INTERVIEW

«Ich habe den Eindruck, dass heute ein Glasglockenleben vorherrscht.»

Tereza Kotyk nähert sich in ihrem Spielfilmdebüt Home Is Here den mehr oder weniger ergründbaren Innenwelten ihrer Protagonisten und erzählt von Menschen, die sich selbst suchen und einander nie begegnen.

Ein Blick auf Ihre Filmographie verweist auf zwei Kurzfilme – Hannah und Max sowie Hannah at Home. Ist Home Is Here aus diesen beiden Kurzfilmen hervorgegangen?
 
TEREZA KOTYK: Diese beiden ganz kurzen Kurzfilme, Hannah and Max sowie Hannah at Home, sind in Warschau entstanden, wo ich innerhalb des Programms EKRAN viel Vorbereitungsarbeit für den Film erledigen konnte. Ich konnte sowohl mit den Schauspielern als auch mit sehr guten Kameraleuten arbeiten und austesten, wohin die Erzählung noch gehen konnte. Es ist Teil des EKRAN-Programms, dass ich man sich eher schwierigen Szenen stellt und herauszufinden versucht, ob die Fragen, die das Drehbuch aufwirft, auch beantwortet werden. Noch dazu konnte ich meine Hauptdarstellerin Anna Årström einladen und so mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ich erledigte das Casting, konnte Anna an der Figur testen und sie in ihrer Arbeit vor vor der Kamera erleben.
 
 
Transportieren diese beiden Figuren, Hannah und Max, zwei grundsätzliche Themen, die Sie beschäftigen und die Ihre künstlerische Arbeit und Suche bestimmen?
 
TEREZA KOTYK: Das ist gewiss so. Es sind Fragen, die mich ganz besonders in der Zeit, die ich in Innsbruck verbracht habe, beschäftigten, aber auch grundsätzlich existenzielle Fragen. Ich hatte in Wien und Tirol gelebt, ging dann für mehrere Jahre nach England und bin dann wieder nach Innsbruck zurückgekommen. Das war eine massive Umstellung. Ich erlebte eine starke Einsamkeit, das Gefühl wie unter einer Glasglocke zu sein, es fiel mir aber auf, dass es Menschen rund um mich nicht anders erging. Ich habe den Eindruck, dass heute ein Glasglockenleben vorherrscht und viel kompensiert wird, um sich den wahren Fragen, die uns beschäftigen, nicht zu stellen. In Tirol geschieht das häufig über den Sport, den Bergsport im Besonderen. Mich beschäftigte die Frage, wann und ob jemand bei sich selbst bleibt und die Glasglocke durchbricht. Wie geht man seinen Weg, auch wenn der Druck von Außen ganz groß ist? Besonders wir Frauen erleben sehr viel Druck von allen Seiten. Männern geht es aber auch nicht viel besser. Besonders interessierte mich dabei die Sprache. Gibt es im Glasglockendasein eine Form der gemeinsamen Kommunikation? Ich finde, nein. Es handelt sich vielmehr um eine ritualisierte Sprache. Die Menschen funktionieren und dieses Funktionieren hinterlässt eine Form von Sprachlosigkeit und Einsamkeit. Ich habe mir dafür sehr konträre Figuren ausgesucht: Mit Max eine, die brav arbeitet und sich diesem Außen hingibt, indem er ein wunderbares Haus bewohnt und seine Freizeit mit Sport verbringt. Hannah ist eine Tochter von Migranten aus Tschechien, die im Olympischen Dorf wohnen, einem Ort, wo Innsbrucker nicht wohnen würden. Auch unter ihnen herrscht eine Sprachlosigkeit: Die Muttersprache ist gerade da, wo man sie wirklich bräuchte, nämlich innerhalb der Familie, kein verbindendes Element mehr. Denn sobald man in einem anderen Land wohnt, wird die dortige Sprache dominant. In der Sprache, die von außen kommt, kann man sich plötzlich wunderbar ausdrücken, aber das Innigste kann man mit den am nächsten stehenden Menschen nicht teilen, weil die junge Generation sich in der Muttersprache nicht so differenziert ausdrücken kann und (in diesem Fall) Deutsch für die Eltern die „andere“ Sprache bleibt. Glasglockenleben also auch innerhalb der Familie.
 
