INTERVIEW

«Die Zerrissenheit zwischen Instinkt und Vernunft ist ein Thema, das sich durch den ganzen Film zieht.»

In ihrem ersten Film Talea arbeitete Katharina Mückstein erstmals mit Sophie Stockinger zusammen. So gut, dass sie auch ihren zweiten Film L’Animale mit der jungen Schauspielerin als Protagonistin drehen wollte. Vier Jahre später verkörpert diese nun in L’Animale die 18-jährige Mati, die sich nach einer Jugend am Land plötzlich von allem lösen und neu finden will. Ein Gespräch mit Sophie Stockinger.

 
 
Sie spielen in Katharina Mücksteins neuem Langfilm L’Animale die weibliche Hauptfigur Mati, ein junges Mädchen, das am Land aufgewachsen ist und gerade maturiert. Zuvor haben sie bereits in ihrem Debütfilm Talea die Protagonistin gespielt. Worin unterscheiden sich die beiden Figuren, die Sie in Talea und L’Animale verkörpern?
 
SOPHIE STOCKINGER: Der grundlegende Unterschied liegt zunächst einmal ganz klar im Altersunterschied. Ich war bei Talea 14 und spielte eine 14-Jährige, jetzt bin ich 18, habe selber gerade maturiert und spiele eine 18-Jährige. Durch diese Zeitspanne beschäftigen die Hauptfigur nicht nur ganz andere Dinge, sie unterscheiden sich auch deutlich in ihrer Persönlichkeit. Jasmin in Talea ist sehr schüchtern, ist in einer Pflegefamilie aufgewachsen und kämpft um die Liebe ihrer leiblichen Mutter. Mati ist am Land in einer sehr netten Familie aufgewachsen. Was die beiden vielleicht verbindet, ist das Gefühl, dass sie beide nicht so genau wissen, wer sie sind und was sie sein wollen. Mati ist Teil einer Burschen-Clique, die ihr ganzes Dasein prägt, Jasmin hingegen ist sehr allein und geht ein wenig orientierungslos durchs Leben. Mati lebt einfach dahin und wird erst durch einige Ereignisse dazu gebracht, zu reflektieren, was sie in ihrem Leben wirklich bewegt.
 
 
Mati ist zwar anders als die anderen, scheint aber sehr stark verankert zu sein. Die Freunde, die Eltern, die Berufspläne. Plötzlich mit der nahenden Matura und einem bevorstehenden Einschnitt in ihrem Leben scheint etwas aufzubrechen. Hat sie lange sich selbst verleugnet, um akzeptiert zu werden?
 
SOPHIE STOCKINGER: Mati hat ihre Fixpunkte im Leben: sie geht täglich Motorradfahren, sie hilft ihrer Mutter in der Tierarzt-Praxis, auch wenn das Verhältnis zu ihr manchmal schwierig ist, wie es in der Pubertät einfach vorkommt. Es ist mir aber nach und nach bewusst geworden, dass Mati ständig unter Druck ist und immer wieder um Akzeptanz kämpfen muss. Sie muss immer hart genug sein, um bei den Burschen mitzuhalten, ehrgeizig genug, um die Erwartungen der Mutter zu erfüllen. Durch verschiedene Entwicklungen implodiert das alles. Sie versucht zwar, den Status quo zu erhalten und eine Weile auf zwei Festen zu tanzen, bis sie so in die Enge getrieben wird, dass sie keine Wahl mehr hat. Sie kann sich’s nur mehr mit allen verscherzen oder eine Entscheidung treffen.
 
 
Welches Bild hat sie eigentlich von sich selbst?
 
SOPHIE STOCKINGER: Sie ist einem Trott: mit den Motorradfreunden spielen sie sich ein wenig wie die „Kings“ vom Dorf auf, sie gehen in die Disco, alles läuft von selber. Die Matura ist ein ziemlich starker Einschnitt. Ich habe selbst erst vor ein paar Monaten maturiert und kann das bestätigen. Es ist ein Moment im Leben, wo alles möglich ist. Man hat aber lange Zeit nur auf diesen Punkt hin gearbeitet, ohne darüber hinaus zu denken. In Wahrheit hat Mati nie darüber nachgedacht, was es heißt, eine Tierarztpraxis zu übernehmen. Da ist viel Wunschdenken ihrer Mutter dabei. Und bei ihr kommen erstmals Gedanken hoch, dass sie vielleicht keine Tierärztin werden will.
 
 
Sie haben selbst erst kurz vor Beginn der Dreharbeiten maturiert und stehen wahrscheinlich vor Veränderungen. Welche Gefühle, Erfahrungen können Sie mit Ihrer Figur teilen bzw. nachvollziehen?
 
