INTERVIEW

Roland Teichmann im Gespräch

 

 

Als Roland Teichmann 2004 die Leitung des ÖFI übernahm, verantwortete er ein Budget von € 9,6 Mio. Neun Jahre später ist das Jahresbudget des ÖFI auf mehr als das Doppelte, auf € 20 Mio angewachsen. Teichmanns Vertrag an der Spitze des ÖFI wurde bis 2019 verlängert. Ein Gespräch über Perspektiven im österreichischen Filmschaffen.



Das Jahr 2013 könnte kaum besser verlaufen: Zunächst der zweite Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film in Ihrer Zeit als Direktor des ÖFI, dann die Erhöhung des ÖFI-Budgets auf € 20 Mio und schließlich die Verlängerung Ihres Vertrages bis 2019. Ist nicht gerade der Moment, wo sich alles Angestrebte erfüllt, einer, wo die größte Wachsamkeit gefordert ist, weil sich gerade da am dringlichsten die Frage nach der richtigen Richtung stillt, die es nun einzuschlagen gilt?
Roland Teichmann: Spätestens dann. Ich habe natürlich schon vorher darüber nachgedacht. Diese positiven Momente sind natürlich nicht berechenbar. Man kann darauf hinarbeiten, die weiterführenden Gedanken muss man sich jedoch vorher machen. 2013 ist in der Tat ein glückliches Jahr, wo sich viele Dinge fügen, aber es ist eine Momentaufnahme, für die dasselbe wie im Fußball gilt: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ und der Erfolg von gestern ist schnell vergessen. Die Filmförderung ÖFI steht nie alleine da, sondern braucht verlässliche Partner, um Filme entstehen zu lassen. Die Mittelerhöhung ist eine tolle Sache, versetzt uns aber nicht in die Lage, dass wir nun im Alleingang Projekte unterstützen können. Wir brauchen nach wie vor den Filmfonds Wien, den ORF, regionale Filmförderungen oder internationale Partner. Dieses Zusammenspiel ist wichtig und wird immer komplexer. Filmförderung ist wie Filmproduktion immer ein Kampf mit den Um- und Zuständen in der Branche, die ständig in Bewegung ist. Das ist gut so. Stillstand wäre der denkbar schlimmste Zustand. Es gibt aber im Umfeld der Förderung sehr rasante Entwicklungen, die schwer einzuschätzen sind. Reduziert man es auf die rein finanzielle Situation, dann ist es eine Tatsache, dass uns die 20 Mio Euro Luft und Atem geben, die wir sonst nicht hätten.
Entscheidend wird die Frage sein, wie es 2014 mit unseren Partnern, vor allem mit dem ORF sein wird. Wie geht es mit dem Film-Fernseh-Abkommen weiter? Aktuell in Cannes wird auch eine Diskussion um die neue Kinomitteilung geführt. Die Debatte um die Filmförderung wird bei uns sehr oft reduziert auf das Fördersystem im eigenen Land betrachtet. In Wirklichkeit werden die Regeln für die Filmförderung in der Europäischen Kommission gemacht. Europa gibt den Takt vor und ist dabei nach zehnjähriger Evaluierungs- und Entwurfsphase nun dabei, eine neue Kinomitteilung vorzulegen, die die Basis für sämtliche Filmförderungen in Europa bilden wird. Dies wird in einzelnen Bereichen für uns Änderungen bringen, die im Detail noch nicht feststehen.