 
Sie nennen vier Persönlichkeiten, die Sie zu diesem Film inspiriert haben: Emily Dickinson, Roni Horn, Francesca Woodman und Jean-François Billeter. Welchen Funken haben diese Künstler in Ihrer Arbeit gezündet?
 
TEREZA KOTYK: Emily Dickinson, die mit dem Staccato in ihrer Poesie als Erfinderin einer neuen Sprachlichkeit im Englischen bekannt geworden ist. Diese Sprache konnte sie entwickeln, weil sie sich ab dreißig total in ein Haus – ihr Elternhaus – zurückgezogen hat. Ihr gesamtes künstlerisches Schaffen entstand in ihrem Schlaf- und Arbeitszimmer, von wo aus sie einen Blick aus dem Fenster auf die Welt hinaus hatte, die rundherum aus Grün und Bäumen bestand. Die Fotokünstlerin Roni Horn hat das aufgegriffen und eine wunderbare Arbeit zu Emily Dickinson gemacht, indem sie diese Blicke aus dem Haus fotografiert hat.
Roni Horn hatte als Fotokünstlerin ein entscheidendes Erlebnis, als sie bei einem nur kurz für ein Projekt geplanten Aufenthalt in Island für sich entdeckte, dass der Ort eine Weile auf sie einwirken musste, ehe sie ihm begegnen konnte. Sie hat das Wetter als Vergleichsmaß herangezogen, das sich wie der Mensch täglich, stündlich ändert und hat sich in der Arbeit mit dem Titel Weather Reports You damit auseinander gesetzt, wie das Außen mit der persönlichen Sichtweise verknüpft wird.  Sie hat eine Frau über 30 Tage täglich in derselben Kadrage fotografiert und erst bei genauerem Hinschauen erkennt man, wie sehr sich ein Bild vom anderen unterscheidet. Man ist jeden Tag ein anderer Mensch. Diese Definition des eigenen Ichs hat mich so fasziniert – bei Roni Horn in der Fotografie, bei Dickinson in der Sprache. Jean-François Billeter hat sich stark mit der chinesischen Philosophie auseinandergesetzt und klar definiert, was bewusste und unbewusste Gesten sind. Er reflektiert darüber, dass innerlich getrennt wird, was wir als Intention bezeichnen und was uns zum Handeln antreibt. Diese Thematik hat mich in der Vorbereitung mit Stipe Erceg sehr intensiv beschäftigt, da Schauspieler sich so sehr jeder Geste und Handlung bewusst sein müssen.
 
 
Home is Here erscheint mir weniger ein Narrativ als vielmehr der Versuch, einen inneren Zustand in Bilder zu fassen. Der Poesie näher als der Prosa. Sehen Sie das ähnlich?
 
TEREZA KOTYK: Ich kann den Film zur Zeit nicht mit offenen Augen betrachten, weil ich ihn ein Jahr lang täglich gesehen habe. Grundsätzlich würde ich dem zustimmen, dass die Reduktion der Figuren, wie ich es in Home Is Here versucht habe, ein kleines Spiel mit der Essenz ist.
 
 
Mit Hannah und ihrer Mutter, die wahrscheinlich aus politischen Motiven die damalige ČSSR verlassen hat, sind auch zwei Generationen im Film vertreten. Wie sehr wandeln sich Begriffe wie Exil, inneres Exil und Zuhause für diese beiden Frauen?
 
TEREZA KOTYK: Wir haben im Zuge der Dreharbeiten in drei Sprachen – Deutsch, Tschechisch und Englisch – gearbeitet. Das hat viel dazu beigetragen, dass ich den Figuren näher kam und gleichzeitig hat sich auch für die Figuren etwas getan. Die Entscheidung der Elterngeneration, dass ein Leben in der inneren Emigration nicht länger tragbar war und sie heraustreten mussten, überträgt sich auch auf die Tochter. Als Künstlerin kann man auf Dauer im inneren Exil leben oder man trifft die Entscheidung, nach außen zu gehen und trägt sie mit ihren Konsequenzen. Bei Hannah bleibt das ein bisschen offen, aber letztendlich kommt sie zu dem Schluss, dass sie Max’ Haus gar nicht gebraucht hätte und ihre Arbeit auch so weiter verfolgen will. Ein Mechanismus, ein Handeln doppelt sich von einer Generation zur nächsten.
 
