INTERVIEW

Ruth Mader im Gespräch über WHAT IS LOVE

 

«Ich wollte auf Distanz bleiben, weil es unter Umständen mehr Nähe erzeugt, als wenn man ganz nahe drangeht.» Ruth Mader im Gespräch über WHAT IS LOVE


So wie der Titel des Filmes formuliert ist, bewegt er sich zwischen einer Fragestellung und einer Feststellung. Welches Anliegen stand für Sie eingangs im Vordergrund?
Ruth Mader: Es ist eine Fragestellung und es zeigt anhand von fünf Beispielen, wie man Liebe lebt, wie man Glück leben kann.

Dokumentarfilm beschreibt meist außergewöhnliche Phänomene, zeigt Hintergründe, verweist auf Missstände. Könnte man dieses Thema als ein „anti-dokumentarisches“ Thema bezeichnen, insofern als der Film versucht, das Dasein per se, „Normalität“ festzuhalten?
Ruth Mader: Es war mir von Anfang an wichtig, Normalität zu zeigen. Ich wollte weder Freaks noch Stars zeigen, sondern ganz normale Menschen, weil gerade die normalen Menschen sehr wenig Beachtung erhalten. Das „Normale“ war allerdings nur der Ansatz und dann trifft man auf eine Ambivalenz, in diesem Streben nach dem Glück – wie es teilweise gelingt oder auch scheitert.

Mit welchen Anforderungen und Vorstellungen haben Sie das Casting durchgeführt?
Ruth Mader: Es war nicht einfach, Leute zu finden, die auch gut für den Film sind und die auch wirklich mitmachen wollten. Damit meine ich Menschen, mit denen man sich identifizieren kann und die auch spannend sind. Was ich von ihnen eingefordert habe, war die Bereitschaft zu einer authentischen Sicht auf ihr Leben. Sie haben auch das Drehbuch vorher gesehen. Jede Szene war ausgearbeitet und sie wussten, was auf sie zukommt.

Wie kann für einen Dokumentarfilm jede Szene sehr gut ausgearbeitet sein?
Ruth Mader: Ich habe zunächst bei ihnen recherchiert und beobachtet, wie sie leben und dann Szenen ausgewählt, die ihr Leben repräsentieren. Die Recherche hat meist zwei Tage gedauert, wo ich mitgelebt und Alltag mit ihnen verbracht habe.

Das klingt nach keiner einfachen Aufgabe, aus einer zweitägigen Recherche jene Essenz herauszufiltern, die es ermöglicht, ein präzises Buch für die jeweiligen Drehs vorzubereiten?
Ruth Mader: Das ging eigentlich sehr rasch. Die aufwändigen Phasen in diesem Projekt waren die Suche nach geeigneten Protagonisten sowie der Schnitt. Im Schnitt kam es sehr stark darauf an, richtig auszuloten, in welcher Reihenfolge und in welchem Rhythmus man die Porträts gestaltet, weil eine kleine Variation sehr viel verändert hätte und auch hat. Das Drehen selbst war sehr schön und nicht schwierig. Wir hatten bei jeder der fünf Protagonisten fünf Drehtage.

Ihr formaler Ansatz ist sehr streng und klar definiert. War es nicht beinahe eine fotografische Herausforderung, in zehn bis zwanzig Minuten, mit nur visuellen Mitteln eine Familie/einen Menschen zu porträtieren?
Ruth Mader: Ich halte es für den richtigen Zugang, so etwas in Bildern mit dieser Präzision zu erzählen. Mit Wackelkamera wäre ich nicht zu diesem Ergebnis gekommen. Und mein formaler Ansatz lautete „Porträt“. Was bedeutet „Porträt“ im Film? Das hat mich sehr interessiert, weil man Porträt im Film sehr selten sieht.

Gab es Anhaltspunkte in der Fotografie, die Sie inspiriert haben?
Ruth Mader: Ich habe mich an den klassischen Portraits aus der Fotografie orientiert -Walker Evans, August Sander. Ich finde sie schaffen eine außerordentliche Klarheit und Nähe. Ihnen gelingt es, eine Nähe zu den Leuten zu erzeugen, ohne ihnen auf die Pelle zu rücken. Das war auch mein Ansatz in WHAT IS LOVE: Ich wollte auf Distanz bleiben, weil es unter Umständen mehr Nähe erzeugt, als wenn man ganz nahe drangeht.

Haben Sie viel gedreht und dann aus dem Vorhandenen im Schnitt das Porträt gestaltet?
Ruth Mader: Nein, das Drehverhältnis war sehr gering, fast wie bei einem Spielfilm. Der Dreh war ja mit Drehplan und Drehbuchszenen auch spielfilmmäßig organisiert. WHAT IS LOVE ist letztlich eine Gratwanderung, wo man nur schwer sagen kann, ob es ein Spiel- oder ein Dokumentarfilm ist.

Wie würden Sie die Struktur dieser fünf Episoden im Film beschreiben?
Ruth Mader: Es geht in fünf Episoden um Ehe, Familie, Lebensglück, Einsamkeit, Erfüllung.

Hat dieser Film viel mit der österreichischen Gesellschaft zu tun oder erzählt er etwas Universelles?
Ruth Mader: Ich glaube, es ist ein Film über die österreichische Gesellschaft in österreichischen Milieus. Sicherlich sind gewisse Elemente universell, die Beziehungsdiskussionen wird man auch anderswo finden können. Man kann immer nur aus einem realistischen Milieu heraus erzählen, daraus ergeben sich dann auch Themen, die universeller sind.

Spannt WHAT IS LOVE für Sie einen Bogen zu Struggle im Sinne einer gesellschaftlichen Beobachtung?
Ruth Mader: Gesellschaftliche Beobachtung hat mich immer interessiert und auch der semidokumentarische Ansatz, der auch bei Struggle schon eine Grundlage war. Authentizität ist mir in meinem Filmemachen immer ein wichtiges Thema.

Interview: Karin Schiefer
November 2011