FEATURE

Das Filmjahr 2015 im Rückblick

 

Austrian cinema has a long tradition of constantly reinventing itself
Thessaloniki Film Festival
 

Blick zurück auf ein Jahr, ...
 
... das uns einen von Peter Kerns stärksten Filmen geschenkt und wenig später der österreichischen Filmszene seinen rebellischsten Geist genommen hat
 
... das mit Martin Gschlacht den Europäischen Kameramann 2015 stellt
 
... das mit einer jungen Stimmenvielfalt aufhorchen ließ, die ihr Talent u.a. mit zwei  First Steps Awards und einem Studenten Academy Award unter Beweis stellte
 
... in dem das US-Publikum für Genre-Kino aus Österreich mehr als eine Million USD an den Kinokassen ausgab
 
... in dem zwei österreichische Filme auf der Shortlist für die Oscar-Nominierungen firmieren
 
 
 
How an aunt and her nephew made one of 2015’s creepiest movies betitelt Matt Barone auf tribecafilm.com sein ausführliches Portrait, das er anlässlich des US-Kinostarts von GOODNIGHT MOMMY/ICH SEH ICH SEH dem Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala gewidmet hat. Mehr als 1 Mio USD Einspielergebnis in den USA, 7.8 Mio Clicks auf den US-Trailer, Nominierung für European Discovery, neun internationale Preise, darunter der Méliès d’Or für den besten phantastischen Film 2015, 64 Festivalteilnahmen allein im Jahr 2015 ... ICH SEH ICH SEH, das Spielfilmdebüt von Veronika Franz und Severin Fiala, ist zweifellos die große Erfolgsgeschichte im österreichischen Filmjahr 2015.
Drei Jahre zuvor legten die beiden Filmemacher ihr Regiedebüt, das Peter Kern-Porträt KERN vor und stehen somit auch in direkter Verbindung  zum bedauerlichsten Verlust  dieses Jahres: Mit Peter Kern verlor das österreichische Filmschaffen eine weitere seiner starken Persönlichkeiten. Als er im Februar im Berliner Zoo-Palast seine Gesellschaftssatire DER LETZTE SOMMER DER REICHEN präsentierte, war seine Müdigkeit nicht zu übersehen. Dass er beinah alle seine Kräfte aufgezehrt hatte, wollten wir noch nicht sehen. Einen Unruhestifter nannte er sich selbst. Die österreichische Filmszene ist um seinen unbequemsten Geist ärmer. Vor seinem Zorn war keiner sicher, weil nichts und niemand seinem ungnädigen Blick auf Verlogenheit entging. Seinen Unmut, seine Streitlust und seine Versöhnlichkeit werden wir ebenso vermissen wie seine scharfen Beobachtungen, seinen Witz und seine unsäglichen Übertreibungen.
 
Austrian cinema has a long tradition of constantly reinventing itself schrieb das Thessaloniki Film Festival und nahm dieses Erneuerungspotenzial zum Anlass, dem jungen Filmschaffen made in Austria einen Schwerpunkt zu setzen. Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn das Filmjahr 2015 war eindeutig ein Jahr des Nachwuchses:
Lukas Valenta Rinner eröffnete mit der Teilnahme von PARABELLUM im Tiger-Award-Wettbewerb in Rotterdam dieses Jahr des jungen Kinos aus Österreich, das nicht nur einmal mehr die Vielstimmigkeit des österreichischen Filmschaffens unterstrich, sondern angesichts der Breite dieses Talentespektrums auch sehr gespannt in die Zukunft blicken lässt.  
Jakob M. Erwa zeigte seinen in Deutschland produzierten zweiten Spielfilm HOMESICK bei der Berlinale, Karl Markovics folgte mit SUPERWELT einer Einladung zum Berliner Forum. Cannes’ Semaine de la Critique besiegelte mit der Einladung von Patrick Vollraths ALLES WIRD GUT die zweite Erfolgsgeschichte dieses Jahres: der 30-Minüter des Filmakademie-Studenten holte den First Steps Award, einen Student Academy Award in Bronze und behauptete seinen Platz auf der Shortlist für die Oscar-Nominierung in der Kategorie Bester Kurzfilm. Peter Brunner (JEDER DER FÄLLT HAT FLÜGEL) und Albert Meisl (VATERFILM) kehrten beide preisgekrönt von den jeweiligen Wettbewerben aus Karlovy Vary zurück. Jakob Brossmann holte in der Semaine de la Critique von Locarno den Hauptpreis Boccalino d’oro für LAMPEDUSA IN WINTER und San Sebastián lud Stephan Richters Erstling EINER VON UNS in den New Directors Wettbewerb ein.   
 