Unabhängig von den Diskussionen ums GATS?
Roland Teichmann: Das kommt noch dazu. Zunächst ging es nur um die Kinomitteilung und die so genannte „exception culturelle“, die legitimiert, dass wir über die Filmförderung mit Steuergeldern in den Wettbewerb der Filmproduktion eingreifen dürfen, weil Film als Kulturgut betrachtet wird. Auf juristischer Ebene bewegen wir uns zu 100% im kulturellen Bereich. Die Grenzen verschwimmen da: Gegenüber der EU wird meist der kulturelle Aspekt betont, gegenüber der heimischen Politik der wirtschaftliche, weil es um knappe Steuergelder geht. Was nie genug betont wird: Filmförderung rechnet sich volkswirtschaftlich immer allein schon durch die Herstellung, durch die Beschäftigung und das zusätzliche Produzieren von Steueraufkommen. Unabhängig vom Verwertungserfolg steckt in jedem geförderten Euro ein Wertschöpfungsfaktor von rund einem Euro. In diesem Spannungsfeld Kultur/Wirtschaft bewegt sich der Film immer schon. Zusätzlich zur Diskussion um die Kinomitteilung tauchten nun plötzlich die GATS-Verhandlungen auf. Das Thema ist nicht neu, die Debatte ist aber in ihrer Intensität plötzlich sehr schnell gewachsen. Würde es zu einer Liberalisierung der „exception culturelle“ kommen, dann wäre das sehr problematisch. Nicht umsonst ist die europäische Filmbranche so sehr in Aufruhr und fundamentaler Opposition zu den sehr liberalen Tendenzen, die es zum Teil in der Kommission gibt. Ich gehe nicht davon aus, dass sich der überbordende Liberalisierungsansatz auf den Kulturbereich und somit auf den Filmbereich ausdehnen wird. Die Filmförderung in Europa ist eine Art „Industrie“ geworden. In der EU werden jährlich Filmförderungen in der Höhe von 3 Mrd Euro vergeben, 2011 hat die EU Filmwirtschaft 1285 Spielfilme produziert, diese Filme werden zu 80% über Förderungen finanziert. Da geht es, wenn die Vergabe auch sehr aufgesplittert erfolgt, in Summe um sehr viel Geld. Die Europäische Kommission hat ihre Grundprinzipien, deren Anwendung, insbesondere die Territorialisierung von Effekten und die Zulässigkeit von Förderbeteiligungen betreffen, in der seriellen industriellen Produktion Sinn macht. Film ist allerdings kein serielles, sondern ein individuelles, künstlerisches  Produkt und es gibt für europäische Filme in der Regel nicht den europäischen Markt als Gesamtmarkt. Der „normale“ europäische Film funktioniert so halbwegs im eigenen Land und dann, wenn’s gut geht, im Nachbarland ein bisschen. Das grenzenlose Marktdenken der Kommission stößt beim Film sehr schnell an die Grenzen des Realistischen. 