 
Das Thema der Doppelung kehrt in den vielen Spiegelungen, die in der Bildsprache des Films sehr präsent sind, immer wieder.
 
TEREZA KOTYK: Wir projizieren ständig in andere Menschen und meine Figuren machen es ebenso: die Mutter projiziert in die Tochter, Max in die Person, die bei ihm einbricht, Paula in Max als männliche Idealfigur, mit der sie gerne leben würde. Unser Leben besteht permanent aus Projektionen, obwohl klar ist, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen können und es sinnvoller ist danach zu trachten, was wir wirklich wollen. Keine Projektion kann mir das geben, was ich eigentlich in mir selber trage und niemand kann meine eigenen Erwartungshaltungen erfüllen.
 
 
Hannahs Suche scheint von einer Sehnsucht nach glücklichen Zeiten in der Vergangenheit geprägt zu sein und sie scheint diejenige zu sein, die Max’ leeres Haus mit einer Seele füllt. Warum fällt ihre Wahl auf ein Haus, das zwar ästhetisch perfekt, so kühl und unbewohnt wirkt, als wäre es gerade einem Hochglanz-Magazin entnommen.
 
TEREZA KOTYK: Ich wollte natürlich den Gegensatz zu den Wohnungen im Olympischen Dorf zeigen, wo es sehr eng und hellhörig ist und wo sich Hannah nur beschränkt als Künstlerin entfalten kann. Es braucht auch die Leere, die Klarheit und auch das Exil eines Ateliers. Hannah verfolgt in ihrem Handeln einen Freiheitsgedanken, auch wenn sie dabei die Grenzen der Legalität überschreitet und schwerwiegende Konsequenzen riskiert. Das ist schizophren, bestätigt aber den Weg, den sie nun beschreitet. Und glücklicherweise geht es gut aus. Sie hinterlässt Spuren in der Wohnung, die deutlich machen, was Max fehlt. Er hat sich auch aus einer Trauer heraus für dieses Leben entschieden. Er hebt im stillen Kämmerchen viele Dinge seiner großen Liebe, die ihn verlassen hat, auf und lässt auch nicht mehr wirklich emotionale Nähe zu. Das aufzubrechen ist Hannahs Aufgabe, auch wenn sie nicht in erster Linie deswegen bei ihm einbricht. Es geht ja im Wesentlichen darum, dass zwei Personen aufeinander treffen, ohne eine Beziehung zueinander herzustellen und sich das Beste schenken können, was sie haben – sich selbst. Das ist etwas, was im Leben oft geschieht, was man aber selten sieht oder merkt.
 
 
Home is Here ist ja von einem ständigen Nach-außen- und Nach-innen Gehen bestimmt,
das Öffnen und Schließen von Türen eines der dominierenden Bilder. Was bergen, öffnen, schützen diese Türen?
 
TEREZA KOTYK: Für mich geht es in erster Linie mit der Spiegelung einher. Wenn ich ein Fenster betrachte, habe ich mehrere Möglichkeiten, das zu tun: Schaue ich in mein eigenes Spiegelbild, erkenne ich das Glas als Grenze oder betrachte ich die Menschen hinter der Fensterscheibe. Das Gleiche gilt für die Tür, gehe ich durch und trete ich nach außen oder schließe ich mich nach innen ab. Wofür entscheide ich mich im Leben. Wir stehen ständig vor der Tür. Ähnliches gilt für Hannahs ungeöffnete Geschenke, die die Frage in den Raum stellen, inwieweit man bereit ist, etwas anzunehmen. 
 
 
Ihren Schauspielern haben Sie beinahe stumme Rollen geschrieben. Die Rollen müssen sehr stark über Körper und Gesicht getragen werden. Wie fiel Ihre Entscheidung für den Cast? Wie haben Sie Ihre Darsteller für den Dreh vorbereitet?
 