Das Rennen um den erfolgreichsten Festivalfilm 2015 geht mit großem Abstand (und trotz Weltpremiere in Venedig 2014) an ICH SEH ICH SEH, der es allein in diesem Jahr auf 64 internationale Teilnahmen brachte. Es folgen Ulrich Seidls IM KELLER mit 33 und Karl Markovics’ SUPERWELT mit 24 Teilnahmen. Starke Festivalnachfrage genossen auch Nikolaus Geyrhalters ÜBER DIE JAHRE und Jessica Hausners AMOUR FOU mit je 20 Teilnahmen. IM KELLER und AMOUR FOU begannen ebenfalls ihre Festivalkarriere bereits 2014, umso bemerkenswerter ist ihre anhaltende internationale Festivalpräsenz im Jahr 2015.
 
Das Gesamtergebnis von rund 500 Teilnahmen von 71 Filmen reflektiert einmal mehr die enorme inhaltliche wie formale Bandbreite, mit der das österreichische Filmschaffen auf internationaler Ebene wahrgenommen wird. Von den 71 im Jahr 2015 auf Festivals vertretenen Filmen feierten 32 ihre internationale Premiere, sieben davon waren Langfilmdebüts, 13 Filme starteten ihre Festivalkarriere auf einem für die internationale Verwertung besonders relevanten Key-Festival. Insgesamt gingen 34 Preise an 19 verschiedene Filme, alleine neun davon an ICH SEH ICH SEH, vier an SUPERWELT.
* alle Zahlen Stand 21.12.2015
 
Die Welt- und Europapremieren auf Key-Festivals: MOBILISIERUNG DER TRÄUME (Rotterdam, Signals Regained), PARABELLUM (Rotterdam, Tiger Award Wettbewerb), DER LETZTE SOMMER DER REICHEN (Berlin, Panorama Special), HOMESICK (Berlin, Deutsche Reihe), SUPERWELT (Berlin, Forum), ÜBER DIE JAHRE (Berlin, Forum), JEDER DER FÄLLT HAT FLÜGEL (Karlovy Vary, Wettbewerb), VATERFILM (Karlovy Vary, Dokumentarfilm-Wettbewerb), JACK (Locarno, Piazza Grande), LAMPEDUSA IN WINTER (Locarno, Semaine de la Critique) HELMUT BERGER, ACTOR (Venedig, Venice Classics), THANK YOU FOR BOMBING (Toronto, Contemporary World Cinema), EINER VON UNS (San Sebastián, New Directors Competition)
 
Gespannt blicken wir ins Filmjahr 2016 und freuen uns auf die neuen Arbeiten von: Ruth Beckermann (DIE GETRÄUMTEN), Nikolaus Geyrhalter (HOMO SAPIENS), Händl Klaus (KATER), Michael Kreihsl (AUF REISEN), Tizza Covi & Rainer Frimmel (MR. UNIVERSO), Ulrich Seidl (AUF SAFARI), Monja Art (SIEBZEHN), Michael Palm (CINEMA FUTURES), Mirijam Unger (MAIKÄFER, FLIEG), Edgar Honetschläger (LOS FELIZ), Daniel Hoesl (WINWIN), Marie Kreutzer (WAS HAT UNS BLOSS SO RUINIERT), Josef Hader (WILDE MAUS) ...