dieser letzte Akt im breiten Spektrum ihrer Tätigkeiten steht am Beginn. Von da an erleben wir als Zuschauer eine Entwicklung und langsame Öffnung dieser Menschen, die nicht nur eine Hingabe und Liebe zu ihrer Tätigkeit vermitteln, sondern und ihre emotionalen Seiten öffnen. Warum dieser Einstieg?
 
SIGMUND STEINER: Ich wollte nicht, dass sofort Menschen auf die Zuschauer einreden, sondern Gelegenheit bieten, den Protagonisten ruhig und unkommentiert bei der Arbeit zuschauen zu können. Vor allem war es mir wichtig, das Ergebnis ihrer Arbeit zu zeigen – das geschlachtete Tier als Ergebnis von Aufzucht und Pflege, der gefällte Baum, der nach Jahrzehnten des Wachsens umgeschnitten wird, die geerntete Kartoffel des Gemüsebauern. Ich wollte, dass man als Zuschauer sofort involviert ist. Die Annäherung an die Protagonisten als Menschen und als Väter findet dann erst im Laufe des Films statt.
 
 
„Einen Bauern kann man erst verstehen, wenn man mit ihm im Wald, auf dem Feld oder auf der Alm war,“ sagte ihr Vater. Stand die Suche nach den drei Protagonisten vor allem mit diesem Satz Ihres Vaters in Verbindung?
 
SIGMUND STEINER: Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass man von Dingen, die man gut kennt, besser erzählen kann. Ich wollte Menschen bei Tätigkeiten zeigen, die ich aus meiner eigenen Kindheit kenne, die mein Vater selbst gemacht hat und die dem Holz Erde Fleisch-Thema entsprechen. Bei der Suche nach den Protagonisten stellte sich heraus, dass es viele Mischbauern gibt, aber auch solche, die sich auf einen Bereich konzentrieren. Die Hertls arbeiten als reine Gemüsebauern. Martin, der im Wald arbeitet, besitzt aber auch Wiesen und Äcker, seine Haupttätigkeit konzentriert sich jedoch auf den Wald. Ich wollte auf keinen Fall großindustrielle Betriebe. Geografisch sind wir in Ostösterreich geblieben, einmal in der Steiermark, zweimal in Niederösterreich. Wir hatten nicht mehr als sechs Kandidaten, drei kristallisierten sich sehr schnell raus.
 
 
Die Protagonisten scheinen nicht alle aus Betrieben mit einer langen Familientradition zu stammen.
 
SIGMUND STEINER: Zusätzlich zur Bewirtschaftung suchten wir nach Betrieben, wo die Familiensituationen unterschiedlich waren. Wir haben einen Bauern, der schon in der dritten oder vierten Generation den Hof führte, Herbert, der Schafzüchter, ist auf einem kleinen Bauernhof aufgewachsen, er hat ihn verlassen, in Graz als Grafiker gearbeitet und ist wieder aufs Land zurückgezogen. Er erzählte, dass er weggehen musste, um wieder zurückkommen zu können. Ähnlich war es bei Martin. Nur ging der noch weiter weg. Nach Australien.
Es war uns sehr wichtig, dass es nicht nur ein Film über Arbeit und Material ist, sondern dass es ein Familienfilm wird. Dabei wollten wir nicht nur die Linie von den Vätern zu den Söhnen und Töchtern betrachten, sondern auch in die andere Richtung schauen. Deshalb kommt auch Martins Vater vor, der wieder eine andere Sicht hat. Er spricht auch einen Bauern an, der lauter Töchter hat. Die bäuerliche Arbeit ist mehr von einer harten körperlichen zu einer logistischen Arbeit geworden. Es ist eine Tätigkeit, die nicht mehr von einem X- oder Y-Chromosom abhängig ist. Die Frage ist, ob man sich die Arbeit antun will. Mit einer 40-Stunden-Woche ist es nicht getan.
 
 
Die Aufnahme-Situationen wirken sehr spontan. Wie haben Sie sich selbst und ihre Gesprächspartner auf den Dreh vorbereitet.
 
SIGMUND STEINER: Die grundlegende Abmachung lautete: Wir schauen unseren Protagonisten bei der Arbeit zu. Wir wollten den Kreislauf der Arbeit und den Kreislauf der Jahreszeiten zeigen. Es war schnell klar, dass wir zu den Pflanz-, Pflege- und Ernteterminen mit unserer Kamera dabei sein wollen. Die Gespräche haben sich dann meist zwischendurch ergeben. Wenn man sich selbst öffnet, dann öffnet sich meist auch das Gegenüber.
 