Das ÖFI steht nun neun Jahre unter Ihrer Leitung. Erinnern Sie sich noch, welche „Baustellen“ Sie übernommen haben? Wie hoch war das Budget in den Jahren 2004/2005?
Roland Teichmann: Das Budget lag bei weniger als der Hälfte – bei 9,6 Mio Euro. Manchmal frage ich mich, wie es damals mit so wenig Geld gelungen ist, so relevanten Output zu erzeugen. Ich möchte nicht von Baustellen sprechen, da das ÖFI von Gerhard Schedl, der es 23 Jahre geleitet hat, als extrem wohl bestelltes Haus übergeben wurde. Ich habe versucht, andere und eigene Schwerpunkte zu setzen, ohne eine Revolution anzuzetteln, die nicht notwendig war. Zunächst brauchte ich auch Zeit, um in diesen Job überhaupt richtig hineinzuwachsen. Den Beruf Leiter einer Filmförderung kann man nur „on the job“ lernen kann. Es ist eine extrem komplexe Tätigkeit, ausgehend vom juristischen Bereich über den politischen und inhaltlichen, alle greifen ineinander. Es dauert seine Zeit, bis man die Zusammenhänge begreift und die Wichtigkeiten richtig einschätzen kann. Dann kam es in kleineren Schritten zu Umsetzungen, über die man am besten gar nicht zu viel redet. Am effizientesten sind die Dinge, die man einfach macht, ohne sie in Manifeste o.ä. hineinzuschreiben. Die Branche ist sehr heterogen, sehr vital, es bewegt sich sehr viel und da kann es nicht das Ziel sein, es allen Recht zu machen. Das heißt nicht, dass man Diskussionen aus dem Weg gehen soll. Es soll keine bequeme Position sein, ich denke, es ist eine effiziente Position und in den letzten Jahren ist einiges weiter gegangen. Die Förderung wird letztendlich am Output gemessen. Man kann strukturell gute Arbeit machen, gemessen wird dennoch am sichtbaren Ergebnis. Die Ergebnisse waren gottseidank nicht die schlechtesten. Es liegt wirklich eine sehr lange Kette an Erfolgen hinter uns, die gemessen an der Bewegung und der Konkurrenz am internationalen Filmmarkt nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Wir haben mit vergleichsweise wenigen Mitteln als kleines Produktionsland einen Output erzeugt, um den uns sehr viele beneiden. Lange Zeit galt Dänemark als Musterbeispiel, nun dient Österreich für viele als „role model“. In Österreich besteht die Tendenz, Dinge eher von ihrer negativen Seite zu betrachten, international gibt es den umgekehrten Reflex, Leute kommen, um unser System zu studieren, weil es so gut funktioniert. Es gibt weder Patentrezepte noch Allheilmittel, aber so rasend schlecht kann unser System nicht sein. Es wird auf alle Fälle viel daraus gemacht, was nicht an einer isolierten Position allein liegt. Das ÖFI nimmt aufgrund seiner Aufgaben und seines Budgets in Österreich eine gewisse Vorreiterstellung ein, dennoch können die Filme nur in Zusammenarbeit mit unseren Partnern funktionieren.
Ich begrüße die aktuelle Initiative der Akademie des Österreichischen Films, das aktuelle Fördersystem zu überdenken. Ich halte es für gut, etwas wie eine „Gesundenuntersuchung“ durchzuführen und zu schauen, wo man etwas verbessern kann. Diese Diskussion muss man unverkrampft und ergebnisoffen führen. Es gibt viele Systeme, die möglich sind. Man muss sich anschauen, welches am besten zu unseren Produktionsverhältnissen passt. Systeme sind wichtig und sollen flexibel sein. Man muss sich dabei aber stets vor Augen halten, dass es prioritär um Inhalte geht. Die Frage ist, ob die Projekte besser werden, weil das System ein anderes ist. Inhaltlich betrachtet nimmt die Filmförderung ja eine passive Rolle ein. Wir wählen aus den eingereichten Projekten aus. Die Projektentwicklungsarbeit liegt beim Produzenten. Es ist Aufgabe der Produzenten, bestmögliche Projekte vorzulegen. Ich halte es für eine relevante Frage, wie man die Projektqualität in einer stärkeren Kontinuität und Quantität verbessern könnte. Da ist das Fördersystem ein bedingtes Mittel, da muss auch die andere Seite ansetzen.