SOPHIE STOCKINGER: Wir haben sogar Szenen mit der Maturasituation gedreht. Das war natürlich amüsant, dass ich das wenige Wochen zuvor real durchgegangen bin. Andererseits muss ich sagen, dass das, was Mati durchlebt, sehr wenig mit mir zu tun hat. Das war u.a. die Herausforderung die Katharina Mückstein mir angeboten hat – eine Rolle zu spielen, die sehr weit von mir entfernt ist. Das Streben nach Akzeptanz kennt jeder. Aber ich halte mich weder für sehr burschikos, noch hab ich eine Erfahrung im Leben gemacht, wo alles zusammenbricht und alles schief läuft. Bei mir folgte außerdem der Dreh so unmittelbar auf die Matura, dass ich noch gar keine Zeit hatte, mir darüber Gedanken zu machen, was alles an Lebensmöglichkeiten mir gerade offen steht. Ich hatte auch das Glück, dass ich meinen Berufswunsch in den letzten Jahren teilweise schon ausleben konnte. Mati ist sich nicht wirklich bewusst, in welcher Situation sie steckt. Die meisten jungen Leute machen mal die Matura und überlegen dann erst, ob und was sie studieren sollen. Es treten eben Dinge in Matis Leben ein, die vieles verändern.
 
Mati hat mehrere Identitäten zu spielen – sie ist mit den Jungs, mit den Eltern, mit Carla immer eine andere. Was bedeutet das für das Spiel?
 
SOPHIE STOCKINGER: Als Schauspielerin muss man sich immer überlegen welchem Partner man gegenüber steht und wie das eine Figur beeinflussen kann. Bei Mati war das ganz besonders deutlich, da sie tatsächlich mit den verschiedensten Personen ganz andere Seiten von sich zeigt. Das ist natürlich auch eine Herausforderung, ist aber letztendlich das, was eine Figur erst lebhaft und facettenreich macht. Katharina hat mir da auch immer sehr gut geholfen, in dem wir vor einer wichtigen Szene zusammen das Verhältnis zur jeweiligen Person oder Gruppe noch einmal besprochen haben. Diesen komplexen Charakter der Mati zu verkörpern, macht riesen großen Spaß, eben weil ich als Schauspielerin stark gefordert war und keine einzige große Szene langweilig oder aus schauspielerischer Sicht eine Wiederholung war.
 
 
Sie sind als Mati Teil einer Motocross-Gang. Damit es so aussieht, als würde man jeden Tag mit dem Moped durchs Gelände fegen, muss man wahrscheinlich ziemlich viel trainieren. Wie haben Sie sich in dieser Hinsicht auf die Rolle vorbereitet?
 
SOPHIE STOCKINGER: Ich hatte noch nie zuvor eine so intensive Vorbereitung auf einen Dreh. Ich habe zunächst ein Körpertraining gemacht, beim ÖAMTC lernten wir Motorrad-Fahren, es gab natürlich Schauspiel-Proben und ich hatte auch noch einen Dialekt-Coach. Die Vorbereitungszeit war ziemlich anstrengend, ich hatte über mehrere Wochen durchgehend etwas zu tun und manchmal fragte ich mich, warum das notwendig war, ein so dichtes Vorbereitungsprogramm zu absolvieren. Beim Dreh war mir dann sehr schnell klar, wir sehr mir diese Trainingseinheiten eine gute Basis geschaffen haben, um diese Rolle optimal ausfüllen zu können. Gerade das Körpertraining hat mir geholfen, in diese burschikose Figur der Mati auch eine Körperlichkeit hineinzubringen. Man unterschätzt oft, wie sehr die Körperlichkeit entscheidend ist, um einer Figur Gewicht zu gehen. Die Körperlichkeit der Figur hat natürlich sehr viel mit dem Motorrad-Fahren zu tun. Die Schnelligkeit, der Anzug und die Protektoren, in denen man wie in einem Panzer steckt, die Geschwindigkeit ... das alles hat etwas Männliches. Bei der Arbeit am Set habe ich gespürt, dass man einfach noch tiefer gehen kann, wenn eine gewisse Vorarbeit geleistet ist. Die intensive Vorbereitung hatte mich ziemlich gefordert und ich hatte meine Bedenken, dann noch sieben Drehwochen anzuschließen. Es hat sich aber gezeigt, dass die Vorbereitung Goldes wert war.
 
 
Wie bereitet Katharina Mückstein ihre Schauspieler auf das szenische Arbeiten vor? Wie war es, mit Ihren gleichaltrigen Kolleg*innen zu spielen?
 