 
Die Kamera überließen Sie dabei Michael Schindegger. Wie stimmten Sie Ihre Arbeit aufeinander ab?
 
SIGMUND STEINER: Michael Schindegger ist nicht nur ein sehr guter Kameramann, sondern führt selbst auch Regie in Dokumentarfilmen. Ich denke, daher hat er auch sein gutes Gespür für Nähe und Distanz. Wir waren uns eigentlich immer einig, welches Bild für uns gerade das richtige war. Formal entschieden wir uns, in Cinemascope zu drehen, weil wir den Menschen und den Landschaften Raum geben wollten.
 
 
Sie selbst kommen über einen Off-Text zu Wort. Wie entstand der Off-Text?
 
Ich überlegte, welche Bilder mir spontan zu meinem Vater einfielen und welche Geschichten zum Film passen könnten. Im Zuge des Schnitts sind auch immer wieder Passagen aus dem Off-Text rausgefallen, der Text hat sich in diesem Prozess immer mehr verdichtet.
 
 
Was haben die Dreharbeiten mit Ihnen gemacht? Hat sich Ihre Sicht auf Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater verändert?
 
SIGMUND STEINER: Wir haben z.B. die Kartoffelernte Ende Oktober gedreht. Es war trotzdem ein sonniger Tag mit über 20 Grad, und ich habe es sehr genossen auf einem Feld zu stehen und „meine“ Arbeit machen zu können. Es war für mich wie ein positives Zurückkommen, umso mehr als in der Familie dort ein starker Zusammenhalt spürbar war, wie ich ihn bis dahin nicht gekannt hatte. Es war die Gelegenheit, in die eigenen Erinnerungen zurückgeworfen zu werden und zugleich neue Erfahrungen machen zu dürfen, die nicht von Konflikt geprägt waren. Das Verhältnis zu meinem Vater hat sich nicht wirklich geändert. Er ist zwar zur Premiere gekommen. Wir haben auch miteinander geredet, er hat aber eine Strategie, gewisse Dinge auszublenden. Vielleicht dauert es noch.
 
 
Könnte ein Bemühen der Elterngeneration, zur landwirtschaftlichen Arbeit einen positiven, weniger rigiden Bezug herzustellen, etwas in der Haltung der Kinder bewirken, wie es Martin mit seiner Tochter Mia vor Augen führt?
 
SIGMUND STEINER: Ich gehöre schon einer Generation Söhne an, die es sich aussuchen konnte. Die Generation meines Vaters oder Großvaters hatte diesen Luxus nicht. Da war der Druck gewiss größer. Früher durfte oft ja nur ein Kind unter den Geschwistern studieren. Sich damals gegen eine Hofübernahme zu wehren, hat sehr viel Widerstand hervorgerufen. Ich betrachte es als Luxus, dass ich mich für einen anderen Beruf entscheiden konnte. Martin führt seine Tochter Mia sehr liebevoll zu einer Beziehung zur Natur heran. Sollte sie es eines Tages übernehmen wollen, dann hat sie einen guten Start gehabt, sollte sie sich dagegen entscheiden, dann gibt es sicher Schlimmeres als sich mit Bäumen und Wiesen auszukennen.
 
 
Der Film eröffnet mit einem Bild der Dämmerung, auf gibt es mehrere Aufnahmen im Dämmerlicht. Liegt da auch ein Bezug zur Situation der eher kleineren Landwirtschaft nahe?
 
SIGMUND STEINER: Die Bauern stehen an einer Weggabelung, da aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten die bäuerlichen Mittelbetriebe verschwinden. Ein Bauer muss heute sehr groß sein und oft mehrere hundert Hektar Land haben, um eine Gemüsewirtschaft zu betreiben oder man muss sich sehr spezialisieren. Andererseits wird der Bio-Bereich größer und der Nachhaltigkeits-Gedanke stärker. Wer hätte sich vor ein paar Jahren gedacht, dass es in allen Supermarkt-Ketten eine Bio-Linie gibt. Wir als Konsumenten können mitentscheiden. Gemeinsam können wir was verändern.
 
 
Interview: Karin Schiefer
Mai 2016
«Ich gehöre schon einer Generation Söhne an, die es sich aussuchen konnte. Die Generation meines Vaters oder Großvaters hatte diesen Luxus nicht.»