Mit der Mittelerhöhung des ÖFI auf € 20 Mio ist nun einer langjährigen Forderung der Filmbranche nachgekommen worden. Die frohe Botschaft, hat aber auch eine Kehrseite: die Bundesregierung hat die bis 2013 dem ORF zugesprochene Gebührenrefundierung nicht verlängert. Was einen finanziellen Einbruch in der dritten Finanzierungssäule – dem Film-/Fernseh-Abkommen – in der heimischen Filmproduktion zur Folge haben könnte. Wird das bedeuten, dass der Budgetzuwachs des ÖFI in erster Linie dazu da ist, Einbußen an anderer Stelle auszugleichen?
Roland Teichmann: Es ist bis zu einem gewissen Grad ja schon jetzt so, dass das ÖFI im Vergleich zu ORF und Filmfonds Wien verhältnismäßig mehr Geld hat und das spiegelt sich auch spätestens seit einem Jahr in den Finanzierungsplänen wider. Wir haben in der Tat mehr Geld, was nicht heißen soll, dass wir systematisch bei jedem Projekt proportional mehr Geld ausgeben. Die Sache mit dem Film-/Fernsehabkommen ist seit langem problematisch. Die Mitfinanzierung des Kinofilms durch den ORF ist durch kein Gesetz geregelt. Es gibt nur ein Abkommen zwischen ÖFI und ORF. Jeder Vertrag ist kündbar. Ich glaube nicht, dass der ORF so weit gehen wird, das Film-/Fernseh-Abkommen aufzukündigen. Das wäre politisch nicht tragbar und in der Tat in jeder Hinsicht unverantwortlich, wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender die Mitfinanzierung von Kinofilmen dem Sparstift opfern würde. Es geht um die Frage der Dotierung, die immer wieder neu verhandelt werden muss. Durch die Gebührenrefundierung, die der ORF in den letzten drei Jahren erhielt, ist auch das Budget des Film-/Fernseh-Abkommens angewachsen. Diese Vereinbarung läuft mit 2013 aus, wie hoch die Dotierung des Film-/Fernseh-Abkommen 2014 sein wird, ist ungewiss. Es ist eine unglückliche Diskussion, denn ich halte es für unsachgemäß, die Gebührenrefundierung als Druckmittel gegen die Politik zu verwenden. Ohne jetzt belehren zu wollen, glaube ich, dass sowohl der ORF als auch die Politik aufgerufen sind, mit einer gesetzlichen Regelung klare Verhältnisse zu schaffen. Ein öffentlich-rechtlicher Sender hat auch einen öffentlich-rechtlichen Programmauftrag, um sich als solcher zu legitimieren. Dazu zählt der Kinofilm. Das muss in ein Gesetz gegossen werden, in dem festgehalten ist, wie viel Prozent des Gebührenaufkommens der ORF für österreichisches Programm zur Verfügung stellt.

Sie stehen also hinter der aktuellen Forderung des Produzentenverbandes?
Roland Teichmann: Absolut. Ich halte die geforderten 20% für das Minimum, ich tendiere eher dazu, 25% zu sagen. Der ORF wird an seinem Programm, nicht an seiner Struktur gemessen, dafür muss er Rahmenbedingungen schaffen. Was ich am Bildschirm sehe, steht im Wettbewerb mit den anderen Sendern, das ist das Aushängeschild. Man sollte endlich aus der Struktur/Kosten-Falle rauskommen und hinein in eine Dynamisierung des Inhalts kommen. Darum muss es beim Fernsehen gehen. In diesem Gesetz muss auch das Film-/Fernseh-Abkommen berücksichtigt werden. 10 bis 12 Mio Euro jährlich für den Kinofilm würde ich für einen fairen Betrag halten. Damit könnte man gut und perspektivisch arbeiten.

2014 schaut demnach nicht gut aus.
Roland Teichmann: Das würde ich noch nicht sagen. Ich bin tendenziell ein realistischer Optimist. Es hat schon andere magere Jahre mit dem ORF gegeben und auch die haben wir über die Runden gebracht. Was wir brauchen, sind klare Regelungen, die nicht immer wieder neu verhandelt werden müssen. Es muss eine gute Basis her. Wenn das gelingt, ist schon gewonnen. 2014 kann ein mageres Jahr werden. Ich hoffe nur, dass es nicht zu größeren Flurschäden führt. Alles, was aufgrund von verschleppten und nicht erfolgten Zahlungen unmöglich gemacht wird, erzeugt relativ schnell größere Schäden, die nicht so schnell aufzufangen sind. 2014 wird sicher kein einfaches Jahr, wir können nur das Beste daraus machen. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Branche so ganz allein gelassen wird. Da hat sich durch die Erfolge schon etwas geändert. Das zählt für mich auch zu einer der wesentlichen Änderungen der letzten Jahre, dass die Wahrnehmung des Themas Film in der Politik eine andere geworden ist. Politische Wahrnehmung hat auch etwas mit gesellschaftlicher Wahrnehmung zu tun. Da hat der österreichische Film in den letzten Jahren einen Quantensprung gemacht. Schwierig ist es aber, diese hohe Latte zu halten. Es wird auch wieder Jahre ohne Oscar-Nominierung geben und das ist ganz normal. Wir sind schon ein bisschen wie Ikarus unterwegs und ein bisschen zu nah an der Sonne. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn wir wieder ein bisschen in den Sinkflug gehen und dann auf einer guten Flughöhe bleiben.