TEREZA KOTYK: Ich habe selbst in England Schauspielunterricht genommen und wollte nicht nur international besetzen, sondern unbedingt jemanden mit einer englischen Ausbildung, weil das Handwerk dort anders als in Deutschland vermittelt wird. Man lernt dort stärker, eine Figur ebenso gut mit als auch ohne Dialog zu erzählen. Ich stieß bei dieser Suche zunächst auf Anna Åström, die auch schon in England gearbeitet hatte. Schwierig war es dann ein Pendant zu finden, weil im Fall von Home Is Here, die Möglichkeit einer Anziehung zwischen Max und Hannah, die einander nie begegnen, plausibel sein und über die Dauer des Films erhalten bleiben muss. Als ich dann doch in Erwägung zog, einen deutschsprachigen Schauspieler zu besetzen, begegnete ich in Berlin Stipe Erceg, der, wie sich herausstellte, auch durch die englische Agentur von Anna Aström vertreten wurde. Er ist ein starker Charakter und kann auch in dieser Reduktion gut spielen. Mir ist in der Schauspielarbeit erst richtig bewusst geworden, wie schwierig meine Figuren zu spielen waren. Ich erinnerte ich mich an eine sehr schwierige Übung in meiner eigenen Ausbildung, wo wir anhand eines Portraits oder einer Fotografie aus einer bestimmten Epoche diese Person lebendig darstellen mussten, ohne lebendig zu sein. Die Zeit, die Umgebung, das Alter, den Geruch, die Situation sollte man im Gesicht ablesen können. Diesen Ansatz versuchte ich in unsere Arbeit einzubringen. Und es war eine große Herausforderung, in drei Sprachen Regieanweisungen zu geben.
 
 
Die Natur taucht einerseits in konkreten Tierbildern auf, die von der poetischen Inspiration des Films zu erzählen scheinen, zum anderen als Ort der Freizeitaktivitäten, wo sich der Performance-Gedanke aus der Berufswelt samt seiner Leere und Sprachlosigkeit fortsetzen. Welche Rolle spielt aus ihrer Sicht die Natur?
 
TEREZA KOTYK: Es ist eine Beobachtung, die ich allgemein wahrnehme, die mir aber in Tirol so ganz besonders aufgefallen ist: der selbstauferlegte Zwang zur Leistung wird in die Freizeit weitergetragen. Vom Funktionieren im Job wechselt man ins Funktionieren im Sport. Die Natur genießen und Wahrnehmen steht nie im Mittelpunkt. Zu einer Entspannung kommt es nie. Es ging mir in den Naturbildern auch um eine Spiegelung zu den Arbeiten von Roni Horn und die Frage, was die Natur über mich selbst sagt. Ich hätte die Natur gerne noch stärker einfließen lassen, vor allem die Föhnstürme. Leider blieben sie während unserer Drehzeit aus. Wenn ein Föhnsturm aufkommt, bewegen sich die Menschen wie in einer anderen Welt. Das ist ein interessanter Zustand, den ich gerne als Metapher für das Leben in einer Glasglocke hineingenommen hätte. Die Tiere stehen in der Tat für ein poetisches Bild. Ich glaube, nur sehr wenige Menschen in Tirol nehmen den Graureiher wahr, der für mich ein Symbol für das Wissen ist, wann es Zeit ist, nach Hause zu gehen. Es gibt ein ganz präzises Datum im Jahr, den 23. September, wo sich die Graureiher zu Hunderten im Feld versammeln und gemeinsam Richtung Süden aufbrechen.
 
 
Home is Here schließt mit dem Satz: „Life is Home“.  Hannah fährt am Ende nach Tschechien. Wie sehr ist nun „home“ doch auch ein geografischer Ort und nicht nur in einem selbst? Wie sehr ist die lebenslängliche Suche danach eine stete Vorwärts- und Rückwärtsbewegung. 
 
TEREZA KOTYK: Ich bin mir sicher, dass es eine Vor- und Rückwärtsbewegung ist, ich glaube allerdings, dass ein geografischer Ort nur eine Spiegelung sein kann. Je nachdem, wie man sich’s richtet, fühlt man sich zu Hause. Es ist etwas, das man sich selbst schaffen kann. Die Beständigkeit liegt gewiss im Inneren, weil sich das Außen so schnell ändert. Jemand, der wie seine Familie seit Generationen am selben Ort lebt, würde mir da bestimmt widersprechen. Ich glaube sehr daran, dass es ein inneres Zuhause gibt. Gerade die Kunst liefert uns die besten Beispiele dazu.
 
 
Interview: Karin Schiefer
November 2016
«Wir projizieren ständig in andere Menschen und meine Figuren machen es ebenso.»