SOPHIE STOCKINGER: Wir haben ca. vier Wochen vor Drehbeginn mit den Proben begonnen, wobei wir vor allem zu viert, d.h. mit den drei Darstellern der Burschen – Jack Hofer, Dominic Singer und Simon Morzé – geprobt haben. Wir haben viel über die Geschichte und über die Figuren geredet, gerade auch über die zwei, die im Buch etwas weniger präsent sind als Sebastian. Katharina hat sich bemüht, die Konstellation möglichst gut auszuschmücken, damit wir am Set eine Art Film abrufen konnten. Wir lasen das Buch, manche Szenen, wo Katharina schon wusste, wie es am Set aussehen würde, haben wir schon sehr konkret durchgespielt.  Dann probte ich auch noch viel zu zweit – mit Jack Hofer (Sebastian), mit Julia Richter (Carla) und auch mit Dominik Warta, der meinen Vater spielt.
 
 
Wie sehr ist das Tierische in L’Animale präsent
 
SOPHIE STOCKINGER: Ich glaube, das Tier ist für Katharina eine Metapher für die inneren Instinkte. Wenn wir aus unserer Komfortzone katapultiert werden, dann werden unsere Instinkte wach und dominieren möglicherweise über die Vernunft. Am Anfang gibt es eine Szene in der Schule, wo die Deutschlehrerin ein Gedicht von Goethe bespricht, wo es um die einander widerstrebenden Kräfte von Instinkt und Vernunft geht. Diese Zerrissenheit zwischen Instinkt und Vernunft ist ein Thema, das sich durch den ganzen Film zieht. Darüberhinaus taucht auch immer wieder ein Tier als Traumbild neben Mati auf, das ein Spiegelbild Matis innerer Gefühle sein soll, Matis Mutter ist außerdem Tierärztin und für mich haben auch die Motorräder etwas Animalisches.
 
 
Katharina Mückstein ist eine Regisseurin, die Sie entdeckt und auch zum Schauspiel gebracht hat. Gleichzeitig sind Sie etwas wie die Inspirationsquelle ihren zweiten Film, den sie unbedingt mit Ihnen drehen wollte und für Sie geschrieben hat. Was bedeutet sie für Sie?
 
SOPHIE STOCKINGER: Das ist eine große Frage. Ich war bei meinem ersten Film 14 und hatte noch keine Ahnung vom Schauspielen. Katharina hat mich bei Talea an der Hand genommen und mich durch den Film geführt. Ich hab sie sehr bewundert, sie war Freundin für mich und vor allem auch eine Frau, die mir noch nie begegnet ist. Wir sind über die vier Jahre zwischen den beiden Filmen immer in Kontakt geblieben. Ich habe dazwischen nur fürs Fernsehen gedreht. Als sich die Vorbereitung für den zweiten Film konkretisiert hat, gab es eine Phase, in der wir erst wieder zueinander finden mussten. Ich habe zwischen 14 und 18 natürlich eine große Entwicklung durchgemacht. Was ich an Katharina so sehr bewundere, ist ihr hoher Anspruch. Dieser Anspruch bringt einen ganz schön ins Schwitzen und manchmal war die Probenzeit schwierig für mich. Sie will aber nur das Beste für ihren Film. In L’Animale ist nichts dem Zufall überlassen. Der Film ist ein ganzes Konstrukt von kleinsten Details– egal ob in Ausstattung oder Kostüm oder Frisur ... – alles, was man irgendwo beeinflussen kann, ist in Katharinas Kopf entstanden. Ich bin überzeugt, dass es einen guten Film ausmacht, wenn man noch mehr und noch mehr bereit ist, daran zu feilen. Ich kann sehr gut mit ihr arbeiten und wir können uns mit wenigen Worten verständigen, weil wir in vielen Dingen sehr ähnlich denken. Daher hatten wir auch beide eine sehr kohärente Vorstellung von Mati. Sie geht sehr stark auf die Schauspieler ein, gibt aber auch Richtungen und Schranken vor. In der Arbeit mit den drei Burschen, die sich aus Stephan Richters Einer von uns kannten und schon ein eingespieltes Team waren, hat sie sie sehr gut in ihre Richtung gewiesen. Sie holt alles aus einem raus und gleichzeitig wird offensichtlich, wie sehr sie selbst ihr Herzblut in den Film gießt.
 


Interview: Karin Schiefer
September 2016
«Was ich an Katharina Mückstein so sehr bewundere, ist ihr hoher Anspruch. Dieser Anspruch bringt einen ganz schön ins Schwitzen, sie will aber nur das Beste für ihren Film. Sie holt alles aus einem raus und gleichzeitig wird offensichtlich, wie sehr sie selbst ihr Herzblut in den Film gießt.»