Eine Neuerung der letzten Jahre ist die Förderung durch FISA, den Filmstandort Österreich FISA. Ursprünglich als Instrument geplant, mehr internationale Großproduktionen nach Österreich zu holen, hat es in vielen Fällen als Instrument der Spitzenfinanzierung für verschiedenste Projekte funktioniert? Worin hat sich das Modell bewährt?
Roland Teichmann: FISA ist ein Modell, das sich sehr bewährt hat und höchst überfällig war. Ich begrüße es sehr, dass es nun um zwei Jahre verlängert wurde. Die Verlängerung erfolgte aufgrund einer Evaluierung, die ergab, dass jeder Euro von FISA in Österreich Ausgaben von € 4,33 erzeugt hat. Wo gibt es die Kreativbereiche, die eine so gute Wertschöpfung haben? Es ist eine sinnvolle Investition. FISA hat ja keine Qualitätskritierien, sondern Zugangskriterien, die nach einem Punktesystem geregelt sind. Es ist kein Wunder, dass nicht die großen Hollywoodproduktionen angeklopft haben. Die Möglichkeiten von FISA werden durch den finanziellen Rahmen definiert. FISA hat ein Jahresbudget von € 7,5 Mio. Das bekommt wahrscheinlich ein Tom-Cruise-Film allein, wenn er in Berlin-Brandenburg dreht. In dieser Liga können wir nicht mitspielen. Mit einer Summe, die für uns viel Geld bedeutet, kann man international nur kleine Brötchen backen. Es war ziemlich klar, dass ein Gros des FISA-Gelds für rein oder majoritär österreichische Projekte Verwendung finden wird. Das ist auch gut so. Um in der internationalen Champions-League mitspielen zu können, müsste man das FISA-Budget vervierfachen und Standortmaßnahmen in Form von Studios setzen, die den internationalen Standards entsprechen. Das sind undenkbare Investitionen. Ich hielte drei, vier internationale Projekte, die hier mehr Geld ausgeben als sie bekommen haben, für ausreichend.

Gesetzt den Fall, das ÖFI muss keine Lücken an anderer Stelle ausgleichen und es kommt de facto zu einer Erhöhung der Budgets, worin sehen Sie dieses Mehr am besten investiert? Wird es mehr Projekte geben oder mehr Geld in weniger Projekte?
Roland Reichmann: Einen Ausgleich wird es brauchen. Es wird dazu führen, dass wir mehr Geld in weniger Projekte geben und nicht mehr Projekte finanzieren können. Wir haben nichts davon, wenn wir 20 Projekte anfinanzieren und die anderen Förderpartner nur bei zwölf mitgehen. Was machen wir mit dem Geld, das für acht Projekte gebunden ist und wo sich nichts bewegt. Wir müssen darauf achten, dass die Förderung in den Kreislauf gespeist wird und dann auch zu Herstellung führt und keine Eventualprojekte auf Halde liegen. Das ist nicht zielführend. Natürlich gibt es immer Modelle, Szenarien, die ich durchspiele. Viel hängt aber auch immer von den eingereichten Projekten ab. Es geht nie um einen Termin, sondern ums ganze Produktionsjahr. Es geht immer um gesamthafte Entscheidungen, die immer in Relation zueinander stehen. Letztlich hängt es davon ab, welche Projekte am Tisch liegen. Das ist der Maßstab und danach wählt man die Strategie.

 

Wo orten Sie weiteren Unterstützungsbedarf in der österreichischen Filmbranche? 
Roland Teichmann: Bedürfnisse gibt es immer. Die Bereiche Entwicklung und Verwertung sind Felder, die sich immer in einem Zustand der Verbesserungswürdigkeit befinden. Im Aufsichtsrat des ÖFI hat es eine sehr sinnvolle Initiative gegeben, die Stoffentwicklung zweistufig zu gestalten. Es gibt zum ersten Mal die Möglichkeit, eine Stoffentwicklung nicht sofort in eine Projektentwicklung münden zu lassen, sondern eine zweite Stoffentwicklung anzuhängen, um vor allem nochmal am Buch zu arbeiten. Ein Drehbuch kann nicht gut genug sein. Es wird oft moniert, dass Projekte zu früh in Produktion gehen. Diese Zwischenstufe soll die Möglichkeit bieten, noch eine Runde zu drehen und inhaltlich am Buch zu arbeiten. Der Bereich der Entwicklung muss in Zukunft am intensivsten dynamisiert werden, um die Projekte auf ein bestmögliches Niveau zu bringen. In der Verwertung ist sehr viel im Fluss. Der klassische Weg vom Plakate-Kleben in der Hoffnung, dass jemand ins Kino kommt, differenziert sich ja immer stärker aus. Trotz der gesetzlichen Sperrfristen werden die Verwertungswege immer simultaner. Verwertung ist ein Bereich, wo die Förderung noch relativ statisch und konservativ funktioniert und wo man in der nächsten FFG-Novelle überlegen muss, wie man für einen dynamischen Verwertungsprozess die Weichen stellt. Da verschiebt sich vieles. Kino ist eine von vielen Rezeptionsformen von Film, jede Form von mobiler Rezeption über Download muss mitbedacht werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Kino total sein Terrain verliert, man muss aber in Einzelfällen die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Kinostarts stellen. Kinostart als Option soll nicht leichtfertig ausgeklammert werden, es muss aber nicht jeder Film ins Kino kommen. Man muss sich projektbezogen überlegen, welche Verwertungsform für einen Film die am besten geeignete und zielführendste ist, um das größtmögliche Publikum zu erreichen. Es gibt Filme, die sind gut gelungen, erreichen aber im Kino nur 1000 Zuschauer und damit ist’s erledigt. Mit Special Screenings, was zeit- und kostenintensiver ist, käme man vielleicht auf das Zehnfache. Da muss man mehr experimentieren und die Förderung ist da gefragt, mehr Flexibilität innerhalb der bestehenden Regeln zuzulassen. Es gibt bereits zahlreiche Versuche, über die  klassische Kinoverwertung hinaus immer gesamthaftere Konzepte zu entwickeln. Es besteht zum Beispiel bereits jetzt die Möglichkeit, im Zuge der Herstellung den Verwertungsprozess gezielter und konkreter mitzudenken. Es gibt ja das Berufsbild des PMD (Producer of Marketing and Distribution). Jede Produktionsfirma, die für Herstellung einreicht, kann einen PMD als Teil des Herstellungsbudgets kalkulieren, der für die Dauer der gesamten Produktion angestellt wird und ab der Vorproduktion beginnt, das Terrain für den entstehenden Film, medial und PR-mäßig zu bearbeiten, die nötigen Netzwerke knüpfen, sodass der Film bis zum Kinostart medial bereits gut verankert ist. Erfolgsgarantie gibt auch das nicht. Fest steht, dass die Verwertung nach gezielten Konzepten verlangt, die projektspezifisch zu betrachten sind und nicht nach Schema F ablaufen.

Unifrance hat kürzlich die aktuellen Zahlen zu AMOUR veröffentlicht, demnach haben beinahe 3.370 000 Zuschauer den Film in 13 Ländern gesehen. AMOUR ist einer der großen Ausnahmefälle, der die scheinbar antagonistischen Kriterien von künstlerischem Anspruch und Marktorientiertheit aufgehoben. Der Film bewegt sich jenseits der klassischen Parameter von Kunst und Markt. Ein stets wiederkehrender Diskussionspunkt ist der um den nationalen Marktanteil. Wie wichtig ist ein nationaler Marktanteil noch in der aktuellen Entwicklung der internationalen Filmverwertung?
Roland Teichmann: Diese Diskussion hat viele Facetten. Eine davon ist die, dass wir mit österreichischem Steuergeld operieren, deshalb muss ich dieses Steuergeld in Österreich sichtbar machen. Haneke ist ein Glücksfall, weil er bei uns auch funktioniert. Es gibt aber Filme, die sich international ganz gut verkaufen, im eigenen Land keine Riesenzahlen erreichen, d.h. in Summe zwar ein ganz gutes Ergebnis erreichen, im Inland leider nicht die Aufmerksamkeit erzeugen, die dann mit der Filmförderung verknüpft werden. Andererseits ist die Verkürzung auf den nationalen Marktanteil nicht wirklich zulässig, weil Film ein internationales Medium ist und österreichische Kreativleistung und Authentizität in die Welt hinausträgt. Man muss es immer in Kombination zueinander zu sehen. Ich hab nichts davon, im Ausland präsent zu sein und im Inland kennt uns keiner und umgekehrt. Die Waage schlägt bei uns zu Ungunsten der nationalen Wahrnehmung aus. Der nationale Marktanteil ist in der Tat ausbaufähig, ich halte ihn aber auch nicht für dramatisch schlecht. Ich glaube nicht, dass wir in der Filmförderung die nationalen Blockbuster verhindern, die sind schlicht und einfach nicht da. Die Diskussion auf den nationalen Marktanteil ist insofern auch verkürzt, als es eine rein mathematisch messbare Größe ist, um die allein es nicht geht. Es geht auch um die Relevanz von Filmen. Es gibt auch Filme, die machten nur ein paar tausend Zuschauer, haben aber eine unglaubliche mediale Relevanz erzeugt und haben eine Haltbarkeit, die in zehn Jahren auch noch sichtbar sein wird. Andere Filme folgen einer Mode, reüssieren vielleicht als Blockbuster, haben aber eine andere Halbwertszeit. Als Förderer dürfen wir uns um diese Diskussion nicht herumschwindeln. In einer idealen Welt hätten wir jedes Jahr zwei, drei Filme, die auf A-Festivals inklusive Preise reüssieren und mindestens drei nationale Filme, die über 100.000 Zuschauer machen. Das wäre toll. Wir befinden uns allerdings in keinem Wunschkonzert. Wir müssen die Balance im Auge behalten, das Pendel schlägt mal mehr in die eine, mal in die andere Richtung aus.

Gerne wird von der österreichischen Filmlandschaft gesprochen: Landschaften haben ihre Gegebenheiten (die die Arbeit erschweren oder auch reizvoll machen) und Landschaften können gestaltet werden. Sechs weitere Jahre Gestaltungsraum liegen vor Ihnen. Wo ist es Ihnen ein großes Anliegen, anzusetzen.
Roland Teichmann: Einer der wesentlichsten Ansatzpunkte ist definitiv der Nachwuchs. Es müssen Regisseurinnen und Regisseure nachwachsen, die in fünf Jahren für den Oscar nominiert werden, die in sechs, sieben Jahren die Goldene Palme gewinnen und die Filme machen, die möglichst viele Menschen bei uns in Kino locken. Die müssen sich entwickeln, Erfahrungen sammeln auch mal scheitern. Es gibt jetzt eine gesunde Vielfalt an Nachwuchs, die dann wieder die Qualität erreichen soll, die wir jetzt schon mit vielen Regisseurinnen und Regisseuren erreicht haben. Es geht mir darum, den Nachwuchs in einer gewissen Breite zu fördern, aber im Laufe der Zeit auch zuzuspitzen. Ich kann nicht zehn junge FilmemacherInnen sich gleichzeitig entwickeln lassen, dazu haben wir zuwenig Geld. Ziel ist es, dass am Ende drei bis fünf übrig bleiben, die eine Qualität und eine Entwicklung in ihrem Schaffen sichtbar machen, die dann nationale oder internationale Resonanz generieren. Da bin ich sehr zuversichtlich. Es gibt unheimlich viel Spannendes, ich hab nicht das Gefühl, dass ich vor einer Wüste stehe, wo ich mir sagen muss, „Oje, wo wächst denn hier etwas?“, sondern im Gegenteil, ich habe das Gefühl, ich stehe im Urwald, wo man hineinschneiden muss, weil es so viel an interessanten Talenten gibt und wo immer wieder etwas nachwächst. Das ist das größte Glück. Es herrscht in Österreich eine unheimliche Produktivität, es drängt so viel Spannendes nach. Ich denke zum Beispiel nur an Daniel Hoesls Soldate Jeannette, der in Sundance gelaufen ist und dann noch den Tiger Award in Rotterdam gewann, Umut Dağ und Hüseyin Tabak haben tolle erste Filme hingelegt, Catalina Molina hat neue Projekte – ich nenne diese Namen exemplarisch, es gibt noch viele mehr, die man nennen könnte. Es wächst eine Generation heran, die versucht, eigene Filmsprachen zu entwickeln, die natürlich von Vorbildern beeinflusst sind, wie bei allen Künstlern. Einflüsse zu etwas Eigenständigem zu entwickeln, ist ja das Interessante. Vieles, was entsteht, eifert nicht epigonenhaft unseren „Säulenheiligen“ nach, sondern ich spüre einen Antrieb, etwas Eigenständiges zu machen. Eine hocherfreuliche Tendenz.

Was steht abgesehen vom Nachwuchs auf dem Plan?
Roland Teichmann: Abgesehen vom Nachwuchs geht es darum, die Rahmenbedingungen möglichst flexibel, verlässlich und nachhaltig mitzugestalten. Das große politische Thema ist dabei, die Filmförderlandschaft in ihrem harmonischen Zusammenspiel zu erhalten. Es ist ein ziemliches Räderwerk, das ständig funktionieren muss, damit gute und interessante Filme entstehen können und eine Filmlandschaft sich gut weiterentwickeln kann. Um dieses Räderwerk stets geölt zu halten, braucht es sehr viel Feinarbeit. Da gehören der ORF, FISA, die regionalen Förderungen dazu, da gehört das Fördersystem des ÖFI selbst dazu. Ich sehe meine Aufgaben in einer Mischung aus Ölen des Räderwerks und Dynamisieren im Entwicklungsbereich des Fördersystems, in seiner Verlässlichkeit und seiner Planbarkeit besonders was die Mitfinanzierung des ORF betrifft. Das ist ja schon eine ganze Menge. Wenn es gelingt, das über mehrere Jahre stabil zu halten, bin ich zufrieden.

Welche Adjektive sollte man dem Kino, das in Ihrer Zeit als ÖFI Direktor entsteht, nachsagen?
Roland Teichmann: Unverwechselbar. Berührend. Spannend. Neuartig. Verstörend.

Als Förderer soll man keine Lieblingskinder nennen, gab es dennoch Filme, die Sie besonders überrascht haben, deren Entstehung Sie besonders gefreut haben?
Roland Teichmann: Da gibt es einige, das sind auch die größten Glücksmomente in diesem Job. Sie sind selten, aber es gibt sie die magischen Momente –  sei es im Kino, bei einem Rohschnitt oder bei der Lektüre eines Drehbuchs. Welche das waren, behalte ich aber lieber für mich.

 

Interview: Karin Schiefer

Mai 2013